1. Kapitel - Ernennung
"Alle Katzen, die alt genug sind, Knochen zu brechen, mögen sich unter den Knochenhügel versammeln, um meine Worte zu hören!" Die tiefe Stimme des Anführers schallte laut durch die Gänge und ließ Seelenjunges aufschrecken. Sofort war sie wieder hellwach und spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten, während sich die kleine Kätzin wieder kerzengerade aufrichtete.
Neben ihr zuckte eine blass-hellbraune Kätzin ungeduldig mit ihrem buschigen Schweif. "Das dauert ja ewig!" Gereizt sah sie sich um und verfolgte mit prüfenden Blicken, wie neugierige Katzen aus den Gängen in die Höhle traten und sich einen Platz suchten. Auch Seelenpfote's Pfoten juckten ungeduldig. Die junge Kätzin versuchte jedoch, sich zusammen zu reißen und aufzuhören, mit ihren weißen Pfoten den harten Felsboden unter ihr zu kneten. Jedoch konnte sie es nicht verhindern, dass ihr ganzer Körper vor Aufregung zitterte.
In der Höhle herrschte nun fröhliche Stimmung. Katzen aller Art saßen oder standen in der Höhle und plauderten, während immer mehr aus den verzweigten Gängen traten und sich dazugesellten. Die Luft war erfüllt vom Geräuschpegel der vielen Gespräche, wobei alles vom sanften Plätschern des kleinen Bachs untermalt wurde, der sich einen Weg durch die Höhle suchte.
Seelenjunges erhob den Kopf zur Decke. Wie riesige, hellbraune Krallen hingen Steine herab. Manche trafen sich sogar mit anderen, die ab und zu aus dem Boden ragten. Wasser lief an den Höhlenwänden entlang nach unten oder tropfte von Steinen herab und sammelte sich in kleinen Pfützen. Seit sie denken konnte, war Seelenjunges von der Tropfsteinhöhle fasziniert, in der der Knochenclan sein Zuhause gefunden hatte.
Ein lautes Knurren hallte von den Wänden wieder und sofort verstummten die Gespräche. Nach und nach richteten sich alle Blicke auf einen muskulösen Kater, der in der Mitte der Höhle auf einem Haufen, der aus allen möglichen Knochen bestand, stand und seine Zähne zeigte. Das Zeichen für Ruhe. Der glatt anliegende Pelz des Katers, dessen dunkelgraue Oberfläche von unzähligen schwarzen Flecken geschmückt wurde, schimmerte unheimlich im fahlen Licht der Morgensonne, das durch ein kleines Loch in der Decke hineinfiel. Leuchtende, gelbe Augen schweiften an der Reihe der Katzen zu seinen Füßen entlang, bis er an Seelenjunges und ihrer Schwester hängen blieb.
Sofort fröstelte Seelenjunges im Blick des Katers. Sie wusste nicht wieso, aber sie mochte ihn nicht besonders. Hatte es nie getan. Denn er hatte so eine... kalte Aura. Wie die meisten Katzen hier, obwohl sie noch wenige beim Namen kannte. Nur ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester Sonnenjunges.
Diese war anscheinend sehr bemüht, ihr blasshellbraunes, langes Fell nicht zu sträuben. Aus ihren waldgrünen Augen sprühten fast Funken vor Eifer. Seelenjunges musste schnurren und wandte ihre Aufmerksam nun wieder Knochenstern zu, der sich über die Lippen leckte und dabei zwei Reihen scharfer Zähne entblößte.
"Wir haben uns heute hier versammelt", begann er mit so kalter Stimme, dass es Seelenjunges nicht gewundert hätte, wenn sich die vielen Pfützen in Eis verwandelt hätten. "Um zwei unserer Jungen zu Schülern zu ernennen" Seelenjunges' Pfoten kribbelten vor Aufregung und sie drehte den Kopf, um nach zwei Katzen ausschau zu halten, die irgendwo zwischen den Katzen saßen. Ihr Blick blieb an einem großen, goldenen Kater hängen, dessen Fell mit einer braunen Tigerung durchzogen war. Neben ihm saß eine grau-silber getigerte Kätzin, die den Schweif um ihren schlanken Körper geschlungen hatte. Die bernsteinfarbenen Augen ihres Vater, Löwenkralle, blickten Seelenjunges stolz entgegen, die grünen Augen ihrer Mutter Flussglanz jedoch schimmerten vor Sorge. Aber die kleine Kätzin war zu aufgeregt, um sich darüber Gedanken zu machen.
"Ihr seid nun sechs Monde bei uns", fuhr Knochenstern kalt fort. "Und alt genug, Knochen zu brechen. Seelenjunges. Trete vor" Ihr Herz machte sofort einen Satz, als sie nach vorne stolperte und mit großen Augen zu ihrem Anführer aufsah, der mit einem eleganten Satz zu ihr auf den Höhlenboden sprang. "Seelenjunges. Von nun an wirst du Seelenpfote heißen und dein Mentor wird..." Er blickte in die Runde. Gespannt hielt Seelenpfote den Atem an. "Silberschatten sein"
Eine schlanke, silbern getigerte Kätzin, die sie ein wenig an ihre Mutter erinnerte, trat zögernd vor. In ihren blauen Augen bemerkte Seelenpfote Unbehagen. Wieso? Freut sie sich nicht? Knochenstern zuckte ungeduldig mit einem Ohr und Silber-schatten beeilte sich, zu ihrer neuen Schülerin zu laufen, um sie Nase an Nase zu begrüßen. Seelenpfote sah aber noch immer diesen seltsamen Ausdruck in den Augen ihrer Mentorin. Unbehagen... Ekel. Verwirrt blinzelte die junge Kätzin und sah sich um. Jede Katze, der sie in die Augen sah, wandt den Blick ab. Das konnte doch nicht normal sein! Wieso sahen sie alle so an?
Plötzlich fiel ein Schatten über sie. Sie wirbelte herum und erblickte erschrocken die gelben Augen Knochenstern's, ehe er zu ihr schoss und seine spitzen Zähne in ihre rechte Vorderpfote bohrte. Zuerst war sie so erschrocken, dass sie sich weder bewegen, noch schreien konnte. Doch als sich der stechende Schmerz in ihrem Körper breit machte, stieß sie ein schmerzerfülltes Jaulen aus. Sie konnte kaum denken, so sehr schmerzte ihre Pfote. Nur ein einziger Gedanke erfüllte ihren Kopf: Wieso tut er das? Sie schrie noch inmer und wand sich vor Schmerz, wollte, dass er aufhörte.
Dann hörte sie das Knacken. Ein Knochen. IHR Knochen. Und Knochenstern ließ von ihr ab. Wimmernd lag Seelenpfote am Boden und wimmerte. An ihrem getigerten Fell klebte warmes Blut und ihre Pfote war so seltsam verdreht, dass sie bei diesem Anblick die Augen schließen musste. Das letzte, was sie hörte, war der entsetzte Schrei ihrer Schwester Sonnenjunges, ehe sie das Bewusstsein verlor.
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Langsam hob Seelenpfote ihren Kopf. Er dröhnte. Blinzelnd öffnete sie die Augen und sah erst nur Schwärze um sie herum, ehe Licht durch das Dunkel brach und sie langsam Konturen erkennen konnte. Das Bild wurde immer klarer und nach einem letzten Blinzeln wusste sie, wo sie sich befand. In der kleinen Höhle hing der Duft verschiedener Kräuter, das Moosnest unter ihrem Körper war weich und gepolstert.
"Du bist wach!" Ein rot-braun gefleckter Kopf wurde in die Höhle gestreckt und strahlte sie an, ehe der Kater hinein tappte und sein langes, zerzaustes Fell schüttelte, um ein paar Knoten darin zu lösen, was jedoch nicht sonderlich klappte. Noch immer strahlend ließ er ein Bündel Kräuter neben ihrem Nest fallen. Erst jetzt fiel Seelenpfote schlagartig ein, was passiert war. Sie starrte ihre verdrehte Pfote an, die von einem dicken Verband aus Blättern eingeschlossen war. "Wieso hat er das getan?", murmelte sie leise. Moosfeuer sah sie mitfühlend aus seinen grünen Augen an, die sie ein wenig an frisches Gras erinnerten.
"Bei der Ernennung eines jeden Schülers wird ihm traditionell ein Knochen gebrochen", sprach er sanft und legte ihr seinen Schweif auf die Schulter. "Wieso hat uns keiner gewarnt?", beschwerte sich die kleine Kätzin gereizt. Der Heiler blinzelte und begann gedankenverloren, seine Kräuter zu sortieren. "Wenn man die Jungen vorwarnen würde, was sie erwartet, würden sie sich sofort schreiend wieder in ihrem Nest verziehen" Wütend versuchte Seelenpfote, ihr Gewicht auf die andere Seite zu verlagern, biss jedoch schmerzhaft die Zähne zusammen, als ihr Bein schlagartig pulsierend anfing zu schmerzen. "Wo ist Sonnenpfote?" Panisch sah sie sich um, konnte den vertrauten Pelz ihrer Schwester nicht entdecken. "Keine Sorge", meinte Moosfeuer beruhigend. "Knochenstern hat ihren Schweif gebrochen, was bei weitem nicht so schlimm ist, wie bei deinem Bein. Sie schläft im Schülerbau"
Seelenpfote zuckte enttäuscht mit einem Ohr, beschwerte sich aber nicht. "Wie lange muss ich jetzt hier bleiben?", zischte sie stattdessen designiert zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Moosfeuer warf einen prüfenden Blick auf ihr Bein. "Schon ein paar Tage", schätzte er. Genervt seufzte sie und legte die Ohren an. Sie hatte sich ihr Training ganz anders vorgestellt! Hatte erwartet, dass Silberschatten ihr das Territorium ihres Clans zeigen würde, da sie noch nie die Tropfsteinhöhle hatte verlassen dürfen. Und sie hatte erwartet, vielleicht schon ein, zwei Jagt- oder Kampftricks zu lernen. Stattdessen musste sie jetzt wohl für die nächsten paar Tage in der Höhle des Heilers bleiben!
Durch ein wütendes Fauchen wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie schreckte hoch und spitzte die Ohren. Das Fauchen wurde von einem warnenden Knurren unterbrochen. Es kam von der Haupthöhle, wo Knochenstern die Zeremonie gehalten hatte. "Was ist da los?" Sie rappelte sich zitternd vor Schmerz auf und versuchte, einen Schrei zu unterdrücken. "Liegen bleiben!" Warnend versperrte ihr Mossfeuer den Weg. "Da streiten sich warscheinlich gerade zwei Krieger!"
Tatsächlich hörte Seelenpfote, wie jemand wütend rief: "Das ist MEINE Maus! Verzieh dich!" - "Wenn ich mich nicht verhört habe, sind das Narbenherz und Wolfsblut" Der rot-braun gefleckte Kater zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Das ist nicht gerade selten. Immer bekommen sich die Katzen in die Pelze. Meistens kämpfen sie dann auch noch. Ich habe mich daran gewöhnt"
Und tatsächlich. Schon hörte Seelenpfote, wie sich das Fauchen in ein Kampfgeheul verwandelte. Ein dumpfer Schlag war zu vernehmen. Warscheinlich war einer der beiden umgestoßen wurden. Schon war die Luft erfüllt vom Kampfgeschrei der beiden Kater.
Die junge Kätzin zuckte ängstlich zusammen, als der Lärm immer lauter wurde, begleitet von schmerzvollen Schreien. "Wieso greift da niemand ein?", wimmerte sie und drückte ihre Nase ins Nest. Mit geschlossenen Augen hoffte sie, dass endlich jemand den Kampf beenden würde. Aber stattdessen hörte sie, wie ein paar Katzen die Kämpfenden anfeuerten, ihnen gröhlend Beleidigungen oder Lobe zuriefen und mit ihren Pfoten auf dem Felsboden herum trommelten.
Schluchzend rollte sich Seelenpfote zu einer Kugel zusammen. Der Schmerz in ihrem Bein war ihr egal. Der Lärm war unerträglich, schallte durch die Gänge und erfüllte ihre Ohren. Die bringen sich gegenseitig um! Ihre Gedanken raßten, als sie sich die gierigen Blicke ihrer Clankameraden vorstellte, während Blut nach allen Seiten spritzte. Ist das wirklich mein Clan? Ein Haufen brutaler, blutgieriger Katzen, die sich gegenseitig zerfleischen?
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