Kapitel 30

Glutherz saß vor der Kinderstube und leckte sich vorsichtig seine Schulter. Über die Nacht waren seine Schmerzen unvermutet zurückgekehrt und nun ließ ihn jede Berührung mit seiner rauen Zunge zusammenzucken. Kurz schloss er die Augen. Er wusste, dass er wohl dringend Rottupf aufsuchen sollte, doch er wollte seinen Posten nun nicht verlassen. Er war zusammen mit Kieselpelz zur Wache über das Lager zurück geblieben, während ein Großteil der restlichen Krieger patrouillierten oder jagten. Würde er nun seinen Platz unter der Weide, die direkt neben dem Eingang des Lagers wuchs, verließ, wäre sein Clan fast vollkommen ungeschützt. Schließlich war die Bedrohung durch die Ratten weiterhin präsent. Der rote Kater war sich sicher, dass sie innerhalb kürzester Zeit wieder angreifen würden. Und dann sollten sie auf keinen Fall überrascht werden.

„Stimmt das, was ich vorhin von Seepelz gehört habe? Haben sich Laubsprenkel und Ahornblatt zerstritten?“, miaute Kieselpelz, der auf der anderen Seite des Eingangs saß. Der junge Krieger, der etwas älter als Glutherz selbst war, beobachtete ihn aufmerksam. Seine klaren, blauen Augen funkelten interessiert, fest auf die Antwort gespannt. Es schien fast so, als würde Kieselpelz sich über diese Nachricht freuen. Glutherz beäugte sein Gegenüber misstrauisch.

„So ähnlich, ja“, murmelte er, woraufhin die Schnurrhaare des kleinen, grauen Katers zufrieden zuckten. Glutherz kniff die Augen zusammen. Was er davon halten sollte, wusste er nicht. Hatte sich da etwa jemand in seine Schwester verguckt? Der rote Krieger schnaubte. Seine Schwester konnte nun sicherlich nicht gleich noch einen Kater brauchen, der ihr am Ende nur das Herz brach.

Kieselpelz, der ziemlich glücklich aussah, schien noch etwas sagen zu wollen, doch Glutherz brachte ihn mit einem einzigen genervten Blick zum Schweigen. Der graue Kater verstand wohl, dass es nicht passend war, sich darüber vor den Augen ihres Bruders zu freuen. Die Krieger schwiegen.

Glutherz, dessen Ohren aufmerksam auf den Lagerausgang gerichtet waren, damit er auch wirklich nicht überhörte, falls sie angegriffen werden würden, ließ seinen Blick durch das Lager schweifen. Zwischen den Wurzeln der knorrigen Eiche spielten Bussardjunges und Diamantenjunges. Ihre hellen Stimmen schallten nicht bis zu dem roten Kater herüber, doch er konnte sich gut vorstellen, dass sie einen der Kämpfe nachahmten, von denen die Ältesten ihnen erzählt hatten. Fischschweif, Gelbfang und Herbstblatt beobachteten die beiden Jungen aufmerksam. Glutherz wunderte sich, wo Blaumond sich befand, schließlich war sie sonst häufig bei den anderen Königinnen.

Suchend blickte er sich um, Forellenpelz und Lahmpelz diskutierten neben dem Ältestenbau, während Düstersturm ein paar Schwanzlängen von seinen Baugefährten entfernt stand zu ihnen zu lauschen schien. Seine blinden Augen waren auf den Eingang des Heilerbaus gerichtet. Er schien etwas zu erwarten, möglicherweise hörte er auch, was dort drinnen gerade geschah, schließlich hieß es, dass blinde Katzen besser hörten als andere. Möglicherweise war Blaumond ja im Heilerbau, fiel es Glutherz auf. Sie besuchte ihre Schwester Rottupf schließlich ziemlich häufig und vielleicht wollte sie auch Polarlicht und Lavendelpfote Gesellschaft leisten.

Plötzlich hörte Glutherz Pfotengetrappel in seiner Nähe. Sofort wandte er seinen Blick von Düstersturm ab, sprang auf und richtete seine Augen auf den Lagereingang. Zweige raschelten und es war nun eindeutig nicht der eisige Wind, der die kahlen Äste erzittern ließ. Kieselpelz stellte sich mit gesträubtem Pelz neben ihn. Die Kater schnupperten misstrauisch. Gleich darauf gaben sie beide ihre kampfbereite Haltung auf. Es waren nur einige ihrer Clangefährten, die vom Training zurückkehrten.

„Und das nächste Mal werde ich bis zu den Wipfeln der Sterneneiche klettern!“, verkündete Glanzpfote, gerade als sie, dicht gefolgt von Dämmerpfote, Rabensturm, Streifenfluss, Morgenpfote, Lilienpfote und Seepelz das Lager betrat. Die grünen Augen der gelbbraun getigerten Schülerin glänzten stolz. Dämmerpfote, die hinter ihrer Wurfgefährtin lief, warf ein: „Aber ist das nicht zu gefährlich? Ich für meinen Teil will viel lieber hier am Boden bleiben. Ich war einmal in der Luft, das hat mir gereicht!“

Die beiden Kätzinnen begannen zu diskutieren, während die anderen beiden Schüler und die Mentoren nur die Köpfe schüttelten. Glutherz leckte sich etwas verlegen das Brustfell. Er hatte seine Clangefährten doch tatsächlich für Ratten gehalten! Er sollte das nächste Mal wohl erst die Luft prüfen, bevor er sich darauf vorbereitete, jeden Moment von einer Horde Ratten überfallen zu werden. Gähend trottete er zurück zu seinem Posten. Seine Schulter schmerzte nun noch deutlich schlimmer als zuvor.

„Glutherz? Weißt du, ob Polarlicht noch im Heilerbau ist?“, miaute plötzlich Rabensturm, der im Eingang stehen geblieben war. Streifenfluss trat neben ihm abwartend von einer Pfote auf die andere. Sofort wurde der rote Krieger daran erinnert, dass Winterschweif und er gestern keine Zeit mehr gehabt hatten um Streifenfluss von Feuersonne und Winterschweif zu erzählen.

„Ja, sie müsste noch dort sein. Seit Sonnenaufgang hat auf jeden Fall keine Katze den Bau verlassen, so viel ist sicher“, antwortete er, woraufhin der schwarze Krieger ernst nickte. Seine grünen Augen richteten sich auf den Eingang zur Heilerlichtung und er trottete ohne ein weiteres Wort davon.

Glutherz blickte dem schon etwas älteren Kater hinterher. Seine Sorge um die weiße Kriegerin war fast spürbar und allein schon an dem hängenden Kopf von Rabensturm zu erkennen. „Er liebt sie“, miaute auf einmal Streifenfluss dicht neben Glutherz' Ohr. Dieser hatte gar nicht bemerkt, dass sein Freund näher gekommen war. Er warf dem getigerten Kater einen langen Blick zu und seufzte zustimmend. „Ich kann mich nicht an seine erste Gefährtin erinnern, aber ich glaube, Polarlicht und er sind für einander bestimmt“, antwortete er, woraufhin Streifenfluss belustigt schnurrte. „Wundert mich nicht, dass du dich nicht an Rehfarn erinnerst. Damals in der Scheune ist so viel wichtiges geschehen und du weißt nichts mehr von alledem. Dabei wäre die Gründung eines Clans sehr erinnerungswürdig!“

Kopfschüttelnd versuchte Glutherz sich an irgendetwas aus der Zeit, in der er erst zwei oder drei Monde alt gewesen war zu erinnern. Doch da war nichts. Erst später, als er etwa vier Monde alt war und mit seinen Wurfgeschwistern vor einer Scheune spielte, konnte er einen Gedanken fassen. Es war seltsam, als würde irgendetwas tief in ihm nicht wollen, dass er sich daran erinnerte.

„Jetzt wo wir vom Training zurück sind, kannst du deine Wache doch beenden, oder? Es sind nun genug Krieger hier, die das Lager beschützen. Lass uns Winterschweif suchen und jagen gehen. Und dann könnt ihr mir endlich von eurem großen Geheimnis erzählen!“, miaute Streifenfluss. Seine Neugierde war fast greifbar. Sie spannten ihn wirklich schon zu lange auf die Folter.

„In Ordnung, ich würde davor aber gerne noch schauen, wo Blaumond ist. Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen“, antwortete der dunkelrote Kater, woraufhin sein Freund nickte. „Ich komme mit“, erklärte Streifenfluss überraschend. Auch wenn Glutherz das nicht so ganz nachvollziehen konnte, lief er, gefolgt von seinem Clangefährten, zur Kinderstube. Das nasse, abgestorbene Laub raschelte bei jedem ihrer Schritte. Es begann schon wieder leicht zu nieseln, der Regen, der seit dem letzten Sonnenhoch auf die Erde gefallen war, schien noch nicht vorüber zu sein. Glutherz schnaubte angeekelt. Er mochte Wasser eigentlich schon und war auch froh über Regen, der der Natur unglaublich gut tat, doch die ständigen Ergüsse während des Blattfalls nervte ihn. Haufenweise nasses Laub, das an seinen Pfoten hängen blieb und feuchte Erde, die sich zwischen seinen Krallen und in seinem Fell festsetzte. Das war wirklich nicht seine liebste Jahreszeit. Außerdem wurde die Beute auch immer knapper. Und das bei bald fünf säugenden Königinnen!

„Glutherz! Suchst du Blaumond? Sie ist zusammen mit Ahornblatt hinter der Kinderstube. Die beiden unterhalten sich dort schon seit kurz nach Sonnenaufgang“, jaulte Herbstblatt durch das halbe Lager. Glutherz blinzelte überraschend. „Danke!“, jaulte er zurück. Zum Glück hatte er nicht vorgehabt seine Gefährtin zu überraschen, denn dies wäre bei der Lautstärke nun sicherlich unmöglich gewesen. Jede Katze vom Lager bis zum Baumgesiebt musste sie gehört haben.

Glutherz und Streifenfluss trotteten gerade am Schülerbau vorbei, als Ahornblatt hinter der Kinderstube hervorgesprungen kam. Die junge Kriegerin blickte sich kurz auf der Lichtung um, bis ihr blauer Blick an den beiden Katern hängen blieb. Glutherz blinzelte überrascht. Was war denn mit seiner Schwester geschehen? Die Trauer und Wut des vergangenen Tages war vollkommen verschwunden. Sie schnurrte glücklich, als sie auf die Krieger zu trottete. Es war keine Spur von Schmerz mehr in ihren Augen zu sehen, sie wirkte zufrieden, als wäre nie etwas vorgefallen. Da sie gestern recht lange im Heilerbau gewesen war, hatte Glutherz sie, seit sie nicht mit auf Patrouille gegangen war, nicht mehr gesehen. Wie hatte sich ihr Gemütszustand nur so schnell ändern können?

„Ich halte das noch immer für keine gute Idee!“, miaute Blaumond, die gleich nach der hellorangenen Kätzin die Lichtung betrat. Ihr angeschwollener Bauch schien es ihr deutlich schwer zu machen, Ahornblatt zu folgen, als diese auf die beiden Kater zulief. Den Protest der blaugrauen Kätzin ignorierte sie vollkommen.

Streifenfluss und Glutherz tauschten einen verwirrten Blick. Auch der hellbraun getigerte Kater schien ehrlich verwirrt zu sein.

„Streifenfluss! Glutherz! Was habt ihr vor? Wollen wir jagen gehen?“, miaute Ahornblatt, ihre blauen Augen funkelten erwartungsvoll. Glutherz stutzte. Er musste sich wohl verhört haben. Gestern war seine Schwester doch kaum mehr als ein Häufchen Elend! Und jetzt wollte sie jagen gehen, als wäre alles wie immer?

Blaumond schnaubte und trottete um ihre Freundin herum, die vor Streifenfluss stehen geblieben war und ihm einen unbeschwerten, fröhlichen Blick zuwarf. Glutherz glaubte, dass seine Augen ihm einen Streich spielten, als seine Schwester dem hellbraunen Krieger dann über die Wange leckte. Auch dieser starrte Ahornblatt etwas perplex an und murmelte: „Glutherz und ich wollten mit Winterschweif jagen gehen. Du kannst ja mitkommen, wenn du willst!“ Was in SternenClans Namen geht hier vor sich, fragte Glutherz sich. Und wieso stimmte Streifenfluss auch noch zu? Wenn Ahornblatt dabei war, würde er doch nicht von Feuersonne erfahren, dabei war er bisher so gespannt gewesen!

Glutherz warf Blaumond einen prüfenden Blick zu. Seine Gefährtin musste etwas mit Ahornblatts seltsamen Verhalten zu tun haben, da war er sich sicher. Diese schüttelte nur entschuldigend den Kopf, beugte sich zu ihm und miaute: „Sehr lange Geschichte. Sagen wir einfach, sie ist über Laubsprenkel hinweg.“ Der rote Kater runzelte ungläubig die Stirn. Nachdem Ahornblatt so am Boden zerstört gewesen war, konnte sie nun unmöglich über Laubsprenkels Verrat hinweg sein. So viel war wohl klar.

Blaumond seufzte erschöpft. Träge setzte sie sich. Sofort war Glutherz an ihrer Seite, er leckte ihr aufmunternd über den Kopf. „Du solltest mehr schlafen. Du bist ja vollkommen erschöpft!“, miaute er mit einem tadelnden Unterton, der von der Sorge um seine geliebte Gefährtin herrührte. Diese nickte nur, ohne zu protestieren. Es war wohl auch ihr klar, dass er recht hatte. Gähnend schmiegte sie ihren Kopf an seine Brust. „Weniger als ein Halbmond dann ist es so weit“, schnurrte sie und Glutherz nickte. Er schnurrte ebenfalls. Seine Jungen würden großartig sein, da war er sich sicher. Und hübsch, schließlich war Blaumond ihre Mutter.

„Weißt du, ich habe mir gestern Abend, als ich mich mit Rottupf über unsere Mutter unterhalten habe, etwas überlegt. Ich würde eines der Jungen gerne nach ihr benennen. Frostjunges. Was hältst du davon?“, murmelte die blaugraue Königin. Glutherz musste kaum mehr als einen Herzschlag nachdenken, bevor er sich sicher war. Das war der perfekte Name. „Das ist eine wundervolle Idee!“, schnurrte er aus voller Kehle. Er leckte ihr die Wange, gerade als Streifenfluss zu den beiden trat.

„Können wir? Es wird bald wieder regnen und dann verkriecht sich die ganze Beute in ihren Bauen!“, miaute der hellbraun getigerte Kater. Ahornblatt trat neben ihn, so dicht, dass sich die Pelze der beiden berührten. Streifenfluss schien das nicht zu stören, aber Glutherz wusste beim besten Willen nicht, was er davon halten sollte.

„Gut, lasst uns Winterschweif suchen!“, verkündete Ahornblatt. Für ihre unnatürliche Fröhlichkeit erntete sie einen misstrauischen Blick von ihrem Bruder, was sie anscheinend aber noch nicht einmal bemerkte.

Apropos Winterschweif... wo war der eigentlich? Glutherz drehte sich von den anderen Katzen weg und ließ seinen Blick über die Lichtung schweifen. Inzwischen war eine der Patrouillen zu Sonnenaufgang wieder zurückgekehrt, doch der weiße Kater war nirgends zu sehen. Dabei war er ziemlich sicher bei Staubwolke, Wasserwirbel, Felsbart und Fliederpfote dabei gewesen! Glutherz schnaubte. Er wusste, was das bedeutete.

„Nun gut, lasst uns aufbrechen. Wir treffen Winterschweif im Wald“, miaute er einen genervten Unterton unterdrückend. Wie konnte Winterschweif nur so mäusehirnig sein und sich schon wieder mit Feuersonne treffen!

„Ähm... in Ordnung“, antwortete Streifenfluss durch argwöhnisch zusammengekniffene Augen. Ihm schien klar zu sein, dass dies etwas mit dem auf sich hatte, was Glutherz und Winterschweif bisher vor ihm verschwiegen hatten.

„Also bis später“, raunte Glutherz Blaumond zu, die nun etwas fehl am Platz neben den drei Kriegern stand. Die Kätzin warf ihm einen liebevollen Blick zu, bevor sie mit einem allgemein verabschiedenden Nicken zur Kinderstube trottete.

Ohne ein Wort an seine Streifenfluss und Ahornblatt lief Glutherz also auf den Lagerausgang zu. Seine Schulter macht ihm weiterhin Probleme, doch es gab nun bei weitem wichtigeres, als seine Schmerzen behandeln zu lassen.

Winterschweif war so auffällig verschwunden, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis irgendwer erkennen würde, dass dies nicht das erste Mal war. Vor zwei Tagen hatte noch niemand wirklich Fragen gestellt, schließlich war gleich darauf Bienenfells Nachtwache gewesen. Jetzt aber würde es keine Ausflüchte dieser Art mehr geben. Er brauchte, wenn es schon sein musste, immerhin eine anständige Ausrede. Niemand würde glauben, dass er einfach im Wald eingeschlafen war oder dergleichen.

„Wo treffen wir Winterschweif?“, miaute Ahornblatt, gerade als die drei Krieger zwischen den Holunder und Heidelbeersträuchern des Lagereingangs hindurch trotteten. Die Weidenzweige strichen an ihren Köpfen entlang. Glutherz schluckte. Er hatte keine Ahnung, wo Winterschweif sein würde. Der wahrscheinlichste Ort wäre wohl das Baumgesiebt. Oder irgendeine andere Stelle in der Nähe des Donnerwegs, der WolkenClan und FeuerClan voneinander trennte. „Ist eine Überraschung“, nuschelte er deshalb.

Die Pfoten der drei Katzen donnerten über den feuchten Waldboden. Unterwegs erlegte Streifenfluss eine Wühlmaus, was ihm anerkennende Blicke von Ahornblatt einbrachte. Als Glutherz eine Eichhörnchen erwischte, schien es seine Schwester jedoch herzlich wenig zu interessieren. Der rote Kater verstand nicht, was mit seiner Wurfgefährtin geschehen war. Es war gruslig, wie sehr sie an jedem Wort hing, das aus Streifenfluss' Maul kam.

Der Nieselregen verstärkte sich zunehmend, die Tropfen wurden immer größer. Der eisige Wind peitschte ihnen das Wasser entgegen, Blätter wurden ihnen ins Gesicht geweht. Wären die anderen beiden nicht fest davon überzeugt gewesen, dass sie mit Winterschweif verabredet waren, so hätten sie wohl schon lange umgedreht. Überraschenderweise nörgelte Ahornblatt nicht einmal.

Als sie das Baumgesiebt erreichten, wusste Glutherz noch immer nicht, wo er als erstes suchen sollte. Und außerdem hatte er keine Ahnung, wie er Ahornblatt loswerden sollte. Eigentlich war sie nämlich keinesfalls Teilnehmerin in ihrem Plan Streifenfluss einzuweihen gewesen. Unglücklicherweise wurde es Glutherz abgenommen, sich weiter Gedanken darüber zu machen. Denn als die drei Katzen den nicht übermäßig steilen Rand des Baumgesiebts erreichten, entdeckten sie zwei Gestalten, die sich schnurrend im peitschenden Regen durch die Senke jagten. Alle drei Katzen blieben wie angewurzelt stehen.

„Und dieses Mal war ich schneller als du!“, jauchzte Winterschweif, als dieser schwer atmend direkt neben der Felswand, auf der die Anführerinnen bei großen Versammlungen standen, zum stehen kam. Feuersonne erreichte die Stelle einen Herzschlag später, sie verpasste dem weißen Kater einen spielerischen Klaps.

„Was... ?“, miaute Ahornblatt, die sich als erste aus ihrer Starre löste. Streifenfluss' Augen waren ungläubig geweitet. Das Unwetter um sie herum schien vergessen. „Winterschweif und eine WolkenClan-Kätzin?“, hauchte der hellbraune Kater nach einer Weile. Glutherz schluckte, dann nickte er. „Ist... ist das das was ihr mir sagen wolltet?“, stotterte der Krieger, woraufhin Glutherz ein weiteres Mal nickte.

„Dieser mäusehirnige Fellball“, murmelte Ahornblatt kopfschüttelnd. Der Unglauben war ihr im Gesicht abzulesen. „Das hat er auch vor zwei Tagen getan, als wir ihn gefunden haben, oder? Sich mit ihr getroffen“, miaute sie, ohne eine Antwort zu benötigen.

Gerade als Glutherz trotzdem zu einer Antwort ansetzen wollte, erschallte plötzlich Winterschweifs vollkommen überrumpelte Stimme. „Streifenfluss? Ahornblatt? Was macht ihr hier?“ Erst danach entdeckte er seinen Bruder, weshalb es dann auch keine Erwiderung mehr bedurfte. Feuersonne, die genauso überrascht war wie ihr Gefährte – falls er das war, so ganz war sich Glutherz da noch nicht sicher – versteckte sich halb hinter dem weißen Kater.

Langsam näherte sich dieser seinen Clangefährten, auch Feuersonne folgte ihm kurz darauf. Winterschweif wirkte fast beschämt, als er in Streifenfluss vorwurfsvolle Augen blickte.

„Du... du triffst dich mit einer WolkenClan-Katze! Ich glaube es einfach nicht!“, fauchte er außer sich. Betroffen von Streifenfluss' harscher Reaktion, wich Winterschweif zurück. Er wirkte in diesem Augenblick sehr verletzlich, als würde ihn nur ein weiterer Vorwurf zu Fall bringen. Glutherz schluckte. Er wollte Winterschweif helfen, doch es war ihm klar, dass das Winterschweifs eigener Kampf war.

„Du verstehst das nicht! Ich liebe sie!“, entgegnete der weiße Krieger. Verzweiflung lag in seiner Stimme. Feuersonne sprach kein Wort, starrte nur gebannt auf die Katzen. Zeitgleich trat Ahornblatt einen Schritt nach vorne starrte ihren Wurfgefährten einen Augenblick an und miaute dann: „Liebe kann schrecklich sein, nicht wahr? Sie fällt so oft auf die falschen Katzen...“ Ihre Stimme brach. Dann wirbelte sie herum und rannte davon. Äste brachen, als sie das Baumgesiebt blindlings verließ.

Keiner folgte ihr. Streifenfluss und Winterschweif mussten sich erst ausdiskutieren, Feuersonne war sowieso nicht in der Position etwas anderes zu tun, als zur Zierde neben den Kriegern zu stehen und Glutherz selbst musste bei seinen Freunden blieben. Streifenfluss war meist ein recht verständnisvoller Kater, doch in diesem Moment schien er das vergessen zu haben. Anklagend starrte er den weißen Krieger an.

Der Regen durchweichte die Pelze der Katzen, eine ganze Weile starrten sie sich einfach nur an. Die sieben Eichen, die sie umgaben, ragten drohend über ihnen auf. Der Himmel war, dafür dass es erst kurz nach Sonnenhoch war, sehr dunkel. Die Regenwolken schlossen die Sonne vollkommen aus.

„Ich... ich lasse euch alleine“, murmelte Feuersonne irgendwann. Die Kater beachteten sie nicht. Selbst Winterschweif schien zu gefangen in dem Konflikt, bei dem keiner der Krieger sprach. So zog die WolkenClan-Kätzin also von dannen, ohne auch nur wahrgenommen zu werden. Das Anstarrduell nahm ungeahnte Ausmaße an. Es schien Glutherz, als würden Blattwechseln an ihnen vorbeiziehen, während keiner der beiden seinen Blick senken wollte. Schließlich brach Glutherz selbst die tosende Stille.

„Wie wäre es, wenn ihr miteinander redet?“

Es folgte Schweigen sowie einvernehmliches Anstarren.

Zuletzt, als Glutherz schon nicht mehr daran glaubte, meldete sich Winterschweif dann doch zu Wort: „Ich weiß, wie viele Probleme das mit sich bringt. Aber ich... sie... wir. Ja, wir. Wir lieben uns.“ Streifenfluss nickte. Er atmete aus, es wirkte fast, als hätte er die ganze Zeit über die Luft angehalten, wobei dies wohl kaum möglich war. „Ich werde dir nicht von Graustreif und Silberfluss erzählen müssen, schätze ich mal“, murmelte er und seufzte. Alle drei waren sie bis auf die Knochen durchnässt.

„Lasst uns ins Lager zurückkehren und auf dem Weg darüber sprechen, in Ordnung?“, schlug Glutherz vor. Seine Schulter schmerzte kaum noch, das eisige Regenwasser kühlte die Wunde. Er fror, zitterte. Sein dichtes, rotes Fell klebte ihm am Körper.

Seine Freunde nickten müde. Die Diskussion – oder eher das Anstarren - schien beendet, auch wenn keiner von beiden wirklich zufrieden aussah.

Zitternd trotteten die drei Freunde nebeneinander den Hang hinauf und verließen das Baumgesiebt. Der Regen erschwerte ihnen den Weg, alles war rutschig. Schlamm verklebte ihr Fell und spritzte mit jedem Schritt höher. Noch bevor sie die Senke mit den sieben Eichen verlassen hatten, waren sie über und über mit Schlamm bedeckt. Glutherz hatte einmal gehört, dass Katzen vom Stamm des eilenden Wassers sich so tarnten. Die Vorstellung war einfach ekelhaft.

„Das Missachten vom Gesetz der Krieger scheint wohl wirklich in der Familie zu liegen“, miaute urplötzlich eine Stimme aus einem Schatten heraus. Wie angewurzelt blieben die drei Kater stehen. Zeitgleich wanderten ihre Blicke zu einer der Eichen, aus deren Schatten heraus sie grüne Augen an funkelten. Es war Rabensturm!

„Das... ist nicht, wonach es aussieht?“, stotterte Winterschweif, seine Stimme schlug am Ende wie nach einer Frage nach oben. Rabensturm schüttelte nur seinen Kopf. Er seufzte resigniert. „Das gab es doch alles schon. Wieso lernt ihr nur nicht aus der Geschichte?“

Glutherz schluckte. Nun war es also geschehen. Rabensturm würde es nicht für sich behalten, so viel war klar. Winterschweif und Feuersonne. Die beiden waren kein Geheimnis mehr.

„Wie kannst du das der armen Flammenstern nur antun?“, war das letzte, was Rabensturm miaute, bevor er in Richtung des Lagers davontrottete.

Winterschweif, Streifenfluss und Glutherz tauschten einen Blick. Verzweiflung, Unsicherheit, Bedauern mischten sich. Sie waren alle drei alles andere als erfreut über diese Wendung, so viel war klar.

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