11. Kapitel

Flut stockte der Atem.

Vor ihm stand eine dunkle Gestalt. Blaue Augen, die ihn abwartend musterten, stachen aus der Dunkelheit hervor. Es war der Kater, den Regenstern Rauchkralle genannt hatte. Er war es, der ihm etwas vor die Pfoten geworfen hatte. Was sollte das?

Was ist das?, fragte er sich und legte den Kopf verwirrt schief. Es schien sich zu bewegen, also musste es ein Lebewesen sein. Der Angstgeruch schlich sich in seine Nase und bestätigte seine Vermutung.

"Ein Kaninchen", drang eine Stimme in sein Ohr.

Flut machte vor Schreck einen kleinen Hüpfer. Der Kater bewegte sich geschmeidig um ihn herum, ohne ihn auch nur zu berühren.

Erstaunt fragte er: "Was soll ich damit?"

Doch niemand antwortete. Flut sah Rauchkralle in die Augen. Dieser erwiderte den Blick, sagte aber nichts. Er entschied, sich das Kaninchen genauer anzuschauen und beugte sich zu dem warmen Fellbündel hinunter.

Da stieg ihm ein metallischer Geruch in die Nase, den er zuvor übersehen hatte. Blut.
Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter. Der Kater, der hinter ihm stand, hatte es verletzt! Mit Absicht! Entsetzt starrte er zu Rauchkralle hoch.

Oh nein! Sind die etwa auch wie die Reißer? Wie Schaufel? Und Apfel?

Seine Gedanken jagten durch seinen Kopf. Was sollte er tun? Hatte Reis ihm womöglich Falsches erzählt?
Da kam ihm ein Gedanke.

Bevor ich mich hier aufrege, sollte ich es von seinen Schmerzen befreien!

Er überlegte. Sollte er es töten? Oder sollte er versuchen, es zu heilen? Lieber töten. Dann konnte er es fressen. Außerdem, er konnte es doch nicht heilen. Wie auch? Nie hatte ihm jemand genau erklärt, wie man das machte.

Deshalb tastete er das blutverschmierte Kaninchen nach der Kehle ab. Seine Pfote berührte die Schnauze und er musste aufpassen, dass das panische Beutetier ihn nicht mit seinen umherwirbelnden Krallen erwischte. Seine Pfote wanderte weiter nach unten, eine Wölbung hinunter, bis er glattes, kurzes Fell fühlte. Das musste die Kehle sein.

Schnell versenkte er seine Fänge darin, wie er es bei manchen Soldaten gesehen hatte, bis er nur noch Blut schmeckte. Schließlich erschlaffte das Fellbündel unter ihm. War das jetzt wirklich seine erste Beute? Aber er hatte auf jeden Fall etwas Gutes getan.

Zufrieden legte er es ab. Hinter sich hörte er den rauchgrauen Kater schnurren.

„Gut gemacht", lobte er und nickte ihm anerkennend zu. Dann forderte er Flut auf, ihm durch den Eingang nach draußen zu folgen. Das tote Kaninchen nahm er mit.

Draußen wartete Regenstern. Sie sah den Krieger fragend an, der nur bestätigend nickte, sich aber dann noch dazu aufraffte, etwas zu sagen.

„Er hat bestanden. Er hat nicht auch nur versucht, es zu quälen, und er war entsetzt über die Tatsache, dass es verletzt war. Die perfekte Voraussetzung", miaute der Kater. Er musste Flut ja sehr genau beobachtet haben, wenn er so genau Bericht erstatten konnte.

Regenstern wandte den Kopf zu Flut und durchdrang ihn förmlich mit ihren Blicken.

„Sehr gut", murmelte sie. „Er hat sich nicht beeinflussen lassen, das ist gut. Wir können ihn aufnehmen."

Ja!

Flut freute sich. Er würde aufgenommen werden! Er hatte eine Chance, zu überleben! Und vor allem: Er würde Schutz vor den Reißern haben. Er kannte Blutfänger gut genug, um zu wissen, dass dieser ihn nicht einfach gehen lassen würde.

Die Schildpattkätzin sprang nun elegant auf einen großen Laubhaufen in der Mitte des Lagers und hob die Stimme.

„Ich fordere alle Katzen auf, die alt genug sind, um auf einen Baum zu klettern, sich hier zu versammeln!"

Sogleich eilten einige Katzen herbei.
Eine braune, etwas bekümmert aussehende Kätzin.
Eine weiße, etwas hochnäsig wirkende Katze mit blauen Augen, neben ihr eine jüngere, wie eine Kopie aussehende Kätzin, nur dass sie grüne Augen hatte und ein wenig hinkte. Ihr fehlte eine Kralle, erkannte er.

Oh nein!

Innerlich jaulte Flut auf. Er hatte keine guten Erinnerungen an die ältere Kätzin. Sie war es gewesen, die Ara so schwer verwundet hatte. Warum musste er ausgerechnet in ihrem Clan landen?

„Eisfell? Wer ist das?", hörte er die Kleinere fragen.

„Ich weiß es nicht, Gänsepfote", erwiderte diese leise und sah zu ihm herüber, er wandte den Blick ab.

Eisfell. So heißt sie also.

Er spürte die unangenehmen Blicke auf seinem Rücken, als er sich vor dem Laubhaufen niederließ und den Schweif ordentlich um seine Pfoten ringelte, um gesittet zu erscheinen. Wenn sie ihn anstarrten, würde er das auch tun. Also versuchte er, möglichst deutlich in seine Blicke zu legen, dass er es gar nicht mochte, wenn man ihn wie ein Ausstellungsstück behandelte.

Flut fühlte sich unwohl. Er hasste es, so unverhohlen angestarrt zu werden. Eingeschüchtert legte er die Ohren an und duckte sich, wobei er ein leises Knurren nicht unterdrücken konnte. Einige Katzen fingen darauf an zu tuscheln.

Eine braune, drahtige Kätzin kam angesprungen, nicht ohne ihn zusätzlich auch noch abwertend zu mustern. Vielleicht lag es an seinem unordentlichen Pelz? Der junge Kater sah an sich herunter und kämmte mit seiner rauen Zunge hastig ein paar Zweige aus seinem langen, grauen Fell, um ein wenig ordentlicher auszusehen.

„Regenstern!", rief sie mit einem undeutbaren Blick auf den zusammengekauerten Kater. „Was ist los?"

„Wirst du gleich sehen", erwiderte Regenstern und ließ ein kurzes Jaulen ertönen, um die Aufmerksamkeit des Clans auf sich zu ziehen.

„Katzen des LaubClans", fing sie an. „Wie ihr seht, ist ein Reißer in unserem Lager."

Sie hüstelte, um das lauter werdende Flüstern zu ersticken. Kein guter Anfang, dachte er sich und blickte weiter angespannt zu der Schildpattkätzin hinauf.

„Flut hat die Reißer verlassen und den Test, dem wir ihn unterzogen haben, bestanden. Wir werden ihn als Schüler aufnehmen."

Regenstern funkelte Lorbeerpfote, der protestierend das Maul aufgerissen hatte, verärgert an.

„Rattenkralle, dir vertraue ich ihn an. Flut, bis du bereit bist, ein Krieger zu werden, wirst du Flutpfote heißen. Missbrauche unser Vertrauen in dich nicht", miaute sie feierlich und ein fröhlicher Schauer durchrieselte ihn. Regenstern würde sicher einen guten Mentor für ihn ausgesucht haben.

Flutpfote. Ich heiße jetzt Flutpfote.

Er nickte. Ein schwarz-braun getigerter Kater kam auf ihn zu und beugte sich zu ihm hinunter. Zögerlich reckte Flutpfote seine Schnauze nach oben, um Rattenkralles Nase zu berühren. Von Reis' Erzählungen kannte er viele Traditionen und Riten der Clans, so auch die, dass man bei seiner Schülerzeremonie einen Nasengruß mit seinem zukünftigen Mentor austauschte.

Als das passierte, spürte er nichts als Wärme und freudiger Erwartung, vergaß alles um sich herum. Alles, was er sah, war der warnende Blick Rattenkralles, aber auch der Stolz in seinen bernsteinfarbenen Augen.

Plötzlich hörte er hinter sich ein Fauchen, das ihn zurück in die Gegenwart riss. Als er mit aufgestelltem Fell herumfuhr, erblickte er Lorbeerpfote, der ihn ziemlich gereizt ansah.

„Er ist ein Reißer und somit eine Schande für unseren Clan. Verjagen wir ihn, bevor er Informationen verrät und Katzen verletzt oder tötet!", fauchte er.

Jetzt trat Rattenkralle vor.

„Lorbeerpfote", knurrte er wütend, „Das Wort des Anführers ist Gesetz. Oder willst du das Gesetz der Krieger brechen?"

Lorbeerpfote zog eingeschüchtert, aber immer noch verärgert den Kopf ein.

„Ich werde auf Flutpfote aufpassen", fuhr der Krieger fort. „Und das muss reichen."

Seine Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton angenommen und der Schüler zog sich zurück. Flutpfote wusste nicht, wie er seine Dankbarkeit ausdrücken sollte, also ließ er es.

„Könntest du meinem Schüler alles zeigen?", rief Rattenkralle zu einer kleinen, weißen Kätzin hinüber, die brav nickte und zu ihnen herüberkam.

„Ich heiße Federpfote. Und wer bist du?"

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