1. Kapitel
Flut spielte den Knochenball zu seinem Bruder Asche hinüber, der ihn zu Blume schleuderte. Seine braune Schwester warf ihn hoch in die Luft.
Gebannt sahen die drei zu, wie er wieder Richtung Boden fiel.
Als er nahe genug war, hechtete der Jungkater nach vorn und schnappte ihn sich mit seinem Kiefer. Damit rannte er zu einem Fleckchen Gras und spuckte ihn aus.
Vor ihm lag nur noch ein Haufen Knochen, an dem noch Kaninchenblut klebte und ein paar Moosreste.
Flut hatte diese Knochenbälle schon immer widerlich gefunden, doch erst jetzt wurde ihm klar, dass sie mit einem toten Kaninchen spielten.
Bäh.
Er schüttelte sich angeekelt. Mit Beute spielte man nicht, fand er.
Blume kam angerannt und blieb neben ihm stehen. Dann gab sie einen enttäuschten Laut von sich.
„Och nö, er ist ja schon wieder kaputt!", beschwerte sie sich.
„Flut kann doch nichts dafür!", kam ihm Asche zur Hilfe, der jetzt neben ihm stand.
„Trotzdem!" Sie bleckte die Zähne. „Dauernd macht er unsere Bälle kaputt!"
Das stimmte, und das wussten alle drei.
Genervt trottete Blume zum Frischbeutehaufen und nahm sich ein großes Kaninchen. Flut schnappte sich einen Spatz und Asche eine Maus. Damit setzten sie sich auf ein kleines Farnfleckchen.
Während er an seinem Spatz nagte, riss Blume große Fleischstreifen von dem Kaninchen ab und verschlang sie gierig.
Hätte ich ihn doch nur nicht zerstört!
Missmutig stand Flut auf und setzte sich von seiner Schwester weg. Dort starrte er ins Leere. Jetzt kam auch Asche zu ihm hinüber und ließ sich neben ihn fallen.
„Du kannst doch nichts dafür", tröstete er ihn. „Blume ist halt manchmal grantig, das weißt du doch."
„Ja, aber immer, wenn uns langweilig ist, spielen wir Knochenball, und ich zerstöre immer unsere einzige Spielmöglichkeit", murmelte er.
„Ach was!" Asche schlug ihm kameradschaftlich mit der Pfote auf die Schulter. „Ich habe eine Idee, wie wir dich und Blume aufheitern können."
Er stand auf und führte ihn zu Blume. „Komm mit, Blume."
Die Angesprochene erhob sich und trottete neugierig und zugleich mürrisch hinter ihnen her. Jetzt erkannte Flut, wohin Asche sie führte.
Oh nein. Nicht dahin.
Der dunkelgraue Kater lief zu dem Gefangenenbau. Dort wurden entführte Hauskätzchen und Clankatzen gefangen gehalten und bekamen nur wenig Futter; die erwachsenen Katzen vergnügten sich gerne damit, sie zu ärgern.
Blumes Augen leuchteten begeistert auf und sie fing an, erfreut zu lächeln. Pischi stand vor dem Eingang Wache.
„Was wollt ihr hier?", brummte er ungehalten.
„Rein natürlich, was sonst?", antwortete Asche frech.
„Du kleiner...!" Der Kater schlug verärgert nach ihm. „Ihr wisst genau, dass ihr nicht da rein dürft!"
Asche grinste nur und flitzte an ihm vorbei in den Bau hinein. Flut folgte ihm eilig und Blume ihm.
Drinnen war es kalt. Die Wände waren mit Absicht nicht richtig abgedichtet worden und es roch nach Blut, Krankheit, Angst und Infektion. Der Bau war nicht besonders voll, da sich nur selten Katzen alleine herumtrieben.
In einer Ecke lag eine schwarze Gestalt. Bernsteinfarbene Augen blickten ihnen aus ihr entgegen. Flut hörte ein leises Knurren.
„Lasst mich in Ruhe", knurrte der Schatten. Es war ein Kater.
„Wir sind auch nur gekommen, um dich in Ruhe zu lassen", spottete Blume.
Flut hingegen hatte kein gutes Gefühl dabei.
Oh, nein. Bitte versuch nicht, ihn anzugreifen.
Er spürte die prüfenden Blicke des Katers und wusste, dass er sich sein Gesicht, seinen Geruch und sein Aussehen merkte, ebenso wie das seiner Geschwister, um sich bei der nächstbesten Gelegenheit zu rächen.
Doch er bekam seinen Wunsch nicht erfüllt.
Blume riss das Mäulchen auf, um es in die Pfote des Katers zu schlagen, die versuchte, sie umzuschubsen. Sie schnappte zu und der Kater jaulte vor Schmerzen auf. Flut konnte sich deutlich vorstellen, was er fühlte.
Es muss super peinlich für ihn sein, von einem Jungen geärgert zu werden.
„Blume..."
Er fühlte sich schuldig. Er half dem Kater nicht. Aber er konnte sich nicht gegen seine Schwester stellen. Blieb ihm also nur noch, sich möglichst im Hintergrund zu halten und zu hoffen, dass Blume schnell aufhören würde. Doch sie dachte nicht daran.
Blume grub ihre Fänge immer tiefer in seine Pfote. Der Kater versuchte, sie wegzuziehen, doch sie ließ nicht locker. Die bernsteinfarbenen Augen des Katers waren mittlerweile glasig vor Schmerz.
„Hört auf!", wisperte der Kater. „Bitte", fügte er noch leiser hinzu.
Blume schnaubte nur verächtlich.
„Warte!", platzte Flut heraus.
„Was?", fragte Blume verärgert.
„Ich habe eine Idee", erklärte er. An den misstrauischen Kater gewandt miaute er:
„Wir lassen dich in Ruhe, wenn du das hier frisst."
Er deutete auf ein paar faulige, dreckverschmierte Blätter.
„Oh ja!", rief seine Schwester.
Der Kater warf ihm einen bitterbösen Blick zu, bevor er die Blätter aufleckte und hinunter würgte.
Asche lächelte monoton, wie um die Stimmung nicht zu versauen. Blume grinste boshaft.
Plötzlich hörte Flut Schritte. Jemand packte ihn unsanft am Nackenfell und hob ihr hoch.
„Was...?"
Er zappelte. Als er zu seinen Geschwistern schaute, sah er, dass es ihnen genauso ergangen war.
„Komm hier nie wieder rein, bis du Auszubildender geworden bist", knurrte ihm eine Stimme ins Ohr.
Es war Pischi. Offenbar hatte er Hilfe geholt.
Als er zu Blumes Opfer blickte, sah er, wie der Kater schadenfroh die Zähne bleckte. Er knurrte leise. Auch wenn er ungerecht behandelt worden war, mochte er es nicht, wenn sich jemand über ihm lustig machte.
„Und du", Pischi fauchte, „brauchst nicht so zu grinsen."
Er verpasste dem Kater eine schallende Ohrfeige, und sogleich verzog der sich mit vor Wut und Schmerz verzerrtem Gesicht in seine Ecke. Flut hörte, wie der Kater leise wimmerte.
Aber er hörte auch die Stimme seiner Mutter, die mit Blume schimpfte: „Wenn ich noch einmal sehe, dass ihr hier rein geht, dann bekommt ihr eine Strafe."
Er wollte keine Strafe kriegen. Und schon gar nicht von seiner Mutter. Er wusste, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Ruhig ließ er sich also von Pischi nach draußen tragen, wo der ihn absetzte.
Bevor er weglaufen konnte, verpasste der ihm einen Schlag auf den Kopf und drehte sich wortlos um.
Vor Flut drehte sich alles. Ihm war schwindelig. Er taumelte auf Asche zu, der nicht weit von ihm entfernt stand.
„Alles in Ordnung?", fragte dieser besorgt.
„Geht schon", antwortete er und setzte sich schnell.
Nun hüpfte auch Blume zu ihnen. Sie sah kein bisschen beschämt aus. Ihre Stimmung schien deutlich besser zu sein als vorher.
„Das hat Spaß gemacht!", rief sie.
„Hm", machte Flut nur.
Asche meinte: „Das freut mich."
Langsam hörte die Welt auf, sich vor seinen Augen zu drehen, und er fühlte sich besser. Leider kam gerade Reis wieder.
„Schlafenszeit", brummte sie und scheuchte sie in den Jungenmutterbau.
„Och nö", maulte Asche und Flut ächzte.
„Oh doch."
Er legte sich ins Nest.
Ich bin doch überhaupt nicht müde!
Obwohl er das gedacht hatte, schlief er nach wenigen Minuten ein.
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