9. Kapitel

„Doch Kristallschimmer ist nicht die einzige Katze, die uns verlassen hat. Es ist traurig, berichten zu müssen, dass uns auch unser zweiter Anführer Kurzschweif vor wenigen Sonnenaufgängen verlassen musste. Eulenflug hat nun seinen Platz als zweite Anführerin eingenommen." Gemurmel brach in der Senke aus und Eulenflug, die neben den anderen zweiten Anführern am Fuß des Hochfelsens saß, prickelte es unwohl in den Pfoten. War der Auslöser für das Gemurmel Kurzschweifs Tod oder doch eher ihre neue Position im Clan?

Für den HimmelClan war Eulenflugs Ernennung zur zweiten Anführerin nicht sehr unerwartet gekommen. Schließlich war sie ja auch schon seine vorläufige Vertreterin gewesen. Doch davon wussten die anderen Clans nichts. Im Gegenzug dazu war ihnen allen aber sehr wohl bekannt, dass Eulenflug ihren Clan verlassen hatte und dann nach dem Tod ihres Gefährten einfach wieder zurückgekommen war. Welchen merkwürdigen Eindruck mussten es jetzt machen, dass ausgerechnet diese unloyale Kriegerin zur neuen zweiten Anführerin ernannt wurde?

Langbarth, der zweite Anführer des MoorClans nickte Eulenflug anerkennend zu. „Meine Glückwünsche", sagte er und auch Weidenblüte, die zweite Anführerin des HöhlenClans, die zu Eulenflugs rechter Seite am Fuße des Hochfelsens saß, nickte ihr ermutigend zu. Sie war eine sehr nette Kätzin, wenn auch schon sehr alt. Die zweite Anführerin des HimmelClans wandte ihren Blick wieder dem Hochfelsen zu, der direkt vor ihrer Nase aufragte, als Heidenstern zurücktrat und Kalbstern seine Stimme erhob.

„Dem MoorClan geht es soweit noch gut und es gibt nicht viel Neues zu berichten, außer dass wir einen neuen Schüler haben." Eulenflugs Fell prickelte von den Ohren bis zur Schwanzspitze, als ihr klar wurde, dass dies nur Aschenjunges sein konnte. „Aschenpfote hat sein Kriegertraining aufgenommen. Seine Mentorin ist Höhlenfall." Die zweite Anführerin wirbelte herum und suchte die MoorClankatzen nach dem winzigen Fellbündel ab, dass sie sofort an dem Tag seiner Geburt alleine zurückgelassen hatte. Sie fand dieses Fellbündel nicht. Anstelle dessen trat ein kleiner kräftiger Kater hervor der sich etwas unsicher zwischen den ganzen Clankatzen umher sah, die ihn beim Namen begrüßten und ihm gratulierten.

Schließlich blieb Aschenpfotes Blick bei Eulenflug haften. Das Herz der zweiten Anführerin setzte einen Schlag aus. Das war ihr Sohn! Es war das erste Mal, dass sich die beiden in die Augen sahen, doch sie erkannten sich sofort. Sämtliche Muttergefühle stürzten mit einem Schlag über Eulenflug herein und sie schaffte es kaum noch auf ihren Pfoten stehen zu bleiben. Sie spürte Stolz, Rührung, Angst, Vertrauen, Freude, Liebe, Zuneigung und noch vieles mehr was sie gar nicht so genau benennen konnte. Sie fragte sich mit einem Mal wie sie ihren Sohn jemals hatte verlassen können. Er war so groß geworden, ohne dass sie ihn aufwachsen sehen konnte, so klug und wissend, ohne dass sie ihm das Gesetz der Krieger beigebracht hatte und hatte es durch einsame Zeiten geschafft, ohne eine Mutter die ihn tröstete und ihm Wärme spendete.

Eulenflug wusste zwar, dass Schieferglanz Aschenpfote immer wie einen eigenen Sohn behandelt hatte. Aber trotzdem hatte er nie richtige Eltern gehabt. *SternenClan, was habe ich nur getan?* Sie wusste, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Für den Clan und ihre Bestimmung. Doch das alles schien jetzt nicht mehr wichtig als sie dem Jungen Kater in die klugen, blauen Augen blickte. „Damit wäre ja jetzt alles gesagt", fuhr Kalbstern in diesem Moment fort und sprang von Hochfelsen. „Lasst uns jetzt noch ein bisschen untereinander die Zungen geben."

Eulenflug wollte sofort zu ihrem Jungen eilen, doch Krieger die umher rannten, hielten sie auf und bald hatte sie den Schüler aus den Augen verloren. Sie suchte gerade weiterhin die versammelten Katzen ab, als ihr ein Schwanz von hinten über das Rückgrat fuhr. „Schieferglanz!" In den Augen ihrer MoorClanfreundin flammten Stolz und Verständnis auf. „Aschenpfote ist ein toller Kater, nicht wahr? Ich wette er wird einer der besten Krieger im ganzen Clan!" Ein Schnurren stieg in der Kehle der Kriegerin auf. „Kann ich ihn sehen?", fragte Eulenflug. Sie hatte keine Zeit für solche Plaudereien. Sie musste zu ihrem Jungen. Schieferglanz zögerte kurz, dann nickte sie schließlich. „Aber vorher will ich noch mit dir reden..." Sie deutete mit dem Schwanz auf ein Gebüsch am Rande der Senke und die HimmelClankätzin gab schließlich wiederwillig nach und folgte ihrer Freundin in hinter den Busch, wo sie von ungewollten Zuhörern geschützt waren.

„Geht es um Aschenpfote?", fragte sie ungeduldig. Schieferglanz nickte. „Es ist so...er denkt... also dass Flugmond..." Bei Flugmonds Namen horchte Eulenflug auf. Sie hatte lang nicht mehr an ihn gedacht, oder es zumindest versucht. Konnte es sein dass Flugmond seinen Sohn in seinen Träumen aufgesucht hatte? „Nun komm mal zur Sache", drängte sie ihre Freundin. Diese seufzte. „Nun gut. Aschenpfote glaubt, dass Flugmond noch lebt." Eulenflug machte große Augen. Das hätte sie am wenigsten erwartet. „Was? Aber hast du ihm nicht erklärt dass er in dem Feuer umgekommen ist?" „Doch doch!", beschwichtigte sie Schieferglanz schnell. „Aber er glaubt das nicht. Er denkt, dass sein Vater den Flammen entkommen ist und noch lebt!"

Eulenflug senkte traurig den Kopf. So sehr sie es sich auch wünschen würde, sie wusste, dass es nicht so war. „Das ist ganz normal. Er ist noch jung und naiv. Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Irgendwann wird er lernen, dass es Zeit ist, gehen zu lassen." Doch Schieferglanz schüttelte den Kopf. „Es ist nicht die Hoffnung bei ihm, nicht so wie sie es bei dir am Anfang war. Er ist sich seiner Sache sicher. Er behauptet sogar zu wissen, wohin er reisen müsse, um seinen Vater zu finden. Die ganze Zeit redet er davon, dass es Zeit für ihn wird, auf eine Reise zu gehen um Flugmond zu suchen und zum Clan zurückzubringen. Ich glaube er weiß mehr als wir denken."

Eulenflug schüttelte ihren Kopf und hörte damit nicht mehr auf. Nein. Nein! Das konnte nicht sein. Flugmond war tot, das wusste sie. Es brachte keinen Sinn weiter zu hoffen. Aschenpfote musste das nur noch selber begreifen. „Ich werde mit ihm reden!", sagte sie und tauchte unter dem Busch hervor, ohne auf eine Antwort von Schieferglanz zu warten. Sie sah sich auf der Lichtung um. Da erblickte sie ihn. Ihren Sohn. In einer Gruppe mit ein paar anderen Schülern. Sie näherte sich langsam der Gruppe. Aschenpfote schien sie gewittert zu haben, denn als sie eine Schwanzlänge hinter ihm zum Stehen kam, verabschiedete sich der Schüler von den anderen jungen Clankatzen und drehte sich dann schließlich zu ihr um. Jetzt sah sie ihm nicht nur in die Augen, sondern war ihm auch ganz nah. So nah, dass sie seinen Atem spüren konnte und sein Duft sie einhüllte. Sein Duft, in dem sie eine Spur von ihrem eigenen wahrnehmen konnte und auch eine von Flugmonds Geruch, den sie so vermisst hatte.

„A...Aschenpfote. Wie geht es dir? Du bist... ziemlich groß geworden." Eulenflug spürte das Unbehagen in ihren Pfoten. Sie hatte keine Ahnung wie sie ihren Sohn behandeln konnte. Und wie er sie sah. Sah er sie als Mutter, als Betrügerin oder einfach nur als eine Katze aus einem anderen Clan? „Wofür dieses unnötige Gerede?", fragte er und legte den Kopf schief. Dies war das erste Mal; dass sie den kleinen Kater sprechen hörte. Seine Stimme klang so sehr wie die seines Vaters, als dieser ein Schüler gewesen war. „Ähm... nun ja. Worüber sollen wir denn sonst reden?", fragte sie etwas unsicher. *Wow, was für kluge Worte Eulenflug. Ich bin begeistert!*

„Nun... ich verstehe dich nicht", erklärte Aschenpfote. Sein Blick wandte sich keine Sekunde von Eulenflug ab und sie konnte keine Spur von Unsicherheit in seiner Stimme erkennen. Insgeheim bewunderte sie Aschenpfote. Für den Mut, den er aufbrachte und die Ehrlichkeit. Er ähnelte seinem Vater in vieler Hinsicht. „Ich kann verstehen, dass du dich betrogen fühlst", gab sie seufzend zu. „Du musst meine Entscheidung nicht verstehen. Ich weiß, dass ich in meiner Aufgabe als Mutter versagt habe und das tut mir auch so leid." Aschenpfote schnippte überrascht mit den Ohren. „Darüber bin ich hinweg. Ich kenn es ja von Anfang an nicht anders", erklärte er. War da Vorwurf in seiner Stimme? Eulenflug könnte es ihm nicht übel nehmen. Aber sie war erleichtert, dass er nicht besonders wütend auf sie schien.

„Was ich meine, ist die Sache mit Flugmond. Du hast nicht nur in deiner Aufgabe als Mutter versagt, sondern vor allem auch in der in als Gefährtin." Überall in Eulenflug prickelte es. Wie konnte ein so junger Kater so weise sein? Es kam ihr vor als würde sie mit einem Ältesten reden. Wie sollte sie nur mit den Worten ihres Sohnes umgehen, wie darauf reagieren? Sie war nie in einer so schweren Situation gewesen. „Du hast Flugmond verraten, als du aufgehört hast, daran zu glauben und zu hoffen, dass er noch lebt." Warum fühlte sich Eulenflug, als müsste sie sich rechtfertigen? Als würde Aschenpfote die Wahrheit sagen? „Hör zu. Ich weiß, dass das schwer für dich ist zu glauben, dass dein Vater nicht mehr unter den Lebenden weilt, wenn niemand je seinen Leichnam gesehen hat. Für mich war es das am Anfang auch. Aber du musst lernen damit zu leben. Manche Katzen gehen ohne dass wir uns von ihnen verabschieden können. Doch wir müssen sie gehen lassen. Die Unsicherheit wird uns sonst nur innerlich zerfressen wie Würmer einen Tierkadaver."

Eulenflug fragte sich einen Moment, ob das die richtigen Worte für einen so jungen Kater waren. Ob er überhaupt schon in der Lage war, zu verstehen, was das bedeutete. Was Tod überhaupt bedeutete. Doch wenn sie in seine weisen, blauen Augen blickte, zweifelte sie keine Sekunde daran. „So ist das also", miaute Aschenpfote. Eulenflug konnte nicht sagen, was er dachte oder fühlte. Sie hatte keinerlei Einblick in das Innere ihres Sohnes. Dabei sollten Mütter doch diejenigen sein, die ihre Kinder am besten verstanden. „Ich dachte immer du wärst stärker. So viel wie du schon durch gemacht hast... Gerade von dir hätte ich am wenigsten erwartet, dass du den leichtesten Weg gehst. Hat man dich nicht gelehrt, dass der schwere Weg der beste ist?"

Die zweite Anführerin war sprachlos. Sie war nicht wütend oder enttäuscht darüber, dass ihr Sohn so unrespektvoll mit ihr redete. Eher stolz auf ihn. Er hatte es schon so weit gebracht. Er war so groß und stark und selbstständig geworden. „Glaube mir, es ist nicht einfach loszulassen. Ich wäre nie den einfacheren Weg gegangen. Aber es bringt nichts zu hoffen, wo keine Hoffnung mehr liegt", erklärte sie ihrem Sohn sanft, doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Es ist nicht nur Hoffnung, Eulenflug. Ich weiß mehr als du denkst. Vertraue mir." Und mit diesen Worten drehte sich Aschenpfote um und verstand in der Menge der versammelten Katzen.

Die zweite Anführerin blieb alleine zurück. Um sie herum wimmelte es von Katzen. Doch ohne Aschenpfote fühlte sie sich plötzlich schrecklich allein. Sie ließ ihren Blick über den Nachthimmel schweifen, wo die Sterne in ihrer ganzen Pracht strahlten. *Wo bist du nur, Flugmond? Wo bist du nur...*

Hey Leudis, lang nicht mehr gesehen :D Ja ich weiß, dass ich versprochen habe, dass dieses Kapitel hier schon viel früher kommt, aber irgendwie hatte ich Probleme, das auf dem Computer mit Word geschriebene auf Wattpad aufzuspeichern und dann habe ich es erstmal ganz vergessen... Tut mir wirklich total leid und ich bin echt jedem dankbar, der mir trotzdem noch treu ist. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und ich wünsche euch allen frohe Ostern!!! ❤🐰🐣

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