Kapitel 12

Am Tag darauf, es war um Sonnenhoch, fanden sie Flammenstern dann endlich. Seit in den frühen Morgenstunden aufgefallen war, dass diese noch immer nicht zurückgekehrt war, war der halbe Clan auf der Suche nach seiner Anführerin gewesen.

So auch Ahornblatt, die zuerst zutiefst erleichtert war, als Morgenschweif ihrer Patrouille die Nachricht, Flammenstern sei in sehr schwachem Zustand außerhalb des Territoriums gefunden worden, überbrachte. Ein Fuchsangriff, das war schnell klar.

Aus diesem Grund eilte die hellorangene Kriegerin nun auch an der Seite von Morgenschweif, Streifenfluss und Lilienfarn von den Natterfelsen, wo sie gerade nach Flammenstern hatten Ausschau halten wollen, zurück ins Lager. Ahornblatt wollte sich unbedingt davon überzeugen, dass es ihrer Mutter den Umständen entsprechend gut ging, bevor sie die Patrouille, die auch als Jagdpatrouille gedacht gewesen war, fortsetzen konnte. Dies rührte vor allem daher, dass Morgenschweif gemutmaßt hatte, dass Flammenstern auch ein Leben verloren haben könnte.

Der Wald, der dank des Regens, der in der vergangenen Nacht gefallen war, angenehm duftete, raste an Ahornblatt vorbei, während sie sich mit federnden Sprüngen dem Lager näherte. Natürlich war ihr klar, dass ihre Anwesenheit nichts am anscheinend kritischen Zustand ihrer Mutter änderte, jedoch wollte sie unbedingt hören, wie Rottupf die Lage einschätzte. Die erfahrene Heilerin würde mit Sicherheit Rat wissen.

„Wieso genau halten wir jetzt nicht noch schnell an und jagen? Wir können doch nicht mit leeren Pfoten ins Lager kommen", hechelte Lilienfarn, die bei dem Tempo, das Morgenschweif – der schnellste Krieger im Clan – vorlegte kaum mitkam.

„Du kannst gerne jagen, aber ohne mich", erwiderte Ahornblatt prompt und beschleunigte ihre Schritte noch etwas mehr. Es überraschte sie nicht, dass die junge Kriegerin daraufhin hinter ihr zurückblieb. Dass Morgenschweif gleich darauf erklärte, er würde Lilienfarn unterstützen wollen, störte sie nicht.

Es waren nun also nur noch Ahornblatt und Streifenfluss, die mit gleichmäßigen Sprüngen durch den Wald eilten. So war es der Kriegerin sowieso am liebsten. Nur sie und ihr Streifenfluss. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was sie ohne in täte.

„Machst du dir Sorgen?" Die Frage war natürlich mehr rhetorisch gemeint, immerhin war klar, dass er die Antwort kannte. Ahornblatt warf ihm einen Blick zu, der die sowieso offensichtliche Erwiderung unnötig machte. Dabei wäre sie beinahe über einen aus der Erde ragenden Stein gestolpert, weshalb sie nun lieber ihre Augen nach vorne richtete.

„Sie hat noch einige Leben."

Ahornblatt seufzte. „Weiß ich doch." Aber sie war sich da gar nicht so sicher. Hätte Flammenstern es ihnen gesagt, wenn sie Leben verloren hätte, von denen der Clan nichts wusste?

„Außerdem braucht der SternenClan sie hier, so schnell wird er sie nicht zu sich holen", fügte er standhaft hinzu. Aus seinem Maul klang dieser Satz wie ein Witz, auch wenn es sein voller Ernst war.

„Regenpelz ist tot." Vielleicht war es unfair, dies zu erwähnen. Aber es entsprach nun mal der Wahrheit. Auch Regenpelz war für den Clan eine konstante Größe gewesen. Mit ihm war ein nicht beschreibbares Gefühl verschwunden. Niemand war bis dahin auf die Idee gekommen, dass Regenpelz überhaupt sterben konnte, wie mäusehirnig dies auch klang. Er war einfach immer da gewesen, genau wie Flammenstern und Staubwolke und Herbstblatt.

Streifenfluss schwieg daraufhin, was wohl auch daran lag, dass sie das Lager nun erreicht hatten. Die Stimmen des aufgewühlten Clans drangen bis zu ihnen hinaus, als sie zwischen den Holunder- und Heidelbeersträuchern hindurchliefen. Überraschenderweise kamen den beiden Kriegern auf Höhe der Weide, die gleich neben dem Eingang wuchs, Kämpferherz und Laubsprenkel mit ihren Schülern und Donnerpfote und Blitzpfote entgegen, offensichtlich dabei, das Lager zu verlassen.

„Wohin geht ihr?" Die Frage hatte sie eigentlich an Kämpferherz gestellt, ohne es selbst zu merken starrte sie jedoch während sie auf eine Antwort wartete, unentwegt die vier Schüler an. Sie konnte sich noch ganz genau daran erinnern, dass Flammenstern veranlasst hatte, kein Schüler würde das Lager verlassen.

„Zur Trainingslichtung. Staubwolke hat gemeint, wir sollen eure Schüler gleich mitnehmen, weil er nicht damit gerechnet hat, dass ihr allzu bald zurückkehren würdet", brummte der vernarbte Kater und wollte sich im gleichen Herzschlag bereits an ihr vorbeidrücken, um dies in die Tat umzusetzen.

Sehr zu Ahornblatts Missfallen (noch deutlich mehr als die Wahrscheinlichkeit, dass Kämpferherz ihr keine richtige Erklärung hatte zukommen lassen) erhob jedoch Laubsprenkel nun seine Stimme. „Wenn ihr eure Schüler jetzt aber selbst haben wollt, ist das natürlich kein Problem."

Ein Knurren stieg in der Kehle der hellorangenen Kätzin auf, als sie dieses scheinheilige Angebot vernahm.

„Nehmt sie ruhig mit, wir holen sie nachher ab", ging Streifenfluss dazwischen, da er ihre Anspannung natürlich bemerkt hatte. Ahornblatt durchbohrte den Kater, dem sie es noch immer nicht ganz verziehen hatte, dass er ihr einst das Herz gebrochen hatte, mit ihrem Blick, bis dieser hinter Kämpferherz und den Schülern das Lager verlassen hatte.

Der Heidelbeerstrauch zitterte noch, als Ahornblatt murrte: „Wer hat ihnen das denn bitte erlaubt?"

Streifenfluss zuckte erst die Schultern, bevor er in Richtung der Eiche nickte, bei der Staubwolke, der eine alles andere als ruhige Diskussion mit Rabensturm führte, stand. Aus der Entfernung konnte Ahornblatt kein Wort verstehen, doch sie konnte an den unsicheren Blicken ihrer Clangefährten, die den Katern sehr weitläufig aus dem Weg gingen, erahnen, dass es um mehr ging als um eine unwichtige Kleinigkeit.

Einen vielsagenden Blick tauschend, beschlossen Ahornblatt und ihr Gefährte sich den Katern zu nähern.

„... Hilfe holen. Schau sie dir doch nur an!", knurrte Rabensturm in dem Augenblick, was mit seinem sonst so ruhigen Gemüt nicht in Einklang zu bringen war.

„Es kann ihr niemand helfen, in SternenClans Namen, sieh es ein! Wenn wir die WolkenClan-Heiler fragen wollen, offenbaren wir damit nur unsere Schwäche", hielt Staubwolke dagegen, der Stellvertreter schien unglaublich erschöpft, als er versuchte, den älteren Krieger zu besänftigen. Ahornblatt stellte es das Nackenfell auf, als sie dies vernahm. Stand es so schlecht um Flammenstern, dass ihr Rottupf nicht helfen konnte?

„Schwäche. Staubwolke, sind wir schon so weit, dass dir das Leben einer Clangefährtin weniger wert ist als dein Stolz?", fauchte Rabensturm, bevor er mit gesenkter Stimme hinzufügte, „ich hätte es wissen sollen. So denken die Clans schon immer."

„Rabensturm, ich..." Staubwolke fehlten offensichtlich die Worte, auch wenn er den Eindruck erweckte, als würde er von seiner Position nicht abweichen wollen.

„Du. Hier geht es aber nicht um dich! Ich habe ihrem Vater versprochen, mich um sie zu kümmern! Ich war bei ihm, als er starb und seine Töchter Elternlos zurückließ!" Ahornblatt riss die Augen auf. Was wurde hier gespielt? Feuerstern war nicht tot... ging es hier überhaupt um Flammenstern?

Mit einem Seitenblick auf Streifenfluss stellte sie fest, dass dieser zwar ebenfalls verwirrt war, sich bei ihm jedoch bereits Erkenntnis anbahnte, was sie an dem Zucken seiner Schnurrhaare erkannte.

„Ihr kann niemand helfen. Jetzt begrabt euer Kriegsbeil und..." Es war der junge Heiler Mondfeder, der aus unerfindlichen Gründen aus dem Ältestenbau heraustrat. An seiner Schulter klebte frisches Blut. Jedoch wurde er von Rabensturm unterbrochen, der zornig fauchte: „Nur weil du es nicht kannst..."

„Wage nicht, die Fähigkeiten meines Sohnes anzuzweifeln!" Und schon war es wieder Staubwolke, dessen blaue Augen wütend funkelten.

Mondfeder jedoch schien keineswegs beleidigt, sondern seufzte nur übertrieben. In seiner zwar erschöpften, aber trotzdem sehr aufrechten Körperhaltung lag eine unerklärliche Weisheit.

„Beende diese Szene, Rabensturm. Rottupf hat vielleicht nur noch einen Halbmond zu leben, beschmutze diese Zeit nicht mit Diskussionen, die bereits ohne dein Wissen von ganz anderen Katzen geführt wurden." Die Worten des weiß-grauen Heilers saßen. Auf der gesamten Lichtung war nun eine unumwundene Stille aufgekommen. Keine der Katzen, die die Kater beobachtet hatten, oder einfach ihren tagtäglichen Aufgaben nachgegangen war, rührte sich.

Auch Ahornblatt stand wie versteinert. Rottupf würde sterben? Sie verstand die Welt nicht mehr. Seit wann ging es hier um Rottupf? Was bitte war vorgefallen? Hatte sie irgendetwas verpasst?

„Was ist hier denn los?" Glutherz' Stimme durchbrach schließlich die Stille. Der rote Kater war zusammen mit Winterschweif aus der Heilerlichtung aufgetaucht. Dieselbe Frage hätte auch Ahornblatt zu gerne beantwortet bekommen.

Nun erwachten auch die restlichen Katzen wieder aus ihrer Starre. Rabensturm schnaubte. Sich ergebend wandte er sich ab und trottete zum Kriegerbau, wo er ohne ein Wort verschwand. Staubwolke seufzte übertrieben. Forellenpelz, die mit Fischschweif vor dem Ältestenbau saß, schüttelte nur den Kopf und flüsterte ihrer Tochter dann etwas ins Ohr. Ein leises Tuscheln erklang von dort, wo Dämmerwolke und Bussardpfote sich die Zungen gaben.

Staubwolke seufzte noch ein weiteres mal. Etwa im selben Augenblick wie auch Glutherz, beschloss Ahornblatt, zu ihm zu gehen. Er würde ihnen die Situation am besten erklären können.

Dicht gefolgt von ihrem Gefährten erreichte die orangene Kriegerin den Bruder ihrer Mutter, der ihnen einen prüfenden Blick zuwarf. „Ist Flammenstern wieder aufgewacht?", wollte er anscheinend von Glutherz wissen. Da war der rote Kater also hergekommen. Flammenstern musste sich also im Bau der Heiler befinden, obwohl dies die Heiler wohl eher nicht taten, denn Mondfeder war wieder in den Ältestenbau zurückgekehrt, weil Rottupf dort war. Weshalb auch immer.

„Sie wirkt etwas verwirrt, aber ja, sie ist wach", erklärte Glutherz, bevor er hinzusetzte, „jetzt sag endlich, was ist hier los gewesen?"

Winterschweif, der neben seinem Adoptivbruder stand, tauschte einen fragenden Blick mit Ahornblatt, die ihm zu verstehen gab, dass sie kaum mehr Ahnung hatte als er.

„Rottupf ist zusammengebrochen... weil sie totkrank ist. Sie wollte es gerade offiziell machen, nachdem jeder sie und nicht Mondfeder nach Flammenstern gefragt hat", murmelte Staubwolke, als würde seine gesenkte Stimme diese schockierende Nachricht weniger schlimm machen. Ahornblatt schluckte schwer. Nun ergab das Sinn. Rottupf war wohl schon länger krank.

„Und Rabensturm ist so ausgerastet, weil...?" Winterschweif war der einzige, der nicht bedrückt schwieg.

„Weil er nicht hinnehmen wollte, dass niemand ihr helfen kann", miaute Staubwolke nachdenklich. Natürlich verstand er seinen Freund, das war offensichtlich. Doch als Stellvertreter hatte er so antworten müssen, das sah Ahornblatt dem Kater an. Er hatte seiner Stellung entsprechend gehandelt, nicht aus seiner Überzeugung heraus.

„Im Übrigen, Flammenstern hat vorhin, als sie kurz wach war, veranlasst, dass die Schüler wieder normal trainiert werden. Deshalb habe ich Donnerpfote und Blitzpfote gleich mit Kämpferherz hinausgeschickt", fügte der Schildpattkater hinzu, der Themenwechsel war so abrupt, dass Ahornblatt erst gar nicht realisierte, dass er wohl eine Antwort von ihr erwartete.

„Haben wir bereits mitbekommen. Aber war Flammenstern überhaupt zurechnungsfähig?" Vielleicht war es etwas hart, die Entscheidung ihrer Mutter so direkt anzuzweifeln, jedoch war es wohl auch nachvollziehbar, immerhin war dies das genaue Gegenteil von dem Beschluss, den sie vor zwei Sonnenaufgängen gefasst hatte.

„Schätzungsweise schon. Aber du kannst gern nach ihr schauen und sie fragen", meinte Staubwolke und kehrte Ahornblatts Zweifel damit unwirsch vom Tisch.

Da sie das sowieso vorgehabt hatte – also Flammenstern zu besuchen, nicht sie zu fragen, ob sie ihre Entscheidung gut durchdacht hatte – und es außerdem nicht so schien, als würden die Kater dieses Gespräch noch in irgendeiner Weise Wert machen, von ihr gehört zu werden, murmelte sie ein paar verabschiedende Worte und trottete zum Heilerbau. Zum ersten Mal seit langem musste sie dabei wieder über das Rinnsal springen, wenn sie sich nicht ihre Pfoten nass machen wollte, was wohl wirklich ein gutes Zeichen hatte, wofür sie nun aber gerade keinen Nerv hatte.

Sie wusste nicht, wo sich das Nest ihrer Mutter befand, deshalb folgte sie Winterschweifs Geruchsspur zu den Farnen und schlängelte sich dort vorsichtig, um nicht unabsichtlich auf Flammenstern zu treten, zwischen den dürren Halmen hindurch.

„Schön dass du nach mir siehst, Ahornblatt", krächzte plötzlich eine Stimme, die viel älter Klang als die der Anführerin, trotzdem aber unverkennbar ihre war. Die junge Kriegerin wandte sich nach links, schon stand sie vor einem mit Moos ausgepolsterten Nest, in dem das flammenfarbene Fell ihrer Mutter schimmerte. Überrascht stellte sie fest, dass dieses mit Erde und Kletten durchsetzt war. Hatte sich den niemand zuständig gefühlt, die geschwächte Kätzin zu putzen?

„Ist doch selbstverständlich", murmelte sie und wollte sich gerade zu der Flanke der rote Katze hinabbeugen, als diese sie mit strengem Ton abhielt: „Ich kann mich selbst um meinen Pelz kümmern. So weit, dass mir jemand dabei helfen muss, ist es noch nicht gekommen."

Daher wehte der Wind also. „Dir ist schon klar, dass du schwer verletzt bist – oder warst, wie auch immer – und es deshalb keine Schande ist, sich helfen zu lassen?" Ohne den sauren Blick der Anführerin zu beachten, begann sie, deren Fell von Kletten zu befreien.

„Du missachtest die Anweisungen deiner Anführerin", knurrte Flammenstern, dabei wirkte sie schon fast etwas... schockiert.

„Falsch. Ich missachte den sturen Eigensinn meiner Mutter." Nachdem sie alle sichtbaren Kletten aus dem roten Pelz gezogen hatte, begann sie den klumpigen Dreck mit flinken Zungenstrichen zu entfernen. Die Kätzin musste lange in schlammiger Erde gelegen haben. Wie viel Zeit war zwischen dem Angriff durch den Fuchs und dem Eintreffen einer FeuerClan – Patrouille vergangen?

„Hast du deine Antworten eigentlich bekommen?"

„Nein... und ja", ob Flammenstern so kurz angebunden antwortete, weil sie von Ahornblatts Verhalten genervt war, oder es einfach nicht besser wusste, blieb unklar. Natürlich gab Ahornblatt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden, denn sie hatte nicht so lange gerätselt, um nun weiterhin im Dunkeln zu bleiben.

„Und deshalb dürfen die Schüler das Lager wieder verlassen?"

Flammenstern zögerte lange, vielleicht hatte sie die Frage auch nicht gehört, Ahornblatt war sich da nicht so sicher. Ihre Mutter machte einen recht ausgelaugten Eindruck, ihre Lider waren halb geschlossen, möglicherweise döste sie bereits vor sich hin. Schweigend befreite die junge Kriegerin den feuerroten Pelz vom letzten Rest Schmutz.

„Hast du dich je zweigeteilt gefühlt? So, als gäbe es zwei mögliche Reaktionen und beide sind dir sympathisch, obwohl dir beide auch falsch scheinen?"

Perplex hielt Ahornblatt in ihrer Bewegung inne. Was in SternenClans Namen war jetzt in Flammenstern gefahren? Sollte sie Mondfeder holen, nicht dass die Kätzin noch durchdrehte? Oder war das nur ein unsinniger Gedanke, der im Halbschlaf ausgesprochen worden war.

Ahornblatt musterte Flammenstern, die sie nun jedoch hellwach mit prüfendem Blick anstarrte. Sie schluckte. Das war der absolute Ernst der Anführerin gewesen. Deshalb erwiderte sie genauso ernst: „Nein. So geht es mir zu jedem wachen und auch schlafenden Herzschlag."


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