Kapitel 20

Mit wildem Gejaule warfen sich die beiden jungen Kater in die Masse an schwarzen Körpern und begruben gleich mehrere von ihnen unter sich. Knochen barsten unter ihrem Gewicht. Streifenfluss knurrte drohend und holte nach einer der dunklen Kreaturen aus. Fauchend tat Glutherz es seinem Freund gleich, seine ausgefahrenen Krallen gruben sich in den Hals eines Gegners. Blut spritzte. Ersticktes Röcheln, schrilles Quieken um ihn herum. Eine riesige Ratte mit einer blutverschmierten Schnauze kam auf Glutherz zu. Sofort hob er den Blick und schaute sich suchend nach Apfelteich um. War ihr etwas zugestoßen? Nein, sie rollte etwa zwei Schwanzlängen von den Kriegern entfernt über die Lichtung, während sie versuchte eines der Ungetümer abzuschütteln, dass sich an ihrer Hinterpfote festgebissen hatte. Erleichtert wandte sich Glutherz wieder seinem Gegner zu. Das Tier befand sich nun direkt vor ihm und der rote Kater konnte ihm direkt in die schwarzen Augen blicken. Augen, die schwärzer als die dunkelste Nacht wirkten. Falls Ratten so etwas besaßen, hatte Glutherz ihm direkt in die dunkle Seele geblickt. Doch der dunkelrote Kater war sich fast sicher, das diese Monster keine Seele, keinen Verstand hatten. Sie waren so wie die Zweibeinermonster. Sie stanken, waren gefährlich, wenn nicht gar tödlich, und kannten kein Erbarmen.

Knurrend schlug Glutherz nach der Ratte, die ihn nur ununterbrochen anstarrte. Fauchend duckte sich das Ungetüm unter seinen Krallen hinweg. Wut flackerte in den nachtschwarzen Augen. Dem Krieger lief ein eiskalter Schauder den Rücken hinunter. Er gab es nicht gerne zu, aber diese Ratte machte ihm Angst. Sie war anders als die anderen, sie griff ihn nicht einfach an, sondern schien ihn eingehend zu mustern. All die anderen Ratten wagten sich nicht in die Nähe des Tiers und griffen auch Glutherz nicht an.

„Wir haben dich gewarnt“, erklang urplötzlich ein Fauchen. Verwirrt suchte Glutherz sein Umfeld ab, behielt seinen Gegner aber immer im Auge. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser angreifen würde, da war er sich sicher. Streifenfluss drückte etwas entfernt gleich zwei Ratten zu Boden, Apfelteich jagte mehrere in Richtung der Grenze davon. Doch nirgends war ein Anzeichen für eine Katze, die gesprochen haben konnte. Noch immer starrte das dunkle Monster ihn an, es hatte seinen Kopf grotesker Weise schief gelegt, so wie es auch einige der Clankatzen häufig machten.

„Deine Schuld. Clan wird untergehen, Flammenstern!“, fauchte dieselbe tiefe Stimme mit dem gruselig fremdartigen Akzent. Fast panisch blickte Glutherz über seine Schultern. Das konnte doch nicht war sein. Er hörte keine Stimmen!

Plötzlich klappte dem dunkelroten Kater das Maul auf. Die Ratte... nein, das konnte nicht sein. Oder etwa doch?

Ohne weiter darüber nachzudenken sprang Glutherz ab, warf die riesige Ratte von den Pfoten und grub seine Krallen in ihren Bauch. Das Ungetüm kreischte. Entschlossen drückte er noch fester zu. Blut sickerte aus dem dunklen Pelz.

Auf einmal erschienen mehrere dunkle Gestalten am Rande von Glutherz' Sichtfeld. Er wusste gar nicht wie ihm geschah, als sich plötzlich mindestens fünf Ratten auf einmal auf ihn stürzten. Er schwankte, um das Gleichgewicht zu halten musste er von seinem Gegner ablassen. Eine der Ratten verbiss sich in seiner Schulter, stechender Schmerz durchzuckte seinen Körper. Eine andere kratzte mit den spitzen Krallen an seinem Hals, zwei weitere gruben ihre Zähne in seinen Bauch.

Mit einem wütenden Fauchen schlug Glutherz mit seiner Pfote nach der an seinem Hals. Als er den verfilzten Pelz zwischen seinen Krallen spürte, schleuderte er das Ungetüm von sich. Staub wirbelte auf, als es auf dem Boden landete. Knurrend warf er einen Blick auf seine Schulter, die stinkende Ratte, die ihre Zähne in sein Fleisch bohrte, biss sofort fester zu. Er drehte sich einmal schnell um sich selbst, in der Hoffnung seine Gegner abzuschütteln, was ihm bei einer von denen, die an seinem Bauch hingen, auch gelang. Die anderen beiden wurden nur noch hartnäckiger.

Gerade als Glutherz darüber nachdachte, sich einfach über den Boden zu rollen und die Ratten dadurch unter sich zu begraben, erschallte ein lautes Jaulen auf der anderen Seite der Lichtung, gar nicht weit von der Stelle entfernt, wo Apfelteich eine Ratte von sich herunter schleuderte.

„Angriff!“, war Polarlichts stolzer Befehl, als sie, gefolgt von Seepelz, Bienenfell, Lilienpfote, Lavendelpfote und Fliederpfote, durch einige Brombeersträucher hindurch auf die Lichtung stürmte. Ihr glänzend weißes Fell hob sich von den dunklen Monstern um sie herum ab, wie der Mond von der Nacht. Sofort stürzten sich die Schüler und ihre Mentoren in die Schlacht, ihre Pelze waren gesträubt, ihre Krallen ausgefahren.

Erleichtert seufzte der dunkelrote Kater, bevor er durch einen stechenden Schmerz in seiner Schulter an seine unliebsamen Anhängsel erinnert wurde. Knurrend schnappte er nach der Ratte, seine Zähne gruben sich in den verfilzten Pelz. Für einen Moment wehrte sie sich, biss noch fester zu als bisher, doch dann konnte Glutherz sie mit einem Ruck von sich lösen. Er spürte, wie das Tier einen Teil seines Fells mit sich nahm. Tief knurrend verstärkte er seinen Biss, bis er fühlte, wie die Ratte in seinem Maul erschlaffte. Einer Eingebung folgend warf er das tote Tier gegen das andere, das noch an seinem Bauch hing. Sowohl das lebende, als auch das leblose Ungetüm fiel zu Boden.

Selbstzufrieden schuf Glutherz sich einen Überblick über die Lage der Schlacht. Dank der Patrouille hatte die Zahl der Ratten stark abgenommen, nicht wenige waren geflohen. Die Lichtung war nun zwar nicht mehr so stark mit schwarzen Körpern übersät, doch jetzt befanden sich dort auch Blut und Ratten, die ihren letzten Atemzug bereits getan hatten oder gerade dabei waren.

Lavendelpfote und Lilienpfote jagten gerade drei verbliebene Gegner davon, während Polarlicht sich schützend vor Apfelteich, die dies mit Argwohn bemerkte, aufgebaut hatte. Streifenfluss kämpfte gegen einen Gegner, der wohl einfach nicht aufgeben wollte, schien aber keine Probleme zu haben und nicht schwer verletzt zu sein, auch wenn er aus einer Wunde an der Flanke blutete. Gleichzeitig schlugen Seepelz und Fliederpfote eine ganze Horde an Ratten in die Flucht.

Glutherz seufzte erleichtert. Sie hatten es ein weiteres Mal geschafft. Die Prophezeiung hatte sich nicht erfüllt, er hatte keinen Fehlschlag erlitten. Vorsichtig blickte er sich um, um sicherzugehen, dass er auch keinen weiteren Gegner übersehen hatte. Nein, alle noch anwesenden Ratten waren Tod oder zumindest kurz davor. Als er die Ungetüme betrachtete, verzog er angewidert das Gesicht. Sie würden die Ratten vergraben müssen, sonst würde diese Lichtung bald zum Himmel stinken und eine Oase für Krähen werden. Ekelhaft.

Langsam trottete der Kater zu Streifenfluss, der seinen Blick prüfend über die Lichtung schweifen ließ. Als er an einer der größten Ratten vorbeikam, stockte er. Sie hatte geredet. Eine Ratte hatte mit ihm geredet. Mehrfach atmete Glutherz tief aus und ein. Das konnte gar nicht sein. Er musste sich das eingebildet haben. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg zu seinem Freud fort. Der widerliche Geschmack nach Rattenblut ließ ihn würgen. Er humpelte, aus seiner Schulter sickerte Blut, es ließ seinen Pelz noch viel röter wirken als normalerweise.

Eine drückende Stille hatte sich über die Lichtung gelegt, als er Streifenfluss erreichte. Kein Vogel zwitscherte weit und breit, allein der schnelle Atem der Katzen und das Röcheln sterbender Ratten unterbrach die Ruhe nach dem Sturm. Der Wind ließ Bäume knarzen. Ein paar Blätter wirbelten über den Köpfen der Katzen hinweg. Wortlos standen die zwei Kater nebeneinander. Sie blickten sich nur an, sprachen nicht. Nach kurzer Zeit trotteten auch die restlichen FeuerClan-Katzen zu ihnen, auch sie blieben still. Es schien Blattwechsel zu dauern, bis sich die Atemzüge verlangsamten und die Pelze glätteten.

Plötzlich brach Lilienpfote, die zwischen ihren beiden Schwestern stand, das Schweigen: „Wo ist eigentlich Bienenfell?“ Polarlicht und Seepelz blinzelten überrascht, während Apfelteich nur gelangweilt auf einen Ahornbaum am Rand der Lichtung starrte. Ihr rundlicher Bauch war das einzige, was daran erinnerte, dass sie Junge erwartete, ansonsten wirkte sie kalt, unbelebt, als hätte sie gerade nicht eine ganze Horde an Ratten bekämpft.

„Ich habe sie in den Wald in Richtung der Hochweiden rennen sehen“, brummte Fliederpfote, deren nachtschwarzer Pelz feucht glänzte. Glutherz hoffte, dass es sich dabei nicht um ihr eigenes Blut handelte. Polarlicht schluckte hörbar, Streifenfluss sog die Luft ein. Beide schienen den gleichen schrecklichen Gedanken zu haben. Wieso war Bienenfell noch nicht zurückgekehrt?

„Lasst uns sie suchen“, bat Polarlicht, ihre Stimme klang monoton, als würde sie nicht erwarten, ihre Clangefährtin, die gleichzeitig auch ihre Schwester war, lebend zu finden. Auch Glutherz hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Er nickte und versuchte dabei möglichst zuversichtlich auszusehen. Ob ihm das gelang, war fraglich.

„Ich werde mit den Schülern hier warten. Apfelteich, bleibst du auch?“, miaute Seepelz, auch er schien das ungute Gefühl zu teilen. Die drei Schülerinnen und die Königin nickten.

„Passt auf, nicht dass die Ratten zurückkommen“, brummte Streifenfluss, bevor er sich langsam in Richtung Hochweiden in Bewegung setzte. Polarlicht und Glutherz, die seitdem er sie in den Fluss gestoßen hatte, nicht mehr miteinander geredet hatten, folgten ihm. Sie umrundeten mehrere tote Ratten, bevor sie die ersten Bäume erreichten. Bienenfells Geruch hing unverkennbar an den Zweigen eines Haselnussstrauchs, also hatte Fliederpfote vollkommen Recht gehabt. Vorsichtig setzten die Krieger eine Pfote vor die andere, immer darauf gefasst von Ratten angegriffen zu werden. Oder auf eine Katze zu stoßen, die dringend ihre Hilfe brauchte.

Bienenfells Geruch wurde mit der Zeit immer kräftiger. Und damit auch der Geruch nach etwas anderem. Blut. Als sie die Kätzin schließlich fanden, lag sie zwischen einigen Farnen verborgen. Blut sickerte aus mehreren Wunden an ihrem Körper und tränkte die Erde und die umliegenden Farne. Rattengestank war damit vermischt. Polarlicht stockte, als sie ihre Schwester sah, sie blieb wie angewurzelt stehen. Streifenfluss legte ihr tröstend den Schweif auf die Schultern. Allein tat Glutherz die letzten Schritte auf die Kriegerin zu. Ihre Augen waren glasig, sie blickte ins Leere. Ihre Flanken hoben sich nicht – senkten sich nicht. Ihr gelbbraunes Fell wirkte fast rötlich.

Sie war tot. Der Kampf gegen die Ratten hatte sein erstes Tribut gefordert.

„Bienenfell!“, murmelte Polarlicht mit erstickter Stimme. Glutherz drehte sich zu ihr und seinem Freund um. Langsam schüttelte er den Kopf. Beide verstanden sofort und senkten die Augen zur blutbefleckten Erde.

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