Kapitel 29

Nichts als drückende Dunkelheit umfing sie. Die kalten steinigen Wände berührten ihren Pelz und ihr Fell plusterte sich wegen der Kälte auf. Der Gang war so eng, dass sie nicht hätte umdrehen können, wenn sie aus irgendeinem Grund gewollt hätte. Es kam ihr so vor, als würde er auch immer schmaler werden und sie hatte Angst, dass sie irgendwann stecken bleiben könnte. „Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?“ miaute sie und das zittern in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Rabenpfote, der so kurz vor ihr lief, so dass Flammenblütes Nase hin und wieder seine Schwanzspitze berührte, schnurrte amüsiert: „Ja ich bin mir ganz sicher, keine Sorge. Der Gang wird gleich breiter und dann sind wir beim Mondstein.“ Der schwarze Kater hatte angeboten sie durch die Hochfelsen zu führen, was die flammenfarbene Königin dankend angenommen hatte.

Der Pfad führte sie langsam immer tiefer unter die Erde und sie machte sich langsam ernsthafte Sorgen, was sie tun würde, wenn der Kater sich irrte. Unerwartet wurde der Gang breiter und mündete in einer mit Mondlicht beleuchteten Höhle. In der Mitte der Höhle leuchtete der Mondstein auf unergründliche Weise. Es schien, als würden tausende sternenbespickte Pelze sie Begrüßen, als sie die Höhle betrat. Der SternenClan hatte auf sie gewartet, stellte sie mit verwundern fest. Flammenblüte trottete zum Mondstein und sie spürte, wie ihre Pfoten in die Pfotenabdrücke vieler Katzen glitten, die lange vor ihr in diese Höhle gekommen waren. Ehrfürchtig blieb sie vor dem leuchtenden Felsen stehen. Rabenpfote hatte sich wie erstarrt an den Rand der Höhle gesetzt. Seine Augen waren geweitet und er atmete schwer. Die Kätzin wollte nach ihm sehen, aber er schüttelte nur stumm den Kopf und nickte ihr zu.

Vorsichtig legte sie sich neben dem Mondstein nieder und berührte mit der Nase den leuchtenden Felsen. Die Kälte traf sie vollkommen unerwartet und sie schnappte schockiert nach Luft. Im selben Moment schlief sie ein.

Sie stand auf einer Lichtung. Strahlender Sonnenschein wärmte ihr Fell, was sich nach der kalten Höhle wie eine Wohltat anfühlte. Neben ihr befand sich der Großfelsen, sie war also am Baumgeviert, das schon seit mehreren Blattwechseln zerstört war. Um sie herum standen, saßen und lagen unzählige SternenClan-Krieger und alle blickten sie neugierig an. Sie tuschelten untereinander, einige der Katzen waren durchsichtiger als andere, aber alle schienen sie zu beobachten. In den vordersten Reihen konnte sie Schlammfell, Federschweif und Tüpfeljunges entdecken, die ihr mit den Schwanzspitzen zuwinkten, aber keine Anstalten machten, zu ihr zu kommen.

Plötzlich verklang das Raunen der Katzen und Stille trat ein. Flammenblüte fragte sich, wieso so viele Katzen auf der Lichtung waren, schließlich hatte sie bisher immer nur wenige auf einmal getroffen und es waren auch meist Krieger gewesen, die sie kannte. Hier aber saßen Katzen, aus verschiedenen Clans und einen Großteil hatte sie noch nie gesehen. Unerwartet begann eine Stimme zu sprechen. Die Kätzin konnte nicht ausmachen, welche der SternenClan-Katzen sprach, bis ihr klar wurde, dass es alle waren. „Willkommen, Flammenblüte.“ Es öffnete zwar keine ihr Maul, trotzdem erkannte sie all die Stimmen jener Katzen, an die er sich erinnerte. „Bist du bereit, deine neun Leben in Empfang zu nehmen?“

„Was?!“ Flammenblüte schaute verwirrt zu den SternenClan-Kriegern. Einige blickten sie amüsiert an, andere schüttelten missbilligend die Köpfe. Blaustern und Eichenherz in einer der vordersten Reihe nickten ihr aufmunternd zu. „J-ja“ stotterte sie.

Sofort sprang Blaustern auf und  bahnte sich einen Weg zwischen den anderen Kriegern hindurch. „Blaustern! Was geht hier vor? Ich bin keine Anführerin, ich kann doch keine neun Leben empfangen!“ Die Kätzin antwortete nicht. Sie trat näher und legte Flammenblüte die Nase auf den Kopf, wobei sie sich etwas strecken musste, da die Flammenfarbene größer war als Blaustern. Es fühlte sich an, als würde Flammenblütes ganzer Körper von einem Blitz durchzuckt und als sie zurückweichen wollte, konnte sie sich nicht bewegen. „Mit diesem Leben gebe ich dir Treue“ die blauen Augen der ehemaligen Anführerin funkelten wie die Sterne in ihrem Pelz. „Nutze sie gut um deinen Clan zu helfen, aber vergiss auch nie, wo du geboren wurdest.“ Plötzlich versieg der Schmerz, der und eine wohlige Wärme breitete sich in Flammenblüte aus. „Ja, Blaustern. Das werde ich.“ Schnurrte sie und die blaugraue Kätzin erwiderte: „Ich weiß das du das wirst.“

Kurz darauf trat Schlammfell an die Stelle, an der Blaustern gestanden hatte. Auch er legte ihr die Schnauze auf den Kopf. Sie war gleichzeitig heiß wie Feuer und kalt wie Eis. Flammenblüte zuckte vor Schmerz zusammen, war aber immer noch wie erstarrt. „Ich gebe dir das Leben der Hoffnung. Nutze sie in den finsteren Stunden, wenn alles unmöglich scheint.“ Als Schlammfell zurücktrat schnappte sie erleichtert nach Luft und der hellgraue Kater schnurrte amüsiert. „Du kannst das schaffen, Flammenblüte. Solange du Hoffnung hast kannst du alles schaffen.“ Die Kätzin brachte nicht mehr als ein Nicken zustande.

Während sie auf die nächste Katze wartete, fiel Flammenblüte auf, dass Frostfell und Fleckenschweif ebenfalls anwesend waren. Die beiden winkten ihr freundlich mit ihren Schwänzen zu, bevor sie wieder aufmerksam der nächsten Katze lauschten. Ein kleiner dunkelbrauner Kater kam auf sie zu und die flammenfarbene Kätzin erkannte zu ihrer Freude Weidenpfote, ihren Baugefährten aus Schülerzeiten. Er war neben ihren Geschwistern ihr bester Freund gewesen und sie war unglaublich traurig gewesen, als er von einem Monster überfahren worden war. Weidenpfote strahlte fröhlich und ihr wurde etwas leichter ums Herz. Flammenblüte musste sich ducken, damit er mit seiner Nase ihren Kopf berühren konnte. „Mit diesem Leben gebe ich dir Gerechtigkeit. Höre dir immer erst beide Seiten an, bevor du jemanden Schuldig sprichst. Denn das Wort eines Anführers ist Gesetz und es wäre schrecklich, wenn dein Wort ungerecht wäre!“ Es war das bisher schmerzvollste Leben, denn es fühlte sich an, als würde sie von unzähligen winzigen Bienen am ganzen Körper gestochen werden. Nur mühsam konnte sie ein Aufstöhnen unterdrücken.

Kurz darauf hüpfte Tüpfeljunges auf sie zu. Ein golden gestreifter SternenClan-Krieger musste sie hochheben, damit sie ihrer Mutter das Leben geben konnte. „Ich gebe dir das Leben der Liebe“ schnurrte sie feierlich, „jede Katze hat es verdient geliebt zu werden. Liebe deinen ganzen Clan, als wäre es deine Familie, auch wenn es dir noch so viele Nerven kostet.“ Sanft wie eine Feder legte sie dieses Leben über Flammenblüte. Der goldene Kater ließ das hellgraue Junge mit den roten Tupfen runter. „Danke Löwenherz“ quiekte Tüpfeljunges. Dann schaute sie noch einmal zu ihrer Mutter. „Und verwende diese Liebe auch auf Regenpelz und deine Junge.“ Traurig bemerkte sie, dass das Junge sich selbst nicht miteinbezogen hatte. „Das werde ich“ schnurrte sie trotzdem und ihre Tochter nickte wissend.

Federschweif trat an die Stelle ihrer Ziehtochter und legte Flammenblüte schnurrend ihre Schnauze auf den Kopf. „Ich gebe dir als fünftes Leben das Leben für Mitgefühl und Verständnis. Benutze es um für die Schwachen einzustehen und Probleme zu verstehen.“ Es fühlte sich an, als würde in ihrem Körper ein Feuer ausbrechen, das sich einen Weg in die Freiheit suchen wollte. Die flammenfarbene Kätzin biss die Zähne zusammen und nickte Federschweif dankbar zu. Federschweif trat noch ein Stück näher heran und raunte ihr ins Ohr: „Wenn du ausatmest, während du das Leben bekommst, wird es leichter.“ Dann drehte die silberne Kätzin sich um und ging zurück zu Schlammfell und Tüpfeljunges.

Noch bevor Flammenblüte über den Ratschlag nachdenken konnte kam Tüpfelblatt auf sie zu, berührte mit ihrer Nase ihren Kopf und miaute: „Ich hatte schon öfter die Gelegenheit einer Katze ein Leben zu geben, als die meisten anderen. Hiermit gebe ich dir das Leben für immerwährende Ausdauer und Entschlossenheit.“ Die Flammenfarbene Kätzin atmete aus und sie spürte etwas weniger von dem Sturm, der in ihrem Inneren tobte. „Nutze sie um deine Meinung zu vertreten, auch wenn alle gegen dich sein sollten und um auch dann noch zu kämpfen, wenn jede Schlacht verloren scheint.“

Sie bekam fast nicht mit, dass die schildpattfarbene Heilerin ging und eine dunkelgraue Kriegerin mit flachem Gesicht an ihre Stelle trat. „Ich bin Gelbzahn. Du wirst wahrscheinlich von mir gehört haben. Wenn nicht wäre ich sogar ziemlich enttäuscht von deinem Vater“ krächzte sie ohne Umschweife. „Ähm, ja. Feuerstern hat mir von dir erzählt. Du warst Heilerin beim SchattenClan und später beim DonnerClan, richtig?“ Zufrieden nickte Gelbzahn. „Ich gebe dir das leben für Schutz. Schütze die Katzen deines Clans wie eine Königin ihre Jungen. Du weißt ja, wovon ich rede.“ Hysterische Panik brachte dieses Leben mit sich, was Flammenblüte an den Moment erinnerte, als sie Ahornjunges nirgends hatte finden können. Es war auf eine andere weiße schmerzvoll als die vorherigen Leben. Vielleicht lag es daran, dass sie dieses Gefühl schon einmal hatte, aber sie war sich nicht sicher. Die graue Heilerin zwinkerte mit ihrem orangenen Auge. „Pass auf sie auf und lass nicht zu, dass sie auch Heilerin wird. Sie soll ein anderes Leben leben“ flüsterte sie dann, doch Flammenblüte hatte keine Ahnung, was sie meinte. „Was meinst du?“ Aber Gelbzahn war schon in der Menge verschwunden.

Den nächsten Kater kannte sie bereits aus einem ihrer ersten Träume. Es war der rotbraune FlussClan-Krieger Eichenherz. Auch er legte ihr seine Schnauze auf den Kopf. „Ich gebe dir das Leben von Mut und Selbstlosigkeit.“ Flammenblüte bemerkte, dass dieses Leben nicht schmerzvoll war, sondern Freude in ihr auslöste. Freude über eine gelungene Rettung. „Manchmal sind Mut und Selbstlosigkeit nur ein Schnurrhaar voneinander entfernt. Es braucht Mut um Selbstlos zu sein. Nutze den Mut um dich als erste in einen Kampf zu werfen und die Selbstlosigkeit um als letzte damit aufzuhören, selbst wenn es dir deine Leben kostet.“ Eichenherz trat zurück, schaute ihr einen Augenblick in die Augen und ging dann zurück zu Blaustern, die ganz in der Nähe lag.

Flammenblüte fühlte sich ganz schummrig und gleichzeitig lief so viel Leben durch ihre Adern, dass sie über die Hochfelsen hätte springen können. Sie wusste immer noch nicht, wieso das alles gerade passierte. Vielleicht war es ja ein Traum?

Es dauerte einige Zeit, doch es trat keine neunte Katze vor. Verwirrte schaute Flammenblüte sich um. Vor ihr bildeten die SternenClan-Krieger plötzlich eine Gasse und mehrere andere Krieger kamen hindurchspaziert. Ein hellgrauer Kater mit weißen Flecken kam direkt auf sie zu. „Ich bin Wolkenstern!“ jaulte er und es schien, als würde der ganze SternenClan ehrfürchtig nach Luft schnappen. Auch wenn Flammenblüte nicht wusste, wer vor ihr stand nickte sie freundlich. Der Kater berührte mit seiner Schnauze ihre Stirn. Es fühlte sich an, als würden tausende Sterne in ihrem Körper aufleuchten. „Dein neuntes Leben ist das leben des Glaubens. Glaube daran, dass du alles schaffen kannst. Glaube an dich und glaube an deinen Clan. Gaube an den SternenClan. In den dunkelsten Zeiten ist der Glaube unendlicher Trost. Ohne Glauben sind wir nichts. Mit unserem Glauben sind wir alles.“ Flammenblüte schaute in seine unglaublichen himmelsblauen Augen. „Ich glaube daran, dass du es zu uns schaffst und die anderen zu uns führst.“ Dann wandte er sich ab und ging zusammen mit den anderen Katzen, die mit ihm gekommen waren durch die Gasse dahin zurück, woher auch immer er gekommen war.

Blaustern trat ein weiteres Mal vor und jaulte: „Jetzt dürfen wir dich bei deinem neuen Namen rufen.“ Sie holte tief Luft. „Flammenstern!“ Und der gesamte SternenClan fiel in ihr Rufen ein.

„Flammenstern! Flammenstern! Flammenstern!“

Fünf Katzen traten aus den hintersten Reihen des SternenClans. Eine Schwarze, eine Rote, eine Silbergraue, eine Braune und eine Weiße. Sie wirkten sogar für SternenClan-Katzen unglaublich alt und ihr Fell war ganz blass. „Jetzt bist du eine von uns, Flammenstern!“ jaulten sie, als wären sie nur eine einzige Katze.

Unerwartete Wendung :D

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