Kapitel 10
„Was glaubt ihr, weshalb wir hier sind?", flüsterte Bussardpfote neugierig, gerade als die drei Schüler sich aufgrund ihres gelegentlichen Schnarchens absolut sicher waren, dass Herbstblatt eingeschlafen war. Donnerpfote, die sich an ihre beiden Baugefährten gekuschelt hatte, da es auf der Ebene in der Nacht doch überraschend kalt war, zuckte nur mit den Schnurrhaaren. Sie wusste es nicht, hatte bisher aber auch nicht wirklich darüber nachgedacht. Im Gegensatz zu ihren Clangefährten hatte sie ganz andere Probleme als die Geheimniskrämerei, die ihre Mutter so mysteriös aufrecht erhielt. Sie hatte, seit sie versucht hatte die Heiler um Hilfe zu bitten, nämlich noch keinerlei Fortschritte gemacht.
Wie sollte sie auch herausfinden, welche Katzen von dieser schrägen Prophezeiung betroffen waren, wo sie doch noch nicht einmal wusste, weshalb sie es selbst war? Die SternenClan-Katzen mussten mäusehirnig sein, ihr diese Aufgabe zu übertragen. Sie war doch nur eine Schülerin, und das noch nicht wirklich lange.
„Ich frage mich eigentlich mehr, wieso es ausgerechnet wir sind, die sie begleiten sollten", erwiderte Gewitterpfote mit einem abschätzenden Blick zu Herbstblatt, die jedoch seelenruhig zu schlafen schien. Das wiederum erschien auch Donnerpfote eine sehr berechtigte Frage zu sein. Bussardpfote sollte wohl einfach die Reise machen, bevor er bald zum Krieger ernannt wurde. Doch weder auf Gewitterpfote, noch auf sie selbst traf das zu, vor ihnen beiden lagen noch Monde des Trainings, bevor sie so weit sein würden.
„Wieso fragen wir das nicht einfach Flammenstern?", schlug Donnerpfote mangelnd einer besseren Idee vor, woraufhin die Kater amüsiert schnurrten, so, als hätte sie ihnen einen äußerst guten Witz erzählt. „Ja gut, dann macht einen besseren Vorschlag." Sie kam nicht umhin, etwas eingeschnappt zu sein, auch wenn beiden wohl entgangen war, dass sie das ernst gemeint hatte.
„Tut mir leid, Donnerpfote, aber du musst zugeben, dass es ziemlich absurd ist, dass Mutter uns tatsächlich sagen würde, weshalb sie uns für diese Mission ausgewählt hat." Freundlich, aber in gewisser Weise so, als würde er mit einem beleidigten Jungen reden, rechtfertigte Gewitterpfote seine Reaktion. Seine Schwester schnaubte nur. Der dunkelgraue Schüler war ihr schon ein ziemliches Rätsel, auch wenn er ihr von all ihren Brüdern der liebste war, immerhin war ihr Blitzpfote zu übermütig und Winterschweif und Glutherz behandelten sie beide wie ein Junges.
„Da können wir auch versuchen, Frostpfote zu einer Entschuldigung zu bringen, wenn er das nächste Mal auf Schneepfote herumhackt. Ist genauso aussichtslos", stellte Bussardpfote fest. Auch wenn Donnerpfote ihre Idee weiterhin logisch fand, schwieg sie und gab sich damit geschlagen.
„Vielleicht weiß es ja Herbstblatt", hauchte Gewitterpfote bedächtig. Den Gesichtsausdruck, den er nun trug, kannte Donnerpfote nur zu gut. Ihr Bruder war bereits dabei sich einen Weg zu überlegen, wie sie es aus der gescheckten Kriegerin herausbekommen konnten.
„Wieso sollte sie?" Die Skepsis des goldbraunen Katers war kaum zu überhören. Dass Bussardpfote von der Idee ihres Bruders noch weniger begeistert schien, als von ihrer eigenen, erfüllte Donnerpfote mit Genugtuung. Solche Reaktionen halfen, ihren Wurfgefährten auf dem Boden der Tatsachen zu halten. Er war intelligent, doch genau das ließ ihn häufig die Realität etwas außer Acht lassen, das hatte sie schon häufiger bemerkt.
„Na wieso ist sie denn sonst hier? Ich meine, noch ist sie nicht unbedingt wieder so fit, dass sie einen Angriff überstehen könnte." Diese Aussage konnten weder Bussardpfote, noch Donnerpfote leugnen. Herbstblatt war noch nicht in Form. Es musste einen guten Grund geben, weshalb sie bei ihnen war.
„Vielleicht wollte Flammenstern auch einfach die Gesellschaft einer guten Freundin?", brummte die Stimme der, wie Donnerpfote erst jetzt bemerkte, schon länger nicht mehr schnarchenden Herbstblatt in diesem Augenblick. Erschrocken zuckten alle drei Schüler zusammen, bevor sie sich mit aufgerissenen Augen anstarrten. Das war eigentlich nicht für die Ohren der Kätzin bestimmt gewesen. Donnerpfote senkte ihren Blick auf ihre Pfoten. Herbstblatt war keine Kätzin, von der sie wollte, dass sie jemals etwas schlechtes über sie dachte, schließlich hatte sie sie aufgezogen und sich um sie gekümmert, als sie noch ein schwächliches Junges war.
Beschämt schaute sie einen Herzschlag lang zu der gescheckten Königin, woraufhin sie zu ihrer Erleichterung feststellte, dass diese eher amüsiert als sauer oder enttäuscht wirkte. „Um auf eure Frage zurückzukommen; wenn ihr Antworten wollt, müsst ihr Flammenstern schon selbst fragen. Mir steht es nicht zu ihre Geheimnisse mit euch zu teilen", miaute Herbstblatt, bevor sie sich gähnend zurück auf die Felsen sinken ließ und die Augen schloss, als wollte sie sofort weiterschlafen.
„Du weißt es also?", bemerkte Bussardpfote aufgeregt, bekam jedoch keine Antwort. Herbstblatt war entweder schon wieder eingeschlafen, oder aber sie hatte schlicht und ergreifend keine Lust dem jungen Kater etwas zu entgegnen. Donnerpfote seufzte.
Eigentlich tat es doch auch gar nichts zur Sache, weshalb gerade sie hier waren. Sie waren es nun, Flammensterns Beweggründe würden sich ihnen schon noch eröffnen. Viel wichtiger war doch, dass Donnerpfote endlich herausfand, was es mit der Prophezeiung auf sich hatte! Aber wie sollte sie vorgehen? Konnte es sein, dass andere Katzen im Clan genau wie sie vom SternenClan besucht worden waren, um von dem Unheil das ihnen anscheinend drohte, zu erfahren? Nein, sie war ein Einzelfall, das war aus den Worten von Regenpelz und Rottupf klar geworden. Es gab Katzen, die davon wussten, doch diese waren wohl nur Rottupf und Mondfeder. Vielleicht ja noch Flammenstern... Donnerpfote zögerte. Konnte sie sich ihrer Mutter anvertrauen? Als Anführerin sollte sie immerhin über alles im Bilde sein, was im Clan vor sich ging. Doch... zähneknirschend dachte die schildpattrote Kätzin daran, wie sehr Flammenstern gerade unter Stress stand. Irgendetwas hatte sie aufgebracht, das war offensichtlich. Konnte sie ihr jetzt noch mehr Sorgen zumuten? Die Antwort war ein klares Nein.
Diese Aufgabe musste Donnerpfote wohl alleine bewerkstelligen... außer, sie würde jemanden finden, der ebenfalls betroffen ist. Diese Katze könnte ihr dann bestimmt helfen. Wie aber sollte sie so jemanden finden, wenn sie noch immer nicht wusste, was sie selbst überhaupt zum Teil der Prophezeiung machte?
Plötzlich raschelten einige Sträucher, gar nicht weit von den Katzen entfernt und rissen Donnerpfote damit aus ihren Gedanken. Die junge Schülerin schreckte zusammen und weckte damit auch Gewitterpfote und Bussardpfote, die beide angefangen hatten, vor sich hin zu dösen.
„Und ich schwöre dir, ich habe Katzen gerochen", zischte eine helle Stimme, die Donnerpfote vollkommen unbekannt war, gleich darauf von dort, zwischen einigen Büschen, wo auch das Rascheln hergekommen war. „Was...?" Donnerpfote unterbrach die Frage ihres goldbraunen Baugefährten, indem sie ihm mit ihrem Schweif über die Schnauze wischte. Lautlos nickte sie in die Richtung, aus der sie die Stimmen vernommen hatte.
„Es ist mitten in der Nacht, Sonne, wieso können wir nicht einfach schlafen, statt irgendwelchen Hirngespinsten zu folgen?", empörte sich eine zweite Stimme, die sich von der anderen nur um Nuancen unterschied.
„Weil sich Eindringlinge auf unserem Territorium befinden!"
„Eindringlinge, die ich noch nirgends gerochen habe, geschweige denn gesehen."
„Pscht." Die Stimmen verstummten und wurden von einer bedrohlichen Stille abgelöst. Donnerpfote wagte es kaum zu atmen. Hatten die fremden Katzen sie entdeckt?
„Wer ist da?" Der schildpattroten Schülerin schien das Blut in den Adern zu gefrieren. Die Fremden hatten sie eindeutig erspäht.
Ahnungslos, ob sie nun auf die Frage antworten, oder doch besser schweigen sollte, tauschte sie einen Blick mit ihren beiden Baugefährten, die nun ebenfalls hellwach waren. Gewitterpfote zögerte, Misstrauen lag in seinem klaren Blick. Bussardpfote jedoch straffte die Schultern, setzte sich auf und miaute mit fester Stimme: „Wir sind Krieger des FeuerClans; die Frage lautet wohl viel eher: Wer seid ihr?" Dass der Kater bezüglich ihrer Stellung im Clan geflunkert hatte, war Donnerpfote mehr als recht. So würden die Fremden bestimmt eingeschüchtert sein.
Einen Moment lang war es still, bevor die zwei Katzen – es mussten Kätzinnen sein – in unverständliches Getuschel verfielen. Gleich darauf jedoch traten sie zwischen den Sträuchern hervor: Zwei kleine, offensichtlich noch recht junge Katzen, die eine mit recht dunklem, die andere mit relativ hellem Pelz. Von Statur und Körperbau glichen ihre Silhouetten, welche dank der Dunkelheit so ziemlich alles waren, was Donnerpfote wirklich erkennen konnte, sich fast ausnahmslos. Als die beiden noch etwas näher traten, stockte der jungen Schülerin der Atem. Die Augen der einen Kätzin waren grau. Urplötzlich waren alle Zweifel, um wen es sich bei den Kätzinnen handeln konnte, verpufft. Oft genug waren sie gewarnt worden, nur Herbstblatts Familie vererbte solche Augen. Vor ihnen standen Apfelteichs Töchter.
„Vom FeuerClan also. Ist euer Territorium denn nicht groß genug? Müsst ihr euch auch noch hier breit machen?" Trotzig hob die hellere der beiden das Kinn, sodass das Grau ihrer Irden noch stärker hervortrat.
„Wir machen uns überhaupt nirgends breit. Eine Nacht und wir sind wieder weg, macht euch mal nicht in den Pelz", knurrte Bussardpfote nun, sichtlich eingeschnappt.
„Und selbst wenn wir es täten, wenn wir diesen Ort für unseren Clan beanspruchen würden; was ginge es euch an?", fügte Gewitterpfote mit der gewissen Menge an Abneigung hinzu, die es deutlich machte, dass auch ihm bewusst war, wer ihnen da gegenüberstand.
„Herablassend, als wären sie die Könige dieses Waldes. Schämen solltet ihr euch für eure Herkunft." Abscheu lag in den Worten der dunkleren. Aus einem ihr nicht ersichtlichen Grund, trafen die Worte der jungen Kätzin Donnerpfote bis ins Mark.
„Unsere Herkunft? Selbst wenn es etwas daran auszusetzen gäbe, woher wir stammen, was es definitiv nicht tut, was gibt euch das Recht, über die Herkunft anderer zu urteilen?", knurrte sie und empfand gleichzeitig tiefes Mitleid mit den Katzen. Aufgezogen von einer Mörderin, die ihnen irgendwelche Absurditäten eintrichterte, hatte gar nichts aus ihnen werden können.
„Tut ihr das nicht auch? In euren Augen sind wir nicht mehr und nicht weniger als Apfelteichs Junge, gebt es nur zu", fauchte jene, deren Augen so ausgesprochen grau waren, erbost. Zu Donnerpfotes Überraschung stellte sie fest, dass sie dies gar nicht leugnen konnte. Auch sie urteilte.
„Bis Sonnenaufgang seid ihr verschwunden", knurrte da plötzlich die andere, ihren Schweif über die Schultern ihrer Schwester legend, deren Blicke Funken sprühten. Nach kurzem Zögern rannten sie davon und hinterließen die drei Schüler damit verwirrt stehen.
„Beim SternenClan, das war seltsam", brummte Gewitterpfote fast ehrfürchtig, zu der Stelle starrend, wo die Kätzinnen gestanden hatten.
„Is was?" Es war schon ironisch, dass Herbstblatt gerade in dem Moment erwachte, in dem ihre unliebsamen Verwandten, ohne sie zu bemerken, abgezogen waren.
„Nein, nein, schlaf ruhig weiter." Die Schüler schauten sich an, einig, dass dieses Treffen lieber unter ihnen blieb.
Für Donnerpfote waren Apfelteichs Töchter ein komplettes Rätsel, jedoch nur eines von vielen, mit denen sie sich konfrontiert sah. Und trotzdem... es wühlte sie auf, dass tatsächlich jede Katze über die zwei allein wegen ihrer Mutter urteilte. Eltern waren nicht dass, was eine Katze zu dem machte, was sie war. Gleichzeitig aber schien es ihr sogar gerechtfertigt, denn es war klar, dass die beiden von ihrer Mutter beeinflusst wurden, seit sie das Licht der Welt erblickt hatten. Beeinflusst von einer Katze, über die Donnerpfote so wenig und zur selben Zeit viel zu viel wusste.
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