8. Kapitel

"Nein, nein!" Tigersturms Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und ihr Fell gesträubt. Ihr verzweifelter Blick wandte sich Eulenflug zu. "Es muss doch irgendwas geben, wie wir ihr helfen können. Wir sind doch Heilerkatzen!" Die Kriegerin verkniff sich, ihre ehemalige Schülerin darauf hinzuweisen, dass sie keine Heilerin mehr war.

Traurig schüttelte sie langsam den Kopf und ließ ihren Schwanz tröstend über Tigersturms Rücken gleiten. "Wir können nichts mehr für sie tun. Ihr Schicksal liegt nun in den Pfoten des SternenClans." Doch die junge Heilerin dachte gar nicht daran, sich damit zufrieden zugeben. Sie sprang auf und schüttelte dabei Eulenflugs Schwanz ab.

"Und warum hilft der SternenClan ihr dann nicht, wenn es in seiner Macht steht?", fauchte sie mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung in ihrer Stimme. *Du weißt gar nicht, wie oft ich mich das schon gefragt habe*, dachte sich Eulenflug und seufzte innerlich. Sie hatte aufgegeben, sich gegen den SternenClan und seine Entscheidungen, welche Katzen er zu sich nahm, aufzulehnen.

"Es tut mir so leid, Tigersturm!", wisperte sie, als ein Moment der Stille geherrscht hatte. Nur durchbrochen durch das Keuchen und Husten der kranken Katzen im Heilerbau und vor allem die schwachen, heiseren Atemzüge Kristallschimmers, die jeden Moment verstummen könnten.

Tiefes Mitleid für die junge Heilerin überflutete Eulenflug. Kristallschimmer war Tigersturms Wurfgefährtin und eine gute Freundin noch dazu. Außerdem war sie so jung. Viel zu jung um jetzt schon ihren Weg zum SternenClan anzutreten. "Müsst ihr sie jetzt schon zu euch holen, SternenClan? Könnt ihr nicht noch ein paar glückliche Blattwechsel als Kriegerin lassen?", murmelte Eulenflug ganz leise schluchzend vor sich hin. Sie hatte schon viel zu viele Clangefährten ihr Leben aushauchen gesehen. Diese Bilder hatten sie geschwächt. Sie war es leid, noch mehr Tod und Trauer ertragen zu müssen. Leid, den SternenClan um Hilfe zu beten und doch immer wieder enttäuscht zu werden.

Der Geruch des Todes hing bereits an der dreifarbigen Kriegerin, auch wenn sie immer noch schwerfällige Atemzüge nahm. Doch noch ein anderer Geruch glitt Eulenflug in die Nase. Es war Fleckenkralles Geruch. Kristallschimmers Vater war gekommen, um seine Tochter auf dem Weg zum SternenClan zu begleiten. Als Eulenflug ihre Augen, die sie vor Trauer geschlossen hatte, wieder öffnete, konnte sie Fleckenkralles blasse Gestalt im dämmrigen Höhlenlicht erkennen. Sein Blick glitt voller Trauer über seine sterbende Tochter.

Tigersturm, die ihren Vater ebenfalls erblickt hatte, reagierte ganz anders, als Eulenflug erwartet hätte. In ihren Augen glommen Wut und Verachtung auf und sie fuhr kampfeslustig ihre Krallen aus, die Zähne drohend gebleckt. Die gefleckte Kriegerin war fassungslos, als sie die Heilerin so sah. Ganz abgesehen davon, dass man SternenClankatzen stets mit Respekt begegnen sollte und dass dies ihr verstorbener Vater war, den sie wohl nur noch in ihren Träumen manchmal sah, hatte Eulenflug Tigersturm noch nie so wütend gewesen.

Wäre Fleckenkralle eine lebendige Katze gewesen, hätte die Kriegerin nicht daran gezweifelt, dass die Heilerin ihm jeden Moment an die Kehle gehen würde. Doch sie konnte ihrer ehemaligen Schülerin keinen Vorwurf machen. Sie wusste, dass Tigersturm dass niemals tun würde und dass ihr Handeln nur eine Folge der Trauer und der Verzweiflung war. Eulenflug hätte wohl nicht anders gehandelt wenn es Faltersprung gewesen wäre, der im Sterben läge.

"Wie kannst du es wagen, hier herzukommen und deine eigene Tochter aus der Welt der Lebenden zu reißen?", fauchte Tigersturm mit schriller Stimme. "Das hätte ich nie von dir erwartet!" Tiefes Mitleid und Verständnis flammten in den grünen Augen des ehemaligen zweiten Anführers auf, doch er sagte nichts mehr, stattdessen schritt er zu Kristallschimmer und leckte ihr über das nach Krankheit und Tod riechende Fell.

Dann ging alles ganz schnell. Die junge Kriegerin nahm noch einen letzten tiefen Atemzug, dann lag sie still dar, ihre Augen starrten blicklos an die Höhlendecke. Genau in diesem Moment konnten die beiden HimmelClankatzen beobachten, wie sich ihr Geist von dem Körper trennte und sich dem von Fleckenkralle anschloss. Langsam lösten sich die beiden SternenClankatzen in Luft auf, doch bevor Kristallschimmer ganz verschwunden war, warf sie ihrer Schwester noch einen tiefen liebevollen Blick zu. Dann war das einzige, das von den beiden Katzen übrig blieb, ein Hauch ihres Duftes.

Tigersturm brach wimmernd auf dem Höhlenboden zusammen. Eulenflug hatte sie noch nie so schwach gesehen. Sie hätte die junge Kätzin gerne getröstet, wusste aber nicht recht wie und entschied daher, dass es vielleicht am besten wäre, Tigersturm einen Moment alleine zu lassen, damit sich die Heilerin über das Geschehene bewusst werden und ihrer Schwester die letzte Ehre erweisen konnte.

Also wandte sich die Kriegerin von ihrer ehemaligen Schülerin ab und schritt langsam aus dem Bau. Sie wankte ein bisschen und spürte immer noch das Entsetzen über Kristallschimmers Tod in all ihren Muskeln. Wie benommen überquerte sie die Lagerlichtung und glitt ohne das förmliche Fragen in Heidensterns Bau. Die Stimmen der Katzen, die besorgt auf sie einredeten und sie fragten, ob etwas passiert sei, nahm sie dabei nur weit entfernt war.

"Eulenflug." Heidensterns Stimme klang überrascht, als die gefleckte Kriegerin plötzlich in ihrem Bau auftauchte, aber nicht entrüstet darüber, dass sie nicht gewartet hatte, bis die Anführerin ihr gestattete, den Bau zu betreten. Die weiße Kätzin bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. "Eine Katze ist von uns gegangen und hat sich dem SternenClan angeschlossen, nicht wahr?" Eulenflug nickte nur. Sie brachte es nicht zustande zu erzählen, was passiert war und auch nicht der Anführerin in ihre trauervollen Augen zu blicken.

"Ich kann Kristallschimmmers Todesgeruch an dir riechen", fuhr Heidenstern langsam fort. Es brauchte keine weitere Erklärung. Die beiden Katzen verharrten einen Moment in Schweigen und Heidenstern ließ sich dicht neben der Kriegerin nieder.

Die Wärme der weißen Kätzin tröstete Eulenflug und sie erkannte überrascht, dass die Clananführerin schon fast eine Mutterfunktion für sie hatte, nachdem Flügelbeere so weit entfernt im SternenClan lebte. Heidenstern hatte sich immer um Eulenflug gesorgt und war nachsichtig gewesen, wenn sie einen Fehler begangen hatte. Hatte ihr aber auch Grenzen aufgezeigt. Außerdem wusste die Kriegerin von Heidensterns Liebe zu Felsstern und Heidenstern hatte auch noch vor dem restlichen Clan schon gewusst, dass Eulenflug eine Beziehung mit einem MoorClankater angefangen hatte.

Heidenstern vermittelte ihr das Gefühl von Schutz und Geborgenheit im HimmelClan, sowie sie es jedem ihrer Clangefährten vermittelte. Sie war für alle da und sorgte sich um alle gleichermaßen, hatte jedoch nie eigene Junge gehabt, soweit Eulenflug wusste. Es erinnerte die Kriegerin ein bisschen an das Schicksal einer Heilerkatze. Der ganze Clan und doch irgendwie keine Katze waren ihre Jungen.

Heidenstern hatte noch mehr Geheimnisse als nur Felsstern, doch sie hatte es geschafft, all dies zurückzudrängen und ihren Clan an erste Stelle zu setzen. Der Clan realisierte viel zu selten welch noble und edle Kätzin ihn anführte. Doch wenn Heidenstern einst ihren Weg zum SternenClan antreten würde, würde keine Katze im Clan in der Lage dazu sein, sie so gut zu vertreten.

Doch obwohl die weiße Kätzin noch sehr jung war, erschien sie Eulenflug bereits so alt, erfahren und weise wie die Ältesten. Sie lebte ja auch bereits ihr letztes Leben. Ihr letztes Leben, das sie genau wie alle anderen voll und ganz ihrem Clan geben würde und das wohlmöglich schon bald.

"Ich will nicht, dass du dich dem SternenClan anschließt", wisperte Eulenflug schließlich. "Dein Clan braucht dich noch." Heidenstern leckte ihr liebevoll schnurrend übers Ohr. "Noch bin ich ja hier. Und ich werde so schnell nicht aufgeben." Dann setzte sich die Anführerin auf und ihr Blick wurde ernst und eindringlich. "Aber du darfst auch nicht aufgeben, Eulenflug. Dein Clan braucht auch dich. Wohlmöglich sogar mehr als mich, verstehst du? Du darfst nicht aufgeben!"

Eulenflug war überrascht über die Worte der Anführerin. Sie hatte eigentlich nie an Aufgeben gedacht, doch jetzt, wo sie darüber nachdachte, stellte sie erschrocken fest, dass sie kurz davor stand. Ihr Schwanz hing träge hinab und sie vermochte es nicht mehr eine stolze Haltung einzunehmen. Sie war innerlich gebrochen. Zu viel Leid. Einfach nur zu viel Leid.

Doch Heidensterns Worte ermutigten sie. Ermutigten sie, dass es noch einen Grund gab zu kämpfen. Für den Clan. Denn der Clan brauchte sie. Mit einem Anflug von alter Stärke, Kampfesgeist und Vertrauen in sich selbst, erhob sich Eulenflug auf ihre Pfoten. Ihr Blick wurde mit einem mal wieder klar und entschlossen.

"Ich werde nicht aufgeben. Niemals Heidenstern. Ich verspreche es." Ein Lächeln überzog das Gesicht der Anführerin. "So ist es gut. So will ich dich sehen. Das ist die Katze die es noch zu vielem bringen wird. Für sich und ihren Clan. Hab Vertrauen in dich, den SternenClan und deine Clangefährten, Eulenflug. Dein Weg ist noch sehr lang und gefährlich, doch sie alle stehen hinter dir. Sie alle stehen hinter dir, wenn deine Zeit gekommen ist. Deine Zeit den Pfad der Sterne zu betreten."

*Der Pfad der Sterne...* Eulenflug erinnerte sich mit einem Mal wieder an die merkwürdigen Worte der WolkenClankriegerin. "...finde sie und helfe ihnen, sich von den Wolken zu lösen und einen neuen Pfad zu gehen. Den Pfad der Sterne." *Aber wen? Wen soll ich finden? Wen muss ich auf den Pfad der Sterne bringen und wie? WolkenClan, warum gebt ihr mir keine Antworten? Warum helfen uns unsere Kriegerahnen nur nie, wenn wir ihre Hilfe am meisten brauchen?*

Ja, ihr seht richtig, endlich mal wieder ein neues Kapitel :) Tut mir leid, dass ihr immer so lange warten müsst. Aber dasbnächste Kapitel kommt schon bald ;)

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