Kapitel 42

So schnell Glutherz' Pfoten ihn trugen lief er zurück zum Lager. Glücklicherweise hatte er Rückenwind, was bedeutete, das er schneller voran kam und er außerdem nicht durch Regen behindert wurde, wenn man einmal von dem rutschigen Boden absah. Er rannte schneller, als jemals zuvor in seinem Leben. Kurzzeitig fühlte er sich, als würde er sogar fliegen, was natürlich auch an dem starken Wind liegen könnte.

Wie der Wind, der ihn mitsamt einiger loser Blätter umwehte, stürmte er durch den Wald. Er sprang über den Bach hinweg, als wäre er überhaupt nicht vorhanden und erreichte das Lager so in Windeseile. Ohne sich um die Weidenzweige zu kümmern, die ihm seine Ohren zerfetzten, jagte er durch den Tunnel aus Holunder- und Heidelbeersträuchern. Die Erde war hier glücklicherweise relativ trocken, da sie von den Zweigen und dem Baum verdeckt wurde, weshalb er nicht ausrutschte. Schon war er im Lager, wo es überraschend still war. Aufgrund der späten Stunde schliefen viele der Krieger wahrscheinlich, der Rest war auf der Großen Versammlung oder mit Husten im Heilerbau. Allein Kämpferherz saß mit aufmerksam auf den Lagereingang gerichtetem, bernsteinfarbenem Auge neben der Weide und hielt Wache. Der vernarbte Krieger nickte ihm zur Begrüßung zu, was Glutherz höflich erwiderte. Dann blickte er sich aufgeregt auf der Lichtung um, während sein Atem wegen der Anstrengung Stoßweise ging. War Blaumond in der Kinderstube oder im Heilerbau? Eigentlich war ja die Kinderstube üblich, aber da Rottupf recht viele Patrienten hatte, war es gut möglich, dass sie seine Gefährtin zu sich in den Heilerbau geholt hatte... Während er noch grübelte und vor Aufregung kaum einen ordentlichen Gedanken fassen konnte, miaute Kämpferherz: „Sie ist in der Kinderstube. Rottupf müsste bei ihr sein."

Dankbar nickte Glutherz seinem Clangefährten ein weiteres Mal zu, dann rannte er zur Kinderstube. Neben dem Schülerbau wäre er in seiner Eile beinahe ausgerutscht, fing sich aber gerade noch rechtzeitig. Lilienpfote, die allein im Eingang ihres Baus saß, schnurrte amüsiert, was er aber ignorierte. Seine Jungen würden bald zur Welt kommen! Vielleicht war sogar schon eines da... er musste sich beeilen! In seinem Kopf war kein Platz für Gedanken, die nicht Blaumond und den Jungen galten.

Ungelenkt stürzte er auf den Bau zu, in dem Blaumond sich befand. Er wusste, dass sein Pelz über und über mit Schlamm bespritzt war, aber das war ihm egal. Sein Fell war vollkommen durchnässt, wahrscheinlich würde Rottupf mit ihm schimpfen, wenn er die Kinderstube so betrat. Aber er dachte gar nicht daran, sich erst das Fell zu putzen. Blaumond wartete auf ihn!

Die Zweige des Brombeerstrauchs raschelten, als er den Bau betrat, von dem aus ihm Wärme und der milchige Duft entgegenschlug, den die Kinderstube ständig umgab. Im Bau war es noch dunkler als draußen und das mochte schon etwas heißen. Trotzdem konnte er nach etwas Blinzeln genug erkennen, um Blaumonds Nest gleich neben dem Eingang auszumachen. Ihre tiefblauen Augen funkelten freudig, als sie ihn erkannte. „Glutherz!", schnurrte sie und wollte sich aufsetzen, was ihr ein genervtes Kopfschütteln von Rottupf einbrachte, die neben ihrer Schwester saß. „Liegen bleiben!", befahl sie kopfschüttelnd, ihre Bernsteinaugen funkelten amüsiert. Glutherz war etwas verwirrt. Sollte seine Gefährtin jetzt nicht eigentlich Schmerzen haben? Kätzinnen hatten Schmerzen, wenn ihre Jungen auf die Welt kamen, soweit war er sich sicher. War etwas schief gelaufen? Nein, das konnte es nicht sein, sonst wären die beiden nicht so fröhlich. Aber was war es dann?

„Du kannst ruhig näher kommen, wir beißen normalerweise keine Artgenossen aus dem eigenen Clan, du dummer Fellball", brummte Rottupf und rollte die Augen. Unsicher trat Glutherz näher. Er musterte zuerst seine etwas erschöpft wirkende Gefährtin, dann die junge Heilerin. Beide hatten es sich gemütlich gemacht, sie sahen eher so aus, als würden sie sich gerade über den neusten Tratsch austauschen, statt das zu tun, was er eigentlich erwartet hätte. Wo waren die unsäglichen Schmerzen? Nicht, dass er sich nicht freute, dass es seiner Gefährtin gut ging, aber er war doch etwas verwirrt.

„Ist er endlich da?", wollte Fischschweif aus dem hinteren Teil des Baus wissen, die sich wahrscheinlich um ihren Sohn und Bussardjunges, der zurzeit ja nicht bei seiner Mutter Gelbfang sein konnte, kümmerte. Rottupf warf einen Blick über ihre Schulter und entgegnete: „Ja, aber er sieht aus, als wollte er im Eingang Wurzeln schlagen!" Die schildpattfarbene Königin schnurrte amüsiert. „Wenigstens lässt er sich blicken. Wenn ich nur daran denke, wie sehr ich auf Lahmpelz' Auftauchen gehofft habe..."

Glutherz stand nur vollkommen verwirrt da. Was ging hier vor? Bekam Blaumond ihre Jungen noch gar nicht? Aber wieso hätten sie ihn dann rufen sollen? Das ergab doch keinen Sinn! „Ähm...", stotterte er sehr geistreich, was alle drei Kätzinnen zum Schnurren brachte.

Schließlich erbarmte sich Blaumond ihn aufzuklären: „Ich hatte Wehen, aber die sind fürs erste wieder vorbei. Laut Rottupf werden die Jungen aber noch in dieser Nacht kommen." Der rote Kater runzelte die Stirn. Ja, das ergab Sinn. Wieso hatten sie das nicht gleich gesagt! „Dann... ähm...", stammelte er, wusste aber gar nicht, was er überhaupt hatte sagen wollen. Seine Jungen würden also im Laufe dieser regnerischen Nacht zur Welt kommen. Das war gar nicht mehr lange! Auch wenn er eigentlich damit gerechnet hatte, die Geburt wäre schon im vollen Gange und er käme möglicherweise zu spät. Letzteres wäre ihm überhaupt nicht recht gewesen. Dass er jetzt zu früh war, war kein wirkliches Problem.

„Ratten! Hilfe! Schnell!", erklang urplötzlich eine junge Stimme von der Lichtung her in ihren Bau. Glutherz, er wollte gerade zu Blaumond gehen um ihr über die Wange zu lecken, erstarrte in seiner Bewegung. Ratten? Etwa im Lager? Beim SternenClan! Sofort wirbelte er herum, er hörte noch, wie Rottupf bestürzt etwas von Mondpfote murmelte, da hatte er den Bau bereits verlassen und war auf die Lichtung gestürzt, wo schon einige Katzen ihre Köpfe aus den Bauen steckten.

Kämpferherz, der vollkommen verwirrt zu sein schien, stand zusammen mit einer anderen Katze, die Glutherz aufgrund der Dunkelheit auf diese Entfernung nicht erkennen konnte, im Eingang des Lagers. Kampfbereit, wie es schien. Mondpfote, der um Hilfe gerufen hatte, stand etwas von ihnen entfernt und lief panisch auf und ab. Ahornblatt und Streifenfluss verließen gerade, dicht gefolgt von anderen Kriegern, den Kriegerbau. Staubwolke kam von der Heilerlichtung in die Senke gestürzt. Doch weit und breit war kein Anzeichen von einem Angriff zu sehen. Schnell und immer in Gedanken an die Jungen, die bald auf die Welt kommen würden, eilte er zu dem jungen Schüler und erreichte ihn zeitgleich mit dem schildpattfarbenen Stellvertreter.

„Ratten? Wo? Haben sie dich angegriffen?", miaute Staubwolke besorgt und beschnupperte seinen Sohn eingehend. Abwehrend schüttelte der grau-weiße Kater seinen Kopf. „Nein, die Patrouille, die auf dem Weg zur Großen Versammlung war, wird angegriffen! Sie brauchen Hilfe! Sofort!", antwortete Mondpfote hysterisch. Für eine Heilerkatze hatte er eindeutig noch viel zu lernen, schließlich jagte er gerade einigen seiner Clangefährten einen ordentlichen Schrecken ein. Auch wenn er natürlich Recht hatte. Sie mussten sofort eine Kampfpatrouille losschicken!

„Wo?", war Staubwolkes Frage, während seine blauen Augen bereits über die anwesenden Katzen wanderte. Es waren nun schon so gut wie alle kampffähigen Katzen auf der Lichtung versammelt, wahrscheinlich ging er gerade im Kopf durch, wen er in den Kampf schicken konnte und wer hier bleiben sollte. „Gleich neben der Trainingslichtung."

„In Ordnung. Kämpferherz, Lilienpfote, Streifenfluss, Seepelz. Ihr kommt mit mir. Ahornblatt, Glutherz, Laubsprenkel, und Lahmpelz, ihr beschützt das Lager. Morgenpfote, du bist der schnellste Läufer, glaubst du, dass du unbeschadet zum Zweibeinernest laufen kannst um Winterschweif, Wasserwirbel und Fliederpfote zurückzuholen? Wir brauchen sie unbedingt hier!", die Befehle miaute der Stellvertreter innerhalb eines Herzschlages, so kam es Glutherz zumindest vor. Wie konnte sein ehemaliger Mentor nur immer so genau wissen, was zu tun war? Das war wirklich unglaublich! Zum Glück konnte er im Lager bleiben um Blaumond zu beschützen. Dass Staubwolke selbst in den Kampf ging, wunderte ihn schon, schließlich würden auch seine Jungen bald zur Welt kommen. Aber es war auch verständlich. Als Zweiter Anführer hatte er seine Pflichten. Er konnte nicht zulassen, dass seine Clangefährten kämpften, während er selbst unbeteiligt im Lager saß. „Das schaff ich schon", antwortete Morgenpfote und stürmte bereits davon. Niemand blickte ihm hinterher. Sie wussten, dass er das konnte, auch wenn Glutherz nicht umhin kam, sich etwas Sorgen um den jungen Schüler zu machen. Alleine in einem Wald, wo hinter jedem Strauch eine Armee von Ratten lauern konnte! Aber Morgenpfote war flink und auch wenn er kein guter Kletterer war, würde er ohne Problem jedem Gegner entkommen.

„Und was ist mit mir?", miaute Mondpfote protestierend. Staubwolke, der bereits auf den Lagerausgang zu rannte, hielt in seiner Bewegung Inne. „Du bist ein Heilerschüler." Die Antwort schien den jungen Kater alles andere als Zufrieden zu stellen. „Ihr braucht dort einen Heiler! Es wird Verletzte geben", warf er ein und funkelte seinen Vater entschlossen an. Dieser runzelte die Stirn. Der Rest seiner Patrouille stand bereits gewappnet im Eingang. „Ich verstecke mich auch auf einem Baum und komme nur runter, wenn ich gebraucht werde", versprach Mondpfote, woraufhin Staubwolke seufzend einwilligte. „Glutherz, du hast hier das Kommando. Wir versuchen, keine Ratten zu euch durchdringen zu lassen, aber falls doch, weißst du, was du zu tun hast", miaute der Schildpattkater abschließend.

Schon stürmte die Patrouille aus dem Lager. Drei Krieger waren zurückgeblieben. Drei Krieger, ein Ältester, vier Königinnen, zwei Junge, eine Heilerin und ein gemischter Haufen von Katzen, die gefährlichen grünen oder weißen Husten hatten. Wenn die Ratten sie angriffen, waren sie geliefert.

Unentschlossen tappte er zu Ahornblatt. Wie kam Staubwolke auf die Idee, dass er wüsste, was zu tun sei? Wer hatte ihm diesen Floh denn ins Ohr gesetzt! Er war erst seit zwei Monden Krieger, Laubsprenkel war bei weitem erfahrener als er. Der Sturm ließ die knorrige Eiche knarzen, es klang wie ein Hilferuf. Diesem konnte sich Glutherz nur anschließen. Sein Clan brauchte Hilfe. Ein Großteil der Krieger und Schüler kämpfte um ihr Leben, der Rest saß hier fest und konnte nur hoffen, dass die Ratten sich kein leichteres Ziel suchen würden. Wenn das nicht mal wunderbare Aussichten waren.

„Haben wir einen Plan?", wollte er wissen, als er bei seiner Wurfgefährtin ankam. Auch Laubsprenkel gesellte sich zu ihnen und kurzzeitig starrten sich die drei Katzen einfach nur an. „Wir könnten...", begann der hellbraun getigerte Kater mit den blattgrünen Augen, wurde aber sofort von Ahornblatt unterbrochen. „Es gibt kein 'Wir'", fauchte sie ungehalten, „du hast dich für sie entschieden und damit hast du dich gegen mich entschieden. Und da Glutherz auf meiner Seite steht, hast du hier nichts zu melden, nicht war Glutherz?"

„Aber...", Laubsprenkel schien gar nicht zu wissen, wie ihm geschah, ungläubig blickte er zwischen der hellorangenen Kätzin und Glutherz hin und her. Ahornblatt ließ das jedoch vollkommen kalt, sie blickte nur zu ihrem Bruder, als würde sie von ihm eine bekräftigende Zustimmung erwarten. Dieser hätte am liebsten den Kopf gegen den Baum geschlafen. War das ihr Ernst? Ihr Clan wurde angegriffen, sie waren nur zu dritt, um das Lager zu verteidigen und alles woran sie dachte war diese nach Fuchslosung stinkende Krise zwischen den beiden? Er hatte gedacht, das wäre überstanden, seitdem sie sich so gut mit Streifenfluss verstand!

„Ihr verhaltet euch wie ein paar streitsüchtige Schüler! Wir haben hier ein Lager zu verteidigen!", unterbrach Lahmpelz Glutherz' Gedanken und gleichzeitig auch den stummen Streit, den die anderen beiden nebenbei von dem roten Krieger unbemerkt ausgetragen hatten und der nur aus einem Anstarrduell bestanden hatte. Überrascht blickte er über seine Schulter zu Lahmpelz, der sich, seine verstümmelten Beine hinter sich herziehend, auf sie zuschob. Die grünen Augen des schmalen Katers funkelten kampfbereit. Der rote Kater hatte seinen gelähmten Clangefährten vor dessen Verstümmelung kaum gekannt, trotzdem war ihm klar, dass er einen solch entschlossenen und lebensfrohen Gesichtsausdruck seither nicht mehr gesehen hatte. Die Selbstverständlichkeit mit der der getigerte Kater den Lagerausgang angespannt musterte, ließ Glutherz den jungen, kraftvollen und willensstarken Kater erkennen, der Lahmpelz einst gewesen war. Anerkennend nickte er.

„Lahmpelz hat vollkommen Recht. Ihr könnt euch nachher gerne die Ohren zerfetzen, aber jetzt ist keine Zeit dafür", bekräftigte er die Worte des grauen Katers. Laubsprenkel seufzte daraufhin erleichtert, er war jedoch nicht derjenige, von dem die Wut ausging, sondern Ahornblatt, die dem hellbraun getigerten Kater demonstrativ den Rücken zuwandte und den anderen beiden Kater jeweils einen missbilligenden Blick zu warf, auch wenn sie einzusehen schien, dass nun wahrlich anderes von größerer Wichtigkeit war. Zufrieden, dass er nun die Aufmerksamkeit seiner Clangefährten hatte, begann er zu überlegen. Sie brauchten unbedingt einen Plan!

Der kalte Wind schwoll, wenn das überhaupt noch möglich war, noch weiter an, was sogleich dafür sorgte, dass Glutherz seine Krallen tief in die nasse Erde bohrte und ihnen den Regen peitschend entgegenwarf. Bei solch einem Unwetter zu kämpfen war wirklich eine Qual und er war schon fast erleichtert, dass er zurückgeblieben war, als ihm einfiel, dass dadurch seine Clangefährten in unmittelbarer Gefahr waren. Die dunklen Monster er allein Kann besiegen... ohne ihn konnten sie also nicht gewinnen! Er musste ihnen sofort zur Hilfe kommen!

„Also, wie können wir das Lager am Besten verteidigen?", jaulte Lahmpelz seine Frage über das Tosen des Windes hinweg und unterbrach Glutherz damit ein weiteres Mal in seinen Grübeleien. Der rote Kater zuckte nur recht einfallslos mit den Schultern. Wieso hatte Staubwolke auch ihm die Verantwortung über das Lager überlassen müssen? Er war viel zu unerfahren!

„Glutherz!", jaulte plötzlich eine aus Richtung der Kinderstube. Sofort wirbelte er kampfbereit herum. Wurden sie nun etwa aus einem Hinterhalt angegriffen? Er seufzte, als er erkannte, dass es nur Rottupf war, die dort zwar recht aufgebracht, aber nicht durch einen Angriff bedroht, im Eingang des Baus stand. Die Erleichterung, die er empfand, verschwand aber so schnell, wie sie gekommen war, als sie fortfuhr: „Die Wehen haben wieder eingesetzt. Die Jungen kommen!"

Hin und her gerissen zwischen seinen Pflichten als Krieger und denen als werdender Vater, warf er einen flehenden Blick in die Runde seiner verbliebenen kampfbereiten Clangefährten, die alle nur recht unschlüssig dreinblickten. Lahmpelz, der bei weitem schmächtiger war als die meisten anderen Katzen des Clans, schien Mühe zu haben, nicht vom Wind mitgezogen zu werden, doch Glutherz konnte dem keine Beachtung schenken. Blaumond! Er musste zu ihr!

„Habe ich das richtig verstanden? Die Jungen kommen?", krächzte plötzlich eine aufgewühlt wirkende Stimme hinter ihnen. Während Glutherz gerade überlegte, wem seiner drei Kameraden er die ihm recht ungewollt übertragene Verantwortung übergeben konnte, warf er einen Blick über seine Schulter, wobei ihm die Regenströme direkt ins Gesicht gepeitscht wurden, was ihn aber nicht abhalten konnte. Er war viel zu überrascht, Apfelteich dort im Eingang von Flammensterns Bau stehen zu sehen, ihre Augen, die an die grauen Sturmwolken am Himmel erinnerten, wirkten irgendwie seltsam entschlossen. Doch wozu entschlossen? Glutherz musste dies eindeutig falsch deuten.

„Sieht so aus", miaute Laubsprenkel ohne jegliche weitere Erklärung. Glutherz nickte nur und wollte sich bereits wieder von der hellbraun getigerten Kätzin abwenden, als diese über den Wind hinweg erklärte: „Ich habe euer Gespräch mitbekommen. Glutherz, ich habe vielleicht eine Idee, die dir helfen könnte. Bring Blaumond und Herbstblatt zu mir in Flammensterns Bau, der ist viel leichter zu verteidigen. Wenn die beiden werfen, sind sie viel sicherer, wie wenn sie in verschiedenen Bauen sind, die zudem noch schwer zu verstecken sind. Es müsste dann sogar reichen, wenn nur ein Krieger vor dem Eingang steht. Lass zwei den Lagereingang bewachen und den letzten verbliebenen die Heilerlichtung. Ich hoffe es macht nichts, wenn ich Lahmpelz jetzt als Krieger gerechnet habe. In solchen Zeiten kann man nicht wählerisch sein."

Vollkommen überrascht und hellauf begeistert von Apfelteichs Vorschlag, nickte Glutherz zustimmend. Seit wann war die getigerte Kätzin eine solch ausgezeichnete taktische Denkerin? Es war eine Verschwendung an Talent, dass das bisher niemandem aufgefallen war.

„Glaubt ihr, wir können das so durchführen?", wollte er noch von Ahornblatt, Lahmpelz und Laubsprenkel wissen, schließlich konnte er keinen Plan absegnen, mit dem diese nicht einverstanden waren, da er weder Anführer noch Stellvertreter des Clans war. Die drei nickten, auch wenn die hellorangene Kätzin eine ganze Weile zögerte.

„Rottupf!", jaulte Glutherz augenblicklich, bevor er bemerkte, dass die junge Heilerin in der Zwischenzeit zurück an Blaumonds Seite geeilt sein musste. Fuchsdung! „Ich gebe ihr schnell Bescheid. Laubsprenkel, bring Herbstblatt zum Anführerbau und geh dann zurück auf die Heilerlichtung. Lahmpelz und Ahornblatt, ihr verteidigt den Lagereingang. Los, schnell, wir haben möglicherweise nicht viel Zeit", befahl Glutherz mit ungewohnter Sicherheit, alle Gedanken daran, seinen restlichen Clangefährten zur Hilfe zu eilen waren vergessen.

Zeitgleich mit den anderen vier Katzen stürmte er auf sein Ziel zu. Die Regenströme ergossen sich weiterhin in die Senke, Sturmböen ließen Zweige von Sträuchern und Bäumen abbrechen und warfen ihm diese in den Weg, was ihn seine Geschwindigkeit aber keineswegs drosseln ließ. Er musste sich beeilen, denn wäre die Geburt erst einmal in vollem Gange, dann bestünde keine Möglichkeit mehr, Blaumond in den Anführerbau zu bringen. Dummerweise war die Kinderstube nämlich unmöglich mit nur einem Krieger zu verteidigen, was bedeutete, dass er unbedingt schnell genug sein musste. Da der Bau kaum mehr als drei Fuchslängen von ihm entfernt war, erreichte er ihn glücklicherweise sehr schnell. Mit zitternden Pfoten betrat er ihn, die Brombeerzweige erbebten und die warme Luft schlug ihm ein weiteres Mal entgegen.

„Rottupf! Wir müssen Blaumond unbedingt in den Anführerbau bringen. Dort ist es sicherer", erklärte er viel zu aufgewühlt, um jegliche Form einer Begrüßung zu zeigen. Verwundert nickte die Junge Heilerin, ohne eine Frage zu stellen. Erst da fiel Glutherz Blick auf seine zitternde Gefährtin. Zum ersten Mal erreichte einer ihrer Schmerzensschreie seine Ohren, was ihn zusammenzucken ließ. Wie lange schrie sie schon, ohne dass er es bemerkt hatte? Ein unglaublich schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit, das er aber verdrängte. Zu ihrem besten musste er sie nun von hier wegbringen.

„Und was soll ich machen?", miaute Fischschweif von weiter hinten im Bau. Mit ihrem Schweif hatte sie die Nester der beiden Jungen bedeckt, um ihnen den Anblick von Blaumonds Niederkunft zu ersparen. Glutherz, der gerade dabei war, sich hinzulegen, damit Rottupf ihm seine Gefährtin auf den Rücken schieben konnte, weil diese wegen den starken Schmerzen nicht von selbst laufen konnte, blickte irritiert auf. Er hatte die schildpattfarbene Königin tatsächlich komplett vergessen! „Du...", stammelte er ahnungslos, während Rottupf begann, ihm die wimmernde blaugraue Kätzin auf den Rücken zu schieben. Er spürte ihren überraschend schweren, zitternden Körper auf seinem und erhob sich wankend. Blaumond jammerte schmerzverzerrte Worte, die keiner verstehen konnte.

„Ich helfe dir die Jungen zu tragen, du kannst dich auf der Heilerlichtung verstecken, da ist es relativ sicher", erklärte Rottupf, wie immer vollkommen sachlich. Glutherz hatte sich gerade auf den beschwerlichen Weg zum Ausgang des Baus gemacht, blieb bei den Worten der Heilerin jedoch zögernd stehen. Brauchte Blaumond nun etwa nicht die Hilfe der gescheckt-getüpfelten Kätzin? Als diese seinen konfusen Blick bemerkte, miaute sie: „Ich komme dann schon, aber ich muss sowieso noch ein paar Kräuter aus meinem Bau holen und außerdem kurz die Katzen mit grünem und weißen Husten benachrichtigen, dass sie sich zwischen den Farnen verstecken sollen."

Auch wenn die Erklärung Glutherz etwas verwirrte, schließlich hatte Rottupf schon vorher Kräuter bereitlegen können, nickte er und verließ mit seiner wimmernden Gefährtin auf dem tropfnassen Rücken den Bau. Erst als die Brombeerzweige an seinem Fell vorbeistrichen und es zunehmend kälter wurde, wurde ihm bewusst, dass er Blaumond gerade hinaus in die eisige Kälte des späten Blattfalls brachte. Hoffentlich fing sie sich keinen Husten ein! Kalter Wind und schlagende Regentropfen, die teilweise so groß wie Hagelkörner waren, wurden ihnen entgegengepeitscht. Unbeirrt, trotz Blaumonds Schmerzensschrei, der, wie er sich sicher war, nichts mit dem Wetter zu tun hatte, eilte er zurück zum Eingang des Anfüherbaus. „Glutherz! Bitte!", jaulte seine Gefährtin unter Schmerzen, woraufhin er noch schneller lief, auch wenn ihr Gewicht auf seinen Schultern ihn sehr langsam machte. Er umrundete rasch die Wurzeln und ließ seine Gefährtin dann vor dem Eingang des Baus zu Boden gleiten, da sie gemeinsam nicht durch die Lücke zwischen den Wurzeln des Baus passten. Blaumond stöhnte gequält.

„Schnell, lass mich dir helfen", miaute plötzlich Herbstblatt hinter ihm, als er noch etwas unsicher zwischen dem Eingang und seiner Gefährtin hin und her blickte. Vor Überraschung wäre er beinahe aus dem Pelz gefahren, die gescheckte Königin kommentierte seinen zweifelslos geschockten Gesichtsausdruck aber nicht, sondern schlängelte sich bereits um ihre Freundin herum und packte die blaugraue Kätzin am Nackenfell. „Zieh!", befahl sie durch den Pelz hindurch, was dank dem tosen des Windes kaum zu verstehen war. Sofort tat Glutherz wie ihm geheißen. Seine Pfoten glitten in dem durch den vielen Regen rutschigen Untergrund aus, was ihn aber nicht davon abhielt, seine Gefährtin mit größter Vorsicht in den Bau zu bugsieren. Ihre Schmerzensschreie ließen seine Ohren klingeln, noch konnte er sich aber keine Zeit nehmen, um ihr beizustehen.

Die beiden Katzen, schoben und zogen Blaumond in den Bau und schließlich kam ihnen auch noch Apfelteich zur Hilfe, woraufhin es ihnen dann endlich gelang. Als die Efeuranken hinter ihnen zu schwangen, schickte Glutherz ein Dankgebet gen Himmel. Sie stieß einen weiteren Schmerzensschrei aus. Die drei Katzen zogen die junge Königin auf weiches Moos, was diese aber gar nicht bemerkte. Sie stöhnte wieder, erst jetzt erreichten den roten Kater die Schmerzen seiner geliebten Blaumond richtig, bisher hatte es noch immer eine gewisse Distanz aufgrund des Adrenalins in seinem Blut gegeben. Aufgewühlt ließ er sich neben sie fallen und leckte ihr über das nass gewordene Fell. Schmerzenswellen durchzuckten sie.

Flehend blickte sich der junge Krieger nach den beiden Königinnen um. „Könnt ihr ihr helfen?", miaute er hoffnungsvoll, auch wenn er wusste, dass sie diese Schmerzen durchstehen musste. Herbstblatt schüttelte nur den Kopf, ihr Gesicht war zu einer angespannten Grimasse verzogen. Apfelteich hingegen ließ keine Regung erkennen, sie starrte nur auf Blaumond, die gerade zusammenzuckte.

„Sie greifen an!", jaulte Ahornblatt draußen und ließ ihnen somit keine Verschnaufpause um über irgendetwas nachzudenken. Schockiert schnappte er nach Luft. Sie kamen also wirklich. Die Ratten griffen das Lager an!



Lieber spät als nie, würde ich sagen :) Ich weiß, einige von euch sind genervt, dass es noch immer keine Namen gibt, aber die nächsten beiden Kapitel werden so gut wie alle beinhalten, falls mir nicht zwischendurch irgendein genialer anderer Einfall kommt!

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