6. Kapitel
Flut lief über eine Wiese.
Die Sonne strahlte warm auf ihn hinab und die Gräser und Blumen wiegten bei der leichten Brise hin und her. Glücklich blieb er stehen. Er mochte solche Wiesen. Und er träumte gerne von solchen Traumorten.
Er schnupperte. Es roch nach Blumen, Gras und... Was war das? Er konnte den Geruch nicht zuordnen.
Es roch nach Katze, aber auch nach Wind und es roch frisch wie die Nacht mit funkelnden Sternen und klarem Himmel, auch nach kaltem Wasser auf Stein...
Vorsichtig ließ er seinen Blick über die Wiese schweifen. Er konnte Blumen, Gräser, Insekten und allerlei Pflanzen erspähen, sogar ein paar vereinzelte Büsche.
Da blieb sein Blick an einer dunklen Gestalt hängen. Sie kam immer näher und näher. Instinktiv duckte er sich. Der seltsame Geruch musste von ihr kommen.
Als sie nur noch wenige Meter entfernt von ihm war, konnte er genaueres erkennen.
Es war eine blaugraue Kätzin mit klaren, dunkelblauen Augen. Dunkle Streifen waren auf Rücken, Schweif und Beinen zu erkennen und ihre Ohren waren beide eingerissen. Außerdem glitzerten Sterne auf ihrem Fell. Es funkelte und leuchtete wie die Sterne in der Dämmerung, wenn sie schon gut zu sehen waren.
Was will sie hier? Und wer ist das?, fragte er sich. Die Kätzin stand jetzt genau vor seinem Versteck.
„Du kannst herauskommen. Hab keine Angst. Ich tue dir nichts", miaute sie freundlich.
Sie strahlte Ruhe aus, die sein Misstrauen wegblies wie ein plötzlicher Windstoß. Und da er sowieso schon entdeckt worden war, erhob sich Flut.
„Wer bist du? Und was machst du hier?", sprach er seine Gedanken aus.
Die Blaugraue musterte ihn.
„Ich heiße Blaubeerstern", sagte sie dann. Ihre Augen funkelten wissend. „Ich bin gekommen, um dir eine Prophezeiung zu überbringen."
„Und die wäre?", fragte Flut wieder leicht misstrauisch, aber neugierig.
„Blut herrscht über die Flut, doch nicht lange. Sie wird weiterziehen zu neuen Gewässern. Das Blut wird versuchen, erneut Macht zu erlangen, doch die Flut wird es fortspülen. Dann wird Frieden einkehren", sagte Blaubeerstern mit einer geheimnisvollen, düsteren Stimme, die Flut einen Schauer über den Rücken jagte.
„Was soll das heißen?", erwiderte Flut verständnislos. Er hatte kein Wort verstanden.
Plötzlich begann die Landschaft um ihn herum, sich aufzulösen, ebenso wie die rätselhafte Kätzin, die ihm die Prophezeiung überbracht hatte.
„Warte!", schrie er mit einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung, „Bitte! Bleib hier und erklär mir, was das bedeutet!"
Doch es war zu spät. Nur noch eine Silhouette war von Blaubeerstern geblieben. Die Augen strahlten zwar noch hell und deutlich zu ihm hinunter, doch auch sie waren fast gar nicht mehr zu sehen.
„Viel Glück, Flut. Möge dein Weg einfach und erleuchtet sein", erklang ihre Stimme aus dem Nichts, dann war auch die verschwunden.
Er sank zu Boden. Sie war weg. Aber was mochte die Prophezeiung bedeuten?
Flut erwachte. Wie so oft konnte er sich an seinen Traum erinnern.
Er rief sich die Bilder der Sternenkätzin Blaubeerstern vor Augen, ebenso wie die Vorhersage.
Blut herrscht über die Flut, doch nicht lange. Sie wird weiterziehen zu neuen Gewässern. Das Blut wird versuchen, erneut Macht zu erlangen, doch die Flut wird es fortspülen. Dann wird Frieden einkehren.
Die Prophezeiung spukte in seinem Gehirn umher. Was hatte sie zu bedeuten?
Flut... Damit könnte ich gemeint sein...
Seine Gedanken spielten verrückt. War er gemeint?
Und wer oder was ist „Blut"? Zu neuen Gewässern... Hmm... Seen? Ozeanen? Flüssen? Bächen? Es gibt so viele! Oder Wetter? Regen? Gewitter? Oje... Das wird schwierig..., dachte er.
Das Nachdenken hatte ihn müde gemacht, doch es gelang ihm einfach nicht, sein Gehirn auszuschalten und die vielen Gedanken, die in seinem Kopf herumschwirrten, zu vertreiben. Immer neue Szenen holte sein Unterbewusstsein hervor, Geschehnisse, die er eigentlich schon längst vergessen hatte.
Ein Bild von Blume tauchte vor seinem inneren Auge auf. Er schloss die Augen und ließ seinen Kopf gewähren.
"Akzeptier es doch einfach!"
Die Krallen seiner Schwester waren ausgefahren, die Fänge drohend entblößt. Warum wurde sie gleich immer so aggressiv? Flut verstand es einfach nicht.
"Wir leben hier bei einer Streunergruppe, die das eben so macht, das wird schon richtig sein, wenn Blutfänger es so will. Was ist denn falsch daran? Woher willst du denn wissen, dass es nicht richtig ist?!"
Ein Ausdruck des Verletztseins trat in ihre Augen, doch in ihrer Stimme war eine Kälte, die ihn erschauern ließ.
"Müsste das Wort deiner Schwester nicht eigentlich reichen, damit du daran glaubst? Ich dachte, du vertraust mir."
"Ich vertraue dir doch. Aber ich finde es einfach-"
"Nein!", unterbrach ihn Blume. "Tust du nicht! Sonst würdest du einfach darauf vertrauen, dass Blutfänger recht hat. Dass ich recht habe."
Ihre Augen funkelten entschlossen.
"Hör einfach auf, dagegen anzukämpfen. Es ist richtig, klar? Es wird uns so beigebracht. Tu einfach das, was dir gesagt wird."
"Blume. Was ist mit dir? Du klingt so kühl", sagte Flut mit erstickter Stimme und sah sie flehend an. "Sei doch so wie früher. Nicht so kalt. Bitte."
"Warum?" Seine Schwester blickte ihn eisig an. "Was bringt es mir? Du hörst mir doch sowieso nicht zu. Du vertraust mich nicht. Lass mich einfach in Ruhe und akzeptiere es."
Aus ihrer Stimme war etwas herauszuhören, was Flut nicht identifizieren konnte. War es Wut? War es Enttäuschung? Oder war es einfach Verbitterung?
Blume drehte sich weg, weg von ihm. Sie machte ein paar Schritte, bevor sie sich ihm nochmal zuwandte.
"Weißt du, manchmal muss man sich einfach anpassen, Flut. Und nicht gegen etwas ankämpfen, wofür es sich nicht zu kämpfen lohnt."
Flut erwiderte nichts. Er fühlte die Enttäuschung tief in sich, dass Blume seine Meinung nicht teilte. Dass sie ihm etwas auszureden versuchte, wofür er kämpfen wollte. Er wollte etwas bewegen, etwas, was ihm etwas bedeutete.
Blume schaute ihn noch einmal mit einem undefinierbaren Blick an, bevor sie sich abwandte und zu Reis trottete, die ihn daraufhin verärgert anschaute. Und Flut stand alleine da.
Oh, jung waren sie gewesen, damals. Es kam ihm vor, als wäre es ewig her. Aber war es nicht erst vor ein paar Monden gewesen? Vielleicht drei Monden, oder zwei? Auf jeden Fall nicht mehr.
Hatte er Blume wirklich so verletzt, damals? Mit seiner bloßen Meinung? Flut schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Aber warum behandelte seine Schwester ihn seitdem immer so?
Entschlossen kniff er die Augen zusammen. Schlafen. Gedanken vertreiben. Energie tanken.
Und schon bald war er in einen unruhigen Schlaf gesunken, in dem es von Erinnerungen und Konflikten mit Blume nur so wimmelte.
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