Kapitel 8

„Sie haben was getan?" Flammenstern, deren Augen vor Ungläubigkeit geweitet waren, starrte ihren Wurfgefährten Staubwolke fassungslos an.

„Wie gesagt, sie haben dieses Hauskätzchen, Mandy heißt es, durch den halben Wald gejagt und dann dort herumirren lassen. Herbstblatt hat sie gerade gefunden und nach Hause gebracht. Die Arme war ganz verstört." Während sich die Anführerin ruckartig von ihrem Platz zwischen den Wurzeln erhob und damit begann, auf und ab zu tigern, musterte der Schildpattkater die Schüler, die vor ihrem Bau diskutierten.

„Wie viele sollen es gewesen sein?", knurrte Flammenstern, sie musste sich alle Mühe geben, nicht sofort zu den Schülern zu preschen und sie allesamt zur Schnecke zu machen, für ihr frevelhaftes Verhalten. Es war unbeschreiblich! Noch nie hatte sie von einer solchen Schikane gehört, nie war ihr so etwas unter gekommen. Kein Schüler hatte es jemals gewagt, so direkt gegen ihre Grundsätze zu verstoßen, hier nicht, am See nicht und im alten Wald auch nicht. Es war, als hätten sie das Gesetz der Krieger mit den Pfoten gestoßen, undankbar, ohne jedes Ehrgefühl.

„Drei, vielleicht vier. Mandy war sich nicht sicher." Staubwolkes Stimme war kaum mehr als ein gepresstes Zischen, so sehr biss er die Zähne zusammen. Die flammenrote Kätzin wusste, dass es auch ihrem Bruder schwer fiel, ruhig zu bleiben, angesichts dieses Vorfalls. Es war nicht das erste Mal, dass einige der jungen Katzen aus der Reihe geschlagen waren. Doch nicht in diesem Ausmaß!

„Ich will mit den Mentoren sprechen. Sofort. Und keiner der Schüler verlässt das Lager." Sie knurrte mehr, als dass sie sprach. Was das bewirken sollte, wusste sie auch nicht. Sie musste irgendetwas tun und, in SternenClans Namen, sie musste so lange Ruhe bewahren, bis die Übeltäter feststanden.

Staubwolke rief daraufhin Morgenschweif und Kieselpelz herbei, die sich gerade eine Drossel geteilt hatten. Nachdem der Stellvertreter seine Befehle gegeben hatte, lief sein Sohn mit einem beunruhigten Blick los, um alle Mentoren zu suchen, während Kieselpelz sich zu den Schülern begab. Er sollte ein Auge auf sie haben.

„Können wir sicher sein, dass es nur Schüler waren? Und besteht nicht die Möglichkeit, dass es ganz andere Katzen waren?" Flammenstern war klar, dass die Hoffnung, es könnte sich hierbei um ein Missverständnis handeln, vollkommen sinnlos war.

„Wohl kaum. Herbstblatt meint, sie hätten sich laut Mandy damit gebrüstet, dass sie dem besten Clan im Wald angehören."


Bis sich alle Katzen, die zurzeit einen Schüler hatten, bei ihnen versammelt hatten, dauerte eine ganze Weile, immerhin waren einige von ihnen noch auf Patrouille. Zum Glück war Morgenschweif die schnellste Katze des Clans, sonst wären sie vor Sonnenuntergang wohl nicht vollzählig gewesen. Mit jedem Herzschlag der Verstrich, wurde Flammenstern aufgewühlter. Konnte es an einer falschen Erziehung liegen, dass diese Schüler so aufmüpfig waren? Oder hatte sie vielleicht den falschen Katzen Schüler zugeteilt, die dafür gar nicht wirklich geeignet waren?

„Vor drei Sonnenaufgängen, kurz vor Sonnenuntergang, wer war zu diesem Zeitpunkt bei seinem Schüler?", begann sie, ohne sich groß mit Begrüßungen oder Erklärungen aufzuhalten, als die Katzen sich um sie gescharrt hatten.

Diese warfen sich irritierte Blicke zu, nervöses Geflüster ging durch die Reihen. Jene Krieger, die keine Schüler hatten, hatten sich etwas entfernt zusammen gescharrt und beobachteten das Geschehen nun interessiert. Glücklicherweise beschäftigten Dämmerwolke, Kieselpelz und Lilienfarn die Schüler, sodass diese hoffentlich nichts davon mitbekamen. Wobei diese Hoffnung sinnlos war, Flammenstern glaubte zumindest, dass es ihr gelingen konnte, den Schülern das Thema ihrer Unterredung zu verheimlichen.

„Blaumond und ich hatten die Sonnenuntergang – Patrouille. Unsere Schüler waren bei uns", fiel Kämpferherz als erstes wieder ein, wie er jenen Tag verbracht hatte. Sein einzelnes Auge ruhte auf der Anführerin, gespannt, was sie dazu sagen würde. Flammenstern nickte bedächtig, ohne eine weitere Regung zu zeigen. Damit waren Regenpfote und Gewitterpfote unschuldig – etwas anderes hatte sie eigentlich nicht erwartet.

Der Rest der Mentoren schwieg weiterhin beharrlich, die meisten erinnerten sich wohl auf Anhieb gar nicht mehr daran. Verständlich, aber für die Nachforschungen war das mehr als unvorteilhaft.

„Ahornblatt und ich waren im Wald jagen. Donnerpfote und Frostpfote waren aber nicht dabei." Nachdem sich Streifenfluss zu Wort gemeldet hatte, senkte sich wieder Stille über die Lichtung. Von den Schülern her war Getuschel zu hören. Flammenstern hoffte, sie hatten nichts mitbekommen.

Dummerweise blieb es letztendlich bei diesen beiden Aussagen, alles was darauf folgte waren die Spekulationen der Katzen darüber, was sie möglicherweise getan haben könnten. Sicher war sich keiner. Damit war Flammensterns Versuch, die Situation schnell zu lösen, gescheitert.

„Flammenstern, willst du uns vielleicht erklären, wozu diese Befragung hätte nutzen sollen?", brach schließlich Glutherz das Wirrnis aus „Möglicherweise", „Vielleicht" und „Ich könnte mich auch irren, aber...". Die Katzen verstummten, denn sie alle wollten natürlich den Grund erfahren. Geballte Neugier und Besorgnis drückte sich ihr entgegen.

Die Anführerin tauschte einen Blick mit Staubwolke. Sie hatte eigentlich kein Wort darüber verlieren wollen, bevor nicht sicher war, wer es gewesen war. Wer es gewagt hatte, das Hauskätzchen so zu tyrannisieren. Leicht schüttelte ihr Wurfgefährte seinen Kopf. Er war ihrer Meinung

„Ich werde noch heute zum Mondtor gehen. Danach erfahrt ihr es", miaute sie deshalb, sprang von der Wurzel, auf der sie gethront hatte, herab und erklärte die Versammlung zur Unzufriedenheit ihrer Clangefährten damit für beendet.

Wussten es mehr Katzen, dann würde es sofort zu den Schülern durchsickern. War das erst einmal geschehen, so war es unmöglich, die Täter zu überführen. Sie würden sich Alibis suchen. Lügennetze stricken. Tatsächlich sah Flammenstern den Besuch bei ihren Ahnen als einzige Chance. Mit der Situation war sie, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte, nämlich ziemlich überfordert.


„Sicher, dass du Schüler mit dorthin nehmen willst?" Mondfeder machte keinen Hehl daraus, dass ihm das Vorgehen der flammenroten Anführerin paradox war. Aufgrund Rottupfs stetig schlechter werdender Verfassung – es waren nur noch wenige Sonnenaufgänge, dann würde sie ihren Rücktritt bekannt geben – war der unerfahrene Heiler nun zu ihrem Begleiter für die Reise zum Mondtor geworden. Noch konnten sich beide nicht so richtig damit anfreunden, es war ungewohnt. Seit Flammenstern Anführerin war, war es immer Rottupf gewesen, die mit ihr gegangen war. Rottupf, die sie beraten hatte. Rottupf, die auf alles eine Antwort wusste.

„Bussardpfote wird bald zum Krieger ernannt – natürlich vorausgesetzt, dass er unschuldig ist – und wir wollen doch die alte Tradition wieder aufleben lassen, dass Schüler vor ihrer Ernennung einmal dort gewesen sein sollten."

„Aber Donnerpfote und Gewitterpfote?"

„Sie sind unschuldig"

„Weil sie deine Jungen sind?"

„Weil sie ihre Moraleinstellungen offen vertreten."

Mondfeder seufzte. Er war kein Kater, der wusste, wann er verloren hatte, aber er war schlau. Im jetzigen Moment würde Flammenstern nicht nachgeben.

„Und wieso muss dann zusätzlich gerade Herbstblatt mitkommen?" Dass der grau-weiße Kater daran etwas auszusetzen hatte, wunderte die rote Kätzin doch sehr, immerhin handelte es sich um seine Mutter.

„Sie kennt den Grund, weshalb wir die Ahnen aufsuchen." Und außerdem war sie im Lager keine große Hilfe, die Blattwechsel, die sie in der Kinderstube verbracht hatte, hatten Spuren hinterlassen, Defizite, die die einstige Bergkatze noch nicht hatte kompensieren können, seit sie zurück im Kriegerbau war. Natürlich dachte sich Flammenstern das nur, aussprechen würde sie es niemals.

„Macht uns das nicht viel mehr zum Ziel? Apfelteich ist noch immer dort draußen", bemerkte Mondfeder leicht genervt.

„Wir sind viele, sie ist allein."

„Sie hat Junge, die sie vielleicht zu Kriegern ausgebildet hat."

„Ihre Jungen sind kaum mehr als sechs Monde alt!"

„Das Leben außerhalb eines Clans kann Katzen sehr früh sehr hart werden lassen." Bitterkeit schwang Mondfeders Stimme mit.

Trotzdem war das Gespräch für Flammenstern damit erledigt, sie ging nicht auf ihren jungen Clangefährten ein.


Es war kurz vor Mondhoch, als Flammenstern zusammen mit den von ihr auserwählten Katzen noch immer durch den Wald lief und darauf hoffte, das Mondtor noch rechtzeitig zu erreichen.

„Ist es noch weit?", wollte Bussardpfote nicht zum ersten Mal wissen, was bei Flammenstern trotz ihrer Anspannung Belustigung auslöste.

„Schon noch ein Stückchen, aber wir haben schon das meiste geschafft", antwortete Mondfeder, der selbst schon ziemlich erschöpft wirkte. Auch Flammensterns Pfoten schmerzten, trotz der Reisekräuter, die sie geschluckt hatte, wollte ihr Bauch nicht aufhören zu brummen. Zum Anhalten war jedoch keine Zeit, denn die Sonne war schon lange hinter den Baumwipfeln des Nadelwaldes, den sie als letzte Etappe durchqueren mussten, bevor sie das felsige Areal erreichen würden, wo sich das Mondtor befand, verschwunden.

„Ich bin schon so unfassbar gespannt, wie es aussieht!", schwärmte Gewitterpfote mit strahlenden Augen zu Donnerpfote. An seiner Unschuld hatte sie nie gezweifelt, dass Kämpferherz mit ihm unterwegs gewesen war, als der Angriff – anders war es nicht zu benennen – auf Mandy geschehen war, war nur den endgültige Beweis gewesen. Natürlich vertraute Flammenstern all ihren Jungen, keinem wäre eine solche Schandtat zuzutrauen, doch es war Gewitterpfote, der immer gegen alle anderen stand, wenn diese etwas taten, das er nicht in Ordnung fand. Er ließ sich nicht beeinflussen.

Stark wie sein Vater. Dass sie Regenpelz bald sehen würde, verlieh ihr neue Kraft und so spornte Flammenstern ihre Reisegefährten zur Eile an.

„Noch schneller?", beschwerte sich Herbstblatt, bevor sie im nächsten Moment begriff, dass sie als Kriegerin diejenige sein sollte, von der am wenigsten Murren zu vernehmen war. „Ich meine, immerhin sind die Schüler schon den ganzen Tag auf den Pfoten." Doch Flammenstern hatte es natürlich begriffen. Ihre Freundin war noch immer nicht wieder in der Form, in der sie gewesen war, als sie die Berge verlassen hatte. Ihre Ausdauer hatte besonders unter der langen Zeit der Ruhe gelitten.

Endlich lichteten sich die Bäume und der Untergrund unter den Pfoten der Katzen wurde immer steiniger. Der Pfad führte nun leicht bergan. Bald würden sie da sein. Das Silbervlies leuchtete über ihren Köpfen und der etwas mehr als halbvolle Mond erhellte ihren Weg. Jetzt mussten sie sich wirklich beeilen! Als der Felsenhaufen vor ihnen in Sicht kam, rannte Flammenstern los - auch wenn sie dadurch die Reaktion der Schüler verpassen würde -, sie kam sich vor wie ein Junges, das auf einen besonderen Leckerbissen zulief. Doch leider war es komplett anders. Das Mondtor aufzusuchen war keine angenehme Sache, wenn der Grund dafür ihre eigene Verzweiflung war.

„Herbstblatt, du wartest mit den Schülern draußen!" Nachdem die gescheckte Kriegerin dem zugestimmt hatte, bedeutete Flammenstern Mondfeder, als erster das Mondtor zu betreten. Die Enge und Dunkelheit, die sie empfing, überraschte die Anführerin immer wieder aufs neue. Doch im Gegensatz zu ihren ersten Besuchen wusste sie nun, dass sie dem schmalen Tunnel, der in der Höhle mit dem Teich endete, trauen konnte. Immer nur eine Mäuselänge hinter Mondfeder lief sie durch den unterirdischen Gang, wobei ihr Pelz an den Wänden entlangstrich.

Abrupt, wie Flammenstern es bereits gewohnt war, endete der Tunnel und mündete in die bereits hell vom Mondlicht erleuchtete Höhle. Es war eisig kalt, sie konnte sogar die Wölkchen vor ihrem Maul sehen, die sich beim Atmen bildeten. Dabei war es außerhalb noch immer Blattgrüne!

Nun langsam trottete sie neben dem Heilerschüler zu dem Teich. Die Katzen tauschten einen Blick, beide atmeten sie schwer, da sie sich so sehr beeilt hatten, hier her zu kommen. Einvernehmlich nickten sie, dann legten sie sich am Teich nieder. Flammensterns Pfoten wurden nass, doch das störte sie nicht. Sie hatte andere Prioritäten. Noch bevor ihre Schnauze das Wasser berührt hatte, fiel sie in einen tiefen Schlaf.


Den Ort, an dem Flammenstern erwachte, kannte sie nur zu gut. Wasser zischte über die hohen Steine, die zackig aus dem Fluss ragten. Der frische Geruch nach vor kurzem vergangenem Regen, der über dem Wald hing, umschloss sie wolkengleich. Trotzdem schien die Sonne, wie es im SternenClan Brauch zu sein schien. Nachdenklich blickte die Anführerin sich um, konnte aber auf Anhieb keine Katze erkennen.

Sie war bei den Sonnenfelsen im alten Wald. Und sie war allein.

Mit gerunzelter Stirn trottete sie über die Felsen zum rauschenden Fluss, der fast über die Ufer trat. Schilf knisterte im leichten Windhauch, der durch den Wald fegte. Das Wasser floss dröhnend laut über die Stromschnellen und trotzdem war es hier ruhiger als an jedem Ort an dem die orangene Kätzin je gewesen war, so schien es ihr.

Tausende Gedanken und Fragen huschten durch ihren Kopf. Selbstzweifel. War sie Schuld daran, dass die Schüler so geworden waren? Hatte sie sie falsch erzogen? Sie nagte an ihr, die Ungewissheit. Noch schwerer wog auf ihren Schultern, was sie nun tun sollte. Wie sie reagieren sollte.

„Flammenstern?"

Eigentlich wollte sie ihren Kopf heben, doch in dem Augenblick warf sie einen Blick in das strömende Wasser. Schockiert schnappte sie nach Luft. Die glasig-grünen Augen, die ihr entgegenblickten waren... gruselig. Anders konnte sie es nicht bezeichnen. Die Ränder die Augen waren rot, nicht in dem rot des Fells, sondern blutrot. Narben, wulstig, zogen sich über das Gesicht. Ihr Gesicht.

War das wirklich sie?

„Wenn du so weiter machst, wirst du eines Tages so aussehen", erklärte dieselbe Stimme, die vorher schon einmal gesprochen hatte. Urplötzlich aus ihrer Starre gelöst, löste Flammenstern ihre Augen von dem Unwesen, das ihr Spiegelbild sein sollte.

Es war Tüpfeljunges, die sich ihr lautlos genähert hatte und nun fast neben ihr stand. Fast war die Anführerin enttäuscht, da ihre Tochter allein gekommen war. Ohne Regenpelz. Aber dann besann sie sich darauf, dass sie ihren Gefährten auch in einem normalen Traum sehen konnte. Wenn er heute Nacht nicht kam, hatte das einen triftigen Grund.

„Was mache ich denn?"

„Du treibst auf einen Abgrund zu, aus dem du schon einmal fast nicht mehr herausgekommen wärst." Tüpfeljunges begann damit, über die Schulter ihrer Mutter zu lecken, so als wäre sie die Mutter und nicht das Junge. „Du musst auch mal entspannen."

Lieb gemeint, brachten sie die Worte ihres Jungen leider kein Stück weiter.

„Wie kann ich das, während die Schüler – meine Jungen – zu etwas mutieren, das mir Angst macht?" Das es so war, hatte sie sich selbst gegenüber noch gar nicht zugegeben. Aber der Wahrheit entsprach es trotzdem. Die Handlungen der Schüler machten ihr Angst.

„Ach, deshalb bist du hier", die junge Kätzin wirkte schon fast enttäuscht.

„Dabei weißt du schon alles, was es zu wissen gibt." Als hätte sie sich verbrannt, ließ Tüpfeljunges von Flammenstern ab und trottete ein paar Schritte von ihr weg.

„Erinnere dich, du weißt es wirklich schon. Ihr Laster ist schwer, viel schwerer als sie es selbst ahnen. Außer eine vielleicht."

Während die flammenrote Kätzin noch grübelte, was die Sternenkatze damit meinen könnte, fuhr diese bereits fort: „Bald schon müssen sie sich entscheiden."


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