Kapitel 9
Die beiden Königinnen tauschten einen verwirrten Blick. Was hatten sie Rottupf nicht erzählt, was die Heilerin so in Rage brachte?
Die Fragezeichen auf ihren Köpfen mussten offensichtlich sein, denn die gescheckt-getupfte Kätzin schüttelte mürrisch den Kopf. „Die Jungen! Ihr habt mir beide nicht erzählt, dass ihr Junge erwartet!“, fauchte sie. Ihr Pelz war gesträubt, die roten Tupfen schienen wie Funken einer Glut, die von ihrem weiß-grauen Pelz weggeschleudert wurden.
Verblüfft runzelte Flammenstern die Stirn. Das war der Grund, wieso Rottupf sich so aufregte? Seit wann erzählten es Kätzinnen sofort dem Heiler, wenn sie Junge erwarteten?
„Und wieso genau ist das jetzt ein Problem? Ich wollte es dir ja sagen, sobald ich Glutherz davon erzählt habe!“, protestierte Blaumond unsicher. Flammenstern blickte angespannt zwischen den beiden Schwestern hin und her. Die Schmerzen in ihrem Rücken nahmen wieder zu, als sie die Schultern etwas bewegte. Durch zusammengebissene Zähne konnte sie ihr Stöhnen kaum unterdrücken.
Einen Moment flammte Sorge Rottupfs Augen auf, als sie zu ihr herüberblickte, doch gleich darauf versteinerte ihre Miene.
„Darum geht es doch gar nicht!“, fauchte die gescheckt-getüpfelte Heilerin so entnervt, als würde sie einem Jungen die einfachste Sache der Welt erklären, und es würde sie nicht verstehen. Blaumond und Flammenstern zuckten gleichermaßen überrascht zurück. Sofort musste die flammenfarbene Anführerin vor Schmerzen auf keuchen. Die Bienen, die ihren Rücken attackierten, waren zurückgekehrt.
Blaumond und Flammenstern warfen sich einen weiteren verständnislosen Blick zu. Flammensterns Fell prickelte vor Sorge. Wie genau meinte Rottupf das? Worum ging es nicht?
„Könntest du uns bitte erklären, weshalb du so wütend bist?“, krächzte die feuerfarbene Kätzin. Ihre Stimme war rau und kratzig. Sie hatte Durst, wusste aber, dass nun wirklich nicht der Zeitpunkt war, um Rottupf um Wasser zu bitten. Sie hoffte inständig, dass der richtige Zeitpunkt bald kommen würde. Mit jedem Mal, wenn sie schlucken musste, schrie ihre Kehle noch mehr nach Wasser.
Rottupf blickte sie entgeistert an. Ihre bernsteinfarbenen Augen wirkten noch immer wolkenverhangen, als wäre sie in Gedanken an einem weit entfernten Ort. Als sie mehrfach blinzelte, schien es, als würde sie mit ihrem Bewusstsein langsam wieder näher zur Realität gelangen. „Es gibt Kräuter, die sollten Königinnen nicht fressen! Woher sollte ich wissen, dass ihr Junge erwartet und diese Kräuter also nicht zu euch nehmen dürft?“, brach es aus der Gescheckt-getüpfelten heraus.
Flammensterns Atem stockte. Sie schluckte schwer, während sie realisierte, was Rottupfs Worte zu bedeuten haben könnten. „Und hast du… hast du uns Kräuter gegeben, die schlecht für uns sind?“, stotterte sie mit zugeschnürter Kehle. Blaumond, die bisher relativ regungslos in ihrem Nest gelegen war, atmete schwer und betrachtete besorgt ihren Bauch.
Als Flammenstern zu Rottupf blickte, schaute diese betreten zu Boden. Sofort ging die Anführerin vom schlimmsten aus. Gab es Kräuter, die eine Kätzin ihre Junge verlieren ließen?
„Die meisten Kräuter sollten nicht von Königinnen gefressen werden. Es gibt nur ganz wenige, bei denen man ausschließen kann, dass es zu Schaden bei den Jungen kommen kann“, flüsterte die junge Heilerin. Ihre Stimme wirkte in diesem Moment, wie die einer Ältesten, die viel zu viel Leid hatte ertragen müssen. Flammenstern zuckte bei jedem der leisen Worte zusammen, wodurch ihre Rücken nur noch um einiges mehr schmerzte. Doch das war ihr in diesem Augenblick egal. Viel mehr war der Schmerz das, was sie davon abhielt panisch zu werden. Er hielt sie fest, sie konnte sich nicht rühren.
„Jetzt sag schon! Wie schlimm ist es?“, blaffte Blaumond zitternd. Ihre Flanken bebten, sie schien nicht genügend Schmerzen zu empfinden, um nicht panisch zu werden. Flammenstern war klar, dass die blaugraue Kätzin sofort aufgesprungen wäre, wenn ihr angebrochenes und geschientes Bein sie nicht daran gehindert hätte.
„Das meiste war nicht wirklich gefährlich“, begann Rottupf wenig überzeugend zu erklären. Noch immer hatte sie ihre Augen auf die Erde gesenkt, sie scharrte mit ihren Krallen über ein zu Boden getretenes Farnbüschel. „Aber ich habe euch Mohnsamen gegen die Schmerzen gegeben. Mohnsamen sind… sie können manchmal zu Herzstillstand bei ungeborenen Jungen führen.“
Flammenstern brauchte einen Moment um die Tragweite von Rottupfs Worten zu begreifen. Ihre Jungen… sollte es ihr wieder ergehen wie mit Tüpfeljunges? Herzstillstand… das hörte sich überhaupt nicht gut an. Umso mehr sie über das Wort nachdachte, umso unwohler wurde ihr. Würde sie die Jungen, die sie gerade in ihrem Bauch trug, verlieren? Schwer atmend schloss sie die Augen und versuchte fast schon panisch, obwohl sie vorher ja geglaubt hatte, dass die Schmerzen in ihrem Rücken sie vor einer Panik beschützen würden, versuchte sie, sich auf das wesentliche zu konzentrieren. Rottupf hatte gesagt, dass das manchmal der Fall sein konnte. Es musste aber nicht zwingend so sein, oder? Gerade als Flammenstern dachte, dass sie einigermaßen ruhig auf das reagieren konnte, was die Heilerin gesagt hatte, spürte sie, wie der Boden unter ihr leicht vibrierte.
Völlig überrascht öffnete sie die Augen. Was war denn jetzt los? Verwirrt blickte sie zuerst zu einer betreten zu Boden blickenden Rottupf und dann zu Blaumond… die panisch zitternd in ihrem zerwühlten Nest lag. Am liebsten wäre die flammenfarbene Anführerin aufgesprungen um ihre ehemalige Schülerin zu beruhigen, doch sie wusste, dass sie das nicht konnte. Sie konnte nicht aufstehen und selbst wenn sie es könnte, würde es auch nichts bringen, wenn sie zu der blaugrauen Kätzin gegangen wäre. Sie konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem sie Tüpfeljunges verloren hatte. Die innere Leere. Die Verzweiflung. Und die ungebändigte Wut.
Plötzlich biss Flammenstern die Zähne fest zusammen. Sie hatte damals den SternenClan beschimpft und ihm alle Schuld zugeschoben. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern, bis auch Blaumond anfangen würde, den Schuldigen zu suchen. Rottupf zu beschimpfen. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen. Es würde einen Keil zwischen die beiden Schwestern schlagen, wenn Blaumond ihr die Schuld zuschieben würde.
„Blaumond! Beruhige dich! Es muss noch überhaupt nichts bedeuten. Mit etwas Glück und der Hilfe des SternenClans, wird ihnen nichts geschehen!“, miaute die flammenfarbene Kätzin eindringlich und mit viel größerer Überzeugung, als sie erwartet hätte. Rottupf, die endlich aufgehört hatte, nur mäusehirnig daneben zu stehen, trottete zu ihrer Schwester und berührte den Kopf der Bläulichen mit der Schnauze.
„Es tut mir so leid“, flüsterte die grau-weiße Heilerin mit den roten Tupfen verzweifelt. Blaumond blickte noch nicht einmal auf. Die für den Blattfall überraschend starke Sonne ließ den Halbmond, der von ihrer Schulter bis zu ihrer Wange reichte, aufblitzen. Flammenstern beobachtete die Schwestern vorsichtig. Ihre eigenen Schmerzen und die Sorge um ihre eigenen Jungen waren für einen Augenblick vergessen.
„Bitte, Blaumond. Du darfst diese schreckliche Vorstellung nicht an dich ran lassen“, erklärte die flammenrote Anführerin eindringlich. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, dass die junge Kriegerin gerade Tulpenjunges‘ leblosen Körper vor Augen hatte.
Gerade als es danach aussah, als würde Blaumond sich etwas beruhigen, raschelten plötzlich die goldenen Farne zwischen ihren beiden Nestern. Alle drei Kätzinnen hoben überrascht die Köpfe und stellten die Ohren auf. Flammenstern schnupperte. War das Rabensturm, der da kam? Einen Augenblick später erschien der schwarze Kopf des kleinen Katers zwischen den Farnen. Seine grünen Augen blitzten überrascht, als er Flammenstern, Blaumond und Rottupf erkannte.
„Flammenstern! Blaumond! Wie geht es euch?“, miaute der schon etwas ältere Krieger fröhlich. Als er die Kätzinnen genauer betrachtete, erlosch das Strahlen in seinen Augen und er blickte sich unsicher um. „Störe ich? Ich wollte eigentlich zu Fliederpfote… wenn ihr wollt verschwinde ich, sobald ich weiß, wo sie liegt“, murmelte Rabensturm besorgt. Als Flammenstern sich etwas in seine Richtung drehen wollte, stöhnte sie vor Schmerzen laut auf. Sofort war Rottupf an ihrer Seite und betrachtete die Wunden an Rücken und Schulter prüfend.
„Etwas weiter in Richtung meines Felsens. Bienenfell liegt im Nest neben ihr“, miaute die junge Heilerin ohne den Kater anzublicken. Fixiert auf Flammensterns Wunden wandte sie ihm den Rücken zu. Die Anführerin konnte fast spüren, wie Rabensturm einen mürrischen Seufzer unterdrückte. Die Farne raschelten und so plötzlich wie er gekommen war, war der kleine Krieger schon wieder verschwunden.
Flammenstern keuchte, als Rottupf irgendetwas gegen ihren Rücken presste. Innerlich schalt sie sich dafür, dass sie gerade vor Rabensturm hatte Schwäche zeigen müssen. Sie wusste, dass der Freund ihres Vaters sie zwar als gute Anführerin sah, sich manchmal aber fragte, ob es eine gute Wahl des SternenClans gewesen war, eine solch, seiner Meinung nach, jungen Kätzin einen so wichtigen Rang zu geben.
Als das Stechen in ihrem Rücken wieder etwas abnahm, blickte sie auf. Rottupf war wieder an Blaumonds Seite zurückgekehrt. Keine von beiden sprach ein Wort. Blaumond starrte ausdruckslos in das Birkengeäst über ihren Köpfen. Flammenstern folgte ihrem Blick, konnte dort oben aber nichts anderes als einige Blätter entdecken.
Rottupf räusperte sich und miaute: „Ich… werde uns mal etwas zu fressen holen. Vielleicht kann Mondjunges euch ja etwas Wasser mitbringen.“
Bei der Aussicht darauf, dass ihre Kehle endlich nicht mehr kratzen würde, hob sich Flammensterns miese Stimmung etwas. Aber wohl bei weitem nicht genug, denn sobald Rottupf zwischen den Farnen verschwunden war, kehrte die Sorge mit voller Wucht zurück.
Würde sie die Jungen verlieren?
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