Kapitel 24
„Bist du vollkommen mäusehirnig?“, fauchte Glutherz seinen Bruder an. Der schneeweiße Kater stand ihm gegenüber mitten zwischen den sieben riesigen Eichen in der Senke des Baumgesiebts. Feuersonne war ein paar Herzschläge, bevor Glutherz bei den beiden angekommen war, in Richtung ihres eigenen Territoriums verschwunden. Zuvor hatte Winterschweif der Kätzin etwas zugeflüstert, als er erkannt hatte, dass sein Bruder auf dem Weg zu ihm war.
Winterschweif hob nun trotzig seinen Kopf, seine hellblauen Augen funkelten herausfordernd. Das lange weiße Fell stand wirr in alle Richtungen ab, als hätte er es seit Monden nicht gepflegt. Glutherz schüttelte nur fassungslos den Kopf.
„Was denkst du dir dabei?“, miaute er ohne jedes Verständnis. Wie konnte sein Bruder sich mit einer WolkenClan-Kätzin einlassen? Hatte er den überhaupt nichts aus der Geschichte von Graustreif und Silberfluss gelernt?
„Du hast Blaumond und ich habe Feuersonne. Wo ist das Problem?“, miaute Winterschweif daraufhin schulterzuckend. Wind umwehte die jungen Krieger und zerzauste ihre ohnehin schon wirren Pelze. Die kahlen Bäume, die die Senke umgaben, knarrten im Wind. Glutherz schnaubte.
„Wo das Problem ist? Sie ist aus dem WolkenClan, falls es dir noch nicht aufgefallen ist!“, knurrte Glutherz außer sich. Wie konnte sein Wurfgefährte nur so stur und eigensinnig sein? Sein Verhältnis zu Feuersonne würde nur Probleme bringen!
Winterschweif blickte einen Moment auf seine Pfoten, dann hob er den Blick zu seinem Bruder. Das blau wirkte eisig, als der schneeweiße Kater fauchte: „Du versuchst überhaupt nicht mich zu verstehen! Was wäre, wenn Blaumond einem anderen Clan angehören würde? Würde dich das von ihr fern halten?“
Glutherz stutzte, die vorwurfsvollen Worte, die er sich bereits zurechtgelegt hatte, blieben ihm in der plötzlich staubtrockenen Kehle stecken. „Ja... Nein“, krächzte er unentschlossen. Er hatte nie darüber nachgedacht, schließlich musste er das auch nicht. Blaumond war schon immer seine Clangefährtin gewesen.
„Siehst du“, miaute Winterschweif trotzig. Glutherz kratzte sich unsicher mit der Pfote am Ohr. Der weiße Kater hatte Recht! Nichts würde ihn von Blaumond fern halten können... und wenn sein Bruder dasselbe für Feuersonne fühlte, dann konnte Glutherz ihm kaum wütend sein. Auch wenn es mehr als mäusehirnig von ihm war. Hatte der FeuerClan nicht genug tolle Kätzinnen? War keine von ihnen gut genug für den weißen Krieger? Außerdem: Sie waren noch so jung! Musste er sich denn schon jetzt eine Gefährtin suchen? War am Ende wohlmöglich sogar Glutherz selbst schuld, weil seine Gefährtin bald Junge werfen würde? Hatte Winterschweif deshalb gedacht, er müsste sich schon eine Gefährtin suchen? Schwachsinn, unterbrach er sich selbst in seinen Gedanken. Wenn Winterschweif seine Worte ernst meinte, dann wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Feuersonne und er ein Paar geworden wären. Nun war es sowieso schon geschehen, wie es aussah.
„Bist du dir sicher?“, miaute Glutherz unsicher. Noch hatte er die Hoffnung, dass sein Bruder es sich anders überlegen würde. Vielleicht war Feuersonne nur eine Freundin. Oder das ganze war ein äußerst schlechter Scherz. Doch irgendetwas sagte ihm, dass er sich irrte. Winterschweif würde sich wohl kaum mit Feuersonne treffen, wenn er es nicht ehr als ernst meinen würde.
„Ich liebe sie“, war Winterschweifs ehrliche Antwort und seine hellblauen Augen funkelten bei den Worten. Der weiße Kater schnurrte stolz, er plusterte sein Brustfell auf. Glutherz betrachtete seinen Bruder mit schiefgelegtem Kopf. Wie lange Winterschweif Feuersonne wohl schon heimlich traf? Wie lang er seinen Clan schon belog? Er wollte es gar nicht so genau wissen. Wahrscheinlich war er seit Monden mit den Gedanken bei der jungen Kriegerin gewesen.
„Und wie stellst du dir eure Zukunft vor? Willst du sie für den Rest deines Lebens heimlich treffen? Und soll ich so lange jede Katze über deinen Aufenthalt anlügen?“, miaute Glutherz ohne jeden Vorwurf. Das mit den Vorwürfen würde bei Winterschweif wohl nicht helfen. Außerdem… sie waren Brüder und beste Freunde. Er musste zumindest versuchen ihm zu helfen und ihn zu verstehen. Auch wenn das in Anbetracht der Lage nicht einfach war.
„Ähm… so weit habe ich noch nicht gedacht“, stotterte Winterschweif und blickte betreten auf seine Pfoten. Glutherz rollte die Augen. Typisch! Jede normale Katze hätte zumindest einen Plan, wie sie das Geheimnis als solches wahren sollte. Aber Winterschweif war wohl nicht normal.
„Haben Feuersonne und du nie darüber geredet?“, seufzte er. Nachdenklich ließ er seinen Blick über das Baumgesiebt schweifen. Die Bäume bogen sich im Wind, der langsam immer stärker wurde. Es würde nicht mehr allzu lang dauern, bis eine der anderen Katzen, die an der Patrouille teilnahm, sie entdecken würde. Und bis dahin brauchte Winterschweif eine Ausrede, die mehr als stichhaltig war.
„Nein. Ja. Wir wissen beide, dass wir unseren Clan nie verraten wollen“, antwortete der weiße Kater. Seinen buschigen Schweif zog er dicht an seinen Körper, als er sich hinsetzte. Laub knisterte bei jeder seiner Bewegungen. Der rote Kater tat es seinem Bruder gleich und setzte sich ebenfalls. Dies würde eine längere Diskussion werden, da war er sich sicher.
„Das tut ihr aber bereits“, stellte er trocken fest. Weiterhin gab er sich größte Mühe, seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. Winterschweif riss die Augen auf, er schien nicht wirklich zu verstehen. Gerade, als er zu verwirrtem Protest ansetzen wollte, begann Glutherz zu erklären: „Es ist wahr. Ihr beide verratet euren Clan, indem ihr euch trefft. Im Gesetz der Krieger heißt es, dass man sich mit Katzen aus anderen Clans anfreunden darf, die Loyalität aber stets dem eigenen Clan gehört.“
Winterschweif atmete tief ein. Die Sonne über ihnen verschwand langsam hinter den riesigen Eichen und es wurden lange Schatten auf sie geworfen. Langsam wurde es kälter, sodass beide Kater erschauderten.
„Wenn das so ist, ist es mir egal. Manchmal sind Gesetze dazu da, um gebrochen zu werden. Wie wäre es, wenn wir ab sofort versuchen alle zu brechen?“, miaute der Kater heiter und Glutherz war sich nicht sicher, ob die letzten Worte als Scherz gemeint waren oder er es ernst meinte. Glücklicherweise ruderte Winterschweif gleich darauf zurück, als ihm das Ausmaß seiner Worte bewusst wurde: „Also, ich meine jetzt nicht, dass wir eine Katze töten sollen oder so etwas.“ Glutherz runzelte nur die Stirn. Er fragte sich, ob Winterschweif Hummeln im Hirn hatte, sprach dies aber nicht aus. Es gab wichtigeres zu besprechen.
„Zurück zur Zukunft“, miaute der dunkelrote Kater. Ihm war bewusst, dass er gerade eigentlich jagen sollte. Sein Clan hatte Hunger, aber Winterschweifs Problem war nun auch sein Problem. Was sollte er erzählen, wenn ihn in nächster Zeit jemand nach dem Aufenthalt seines Bruders befragte? Lügen? Sich jedes Mal eine neue kuriose Ausrede überreden?
„Warum soll ich weiter über die Zukunft nachdenken? Es ist an der Zeit im hier und jetzt zu leben!“, miaute Winterschweif voller Überzeugung. Mit Gedanken schien er bereits bei seiner Feuersonne zu sein, denn ein seliges Schnurren erschallte aus seiner Kehle. Glutherz knurrte.
„Denk doch endlich nach! Von mir aus, du liebst diese Kätzin, aber du kannst doch nicht einfach annehmen, dass das auf ewig gut geht!“, fauchte er und vorüber war es mit seinem Vorsatz, seinem Bruder keine Vorwürfe zu machen. Eine WolkenClan-Kriegerin! Dieser Fellball hatte doch mehr Flöhe im Kopf, als Forellenpelz in ihrem Fell!
Winterschweif drehte Glutherz den Rücken zu, sodass er nun der untergehenden Sonne entgegenblickte. Der dunkelrote Krieger atmete laut aus und betrachtete kurz seine Schulter, die wieder zu brennen begann. Die Spinnenweben, die auf seiner Wunde gelegen hatten, mussten beim Laufen durch den Wald hinuntergefallen sein.
„Was willst du dem Clan erzählen, wo du heute warst?“, miaute er nach längerem Schweigen. Der Geruch nach WolkenClan hing noch stark an Winterschweifs Pelz, das roch er auch gegen den Wind. Als Winterschweif nur die Schultern zuckte, sprang er auf, lief um seinen eigensinnigen Freund herum und stellte sich ihm gegenüber, sodass sich die beiden Kater in die Augen blickten. Ihre Gesichter waren kaum mehr als eine Schwanzlänge voneinander entfernt. Das trockene Laub unter ihren Pfoten knisterte bei jeder Bewegung.
Die beiden jungen Kater starrten sich an, keiner von beiden zuckte auch nur mit einem Schnurrhaar. Sie blickten sich einfach nur an, regten sich nicht. Keiner von beiden gab einen Laut von sich. Irgendwo auf einem Baum zeterte ein Eichhörnchen, eine Krähe flog krächzend über ihnen hinweg. Laub wurde vom Wind aufgewirbelt, segelte durch die Luft und sank nach einigen Schwanzlängen wieder zu Boden. Der Himmel über ihnen färbte sich rötlich.
Endlich löste sich Winterschweif von dem durchdringenden Blick seines Wurfgefährten. Glutherz zuckte triumphierend mit den Schnurrhaaren. Bemüht gelassen miaute er: „Erinnerst du dich an die Geschichte von Graustreif und Silberfluss? Rabensturm hat sie uns erzählt, als wir etwa drei Monde alt waren. Feuerstern musste oft für seinen Freund lügen, aber irgendwann kam es trotzdem ans Licht...“ Als Winterschweif genervt mit dem Schweif über den Boden fuhr, wobei ganze Massen an Laub aufgewirbelt wurden, unterbrach dieser den roten Kater.
„Sei doch froh! Du wolltest doch früher immer wie Feuerstern sein, jetzt bist du schon ziemlich nah dran. Ich würde wetten, dass du sogar schon deine eigene Prophezeiung vom SternenClan bekommen hast“, war Winterschweifs lustig gemeinte Antwort. Der weiße Krieger schien ihr Gespräch anscheinend nicht sonderlich ernst zu nehmen. Wenn er wüsste, das er richtig lag, würde er wohl nicht mehr so ausgelassen wirken. Besonders, wenn er um den Inhalt der Prophezeiung wüsste.
„Ich glaube dir keine Wort, Laubsprenkel! Du siehst aus, als wäre dir dein Herz aus dem Leib gerissen worden, als wärst du nichts weiter mehr als eine leere Hülle deiner selbst. Also sag mir einfach nur die Wahrheit!“, fauchte plötzlich Ahornblatt über ihren Köpfen. Überrascht blickten Glutherz und Winterschweif auf, hinüber zur Klippe, die eine Seite des Baumgesiebst begrenzte und von wo aus die Anführer bei Großen Versammlungen zu den Clans sprachen. Dort oben stand nun die hellorangene Kriegerin, ihr gegenüber befand sich ein eingeschüchtert wirkender Laubsprenkel. Durch den Wind, wurde jedes der Worte zu dein zwei Katern hinab getragen.
Winterschweif runzelte verwirrt die Stirn, worauf Glutherz miaute: „Bienenfell ist tot.“ Für einen Moment weiteten sich die Augen des Katers, erst vor Unglauben, dann traurig.
„Sie war meine Freundin! Ich habe sie geliebt wie eine Schwester. Aber auch nicht mehr“, wollte der hellbraun getigerte Kater sich rechtfertigen. Ahornblatt, die im roten Abendlicht wie ein Feuerbrand wirkte, der auf der Klippe tobte, schnaubte nur. Ihre blau gesprenkelten Augen funkelten, sie schienen zu glühen vor Wut.
„So siehst du aber nicht aus“, antwortete Ahornblatt spitz, sie wirbelte herum und wollte davon stürmen, als ihr Blick in die Senke uns somit auf ihre Brüder fiel. Zögernd hielt sie Inne, dann rannte sie los, jedoch nicht in den Wald, sondern direkt auf die beiden Kater zu.
Winterschweif und Glutherz tauschten einen verlegenen Blick. Ihnen war klar, dass sie das Gespräch der beiden nicht hätten belauschen sollen, auch wenn ihnen relativ wenig andere Möglichkeiten geblieben waren.
Als das Haselgebüsch unweit von ihnen entfernt bereits bebte, raunte Glutherz seinem Bruder zu: „Du bist auf der Jagd gewesen und hier eingeschlafen.“ Dummerweise war dem roten Kater auf die Schnelle keine bessere Ausrede eingefallen. In diesem Moment brach die hellorangene Kriegerin durch die Haselzweige hindurch. Die junge Kätzin wirkte müde und niedergeschlagen. Das kriegerische Funkeln ihrer Augen war erloschen. Sie atmete schwer.
Schnaufend kam sie ihren Brüdern gegenüber zum stehen. Ihre Ohren waren angelegt, ihr Pelz gesträubt. Ihre Krallen blitzten im roten Licht des Sonnenuntergans auf. Laubsprenkel, der noch immer auf der Klippe stand, wurde von ihr keines Blickes gewürdigt.
„Wo bei SternenClans Namen warst du?“, fauchte sie fuchsteufelswild, sprang auf Winterschweif zu und vergrub, sehr zu Glutherz' und auch Winterschweifs erstaunen, ihre Schnauze in seinem weichen, weißen Pelz. Erst jetzt bemerkten die Kater, dass ihre Schwester am ganzen Leib zitterte. Sie tauschten unschlüssige Blicke. Noch nie hatten sie ihre Wurfgefährtin so verwundbar, ja gar zerbrechlich erlebt. Schon seit langem war sie eine mutige, aufrichtige Kriegerin, deren Zunge schärfer war, als die Dornen einer Rose. Keiner von beiden hätte erwartet, dass Ahornblatt etwas so aus der Bahn werfen könnte.
Glutherz trat zu seiner Schwester und legte ihr tröstend den Schwanz auf die Schultern. So verweilten die drei Katzen eine Weile ohne etwas zu sagen. Winterschweif hatte seinen Blick gehoben und starrte mit wütend funkelnden Augen zu Laubsprenkel, der unbehaglich noch immer an der Klippe stand. Glutherz tat es ihm gleich, woraufhin der getigerte Kater erst zurückwich und dann aus ihrem Sichtfeld verschwand. Seine blattgrünen Augen glänzten niedergeschlagen.
„Alles wird wieder gut“, miaute Glutherz nach einer Weile. Er war sich nicht sicher, an wen seiner beiden Geschwister diese Worte gerichtet waren. Wahrscheinlich beide. Einvernehmlich seufzten die drei. Sie konnten nicht wirklich daran glauben. Sie hatten alle ihre ganz eigenen Probleme, die einen schlimmer als die anderen. Doch in diesem Moment fühlten sie sich nicht alleine. Ihnen wurde klar, dass sie, egal was geschehen würde, immer noch ihre Familie haben würden.
Oder auch nicht. Denn in diesem Augenblick erinnerte sich Glutherz an die Prophezeiung. … und er muss sein Blut in den Tode wiegen.
„Lasst uns den Rest eurer Ptarouille suchen und ins Lager zurückkehren“, brummte Winterschweif. Tröstend leckte er seine Schwester zwischen den Ohren. Glutherz stupste sie aufmunternd an. Die Prophezeiung musste sich nicht erfüllen. Da war er sich sicher. Er durfte einfach keinen Fehlschlag zulassen, dann würde alles gut werden.
...und Igel können fliegen.
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