Kapitel 63
„Du musst agiler werden", murmelte Staubwolke leise, damit es außer Flammenstern niemand hören konnte. Die flammenrote Kätzin wusste, wie unangenehm es ihrem Bruder war, sie vor den anderen auf Fehler ihrerseits hinweisen zu müssen.
Aber genau das war das Ziel dieses Kampftrainings. Letzte Fehler erkennen und ausbessern, damit der Kampf morgen beginnen konnte.
„Nochmal und diesmal machst du es so, wie Graustreif dir diesen Zug damals beigebracht hat", miaute er und stellte sich ihr wieder kampfbereit, wenn auch mit eingezogenen Krallen, gegenüber.
Flammenstern zögerte. Sie atmete noch immer schwer von ihrem letzten Versuch, was damit zu erklären war, dass sie ziemlich außer Form war. Sie hatte in den letzten Tagen schon zwei anderen Trainingseinheiten beigewohnt, doch nie hatte sie die Kampfzüge so intensiv üben müssen.
Tief Luft holend rannte sie auf Staubwolke zu, schlug einen Haken, sodass sie neben ihm landete und warf sich dann schwungvoll gegen seine Seite. Der Schildpattkater strauchelte, Flammenstern konnte sehen, wie seine steife Pfote als erstes nachgab und sie beide dann gemeinsam in den Schnee fielen.
Sie fand sich in einem Wirrwarr aus schlagenden Beinen, Fell und Schnee wieder.
„Viel besser", keuchte Staubwolke, sein Gesicht war schmerzverzerrt. So schnell sie konnte rappelte Flammenstern sich auf. „Alles in Ordnung?"
Unter ihrem besorgten Blick erhob sich auch der Zweite Anführer aus dem Schnee, wobei er seine Pfote nicht belastete. Durch zusammengebissene Zähne brummte er: „Nur das übliche." Dann humpelte er ein paar Schritte, bevor er vorsichtig begann, sich wieder auf die Pfote zu stellen.
„Alles klar bei euch?", wollte Polarlicht, die unweit entfernt mit Winterschweif, Düstersturm, Fliederschatten und Kieselpelz die letzten Feinheiten, was ihre Aufgabe während des Angriffs anging, durchging, wissen.
Staubwolke miaute etwas zustimmendes, bevor er an Flammenstern gewandt murmelte: „Das reicht jetzt, lass uns zurück zu den anderen gehen."
Gemeinsam trotteten sie über die Trainingslichtung zu der großen Eiche, die von den Schülern unpassenderweise als Sterneneiche bezeichnet wurde, wo Ahornblatt, Kekstatze und Kämpferherz ohne sie den Ablauf noch einmal besprachen.
„Und dann wenn die Ratten gerade geschwächt sind, aber noch die Hoffnung haben, gewinnen zu können, stoßen Glutzherz und die anderen zu uns, habe ich das richtig verstanden?" Der Zweifel in Kämperherz' Stimme war kaum zu überhören.
„So ist es", antwortete Flammenstern anstelle der anderen beiden. Die drei Krieger wandten sich zu ihnen um. Vertieft wie sie waren, hatten sie die beiden wohl gar nicht bemerkt.
„Aber wieso nicht gleich alle auf einmal? Und was bringt es bitte, dass Glutherz und die anderen sich erst ihre Pfoten nass machen, bevor sie auch angreifen? Das schwächt sie doch nur!"
Flammenstern seufzte. Nicht das schon wieder. Seit ein paar Sonnenaufgängen plädierte Kämpferherz nun schon darauf, dass Glutherz' recht komplizierter Plan nicht aufgehen konnte und sie einfach direkt angreifen sollten.
„Hab vertrauen, Kämpferherz. Und wenn schon nicht in den Plan, dann in die Kompetenz deiner Anführer." Auch wenn Fliederschattens Ratschlag ziemlich sarkastisch klang, schien das den vernarbten Krieger nachdenklich zu stimmen. Die schwarze Kriegerin jedoch zog in diesem Moment scharf die Luft ein, ihre Augen waren geweitet. Verwirrt musterte Flammenstern ihre ehemalige Schülerin, doch diese setzte sofort wieder eine etwas schelmische Miene auf. Im verbergen ihrer Gefühle war die dunkle Kriegerin noch immer einsame Spitze.
Ziemlich sicher, dass Fliederschatten sich einmal mehr an ein Vorkommnis aus einem anderen Leben entsinnt hatte, blickte Flammenstern sie fragend an. Doch die schwarze Kätzin schüttelte nur ihren Kopf. Sie wollte wohl nicht darüber reden.
„Wir sollten wohl noch ein paar Kampfzüge üben, bevor wir nachher noch jagen gehen", meinte Staubwolke in diesem Moment. Die Katzen brummten zustimmendes und machten sich wieder an das Training.
Flammensterns Muskeln schmerzten überanstrengt, doch sie wollte nun weiter machen. Würde sie das Training nicht durchhalten, konnte sie den Kampf vergessen, so viel stand fest. Denn das war nur ein Vorgeschmack auf das, was auf sie zukam.
Als die Anführerin sich eine gefühlte Ewigkeit später in ihr Nest in der Kinderstube fallen ließ, fühlte sie sich wie eine Älteste. Ihre Glieder schmerzten, sie war zutiefst erschöpft. Bei jedem lauteren Miauen der Jungen klingelten ihre Ohren. Sie hätte sich wohl wirklich etwas zurück nehmen sollen. Aber sie konnte nicht, denn schon morgen wollte sie ja in die Schlacht ziehen, um sich an jenen zu rächen, an deren Pfoten Regenpelz' Blut klebte.
„Du siehst aus, als hättest du die Schlacht bereits hinter dir", stellte Herbstblatt gähnend aus ihrem Nest, das gleich neben dem ihren lag, fest. „Sicher, dass du morgen mitgehen kannst?"
Empört richtete Flammenstern sich in ihrem Nest gerader auf. Sie wollte ihre Freundin bereits darauf hinweisen, dass sie ihre Nase nicht in anderer Katzen Angelegenheiten stecken sollte, als ihr klar wurde, dass sich Herbstblatt nur um sie sorgte. Und das wahrscheinlich sogar zu recht.
Seufzend zog sie ihren Schweif und damit auch ihre Jungen näher an ihren Körper. Vor Erschöpfung rauschten ihr noch immer die Ohren und ihre Pfoten schmerzten. Wie sehr die gescheckte Königin doch Recht hatte. Flammenstern hatte heute bereits eine Schlacht geschlagen und so fühlte sie sich auch. Es war die Schlacht, allen, insbesondere sich selbst, zu beweisen, dass sie am morgigen Tag kämpfen konnte. Mit Argusaugen war sie beobachtet worden, das wusste sie. Denn so gut wie jeder ihrer Clangefährten zweifelte an ihrer Tauglichkeit, was den Kampf anging. Kaum einer wagte es jedoch, das auszusprechen.
„Niemand kann sich jemals einer Sache sicher sein. Aber gerade ist es mein oberstes Ziel, Regenpelz zu rächen. Und dabei nicht meine Krieger in die Schlacht ziehen zu lassen und mich in meinem warmen Nest zu verkriechen. Also ja, ich bin mir sicher. Ich werde kämpfen", murmelte sie und war sich dabei nicht einmal ganz sicher, ob ihre Worte überhaupt Sinn ergaben.
Herbstblatt wollte etwas entgegnen, doch plötzlich mischte sich Fischschweif in das Gespräch ein, indem sie darauf hinwies, dass die Kätzinnen endlich schlafen sollen, immerhin sei morgen ein bedeutungsträchtiger und auch stressiger Tag. Ohne Widerspruch schloss Flammenstern die Augen und bekam gar nicht mehr mit, dass Herbstblatt trotzdem noch etwas dazu zu sagen hatte.
Lange vor Morgengrauen erwachte die Anführerin am nächsten Morgen. Zuerst war sie sich nicht sicher, was sie geweckt hatte, bis sie feststellte, dass sie Bauchschmerzen hatte. Im ersten Moment zuckte sie zusammen, denn ihr kam der Gedanke, dass sie möglicherweise krank sein könnte und folglich nicht an dem Kampf teilhaben können würde. Dann aber wurde ihr bewusst, dass es sich bei diesen Schmerzen eher um Nervosität handeln musste, außerdem war es viel mehr ein flaues Gefühl als ein tatsächlicher Schmerz.
Im selben Augenblick wurde ihr bewusst, was für ein Morgen das gerade war. Heute, ja heute, war es endlich so weit! Diese elenden Biester würden bezahlen, für das, was sie ihrem Clan angetan hatten, was sie ihr angetan hatten. Flammenstern stieß ein selbstgefälliges Schnauben aus, wenn sie an die dunklen Körper dachte, die am Ende dieses Tages am Krähenort gestapelt seien würden. Das Schnauben verwandelte sich in eine Atemwolke, die zur Decke des Baues hinaufstieg.
Ein Wimmern lenkte Flammenstern von ihren Gedanken ab und sie blickte auf ein sich windendens Fellhäufchen in ihrem Nest. Es dauerte einen Herschlag, bis sie das hellgraue Fell ihrer Tochter Regenjunges zuordnen konnte. Die schmächtige Kätzin warf sich hin und her und murmelte etwas im Schlaf, das sich stark nach „Schlamm" und „Krähe" anhörte.
Tröstend leckte Flammenstern ihr über den recht kalten Pelz und schob sie vorsichtig, damit sie nicht aufwachte, näher an ihren Körper. Lange beobachtete sie, wie Regenjunges sich langsam beruhigte, bis sich ihre Flanken schließlich ganz gleichmäßig hoben und senkten und ihre Gesichtszüge vollkommen entspannt wirkten. Die Nase ihrer Tochter erinnerte sie an die von Regenpelz.
Flammenstern musste noch einmal eingeschlafen sein, denn als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, war es etwas heller im Bau. Zudem konnte sie Stimmen und eilige Schritte im Lager hören, genauso wie Pelze, die den Schnee streiften. Sie war auch nicht länger die einzige wache Katze im Bau, denn als sie sich umblickte, wurde sie direkt von Taujunges smaragdgrünen Augen, die sie eindeutig von der väterlichen Seite ihrer Familie geerbt hatte, angestarrt. Das cremefarbene Junge blickte sie unverwandt an und die Anführerin wunderte sich schon, ob Taujunges möglicherweise einfach nur seltsam sitzend und mit offenen Augen schlief, als sie plötzlich nuschelte: „Fünf. Aber jetzt sind es erst vier."
Geschockt riss die Königin ihre Augen auf, bevor sie sich jedoch darauf besinnen konnte, Taujunges zu fragen, in welchem Zusammenhang dies gemeint war, gähnte diese, ringelte sich wieder dicht an Herbstblatts Bauch ein und legte ihren Schweif auf ihre rosa Schnauze.
Flammenstern musste dies wohl oder übel als durchaus schlechtes Zeichen werten. Aber von ihrem Kampf konnte sie noch immer niemand abbringen.
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