Kapitel 9
„Ganz ehrlich; dreht sie jetzt durch?" Die Frage, die Winterschweif so ungehemmt in den Raum stellte, wirkte sogar für Ahornblatt ziemlich hart. Natürlich, die heutige Aktion war in keinster Weise nachvollziehbar, Erklärungen hatte es nicht gegeben. Aber Flammenstern deshalb als verrückt zu bezeichnen und das mit einer solchen Ernsthaftigkeit, war schon etwas übertrieben.
„Der einzige der hier durchdreht bist doch du." Glutherz rollte die Augen, während Wasserwirbel sich offensichtlich ein amüsiertes Schnurren nach dem Kommentar der hellorangenen Kriegerin verkneifen musste.
„Ich meine das ernst." Missbilligend wollte Winterschweif seine Wurfgefährtin zum Schweigen bringen.
„Und ich erst."
„Ruhig ihr zwei, so kommen wir nicht weiter", empörte sich Glutherz, der für Ahornblatts Geschmack schon immer etwas zu sehr auf ein Ziel fixiert war, wenn er denn eines hatte. Heute hieß es, herauszufinden, was es mit den seltsamen Fragen ihrer Mutter auf sich hatte.
„Wahrscheinlich haben die Schüler irgendetwas ausgefressen und Flammenstern weiß nicht, wer die Schuld trägt", schlug Wasserwirbel vor. So etwas in die Richtung hatten die meisten Katzen bereits erahnt. Doch brachte es sie nicht weiter, denn was könnte die Anführerin so aufwühlen dass sie gleich voller Anspannung zum Mondtor musste, da sie allein offensichtlich ihr Problem, das den restlichen Katzen unbekannt war, nicht lösen konnte? „Etwas so schreckliches, können die Schüler doch gar nicht angestellt haben, oder?", sprach ihre Schwester das aus, was Ahornblatt sich nicht zu denken traute. Denn es war nun einmal so, dass die Schüler sehr wohl einiges tun konnten, das gravierend gegen das Gesetz der Krieger verstieß. Von Beute stehlen, bis Mord war eigentlich alles möglich. Auch wenn sie grundsätzlich nicht unbedingt dachte, dass die jungen Katzen zu letzterem fähig wären. Da fehlte ihnen der Mumm. Und natürlich ein Grund.
„Wir könnten sie ja einfach mal fragen, was sie getan haben, um Flammenstern so auf die Palme zu bringen", schlug Winterschweif wenig hilfreich vor. An manchen Tagen waren die Beiträge des weißen Kriegers wirklich nicht zu gebrauchen.
Seufzend miaute sie: „Hat auch jemand einen ernsthaften Vorschlag?" Dabei blickte Ahornblatt unmissverständlich in Richtung von Glutherz und Wasserwirbel. Zu ihrem Erstaunen ruhte Glutherz' nachdenkliche Miene auf Winterschweif. Sie glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können, als ihr Bruder gleich darauf miaute: „Wieso eigentlich nicht?"
„Die Schüler fragen? Was für ein Wurm hat denn dein Hirn befallen?"
Doch auch Wasserwirbel nickte jetzt mit verkniffenem Gesicht. Und damit stimmte sie offensichtlich nicht Ahornblatts Kommentar, sondern Winterschweifs Idee zu.
„Absolute Geheimhaltung? Beim SternenClan, seit wann bin ich hier die Vernünftige?"
„Du, die Vernünftige? Worum geht es?", miaute in diesem Augenblick Streifenfluss, der zusammen mit Fliederschatten gerade bei ihnen ankam. Ahornblatt ignorierte den Kommentar geflissentlich, aber Winterschweif konnte es sich nicht nehmen lassen, dem getigerten Krieger von seiner Idee zu erzählen. Oder besser gesagt seine Dummheit zu unterbreiten, auch wenn das hier sonst niemand so zu sehen schien.
„Ich halte das für keine gute Idee", ergriff Fliederschatten zu Ahornblatts Zufriedenheit das Wort, als Winterschweif mit seinen stolzen Ausführungen geendet hatte. „Danke!", schnurrte Ahornblatt und warf ihren Wurfgefährten einen siegessicheren Blick zu.
„So wie Flammenstern drauf war, müssen die etwas ziemlich Übles getan haben", fügte die schwarze Kätzin noch hinzu. Zeitgleich wanderte ihr Blick zu dem Bau besagter junger Katzen, wo gerade nur noch Eispfote zu sehen war, da die anderen wohl schon schliefen. Es war immerhin mitten in der Nacht, der Mond stand schon hoch über ihnen und die Sterne funkelten am Horizont.
Die Aufregung hatte die meisten Krieger jedoch wach gehalten, viele hatten gar nicht versucht zu schlafen, sondern waren nun schon seit Flammensterns Aufbruch in wildeste Spekulationen vertieft. Natürlich, ohne irgendetwas zu den Schülern gelangen zu lassen. Soweit die Devise, ob es funktioniert hatte, würde sich wohl noch sehr bald zeigen. Spätestens, wenn eine Reihe Schüler herumrannte, als hätten sie das schlechteste Gewissen überhaupt, würde klar sein, dass sie wussten, dass sie bei was auch immer ertappt worden waren. Oder ein Teil von ihnen. Wie auch immer.
„Aber wenn wir Regenpfote fragen, was sie weiß? Sie ist ja anscheinend unschuldig", schlug sich Streifenfluss allen ernstes auf Winterschweifs Seite. Dass er Ahornblatt gleichzeitig beschwichtigend in die Seite knuffte, sorgte auch nicht dafür, dass sie weniger genervt davon war.
„Heute Nacht schläfst du allein in deinem Nest", zischte sie ihrem Gefährten zu, auch wenn sie das nicht wirklich ernst meinte. Dieser zuckte nur amüsiert die Schnurrhaare. Seine verspielten, grünen Augen funkelten schon fast herausfordernd.
„Fantastische Idee, ich werde mal sehen, ob ich sie unauffällig holen kann", stimmte Wasserwirbel viel zu motiviert zu. Bevor Ahornblatt noch widersprechen konnte, hatte sich die getigerte Kätzin bereits erhoben und trottete mit Unschuldsmiene zum Schülerbau, wo Eispfote noch immer saß und gerade sein Maul zu einem Gähnen aufriss.
„Jetzt verratet ihr mir aber mal, was ihr Regenpfote erzählen wollt, wenn sie euch fragt, wie ihr auf so seltsame Fragen kommt", versuchte Ahornblatt es noch einmal mit Vernunft bei den drei Katern. Das so etwas noch einmal vorkam. SIE musste Glutherz, Winterschweif und Streifenfluss von einer Dummheit abhalten. Natürlich hatten die drei schon immer irgendwelche mäusehirnige Pläne geschmiedet, doch heute wollten sie sich wohl mal wieder selbst überbieten.
„Die Wahrheit", meinte Glutherz, bevor ihm wohl selbst auch auffiel, dass dies keine sonderlich gute Vorgehensweise war. „Damit sie es dann ihren Wurfgefährten erzählen kann?"
„Na gut, dass ist keine allzu gute Idee", lenkte der rote Kater nun ein. „Aber was sagen wir ihr dann?"
Ahornblatt zuckte nur die Schultern. Sollten doch die Kater ihren unglaublich ausgeklügelten Plan in die Tat umsetzen. Sie hatten ihr ja nicht glauben wollen. Gähnend beobachtete sie, wie die drei sich unschlüssig anblickten. Unterdessen schien Wasserwirbel ihr Ziel erreicht zu haben, denn gerade streckte Regenpfote den Kopf aus dem Eingang des Schülerbaus. Verschlafen trottete die silberne Kätzin zu ihrer älteren Schwester. Diese miaute etwas, dass Ahornblatt aus der Entfernung nicht hören konnte. Gleich darauf kamen beide auf sie zu.
„Ich rate euch zur Eile", bemerkte Fliederschatten, die dies ebenfalls bemerkt hatte und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der Kätzinnen. Diese waren nun schon fast bei ihnen. Streifenfluss, Winterschweif und Glutherz jedoch waren noch nicht zu einem Ergebnis gekommen. Das konnte jetzt heiter werden.
„Was gibt' s?", gähnte die junge Schülerin etwas eingeschüchtert, als die Blicke von sechs Kriegern auf ihr ruhten. „Hat es etwas mit der Aufregung zu tun, die heute irgendwie im Lager herrscht?" Eines musste Ahornblatt ihrer jüngeren Schwester lassen. Das Offensichtliche entging ihr schon mal nicht. Bisher wusste die orangene Kriegerin ansonsten aber kaum etwas über die junge Kätzin. Sie hatte von Blaumond gehört, dass sie recht gut zuhörte und sich immer Mühe gab. Doch bisher hatte Ahornblatt kaum etwas mit Regenpfote zu tun gehabt.
„Genau. Wir hoffen, dass du uns etwas mehr darüber erzählen kannst", miaute Streifenfluss freundlich. Mit Schülern hatte er schon immer gut umgehen können, er gab ihnen das Gefühl, vollwertige Clanmitglieder zu sein.
„Ich?" Regenpfotes Überraschung war kaum zu übersehen. Sie hatte wohl etwas anderes erwartet. Vielleicht hatte sie auch Angst gehabt, für irgendetwas beschuldigt zu werden. Aber sie war doch unschuldig, oder?
„Nein, wir reden mit dem Holdunderbusch hinter dir." Eigentlich wollte sie sich den Schülern gegenüber solche Kommentare verkneifen. Aber manchmal kam es einfach über sie und dann war ihre Zunge schneller als ihr Kopf. Wer es so sehr darauf anlegte, musste jedoch damit rechnen.
„Ach so, dann kann ich ja wieder gehen", meinte die silbern getigerte Kätzin, gähnte demonstrativ und wollte sich schon wieder abwenden, als Winterschweif sie davon abhielt.
„Was Ahornblatt eigentlich sagen wollte, war, dass wir deine Hilfe brauchen, um die ganze Aufregung zu verstehen", miaute der weiße Kater schmeichelnd und warf gleichzeitig Ahornblatt einen wütenden Blick zu. Diese schnaubte nur.
„Ich zweifle daran, dass ich euch weiterhelfen kann. Uns lässt man ja komplett im Dunkeln", seufzte Regenpfote, offensichtlich ohne zu verstehen, wie die Katzen auch nur auf die Idee kamen, sie wüsste etwas.
„Ist dir denn in letzter Zeit seltsames Verhalten aufgefallen. Also unter den Schülern?" Es war Glutherz, der sich nun zu Wort meldete, wofür Ahornblatt ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Direkter hätte er sie gar nicht auf die Quelle der Aufregung hinweisen können.
Sichtlich überrumpelt runzelte Regenblatt, deren blaue Augen so sehr aussahen wie die von Regenpelz, dass es schon fast wehtat, die Stirn. Gespannt beobachteten die sechs Krieger die junge Katze, was wohl auch nicht dazu beitrug, dass sie schneller zu einem Ergebnis kam. Wobei, manche Katzen konnten unter Druck besonders schnell denken.
„Ihr meint noch seltsamer als sowieso immer?" Auch wenn sie nicht wirklich wussten, was sie damit meinte, nickten die älteren Katzen und blickten sie dabei so auffordernd an, dass Regenpfote sich sichtlich unwohl fühlte.
Die silbern getigerte Katze tappte von einer Pfote auf die andere. „Also, ich weiß nicht wirklich, worauf ihr hinaus wollt. Blitzpfote und Frostpfote sind unausstehlich wie immer, Gewitterpfote legt sich regelmäßig mit ihnen an, wenn sie ihm zu übermütig werden und ansonsten gibt es nicht viel zu erzählen..."
„Denk besser nach", redete Winterschweif nun wieder auf sie ein. Für Ahornblatt jedoch war die Sache damit gelaufen. Regenpfote hatte noch weniger Ahnung, weshalb Flammenstern so außer sich war, als sie selbst.
„Wobei, da war doch etwas." Sofort hörten die Katzen auf. Den folgenden Worten lauschten sie alle sorgsam. „Vor ein paar Sonnenaufgängen hat Eispfote plötzlich sein Nest verlegt und redet nicht mehr mit Blitzpfote, Hagelpfote und Frostpfote."
Wenn das nicht mal ein Anhaltspunkt war. Zwischen den vier Katern musste irgendetwas vorgefallen sein. Und das könnte nur zu gut ein Hinweis sein.
Endlich habe ich Ahornblatt einmal annähernd so getroffen, wie sie wirklich ist.
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