Kapitel 32
Ungläubig ließ Glutherz seinen Blick durch den Bau gleiten. Flammensterns und Regenpelz' verzweifelte Ausstrahlung ließ ihn erschaudern. Sie schienen vollkommen zu ignorieren, dass Winterschweif sich mit Feuersonne traf. Etwas anderes musste sie gefangen halten, wie ein Vogel in einer Höhle unter der Erde. Etwas, ein Geheimnis, das sie unbedingt bewahren wollten.
Doch was konnte das sein? Und wieso nur, war die Reue, die Rabensturm verkörperte so all umfassend, als hätte er das größte Geheimnis der Geschichte gelüftet? Dabei hatte er sich doch nur vertan, oder etwa nicht? Wieso hatte er behauptet, dass der rote Kater Hauskätzchenfutter gefressen hatte? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn! Außer aber, er hatte nicht ihn gemeint.
Aber wen sonst? Vollkommen verwirrt richtete Glutherz seinen Blick auf seine Mutter, der die ganze Situation mehr als unangenehm zu sein schien. Diese erwiderte seinen Blick. Ein stummes Flehen war in ihren Smaragdaugen zu sehen.
„Habe ich noch einen Bruder?“, stotterte Winterschweif, der etwas verstört wirkte. Unsicher trat er von einem Bein auf das andere. Bräunliche Wassertropfen sammelten sich in dem Bauchfell von Streifenfluss, Winterschweif und Glutherz und tröpfelte immer wieder zu Boden, um auf der Erde eine Pfütze zu bilden.
„Ich gehe mal lieber“, murmelte Apfelteich in diesem Augenblick, erhob sich von ihrem Nest in einer der dunkelsten Ecken des Baus und zwängte sich zwischen den drei Freunden hindurch. Winzige Tröpfchen des Regenwassers wurden in die Höhle geweht, als die Königin durch die Efeuranken hindurch verschwand. Streifenfluss und Rabensturm murmelten zustimmende Worte und auch die beiden Krieger schoben sich zum Ausgang des Baus. Glutherz runzelte überrascht die Stirn. Wusste sein hellbrauner Freund mehr, als er? Oder hatte er sogar eine Ahnung, was Flammenstern ihnen zu sagen hatte? Mit den Augen folgte er den Katern. Weiterer Regen wurde herein geweht, dann schlugen die Efeuranken hinter Streifenfluss zu. Rabensturm schien es ihm gleich tun zu wollen, drehte sich dann aber noch einmal zu den Katzen um und murmelte: „Es tut mir ehrlich Leid. Ich wollte nicht,...“ Flammenstern unterbrach ihn seufzend. Sie wirkte älter als zuvor, als wäre sie seit ihre Söhne den Bau betreten hatten um mehrere Blattwechsel gealtert.
„Es ist in Ordnung, Rabensturm. Die Wahrheit kommt immer ans Licht, es ist nur das unvermeidbare eingetreten. Das du es herbeigeführt hast, war Pech, aber du musst dich deswegen nicht schuldig fühlen“, miaute die flammenfarbene Anführerin gutmütig, auch wenn ihr vernichtender Blick etwas anderes sagte. Diesen schien der schwarze Krieger glücklicherweise aber nicht zu bemerken, denn er verschwand mit einem letzten, entschuldigenden Nicken zwischen den Efeuranken.
Stille folgte. Staubwolke, der zwischen Wasserwirbel und dem Eingang des Baus saß, schien die ganze Situation mehr als unangenehm zu sein. Eingehend betrachtete er seine Pfoten. Die silbern-weiß getigerte Kätzin dagegen hatte den Kopf erhoben, ihre blauen Irden fixierten Regenpelz und Flammenstern. Glutherz schluckte. Seine Schwester war meist recht vorsichtig, war häufig eher schüchtern und still, doch in diesem Augenblick lag eine Herausforderung in ihrem Blick. Erwartungsvoll hatte sie die Ohren gespitzt. Es schien fast, als würde sie die Antwort bereits kennen und nur noch auf die Bestätigung warten. Schließlich begann Regenpelz zu sprechen und brach damit das grüblerische Schweigen.
„Staubwolke, hol bitte Ahornblatt. Wenn die Wahrheit schon ans Licht kommt, möchte ich, dass alle vier anwesend sind“, bat der dunkelgraue Kater, woraufhin der Stellvertreter sofort aufsprang und aus dem Bau huschte. Ein weiterer Regenschwall ergoss sich in den Bau, aber es störte niemanden.
Glutherz fiel auf, dass Regenpelz 'alle vier' gesagt hatte, obwohl 'alle meine Jungen' bei weitem besser gepasst hätte. War Winterschweif also auf der richtigen Spur? Hatten sie weitere Geschwister? Oder aber war damit auf Tüpfeljunges Rücksicht genommen worden, schließlich konnte sie nicht bei ihnen sein. Glutherz konnte sich nicht an sie erinnern. Gelebt hatte sie anscheinend nie, jedoch wunderte es ihn, keine Erinnerung an seine Schwester zu haben. Keine Erinnerung an irgendetwas zu haben, bevor er etwa vier Monde alt wurde.
Angespannte Stille hatte sich ein weiteres Mal wie ein Bann über den Bau gelegt. Regen und Wind außerhalb des Baus war das einzige, was zu hören war. Glutherz und Winterschweif tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Ihnen war beiden klar, das die Wahrheit, wie auch immer diese sich äußern mochte, ihnen nicht gefallen würde. Doch was hatten ihre Eltern vor ihnen verheimlicht? Was sollte so wichtig sein, dass sie nicht davon erfahren sollten?
Lag Winterschweif recht? War es möglich, dass sie weitere Geschwister hatten? Oder auch einfach nur einen Bruder? Und wieso sollte dieser Hauskätzchenfutter fressen? Das passte doch alles nicht zusammen! Außerdem, wieso sollten Regenpelz und Flammenstern ihnen das vorenthalten?
„Ihr habt es jetzt also geschafft, das deine Treffen mit Feuersonne aufgeflogen sind, Winterschweif? Na herzlichen Glückwunsch, du hast es ja wirklich lange geheim gehalten!“, war Ahornblatts schnippische Begrüßung, als sie den Anführerbau mit einem Regenschwall betrat. Staubwolke folgte ihr nicht, es war ihm wohl mehr als recht, deer angespannten Situation entkommen zu sein. Auch Glutherz wäre nur zu gern an einem anderen Ort.
„Setz dich bitte“, begrüßte Regenpelz seine Tochter genervt. Da Regenpelz kein Kater war, der schnell aus der Ruhe gebracht werden konnte, blinzelte die hellorangene Kriegerin bei seinen schroffen Worten überrascht. Mit einem verwirrten Blick auf ihre Wurfgefährten trottete sie zu Wasserwirbel und ließ sich neben ihre silbern-weiß getigerte Schwester fallen.
Angespannt richteten die vier jungen Krieger ihre Blicke auf ihre Eltern, die eng nebeneinandersaßen und einen traurigen Blick tauschten. Glutherz schluckte und setzte sich, da er, genau wie Winterschweif, bisher noch immer gestanden war. Unglücklicherweise setzte er sich in die Pfütze, die sich unter ihm gebildet hatte. Er war jedoch viel zu aufgeregt, um sich weiter darum zu kümmern. Die ganze Situation gefiel ihm ganz und gar nicht. Fieberhaft suchte er nach etwas, das eine simple Erklärung für Regenpelz und Flammensterns Unmut darstellte.
„Regenpelz und ich müssen euch etwas erzählen“, begann Flammenstern stockend. Ihre smaragdgrünen Augen flackerten unsicher. Als Regenpelz dies bemerkte, leckte er ihr aufmunternd über die Wange. „Es geht um etwas, das kurz nach eurer Geburt geschehen ist“, fügte der dunkelgraue Krieger hinzu und bedeutete mit einem Zucken seiner langen Schnurrhaare der flammenroten Königin fortzufahren.
Diese zögerte einen Moment, was Glutherz die Möglichkeit gab, noch einmal darüber nachzudenken. Kurz nach ihrer Geburt... was konnte da geschehen sein? Urplötzlich flackerte eine Erinnerung vor seinen Augen auf. Eine getigerte Kätzin mit zwei weißen Bündeln im Maul. Eine rote – Flammenstern – die die Jungen neben ihn und ein anderes rötliches Junge legte. Glutherz schnappte keuchend nach Luft. Er hatte es gewusst! Er hatte es die ganze Zeit gewusst!
„Winterschweif und Wasserwirbel sind nicht eure Jungen, oder?“, miaute der rote Krieger, gerade als Flammenstern zu einer Erläuterung ansetzen wollte. Augenblick schnellten die Blicke der fünf Katzen zu ihm. Unglauben lag in Winterschweif und Ahornblatts Blick, während Wasserwirbel nur traurig nickte. Flammenstern und Regenpelz tauschten einen erschöpften Blick. Dann nickten sie.
„So ist es“, brummte Regenpelz. Winterschweif blieb das Maul offen stehen, gleichzeitig stotterte Ahornblatt: „Aber? Wer...? Wann...? Wieso...?“ Das Stottern der Kätzin, die sonst auf alles eine spitze Antwort hatte, verlangte nach Antworten. Dann blickte sie zwischen Wasserwirbel und Glutherz hin und her. „Ihr habt das gewusst?“
Glutherz schüttelte den Kopf und wollte ihr erklären, dass er sich gerade an eine Szene aus ihrer Jungenzeit erinnert hatte, als seine silbern-weiße Nicht-Schwester ihr ins Wort fiel. „Eine rote und eine graue Katze bekommen normalerweise keine weißen Jungen. Zumindest nicht gleich zwei in einem Wurf. Bisher habe ich an einen Zufall geglaubt, doch... irgendwie war mir das schon immer klar“, murmelte sie ohne jede Gefühlsregung. Ihre blauen Augen starrten die beiden älteren Katzen vorwurfsvoll an. Beide zuckten zusammen. Schmerz lag in ihren Blicken, als sie noch etwas näher zueinander rutschten.
„Und wer sind dann unsere Eltern? Wo kommen wir her?“, waren Winterschweifs erste Worte seit dieser für ihn vollkommen unerwarteten Eröffnung. Er hatte seine Zähne zusammengebissen und die Krallen ausgefahren, die sich nun tief in die feuchte Erde bohrten und im fahlen Licht silbern funkelten. Draußen tobte noch immer der Sturm, doch der Sturm im Inneren des Baus war bei weitem turbulenter.
„Eure Mutter ist ist Prinzessin, Feuersterns Schwester“, murmelte Flammenstern die ihre Jungen flehend anblickte, wie wenn sie sie bitten wollte, ihr die Lüge, auf der die Leben der jungen Katzen beruhten, zu vergeben.
In diesem Augenblick zogen die beiden weißen Katzen scharf die Luft ein. Auch Glutherz stockte der Atem. Seine Wurfgefährten waren als Hauskätzchen geboren worden! Es war unglaublich. Die beiden treuen und mutigen Krieger sollten zu diesem verweichlichten Pack von süßen Kätzchen gehört haben, die sich von Zweibeinern wie selbstverständlich berühren ließen?
„Das... das ist... ich war ein Hauskätzchen!“, stammelte Winterschweif mit großen Augen, in denen Wut und Unglauben loderte. Nun wusste Glutherz auch, wen Rabensturm mit Winterschweifs Bruder gemeint hatte... Wolkenschweif. Den eigensinnigen Krieger des DonnerClans, von dem Flammenstern ihnen manchmal erzählt hatte.
„Fuchsdung!“, war wohl alles was der überrumpelten Wasserwirbel dazu einfiel, während sie ihre Zieheltern beobachtete, die sich eine besänftigende Antwort zu überlegen schienen.
„Das mag stimmen, doch auch Feuerstern wurde als Hauskätzchen geboren! Eure Herkunft ist nur ein Ort, das was euch wirklich ausmacht, ist der Weg, den ihr beschreitet!“, verkündete Flammenstern zögerlich. Als Anführerin des FeuerClans war sie solch großer Worte mächtig, was Glutherz immer an ihr bewundert hatte. Doch in diesem Augenblick empfand der rote Kater nichts weiter als das stumme Gefühl, dass er aus diesem Raum entkommen musste. Denn seine Eltern hatten sie so lange belogen. Sie hatten sie im Glauben gelassen, dass sie Geschwister waren.
Und trotzdem konnte er sie verstehen und war dankbar. Denn er liebte Winterschweif und Wasserwirbel und hätte es um nichts in der Welt das Gefühl missen wollen, die beiden als Wurfgefährten zu haben.
„Ich... ich muss hier weg“, murmelte Winterschweif, wirbelte herum, sodass sein buschiger, mit Schlamm benetzter Schweif gegen Glutherz' Flanke schlug. Wie ein weißer Blitz stürmte er aus der Höhle hinaus in den Sturm aus Regen und Wind. Ein Regenschwall ergoss sich ein weiteres Mal in die Höhle, in der nun Grabesstille herrschte. Sie alle blickten dem weißen Krieger hinterher. Flammenstern und Regenpelz wirkten bestürzt, während die zwei Schwestern nur traurig die Köpfe schüttelten. Glutherz schluckte schwer, seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er wusste, dass er seinen Nicht-Bruder nicht mehr im Lager finden würde, selbst wenn er ihm nun sofort hinterher eilte. Er konnte nur hoffen, dass der aufgebrachte Kater nun nichts tat, was er später bereuen würde.
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