Kapitel 51
Die Dunkelheit, die die flammenfarbene Kätzin umgab, war für sie mehr als angenehm. Nirgends war – zum ersten Mal seit einem Viertelmond - eine Katze zu sehen, die sie besorgt musterte oder sie aufmuntern wollte. Was für eine Erleichterung! So lange Herbstblatt schlief, hatte sie ihre Ruhe, auch wenn sie hörte, dass im Lager bereits Katzen hin und her huschten, in den Wald aufbrachen oder von Patrouillen heimkehrten. Aber vor Sonnenhoch erwartete sie glücklicherweise eigentlich keinen Besuch.
Regenpelz hätte schon im Morgengrauen bei ihr vorbeigeschaut, wenn er noch leben würde.
Schnaubend ermahnte Flammenstern sich, nicht an ihren Gefährten zu denken. So lange sie nicht an ihn dachte, konnte sie sich zusammenreißen. Sie konnte so tun, als wäre alles in Ordnung. Als würde sie zwar trauern, aber ihren Clan darüber nicht vergessen. Das Beste wäre sicherlich, ihre Trauer in der Sorge um ihre Clangefährten zu ertränken, wie sie es bereits die letzten Tage gemacht hatte. So viel Zeit hatte sie zuvor nie damit verbracht, sich Gedanken über die Sorgen ihres Clans zu machen! Das warf bestimmt kein gutes Licht auf ihre Qualitäten als Anführerin, doch das störte sie nicht weiter.
Rottupf hatte ihr zu dieser Strategie geraten, als die Heilerin keine Möglichkeit mehr wusste, wie sie die flammenrote Königin aus ihrem Sumpf der Trauer reißen konnte. Erfolglos hatte sie alles Mögliche versucht, um ihr zu helfen, seit Flammenstern ein Leben verloren hatte, ohne dass die Anführerin selbst wusste, woran das gelegen hatte. Gebrochenes Herz, hatte Regenpelz, den sie dadurch hatte wiedersehen können, empört festgestellt. Wahrscheinlich lag er dabei sogar ganz richtig. Flammensterns Herz war wirklich gebrochen, doch nicht nur das, es war ihr auch für vier Sonnenaufgänge so vorgekommen, als wäre auch ihr Überlebenswille gebrochen.
Nun im Nachhinein bezweifelte sie, dass sie ihr viertes Leben wirklich allein durch den schlimmen grünen Husten, der nicht nur sie, sondern auch Lavendelpfote niedergestreckt hatte, verloren hatte. Es war der fehlende Wille zu Leben gewesen. Denn ein Leben ohne Regenpelz schien ihr so undenkbar, wie kaum sonst etwas.
Doch jetzt hatte sie es verstanden. Sie musste ihren Clan führen, sie musste stark sein und kämpfen! Und wenn sie es nicht für sich selbst tun wollte, dann für ihre Jungen und ihre Clangefährten. Deshalb fühlte sie sich nun auch wirklich elend. Innerhalb des vergangenen Viertelmonds hatte sie drei Leben verloren! Und keines davon hatte sie heldenhaft geopfert, um ihren Clan zu retten oder dergleichen. Nein, sie hatte ihre Jungen zur Welt gebracht, war an gebrochenem Herzen und an grünem Husten zu Grunde gegangen. Sie war eine schreckliche Anführerin! Immerhin verstand sie nun, weshalb Anführerinnen normalerweise nur sehr selten einen Gefährten und Junge hatten. Es war einfach zu viel.
Als hätten ihre Kleinen gemerkt, dass sie an sie dachte, spürte sie, wie winzige Pfoten gegen ihren Bauch traten.
„Hör auf damit, ich will schlafen", schimpfte Regenjunges, das einzige unter den Vieren, dass seine Augen noch nicht geöffnet hatte. Die kleine Kätzin schlug nach Gewitterjunges, der sich daraufhin von seiner Schwester wegschob. „Ich doch auch", quiekte er entrüstet.
Flammenstern seufzte, während sie ihre Jungen aufmerksam beobachtete. Vorbei war es mit der Ruhe.
„Mama, ist die Sonne schon aufgegangen? Und dürfen wir heute endlich raus?", quengelte Blitzjunges, woraufhin Flammenstern ihren Kopf zum Eingang des Anführerbaus wandte, von wo einzelne Sonnenstrahlen, zwischen denen die Schatten der Efeuranken tanzten, in den Bau fielen.
„Ja, Blitzjunges, die Sonne ist bereits aufgegangen", begann sie, woraufhin der kleine rot und grau gefleckte Kater sich zwischen seinen Wurfgefährten herauswand, geübt über ihren Schweif kraxelte und so das Nest verließ. Blitzjunges schüttelte sich und wich überraschend flink Flammensterns Zunge aus, als diese ihm den Pelz glätten wollte. „Ich bin doch sauber, Mama!", quiekte er belustigt und schlug mit seiner winzigen Pfote nach ihrem buschigen Schweif, bei dem auch nachdem sie diese Leben verloren hatte, noch immer die Schwanzspitze fehlte.
Flammenstern hörte, wie Herbstblatt sich, geweckt von Blitzjunges, in deren Nest regte. Die gescheckte Königin seufzte und zog ihr eigenes Junges dicht an ihren Körper. Bei dem Gedanken daran, dass Taujunges nicht bei Herbstblatt war, erinnerte sich Flammenstern selbst sofort an Donnerjunges, die in ihrem eigenen Nest fehlte. Der Husten! Augenblicklich fühlte sie sich schlecht. Was war sie nur für eine Rabenmutter, dass sie ihr Junges vergessen hatte? Gelbfang, die den Husten selbst weiterhin hatte, kümmerte sich zwar um die Kleinen, trotzdem versetzte es Flammenstern einen Stich, dass sie nicht sofort beim Aufwachen an Donnerjunges gedacht hatte. Sie musste nach ihr sehen!
Donnerjunges und Taujunges waren schon seit etwa drei Sonnenaufgängen nicht mehr bei den beiden Königinnen im Bau. Abwechselnd hatten die zwei ihre Töchter besucht. Glücklicherweise hatte Rottupf von Annabell – Winterschweifs großer Liebe, die sich dem Clan jedoch bisher nicht angeschlossen hatte – eine ganze Menge an Katzenminze bekommen. Die Heilerin meinte, dass die Jungen es schaffen würden, aber da sie das ursprünglich auch von Lavendelpfote gedacht hatte, machte Flammenstern sich große Sorgen.
Sie konnte ihre Tochter nicht verlieren. Das konnte einfach nicht sein. Sie hatte bereits ein Junges zu Grabe getragen, das allein war mehr, als ein Elternteil je erleiden sollte. Und dann noch Regenpelz... oh, Regenpelz.
„Du denkst schon wieder an ihn, oder?", murmelte Herbstblatt sanft. Ihre Frage klang viel mehr wie eine Feststellung. Während des letzten Viertelmonds hatte Herbstblatt ein Gespür dafür entwickelt, wann Flammenstern wieder begann, in ihrer Trauer zu versinken. „Auch, aber nicht nur", antwortete sie ehrlich und versuchte Gewitterjunges, der seinem Bruder folgen wollte, am Nackenfell zu packen und zurück ins Nest zu ziehen. Der kleine, dunkle Kater quiekte protestierend.
„Aber ich will auch nach draußen!", maunzte er strampelnd. Bei dem Wörtchen 'auch' wurde Flammenstern sofort hellhörig. Hatte sich Blitzjunges etwa ins Lager geschlichen? Sie suchte zuerst ihr Nest ab, bevor ihr Blick durch den Bau huschte. Nirgends war eine Spur von Blitzjunges zu sehen!
Da sie in Gegenwart ihrer beiden Jungen nicht fluchen wollte, beließ sie es bei einem „Blitzjunges!", bevor sie Gewitterjunges im Nest absetzte und sich vorsichtig erhob, sodass Regenjunges, die tief und fest schlief, nicht geweckt wurde.
Sie vernahm Herbstblatts amüsiertes Schnurren, während sie zum Ausgang des Baus tappte. Jedoch hatte sie die Efeuranken noch gar nicht erreicht, als diese erzitterten und Fliederschatten, in deren Maul Blitzjunges baumelte, erschien. „Den hier habe ich zwischen den Wurzeln gefunden", nuschelte die schwarze Kriegerin, ihre tief grünen Irden funkelten belustigt, auch wenn ihre Augen in Trauer um Lavendelpfote etwas trüb wirkten.
Erleichtert, dass ihr gesprenkelter Sohn nicht sonderlich weit gekommen war, nahm sie ihrer jüngsten Kriegerin Blitzjunges ab und setzte ihn mit einem strengen Blick neben seine beiden Geschwister ins Nest. „Ich habe euch gesagt, dass ihr den Bau erst verlassen dürft, wenn Regenjunges ihre Augen geöffnet hat und Donnerjunges wieder hier ist!", wies sie die winzigen Bündel zurecht. Gewitterjunges nickte sofort eifrig, während Blitzjunges beleidigt schnaubte.
„Aber das kann ja noch ewig dauern!", brummte er empört, woraufhin Regenjunges sich aufsetzte und knurrte: „Gar nicht wahr!" Gewitterjunges, der unsicher zwischen seinen beiden Wurfgefährten hin und her blickte, drehte den beiden demonstrativ den Rücken zu, als wollte er zeigen, dass er nichts mit dem Streit der beiden zu tun hatte. Seine blau gesprenkelten Augen, diese perfekten Augen, die denen von Regenpelz fast gänzlich glichen, funkelten in Missbilligung über das Verhalten seiner Wurfgefährten.
„Seid leise! Ich will schlafen!", quiekte Hageljunges, von Herbstblatts Nest her genervt. Anscheinend hatten ihre Jungen es nun geschafft, wirklich den ganzen Bau aufzuwecken.
Flammenstern seufzte und wandte sich, im Wissen, dass diese Diskussion nicht enden würde, bis Regenjunges ihre Augen geöffnet hatte, Fliederschatten zu. Die nachtschwarze Kriegerin stand geduldig im Eingang des Baus und warf den Jungen hin und wieder unsichere Blicke zu. Als der schwarzen Kätzin klar wurde, dass sie nun endlich die Aufmerksamkeit der Anführerin hatte, miaute sie: „Du wolltest mich sprechen?"
Überrascht runzelte die flammenfarbene Anführerin ihre Stirn. Hatte sie das gewollt? Nachdenklich durchforstete sie ihr Gedächtnis. Natürlich! Sie hatte Winterschweif gestern darum gebeten, die schwarze Kätzin vorbeizuschicken, als ihr Sohn, der eigentlich nicht ihr Sohn war, sie besucht hatte.
„Stimmt", brummte sie und zog zeitgleich ihren Schweif näher an ihren Körper, da sie aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, wie Blitzjunges und Gewitterjunges sich gemeinsam angeschlichen hatten. „Aber das, was ich mit dir besprechen möchte, sollte unter vier Augen beredet werden", fügte sie hinzu, was einen verwirrten Ausdruck über Fliederschattens Gesicht huschen ließ.
Mit einem Kopfnicken bedeutete die flammenrote Königin ihrer ehemaligen Schülerin, ihr zu folgen, bevor sie, nicht ohne Herbstblatt darum zu bitten, auf die Jungen aufzupassen, den Bau verließ.
Die Efeuranken strichen ihr über den Pelz, den sie in den letzten Tagen sehr vernachlässigt hatte und der deshalb ungepflegt und glanzlos war. Die vereinzelten schwachen Sonnenstrahlen der frühen Blattleere reichten nicht aus, um die Kälte, die vor allem durch den Wind durch die Senke geweht wurde, zu erwärmen. Flammenstern plusterte ihr Fell gegen die Kälte auf und bemerkte, wie es sofort noch mehr zerzaust wurde, falls das überhaupt möglich war.
Kurz blickte sich die orangerote Anführerin im Lager um. Die Verwüstung war von ihren Clangefährten größtenteils beseitigt worden, trotzdem waren noch immer überall unauffällige Erinnerungen an die schreckliche Nacht zu sehen, die einem Außenstehenden niemals aufgefallen wären. Die winzigen Krallen von Ratten, hatten sich in die Wurzeln gebohrt und dort Furchen hinterlassen, die niemals von einer Katze stammen könnten. Die eine oder andere Wurzel war gebrochen, als der schwere Körper einer Katze dagegen gekracht war und auch wenn die Katzen versucht hatten, die gesplitterten Holzstücke zu entfernen, so waren die Reste der Wurzeln nun trotzdem gefährlich und konnten jemandem, der unvorsichtig war, ein Auge ausstechen.
Genervt schüttelte Flammenstern ihren Kopf. Staubwolke hatte Rabensturm beauftragt, das Lager wieder aufzubauen, also würde bald alles wieder sicher und ordentlich sein, auch wenn der schwarze Krieger ein gezerrtes Hinterbein hatte, das bisher einfach nicht heilen wollte. Sie blickte sich weiter um, dieses Mal legte sie jedoch mehr Wert auf die Katzen, die sie im Lager sehen konnte und trottete dabei zu einem geschützten Ort zwischen den Wurzeln, wo sie und Fliederschatten ungestört sein würden.
Die ersten Katzen, die sie entdeckte, waren Fischschweif, Diamantenjunges und Bussardjunges, die vor der Kinderstube saßen, aus der die Stimmen von Blaumond, ihren Jungen und auch Glutherz erschallten. Die Königin beobachtete ihren Sohn, während dieser von Bussardjunges, der eigentlich etwa drei oder sogar vier Monde jünger als sein Baugefährte war und trotzdem schon jetzt kräftiger war, zu Boden gerungen wurde.
Danach sah sie Lilienpfote und Glanzpfote, die sich vor dem Schülerbau unterhielten und auf jemanden zu warten schienen. Sofort meldete sich wieder Flammensterns schlechtes Gewissen, weil Lilienpfote noch immer Schülerin war, obwohl sie sich nach dem Kampf eigentlich ebenfalls ihren Kriegernamen verdient hatte. Wieso nur hatte sie beschlossen, die Kätzin erst ernennen zu wollen, wenn auch Lavendelpfote – die nun gestorben war – so weit war? Doch nun musste sie wohl warten, bis sich die nächste Chance bot und diese musste Flammenstern dann wirklich ergreifen. Sonst würde sich die weiße Schülerin mit den schwarzen Beinen bestimmt benachteiligt fühlen.
Sie kam nicht dazu, sich weiter im Lager umzublicken, da Fliederschatten sich hinter ihr räusperte. „Flammenstern?", miaute sie mit einem kaum unterdrückten besorgten Unterton. Verwundert drehte sich die flammenrote Kätzin zu der schwarzen um, die abwartend zwischen den Wurzeln saß. Die Schwanzspitze der jungen Kriegerin zuckte, als wäre sie nervös.
Etwas beschämt, da sie Fliederschatten anscheinend viel länger hatte warten lassen, als sie bemerkt hatte, setzte Flammenstern sich nun eilig ihrer ehemaligen Schülerin gegenüber. Immerhin war ihr Platz zwischen den Wurzeln windgeschützt.
„Nun?", brummte die Schwarze mit dem gewohnt ruppigen Ton in der Stimme. Flammenstern war jedoch viel faszinierter davon, dass sie so, wie sie nun saß, einen guten Blick auf Ahornblatt und Streifenfluss hatte, die sich vor dem Kriegerbau die Zungen gaben. Hatte ihre Tochter sich nun doch gegen Laubsprenkel entschieden? In den letzten Tagen hatte schließlich, soviel sie mitbekommen hatte, viel darauf hingedeutet, dass sie den Kater wieder zum Gefährten nehmen würde.
Als Fliederschatten empört schnaubte, blickte die orangerote Anführerin schließlich doch zu der schwarzen Kriegerin und versuchte sich zu erinnern, was sie mit ihr besprechen wollte. Da fiel es ihr wieder ein und sofort wurde Flammenstern etwas unruhig. Das würde möglicherweise kein angenehmes Gespräch werden.
„In letzter Zeit habe ich immer wieder über das nachgedacht, was du während dem Kampf zu mir gesagt hast", begann sie und gab sich größte Mühe, nicht allzu nervös zu wirken. Als Anführerin musste sie eine beruhigende Ausstrahlung haben und ihren Clangefährten das Gefühl geben, dass alles in Ordnung war, selbst wenn es ihr schwer fiel. Schon viel zu oft war sie dabei gescheitert.
„Was genau meinst du?", murmelte Fliederschatten fragend, doch Flammenstern bemerkte sofort, wie ihre ehemalige Schülerin leicht zusammenzuckte und etwas zerstreut wirkte. Die Kätzin wusste ganz genau, was sie meinte.
„Als du meinen Jungen das Leben gerettet hast, hast du etwas gesagt", miaute sie ohne weitere Erklärung, „und da ist mir aufgefallen, dass du schon während du noch meine Schülerin warst, immer wieder komisch erscheinende Kommentare geäußert hast." Flammenstern beobachtete Fliederschattens Reaktion ganz genau. Doch die schwarze Kriegerin legte nur den Kopf schief. Trotzdem fiel Flammenstern etwas auf, was sie schon als Mentorin ein paar Mal beobachtet hatte. Fliederschatten zuckte mit der Nase, so als müsste sie niesen. Bei ihr war dies ein Zeichen dafür, dass sie nach Ausflüchten suchte.
„Aha. Und was willst du mir damit jetzt sagen?", miaute die junge Kätzin spitz. Flammenstern ließ sich Zeit mit ihrer Antwort und leckte sich nachdenklich ihre Pfote. Eine einzelne Schneeflocke sank neben ihr zu Boden, was sie jedoch vorerst ignorierte. Ihr Clan war dank den vielen Ratten zumindest wohlgenährt, wenn auch sie selbst kaum etwas davon gefressen hatte. Sie würden diese Blattleere schon überstehen, auch wenn der Husten noch schlimmer werden würde. Der Husten! Sie musste nachher unbedingt nach Donnerjunges sehen!
Gedehnt gähnend bekannte sie mit einem gutmütigen Seufzer: „Was weißt du, was ich nicht weiß?"
Unsicher blinzelte Fliederschatten, als hätte sie nicht mit einer solch direkten Frage gerechnet und würde sich nun fragen, wie sie hier noch entkommen konnte. Flammenstern glaubte sogar zu erkennen, wie die schwarze Kriegerin einen Blick über ihre Schulter warf, um dort nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten. Aber die flammenrote Anführerin wollte ihre Antwort. Sie würde sich nun nicht mit Ausreden zufrieden geben, oder zulassen, dass Fliederschatten einfach davonrannte.
„Fliederschatten! Du kannst mir vertrauen, ich will dir helfen!", murmelte sie mit einem eindringlichen Blick. Die beiden Kätzinnen lieferten sich einen Anstarrwettbewerb, bevor bei Fliederschatten urplötzlich jeder Widerstand fiel. Es schien, als würden all die Dämme, die die schwarze Kriegerin in ihrem Leben um sich herum errichtet hatte, mit einem Mal zerbrechen. Sie schluchzte auf.
„Ich weiß, wer sie waren, Flammenstern! Ich weiß alles über sie. Ich kann mich an alles erinnern!", flüsterte sie und wirkte dabei so verletzlich, wie Flammenstern sie noch nie erlebt hatte. Unsicher trat die orangerote Kätzin auf die schwarze Kriegerin zu. Sie verstand zwar nicht, was sie ihr sagen wollte, doch es war wohl wirklich wichtig. Und Fliederschatten hatte diese Last lange alleine getragen.
„Über wen, Fliederschatten? Wovon sprichst du?", murmelte sie sanft und leckte ihr über die Wange. Die schwarze Kätzin schlotterte am ganzen Körper.
„Die Wiedergeburten", belehrte die junge Kriegerin Flammenstern, so als wäre das vollkommen offensichtlich. Doch ihr blieb keine Zeit, um schockiert zu sein, oder sich zu fragen, was dies nun mit der Äußerung über ihre Jungen zu tun hatte, denn ein Wortschwall brach aus Fliederschatten heraus. „Ich weiß, dass Lilienpfote sich in Streifenfluss verlieben wird, falls das noch nicht geschehen ist. Dass Gelbfang sich dieses Mal richtig entschieden hat. Dass Winterschweif Glutherz' damaligen Fehler begangen hat. Dass Diamantenjunges ein richtiges Mäusehirn war und so viel mehr, dass mein Kopf zu platzen scheint. Und ich weiß, dass ich die Mutter eines hinterhältigen, rücksichtslosen Massenmörders war!"
Flammenstern versuchte Fliederschatten irgendwie zu beruhigen, doch sie wusste nicht wie. Gleichzeitig wusste sie nun zumindest endlich, weshalb sich Fliederschatten so seltsam verhielt. Sie fühlte sich schuldig. Und sie sah in ihren Clangefährten nicht die, die sie nun waren, sondern die Katzen aus ihrem anderen Leben.
„Ich verstehe", murmelte Flammenstern und versuchte tröstlich zu wirken, was ihr wohl nicht so ganz gelang, denn die schwarze Kriegerin fuhr aufgebracht fort: „Nein, das kannst du gar nicht verstehen. Niemand kann das." Dann, ganz plötzlich schien sie ruhiger zu werden. Doch der Schein trug. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, immer zu hoffen, dass eine Katze wiedergeboren wird und diese gleichzeitig nur zu gern in der Luft zerreißen zu wollen. Oder wie es ist, wenn man sich vorstellt, dass auch der eigene Sohn zurückkommen kann... und dann..." Fliederschattens Stimme brach, doch Flammenstern war nicht entgangen, dass ihre ehemalige Schülerin Tigersterns Wiedergeburt nicht ausschloss.
„Fliederschatten, glaub mir, diese Katzen haben ein neues Leben bekommen. Sie sind nicht mehr die von einst. Sie sind zurückgekehrt, um ein besseres Leben zu leben", wollte Flammenstern erklären, doch die schwarze Kriegerin schüttelte nur verzweifelt den Kopf. „Wie soll es ihnen je möglich sein, ein besseres Leben zu haben? Besonders jetzt..."
Flammenstern verstand nicht, wie Fliederschatten ihre letzten Worte meinte, doch sie hatte keine Zeit, um nachzufragen. Hinter ihr hörte sie nämlich, wie plötzlich ein Ästchen knackte und als sie über ihre Schulter blickte, sah sie Glutherz, der vollkommen entgeistert zwischen der roten und der schwarzen Kätzin hin und her blickte.
Als sie die Verwirrung und die Angst in den Augen ihres Sohnes sah, wusste sie, dass er einen Teil ihres Gesprächs mitgehört hatte.
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