27. Kapitel
Silberpfote saß neben Nachtpfote, der schwer atmend in einem Moosnest im Heilerbau lag. Er wirkte viel kleiner und schwächer als zuvor. Die Blutung an seiner Wunde wurde mit Spinnenweben gestoppt. Grauwolke meinte, dass er überleben wird, da die Verletzung nicht besonders tief war.
Dennoch musste Nachtpfote für ein paar Tage im Heilerbau ruhen und seine Schulter sollte nicht zu sehr belastet werden. "Keine Sorge, es wird ihm bald wieder besser gehen", miaute Grauwolke, der gerade seine Kräuter aussortierte.
"Wer hat ihm diese Wunde zugetragen?", fragte der Heiler plötzlich. Diese Frage traf Silberpfote so unerwartet, dass sie nicht wusste, was sie darauf antworten soll. "Wie schon gesagt", hob sie nach kurzem Zögern an, "Nachtpfote hat sich während dem Training verletzt."
Grauwolke, der Silberpfote bis eben den Rücken zugewandt hatte, drehte sich nun zu ihr um und sah sie prüfend an. "Und wer hat ihn verletzt?" Sein Blick schien sie zu durchbohren. Silberpfote musste schlucken, ehe sie antwortete: "Es war Finsterkralle. Er behauptete, dass es nur ein Unfall war, er wollte Nachtpfote nicht absichtlich verletzen."
Grauwolke blinzelte langsam, seine Miene verriet nichts. "Verstehe. Ein Unfall also." Der grau-weiße Kater drehte sich wieder weg und setzte mit seiner Arbeit fort. "Was deine Schwindelanfälle betrifft", warf der Heiler ein, "passiert es immer noch?"
Silberpfote antwortete: "Nein, ich kann es mittlerweile kontrollieren. Zumindest werde ich nicht mehr bewusstlos." Grauwolke miaute zufrieden: "Sehr gut." Die Schülerin zuckte zusammen, als Flammensprung, außerhalb des Heilerbaus nach ihr rief. Mit einem kurzen Miauen verabschiedete sich die junge Kätzin und trat nach draußen.
Flammensprung stand eine Fuchslänge von ihr entfernt auf der Lichtung. "Ich möchte, dass du das Nestmaterial der Ältesten wechselst", erklärte er freundlich.
"Mach ich."
Als die Arbeit erledigt war aß Silberpfote zusammen mit Funkelpfote vor dem Schülerbau. Die Sonne ging früh unter, die letzten warmen Lichtstrahlen verschwanden langsam hinter dem Horizont. Nachdem sich Silberpfote satt gegessen hatte, beschloss sie nochmal nach Nachtpfote zu sehen.
Als sie den Heilerbau betrat, erblickte sie ihren Bruder der gerade eine Wühlmaus verschlang. "Hallo, wie geht es dir?", fragte Silberpfote den schwarzen Kater. Nachtpfote blickte überrascht zu ihr auf und entgegnete mit klarer Stimme: "Es geht mir besser, schätze ich, doch ich kann meine linke Schulter kaum bewegen."
Silberpfote leckte ihm liebevoll übers Ohr. "Du wirst schon wieder", versprach sie und versuchte glaubwürdig zu klingen. Nachtpfotes Augen wurden schlagartig trüb, als würde er sich an etwas schreckliches erinnern. "Hör zu, Silberpfote", fing er leise an. "Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss."
Silberpfote spitzte die Ohren und ein unbehagliches Gefühl rumorte in ihrem Bauch. "Aber ich will, dass Funkelpfote das auch erfährt. Besprechen wir es im Schülerbau", beschloss der Schüler ängstlich. Silberpfote wollte wiedersprechen, doch wurde von einer festen Stimme hinter ihr unterbrochen: "Was wollt ihr besprechen?"
Als sich die Schülerin umwandte, sah sie Grauwolke vor sich, der gerade den Heilerbau betreten hatte. "Das kann ich nur meinen Schwestern erzählen", miaute Nachtpfote nervös. "Darf ich kurz in den Schülerbau. Es ist wirklich wichtig", fügte der Schüler unruhig hinzu.
Der Heiler blinzelte und begutachtete die zwei Katzen nachdenklich. "Also gut", sagte er schließlich. "Danach wirst du aber wieder im Heilerbau sein." Nachtpfote atmete erleichtert aus und nickte eifrig. "Das werde ich." Silberpfote half ihm auf die Pfoten und führte ihn zum Schülerbau.
Funkelpfote blickte perplex auf, als sie ihre Geschwister erblickte, die in den Bau schlüpften. Die braune Kätzin berührte die Nase von Nachtpfote. "Geht es dir wieder besser? Darfst du schon in unserem Bau schlafen?", wollte sie wissen. Der schwarze Kater schüttelte den Kopf und ließ sich stöhnend in seinem Nest nieder.
"Ich muss euch etwas wichtiges erzählen", miaute er. Sein Blick senkte sich. "Etwas, was ich euch verschwiegen habe." Silberpfote und Funkelpfote wechselten kurz ihre Blicke, ehe Nachtpfote erzählte: "Erinnert ihr euch an unserem ersten Tag, als wir zu Schülern ernannt wurden? Ich kam mit Kratzern übersäht ins Lager zurück und sagte, dass ich in ein Dornengebüsch gestürzt bin."
Er brach kurz ab und als er fort fuhr, war seine Stimme brüchig: "Doch ich habe gelogen. Eigentlich war es Finsterkralle, der mir das angetan hat." Silberpfote war zu entsetzt um etwas zu sagen. "Du meinst...dass dein Mentor dich angegriffen hatte?", erkundigte sich Funkelpfote ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen.
Nachtpfote nickte langsam und ein Schauder fuhr durch sein Fell. "Er hat sich auf mich gestürzt, ich war vor Angst wie gelähmt und konnte mich nicht wehren." Der Schüler fing an zu zittern und kauerte sich tief in sein Nest. Silberpfote schmiegte sich tröstend an ihn und fragte sanft: "Dann hat Finsterkralle dir diese Wunde an der Schulter auch absichtlich zugefügt, nicht wahr?"
Nachtpfote schluckte und bestätigte Silberpfotes Vermutung mit einem knappen Nicken. Funkelpfote sprang wütend auf und fauchte: "Am liebsten würde ich ihm das Fell abziehen! Wie kann er es nur wagen seinen eigenen Schüler zu verletzen?" Silberpfote war genauso aufgewühlt und schockiert, doch wusste darauf keine Antwort.
"Ich weiß es nicht, aber wir sollten es Goldstern erzählen." Nachtpfote starrte seine Schwester erschüttert an. "Auf keinen Fall! Finsterkralle drohte mir, dass er mich...umbringen würde, wenn jemand davon erfährt." Funkelpfote erwiderte verzweifelt: "Aber wenn wir nichts tun, dann wird das kein Ende nehmen."
Silberpfote stimmte ihr zu. "Sie hat recht. Wir können nicht zulassen, dass du noch mehr leiden musst." Nachtpfote schüttelte den Kopf. "Ich frage mich wirklich, warum Finsterkralle ausgerechnet mir das antut. Warum hasst er mich so sehr? Was habe ich ihm je getan?"
Silberpfote seufzte: "Wenn ich das wüsste." Der Schüler erhob sich mühsam und meinte eindringlich: "Ich flehe euch an, erzählt es niemandem weiter. Vorerst nicht."
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