Kapitel 38

Augenblicklich schnellten die Köpfe von Winterschweif, Wasserwirbel und Glutherz in Richtung des Schreis. Ihre Ohren waren gespitzt und zuckten, als sie angestrengt lauschten. Eine Clangefährtin wurde angegriffen!

Der rote Kater sprang auf seine Pfoten und lief zum Zaun des Gartens, sein Fell war gesträubt. Er reckte seine Nase in die Luft, konnte aber nichts ungewöhnliches riechen. Der Angriff musste also etwas entfernt stattfinden, Ratten würde man mehrere Baumlängen gegen den Wind riechen können, wenn man sich darauf konzentrierte.

Seine beiden Wurfgefährten eilten an Glutherz' Seite und auch Annabell folgte ihnen mit schreckgeweiteten Augen. Mandy streckte genau in diesem Moment ihren Kopf aus dem großen Loch im Zweibeinernest, wurde aber von allen ignoriert.

„Ist das Lilienpfote?“, miaute Wasserwirbel besorgt. Unruhig scharrte sie mit den Pfoten über die Erde. „Worauf warten wir noch? Wir müssen ihr helfen!“

Glutherz nickte. Seine Schwester hatte eindeutig Recht, wenn sie zu lange zögerten, konnte es zu spät sein. Die dunklen Monster er allein kann besiegen. Bei der Erinnerung an die Prophezeiung zuckte er zusammen. Sie mussten der Schülerin unbedingt zur Hilfe eilen! Er war wohl der einzige, der sie retten konnte, wenn die Prophezeiung richtig lag. Wobei, vielleicht auch einfach der einzige, der die Ratten endgültig besiegen konnte, das war ein Unterschied. Egal, sie mussten ihr jedenfalls so schnell wie irgend möglich helfen.

Glutherz und Wasserwirbel sprangen über den Zaun hinweg, wobei der Wind den roten Kater beinahe sehr unsanft hätte landen lassen. Glücklicherweise konnte er sein Gewicht noch rechtzeitig ausbalancieren. Er warf einen abwartenden Blick über seine Schulter. Würde Winterschweif sie begleiten? Oder würde er wirklich zulassen, dass sie alleine in den Kampf zogen um einer Clangefärtin zu helfen? Wenn er nun blieb, dann wusste Glutherz, wofür das Herz seines Bruders schlug, so viel war sicher. Keine Clankatze würde jemals zulassen, dass ein Clangefährte starb.

Als Winterschweif mit einem kraftvollen Satz über den Zaun sprang, hätte Glutherz am liebsten erleichtert geseufzt. Der weiße Kater hatte sich richtig entschieden. „Annabell, geh in das Zweibeinernest. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt“, bat er die Kätzin, die gerade dabei gewesen war, ihn zurückzuweisen, ohne dass der Krieger es verstanden hatte. Die langhaarige, weiße Kätzin mit den grauen Akzenten nickte nur verwirrt.

Ohne ein weiteres Wort rannte Winterschweif in den Wald, Glutherz, der etwas verdutzt war, dass sein Wurfgefährte plötzlich so viel Tatendrang an den Tag legte, folgte ihm sofort. Ihre Schwester schloss erst zu ihnen auf, als sie bereits mit wehenden Schweifen und angespannten Muskeln an den ersten Sträuchern und Bäumen vorbei stürmten und die Lichtung bereits verlassen hatte. Ihre Pfoten donnerten über den schlammigen Untergrund. Der Wind, der noch immer kein bisschen nachgelassen hatte, ließ die Zweige von Sträuchern nach ihnen schlagen. Sie erinnerten an Pfoten, die sie packen wollten um sie daran zu hindern, der Schülerin zur Hilfe zu eilen.

Bäume und Sträucher zogen wie Schatten an ihnen vorbei, als sie immer schneller in Richtung der Hochweiden rannten. Glutherz und Wasserwirbel flankierten ihren Bruder je auf einer Seite. Schlamm spritzte und verdreckte ihre sowieso nicht sonderlich sauberen Pelze. Die Bäume knarzten. Es war schwer für die drei Katzen mit ihren Pfoten Halt im rutschigen Untergrund zu finden, sie mussten ihre Krallen tief in die feuchte Erde graben, doch sie kamen zügig voran. Die ganze Zeit über war es unnatürlich Still im Wald. Es war kein weiteres Jaulen erschallt, weshalb die Katzen nur aufgrund einer wagen Annahme ihre Richtung bestimmen konnten. Immerhin wusste Glutherz, dass Kämpferherz mit seiner Schülerin zu den Hochweiden, auf die sei zu rannten, gewollt hatte. So falsch konnten sie also gar nicht sein.

Schließlich erklang das Rauschen des schmalen Flusses, die sieben riesigen Weiden, die am Rande des Flusses wuchsen konnten also gar nicht mehr weit sein. Noch vor sie die Bäume erreichten, deren lange Zweige bis zum Boden reichten und das Wasser teils streiften, konnten sie aufgeregte Stimmen vernehmen. Weiterhin konnte Glutherz kein Anzeichen von Gefahr wittern, nichts deutete auf die Bedrohung durch die Ratten hin.

Bis sie endlich die Hochweiden erreichten. Denn dort konnte er es mehr als gut riechen. Ratten. Er tauschte einen kurzen Blick mit seinen Geschwistern, die eigentlich gar nicht seine Geschwister waren. Angeekelte Gesichter blickten ihm entgegen. „Ich rieche aber zum Glück kein Blut“, brummte Winterschweif, während die drei, die nun nur noch recht langsam liefen und schwer atmeten, was ihnen ein lautloses Anschleichen unmöglich machte, ihre Köpfe zwischen einigen Weidenzweige hindurch steckten. Als die Zweige raschelten, verstummten die Stimmen sofort.

Sieben kampfbereite Augenpaare richteten sich auf sie, da ihre Clangefährten anscheinend alle mit einem Angriff gerechnet hatten, waren ihre Krallen ausgefahren und ihre Pelze gesträubt, als sie ihnen entgegenblickten. In dem Augenblick, in dem Kämpferherz, Lilienpfote, Regenpelz, Staubwolke, Fliederpfote, Laubsprenkel und Seepelz erkannten, dass ihnen keine Feinde gegenüberstanden, zeichnete sich sofort Erleichterung auf ihren Gesichtern ab. Als Glutherz die Katzen musterte, wurde ihm schnell klar, dass hier kein Kampf stattgefunden hatte. Und trotzdem lag der Gestank nach Ratten über diesem Ort, wie eine erdrückend schwere Schicht Blätter, die sich nicht entfernen ließ. Aber wenn es keinen Kampf gegeben hatte, wieso hatte Lilienpfote so panisch gejault? Und was machten diese ganzen Katzen hier, wenn es ja anscheinend keinen Grund gab?

Die sieben Katzen murmelten eine recht zerstreute Begrüßung, die Überraschung war ihnen anzusehen. Die Pelze der Krieger und Schülerinnen waren verdreckt, sie mussten alle genauso schnell durch den an einigen Stellen schlammigen Wald gerannt sein, wie die drei Geschwister. „Da ist ja Winterschweif!“, schnurrte Lilienpfote, die etwas abgehetzt wirkte. Sofort galt die gesamte Aufmerksamkeit dem weißen Krieger. Niemand schien es für nötig zu halten, sie über den Vorfall aufzuklären. „Winterschweif!“, strahlte Regenpelz, der gleich darauf in verlegenes Schweigen verfiel. Im Gegensatz zu dem Kater, auf den die Geschwister genauso wie auf Flammenstern noch etwas sauer waren, waren die restlichen ihrer Clangefährten bei weitem nicht so zurückhaltend.

„Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt!“, miaute Lilienpfote, während Staubwolke dem weißen Kater einen Klaps verpasste und murmelte: „Ich hab dich weißer in Erinnerung“, wobei er auf das verdreckte Fell des Kriegers anspielte. Als sich auch die restlichen Katzen um Winterschweif sammelten, wurden Wasserwirbel und Glutherz auf die Seite gedrängt.

Etwas unschlüssig stand der rote Kater neben seinen Clangefährten. Der Geruch nach Ratten verflog langsam und noch immer hatte er keine Ahnung, was es damit auf sich hatte. Kurz entschlossen tappte er zu Fliederpfote und Regenpelz, die als einzige nicht um Winterschweif herumstanden. Wasserwirbel folgte ihm, da sie wohl auch nicht wirklich wusste, was sie nun tun sollte.

„Was habt ihr ihm versprochen, damit er zurückkommt?“, miaute Fliederpfote mit nachdenklich schief gelegtem Kopf fragend, bevor Glutherz um eine Erklärung bitten konnte. Überrascht riss er seine Augen auf. Woher konnte die schwarze Schülerin von Annabell wissen? Das konnte doch gar nicht sein! Doch wovon sprach sie dann?

Zum Glück musste der rote Krieger sich keine Gedanken darüber machen, was er der Schülerin antworten sollte, denn genau in diesem Moment raschelten die Zweige ein weiteres Mal. Sofort war jeder Frohsinn vergessen, die Katzen hielten angespannt die Luft an und wirbelten in die Richtung des Geräuschs herum, nur um gleich darauf alle erleichtert auszuatmen. Es war nur Kieselpelz, der etwas verspätet zu den Katzen stieß. Nach Luft ringend stotterte er: „Was ist passiert? Ich habe einen Schrei gehört...“ Endlich wurde die Frage gestellt, deren Antwort Glutherz dringend erwartete. Was in SternenClans Namen war geschehen und wieso verhielten sich hier alle so ungewöhnlich in Anbetracht des erdrückenden Gestanks nach Ratten, der zwar schon bei weitem abgenommen hatte, aber weiterhin präsent war.

„Da waren Ratten“, fauchte Seepelz angeekelt, was sich aber eigentlich von selbst erklärte. Es war wirklich unmöglich diesen Gestank nach Krähenfraß nicht zu bemerken. Da eine sarkastische Bemerkung die Erklärung aber nur herauszögern würde, hielt sich Glutherz zurück, auch wenn ihm die Worte auf der Zunge brannten.

Ein Vogel flog über ihnen vorbei, bei dem Geräusch der schlagenden Flügel zuckten Laubsprenkel, Lilienpfote und Kämpferherz zusammen. Sie mussten einen Angriff der Ratten erwarten, anders war das nicht zu erklären.

„Ja, das rieche ich. Aber was ist passiert? Musstet ihr nicht kämpfen? Wo sind sie hin?“, stellte der kleine graue Kater, der noch immer schwer atmete, die Frage an die Katzen. Diese blickten etwas unschlüssig in die Runde, bis sich Staubwolke schließlich erbarmte und miaute: „Lilienpfote ist, als sie sich an ein Kaninchen anschleichen wollte...“ Die weiße Kätzin mit den schwarzen Beinen unterbrach ihn. „Es war ein richtig fettes Kaninchen! Das hätte bestimmt drei Katzen satt gemacht!“ Der Zweite Anführer warf der Schülerin einen missbilligenden Blick zu, was er zugegebenermaßen wirklich selten tat. Sofort verstummte sie und blickte verlegen auf ihre Pfoten.

Der Schildpattkater räusperte sich. „Nun ja, wo war ich. Genau. Sie hat sich an ein richtig fettes Kaninchen, was zum späten Blattfall wirklich ungewöhnlich ist, angeschlichen. Da hat sie dann auf einmal etwas hinter sich gehört und als sie herum gewirbelt ist, hat sie mehrere Ratten gesehen, die blitzschnell auf sie zuschossen...“ Wieder wurde er in seiner Erzählung aufgehalten. „Es waren bestimmt drei Dutzend! Und sie waren riesig. Richtig eklig. Ihre Zähne waren so gelb wie Gelbfangs Augen und...“, als ihr Kämpferherz mit dem Schweif über die Schnauze fuhr verstummte sie augenblicklich. Beschämt senkte sie den gelben Blick, als ihr klar wurde, dass sie den Stellvertreter ein weiteres Mal unterbrochen hatte. Glutherz knurrte genervt. Lilienpfote war doch sonst nicht so vorlaut! Wieso musste sie also gerade jetzt ständig quasseln?

„Bevor ich jetzt nochmals unterbrochen werde, erzähle ich die Kurzfassung, in Ordnung?“, seufzte Staubwolke und rollte die Augen. Für den Kommentar erntete er belustigtes Schnurren von Seepelz, Laubsprenkel und Wasserwirbel. Als ansonsten keiner einstimmte verstummten sie. „Gut, die Ratten sind also auf Lilienpfote zugerannt, sie hat gejault. Seltsamerweise sind die Ratten aber an ihr vorbeigerannt ohne sie eines Blickes zu würdigen. Wieso sie das getan haben und woher sie kamen, wissen wir nicht, Lilienpfote meint aber, dass sie von Südwesten, also vom Lager her, kamen. Meine Patrouille und auch ihr anderen, sind ihr also zur Hilfe geeilt, obwohl sie keine Hilfe brauchte.“

Nachdem der schildpattrote Stellvertreter geendet hatte, ergab das geschehene für Glutherz bei weitem mehr Sinn. Nur: War das Lager angegriffen worden? Oder weshalb kamen die Ratten sonst aus dieser Richtung?

„Und was sollen wir jetzt machen?“, miaute Kieselpelz, der noch immer zwischen den Zweigen der Trauerweide stand, sodass man nur seinen Kopf sehen konnte. Auch er stellte sich diese Frage. Sollten sie die Ratten verfolgen, oder nachsehen woher sie kamen? Und was geschah mit der Beute, die sie, also alle außer Wasserwirbel und er, gefangen hatten? Die musste schließlich auch noch eingesammelt werden.

„Glutherz, Winterschweif, Regenpelz, Fliederpfote und ich gehen auf direktem Weg zum Lager. Dort ist nämlich nur Ahornblatt zurückgeblieben, alle anderen Katzen, die jagen können, sind unterwegs. Der Rest sammelt unsere Beute ein“, befahl Staubwolke und lief, ohne sich zu vergewissern, ob die restlichen Katzen ihn überhaupt verstanden haben, in Richtung des Lagers los. Überrumpelt folgten die restlichen Katzen ihm, da sie wussten, dass sie ihn nie einholen würden, wenn sie sich nicht beeilten. Staubwolke war trotz seiner steifen Vorderpfote recht schnell.

Rennend verließen die fünf Katzen die Hochweiden. Staubwolke führte sie an, während Regenpelz am Schluss lief. Der dunkelgraue Kater schien zu erwarten, dass Winterschweif demnächst wieder davonrennen würde, so sehr fixierte er den weißen Krieger mit seinen durchdringenden blau gesprenkelten Augen.

Glutherz selbst erwartete dies ebenfalls. Schließlich war es Winterschweifs Bedingung gewesen, dass Annabell mitkommen durfte und da diese sich gerade nicht unter ihnen befand, galt diese Abmachung bisher nicht als gehalten. Der rote Kater hoffte sehr, dass sein Wurfgefährte die Kätzin vergessen würde, sobald er zurück beim Clan war. Falls notwendig würde er selbst eine seiner Clangefährtinnen bitten, ihm einen Grund zum bleiben zu geben. Wobei diese ihn wohl für mäusehirnig erklären würden. Und sie hätten Recht! Nur jemand mit Hummeln im Hirn kam auf eine solch irrsinnige Idee!

„Weißpelz, stimmt es eigentlich, dass du dich in eine WolkenClan-Kriegerin verguckt hast?“, miaute Fliederpfote, während die Katzen durch den Wald preschten. Der Wind zerrte an Glutherz Pelz, er brauchte eine ganze Weile, bis ihm auffiel, dass die schwarze Kätzin 'Weißpelz' gesagt hatte. War das nicht der Name von Regenpelz' Vater gewesen? Und wen wollte sie denn bitte damit ansprechen? Etwa Winterschweif? Aber wie kam sie dabei denn bitte auf 'Weißpelz'? Das ergab doch keinen Sinn! Die Situatrion wurde noch seltsamer, als der weiße Krieger wie selbstverständlich antwortete: „Das gehört der Vergangenheit an.“ Er schien den Namen überhaupt nicht bemerkt zu haben, oder aber er störte sich nicht daran. Möglicherweise hatte sich Glutherz auch einfach verhört. Ja, das musste es sein. Er hatte sich verhört. Alles andere wäre seltsam und ergab keinen Sinn.

„Glücklicherweise! Bei dieser Chance sollte so etwas auf gar keinen Fall geschehen. Du hast es in deinem letzten...“, Fliederpfote hustete, als hätte sie sich an etwas verschluckt. Ihre Augen waren schreckgeweitet. Bekam sie etwa auch weißen oder gar grünen Husten, wie ihre Schwester ihn hatte? Erst kurz darauf dachte Glutherz über ihre Worte nach. Noch mehr seltsame Worte, die in seinen Ohren keinen Sinn ergaben!

„Was wolltest du sagen?“, miaute Winterschweif mit schiefgelegtem Kopf. Die Katzen waren gar nicht mehr weit vom Lager entfernt. Zu ihrer Erleichterung waren weder Kampfgeräusche noch sonst irgendetwas ungewöhnliches zu vernehmen.

„War unwichtig“, murmelte Fliederpfote, bevor sie von einem weiteren Hustenanfall gepackt wurde und sogar kurz stehen bleiben musste. Besorgt hielten auch die anderen vier Katzen an, auch wenn es Staubwolke nicht so ganz recht zu sein schien. „Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte Regenpelz mit gerunzelter Stirn. Der Wind zerzauste sein sowieso schon vollkommen verwirrtes Fell noch weiter.

„Alles bestens“, miaute sie und ein Hustenkrampf schüttelte ihren zierlichen Körper.

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