4. Kapitel
Die Sonne färbte den Berghang und die Wipfel der Bäume, zwischen denen das Waldmoosrudel lebte, blutrot. Brud fragte sich, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, aber Sora hatte bei ihrem Aufbruch nichts dergleichen erwähnt. Die Seherin war im Lager geblieben, weil Jani ihre Welpen nun jeden Moment bekommen könnte. Also müssten sie bei der Jagd besonders vorsichtig sein. Es würde niemand von ihrem Rudel in der Nähe sein, um einen Schwerverletzten zu versorgen. Nur der Seher des Waldmoosrudels, aber der war noch jung und unerfahren.
Brud trabte gelassen neben Sanda und Vulco her, die die Nachhut bildeten. Vor ihnen liefen Miro, Lir und Vir und ganz vorne Roc und Tila. Sie führten ihr Rudel in einem angenehmen Tempo, das weder zu schnell, noch zu langsam war, in Richtung des Territoriums des Waldmoosrudels. Sie würden sich an der Grenze treffen und dann zusammen zu dem Ort aufbrechen, wo die Hirsche rasteten. Falls sie denn überhaupt rasteten und nicht weiterzogen.
Schon bald kamen die vertraute schwarze und weiße Gestalt von Keet und Ami in Sicht. Der Rudelführer des Waldmoosrudels bellte eine Begrüßung, die von Roc erwidert wurde. Als sie näher waren, zählte Brud die Wölfe des anderes Rudels durch und stellte fest, dass es nur vier waren. Unter ihnen war auch Mila, die Vulco und Vir diesen Morgen getroffen hatten. Sie strahlte förmlich vor Energie und Entschlossenheit.
»Es ist schön, dich zu sehen, Roc, und dich, Tila«, begrüßte Keet die Rudelführer nun auch, neigte aber nicht den Kopf. Sie begegneten sich auf Augenhöhe. »Die Hirsche rasten auf einer Lichtung. Wir haben sie ausgespäht und Silver hat zwei schwache Tiere entdeckt, die verletzt zu sein scheinen.« Er deutete zu einem jungen Wolf mit silbernem Fell, der stolz den Kopf reckte. »So wird jeder von uns einen Hirsch bekommen.«
»In Ordnung«, antwortete Roc ohne Umschweife. »Führ uns zu dieser Lichtung.«
Die zwei Gruppen setzten sich in Bewegung und folgten dem schwarzen Wolf, der zwischen den dunklen Baumstämmen fast unsichtbar war. Brud versuchte, sich den Weg zu merken, gab jedoch schnell auf. Es gab nichts, an dem er sich orientieren konnte. Alles sieht so gleich aus! Er sah nach vorne und spürte einen Stich der Eifersucht, als er Tila neben Ami laufen sah.
Sie ist eine Rudelführerin, dachte er. Sie hat so viel und doch so wenig. Was bringt Macht und Befehlsgewalt, wenn man nicht glücklich ist?
Er stieß fast mit Miro zusammen, der plötzlich vor ihm stehen geblieben war. Zum Glück bemerkte der alte Hetzer nichts. Brud spitzte die Ohren und reckte sich, um über Miros Kopf hinweg nach vorne zu schauen.
Anscheinend lag die Lichtung mit den Hirschen genau hinter der Baumreihe vor ihnen. Keet, Roc und Ami hatten die Köpfe zusammengesteckt und beredeten etwas, bis sie sich endlich trennten. Ein Ohrenzucken, ein Zähneblecken und ein Naserümpfen, dann wussten alle Wölfe, was sie zu tun hatten. Lir und Vir wurden mit Silver und einem weiteren Hetzer des Waldmoosrudels auf einen der geschwächten Hirsche angesetzt. Sie würden ihn von der Herde trennen und auf den Holunderbusch zu jagen, hinter dem Roc, Tila und Vulco ihn erwarten und erlegen würden.
Den zweiten Hirsch sollte der Rest übernehmen, zu dem auch Brud zählte. Er wurde von Miro angestupst. Lautlos folgte er dem älteren Wolf zu ihrer Ausgangsposition auf der rechten Seite der Lichtung. Dort legten sie sich mit Mila und dem dritten Hetzer des Waldmoosrudels auf die Lauer.
»Dieser Hirsch ist größer«, flüsterte Miro leise. »Wir werden aufpassen müssen.«
Brud folgte seinem Blick und sah einen ausgewachsenen Hirsch, der gerade aufstand und ein Stück weit humpelte, bevor er sich wieder hinlegte. Die Spitzen seines Geweihs leuchteten hell im fahlen Mondlicht. Unwillkürlich musste Brud an Janis Schwester Zuki denken, die wegen so eines Geweihs gestorben war.
Einige Zeit war es vollkommen still. Der Wind blies sacht durch die Baumwipfel und ließ die Blätter leise rascheln. Doch dann hob einer der Hirsche abrupt den Kopf und starrte in eine bestimmte Richtung. Seine feuchte Nase zuckte. Und plötzlich schossen die kleinen Gestalten von Lir und Vir aus den Büschen. Panisches Blöken und Röhren ertönte. Alle Hirsche sprangen auf die Beine, ihre scharfen Hufe zertrampelten das Gras.
»Verliert ihn nicht aus den Augen!«, bellte Miro, bevor er mit seiner Gruppe auf die Lichtung stürmte.
Bruds Herzschlag beschleunigte sich. Er kam sich unglaublich klein vor, war verloren in dem Chaos auf der Lichtung. Wie soll man da die Ruhe bewahren? Ein sandfarbener Blitz huschte an ihm vorbei. Mila hatte ihn überholt und biss nach den Fesseln eines kleinen Hirsches, damit er ihr Platz machte.
»Worauf wartest du?«, jaulte sie ihm zu, bevor sie weiter rannte.
Irgendwie schaffte er es, sich zusammenzureißen. Wo ist der Hirsch? Seine Augen huschten hin und her, bis er ihn endlich fand. Er galoppierte so schnell er konnte auf den Rand der Lichtung zu, wo seine Herde hin floh. Doch da stellte sich Miro ihm mit gesträubtem Fell und gebleckten Zähnen in den Weg. Der Hirsch scherte aus, entfernte sich von seiner Herde.
Brud beeilte sich, um Miro, Mila und den anderen Hetzer einzuholen. Sie mussten dafür sorgen, dass der Hirsch Keet, Ami und Sanda direkt vor die Zähne lief. Seine Pfoten trommelten über den Boden, der unter den Hufen der fliehenden Tiere heftig bebte. Dann tauchte er ins Dickicht ein. Ein paar Zweige verfingen sich in seinem Pelz, aber er rannte weiter.
Plötzlich ertönte vor ihm ein lautes Brüllen, dann ein Knall. Der Hirsch war zwar in die Falle gerannt, doch nun wich er zurück und schlug mit den Hufen aus. Einer davon erwischte den Stamm der nächsten Buche und hinterließ eine tiefe Kerbe. Dann senkte der Hirsch den Kopf und ging mit seinem Geweih auf die drei Wölfe los, die ihn hätten töten sollen.
»Passt auf!«, jaulte Brud aus voller Kehle und stürzte nach vorne. Er reagierte schneller als Miro und der andere Hetzer. Mila war noch gar nicht hier angekommen. Mit einem weiten Sprung war er an Sandas Seite und stieß seine Schwester zu Boden, bevor das Geweih knapp über ihren Kopf hinweg sauste. Sie japste erschrocken und zog sich ein Stück zurück. Derweil holte der Hirsch erneut aus.
»Bringt ihn zu Fall!«, rief Miro und verbiss sich in den Hinterbeinen des Hirsches, wurde jedoch gleich darauf davon geschleudert. Der ältere Wolf blieb benommen auf dem blätterbedeckten Boden liegen und schüttelte verwirrt den Kopf. Sanda war allerdings nicht so schnell loszuwerden. Knurrend vergrub sie ihre Zähne im Hals des randalierenden Hirsches und achtete nicht auf die Geweihspitzen, die ihr in den Rücken stachen. Keet und Ami wollten ihr zur Hilfe kommen, doch im selben Moment senkte der Hirsch wieder den Kopf.
»Nein!« Instinktiv schoss Brud vor, schloss seinen Kiefer um eines der Vorderbeine des Tieres und drückte zu, bis es knackte. Ein ohrenbetäubender Schmerzensschrei entkam der Kehle des Hirsches. Er knickte zur Seite weg, sodass sein Geweih die zwei Rudelführer nur um Haaresbreite verfehlte.
Brud löste sich von dem gebrochenen Bein und wollte zurückweichen, doch da traf ihn etwas Scharfes an der Flanke. Er heulte vor Schmerzen auf und zuckte zurück. Eine der Geweihspitzen hatte ihn erwischt und eine Wunde gerissen, aus der jetzt Blut quoll.
»Brud!« Von irgendwo her hörte er den besorgten Ruf seiner Schwester, während eine seltsame Schwäche ihn überkam.
»Du hast uns das Leben gerettet«, ertönte Keets tiefe Stimme. »Wir stehen tief in deiner Schuld, junger Hetzer.«
»Er ist kein Hetzer!«, fuhr Sanda den Rudelführer an und kümmerte sich nicht um Formalitäten. »Er ist unser Heuler und mein Bruder!«
»Der Hirsch hat seine Lebensader erwischt«, meinte jemand anderes. »Er muss sofort zu einem Seher.«
»Ti...«, flüsterte Brud, während um ihn herum alles schwarz wurde. Die Beine gaben unter ihm nach. Tila, dachte er. Tila, wo bist du?
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Jetzt sind alle Wölfe des zukünftigen WindClans einmal aufgetaucht! Juhu :) Auch wenn Brud gerade etwas schlecht dran ist O.o
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