Kapitel 18

Gemächlich folgte Glutherz Streifenfluss und dessen Schüler Morgenpfote den langsam ansteigenden Pfad hinauf. Apfelteich hinter ihm atmete schwer. Der rote Kater konnte nicht verstehen, wieso die Königin noch nicht in die Kinderstube umziehen wollte, wo doch auch Blaumond nun dort war. Die Kriegeraufgaben waren ihr sichtlich zu viel, was sie aber beim besten Willen nicht zugeben wollte. Genervt schüttelte der Kater den Kopf. Er würde die Logik der Kätzinnen nie verstehen. Sicherlich war es vollkommen in Ordnung, wenn Kriegerinnen einen Mond, bevor ihre Jungen zur Welt kommen würden in die Kinderstube gingen. Doch Apfelteich und auch Flammenstern waren da wohl anderer Meinung. Auch seine Mutter ging weiter ihren Pflichten nach und ließ sich kaum mehr als normalerweise von Staubwolke unterstützen.

„Bleib einmal kurz stehen, Morgenpfote“, miaute Streifenfluss vor Glutherz. Überrascht blieb auch der dunkelrote Krieger stehen, kurz bevor er in den jungen Schüler hineingelaufen wäre. „Was riechst du?“

Glutherz beobachtete, wie der rotbraune Kater seine Nase in die Luft reckte und übertrieben angestrengt schnupperte. Apfelteich, die nun auch auf der kleinen Anhöhe angekommen war, seufzte genervt. Im allgemeinen seufzte sie in letzter Zeit sehr häufig, es schien manchmal, als hätte sie seit Kekspfote den Clan verlassen hatte, alle Freude verloren. Selbst mit ihrem Gefährten Düstersturm hatte sie sich gestritten, sodass der blinde Älteste nicht mehr mit ihr redete. Irgendwie tat sie Glutherz leid.

„Ich rieche die zwei Zweibeiner, der in dem Nest wohnt, zu dem wir gleich kommen werden“, begann Morgenpfote, nachdem er noch eine ganze Weile eingehend geschnuppert hatte. „Außerdem ist hier vor etwa einem Sonnenaufgang ein Fuchs vorbeigekommen und das Hauskätzchen war auch hier, wenn ich mich nicht irre. Und... da ist der Geruch von Ratten!“

Verwundert riss Glutherz die Augen bei den Worten des jungen Katers, der erst seit einem Halbmond Schüler war, auf. Ratten? Nicht schon wieder! Seit Flammenstern bestimmt hatte, dass es wieder regelmäßige Grenzpatrouillen geben sollte, hatten die Katzen regelmäßig Spuren von den Tieren am Rand ihres Territoriums gefunden. Bisher hatten sie Glück gehabt, es hatte nur einen einzigen Zwischenfall im gesamten Halbmond gegeben, bei dem glücklicherweise niemand schwer verletzt worden war. Allein Seepelz hatte einen Sonnenaufgang lang im Heilerbau bleiben müssen, da er eine etwas tiefere Wunde an der Schulter davongetragen hatte.

In der Hoffnung, dass sich der junge Schüler getäuscht hatte, schnüffelten Streifenfluss, Apfelteich und Glutherz gleichermaßen in der Luft. Zuerst wurde alles von dem Gestank von Zweibeinern überlagert, doch dann konnten sie es riechen. Angeekelt zog der dunkelrote Kater die Nase kraus. Der Geruch nach Krähenfraß, der die Ratten immer begleitete, löste bei ihm sofort einen schwer unterdrückbaren Brechreiz aus.

„Ratten“, fauchte Streifenfluss und schaute sich besorgt um. Glutherz tat es ihm gleich und ließ seinen Blick schweifen. Die vier Katzen befanden sich auf einer kleinen Anhöhe. Etwa zehn Fuchslängen von ihnen entfernt stand das Zweibeinernest, dass sich teilweise auf ihrem Territorium befand. Ansonsten war kaum etwas anderes als Bäume und Sträucher zu sehen. Weiter entfernt rauschte der Fluss, der die zukünftigen Territorien von DonnerClan und FlussClan voneinander trennte. Weit und breit war kein Anzeichen von Gefahr zu entdecken. Glutherz seufzte.

„Sollen wir nach den Ratten suchen oder einfach nur unsere Grenze markieren?“, fragte er seinen Freund Streifenfluss, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte. Kurz darauf schien er sich aber darauf zu besinnen, dass sein Schüler neben ihm stand und er deshalb wohl besser eine weisere Antwort geben sollte.

„Bisher hat es immer ausgereicht, wenn wir unsere Grenzen markiert haben. Die Ratten sind unserem Territorium fern geblieben. Es könnte aber trotzdem von Vorteil sein, schätze ich. Wenn wir die Ratten angreifen, werden sie uns vielleicht nicht angreifen“, miaute der getigerte Krieger und zuckte nachdenklich mit den Ohren, als würde er nach einem Geräusch suchen, das er nicht finden konnte.

„Könntest du uns vielleicht einfach sagen, was wir jetzt tun sollen? Ich will hier keine Wurzeln schlagen“, brummte Apfelteich hinter ihnen. Streifenfluss würdigte die Kätzin keines Blickes. Glutherz wusste, dass auch sein Freund der Meinung war, dass die hell getigerte Kätzin eine Lügnerin war, was den tot ihrer und Herbstblatts Schwester anging. Wenn der rote Kater genauer darüber nachdachte, dann gab es wohl kaum eine Katze, abgesehen von Flammenstern und vielleicht auch ihm selbst, die sie nicht für eine Mörderin hielt.

„Morgenpfote, die gehst zurück ins Lager, erstatte Staubwolke Bericht, sag ihm, er soll uns eine Kampfpatrouille schicken. Apfelteich, du gehst den Rest des Weges, den wir nun eigentlich fertig machen müssten, alleine und setzt die Markierungen. Irgendwo zwischen dem Zweibeinernest und den Hochweiden musst du auf Rabensturms Patrouille treffen. Erzähl ihm von unserem Plan und geh dann ins Lager zurück. Du wirst nicht kämpfen, hast du mich verstanden“, erteilte Streifenfluss seine Befehle. Morgenpfote senkte enttäuscht seinen Kopf, er hatte wohl gehofft, mitkämpfen zu dürfen. Apfelteich dagegen schnaubte wütend, drückte sich an Glutherz vorbei und baute sich vor dem muskolösen, hellbraun getigerten Kater auf.

„Seit wann gibst du hier die Befehle? Ich werde kämpfen, wenn ich Lust dazu habe, du kannst mir das nicht verbieten. Ich bin genauso ein Teil dieser Patrouille wie Glutherz!“, fauchte die Königin mit vor Zorn gesträubtem Fell.

Streifenfluss wirkte überrascht, blieb jedoch ganz ruhig und miaute: „Du hast recht. Du bist Teil dieser Patrouille. Aber ICH führe diese Patrouille an, weshalb ich dir auch Befehle erteilen darf. Du machst jetzt das, was ich dir gesagt habe.“ Die grünen Augen des Katers waren zu Schlitzen verengt, doch wider Glutherz' Erwartung sträubte sich weder sein Fell, noch fuhr er seine Krallen aus.

Ohne ein Wort zu sagen, rauschte die Kätzin, die etwa in einem Mond ihre Jungen bekommen würde, an den Katern vorbei, wobei sie Streifenfluss absichtlich anrempelte. Ihre Krallen bohrten sich bei jedem Schritt in die schlammige Erde. Innerhalb von drei Herzschlägen war sie aus Glutherz' Sichtfeld verschwunden.

„Ich geh dann auch mal“, quiekte Morgenpfote und rannte in Richtung Westen zum Lager hin fort. Ein kahler Haselnussstrauch raschelte, als er darunter hindurchschlüpfte, dann war auch er verschwunden.

Schweigend standen Streifenfluss und Glutherz nun nebeneinander, Wind zauste ihre Pelze. Ein paar verwesende Blätter flogen durch die Luft, Vögel zwitscherten vereinzelt über ihren Köpfen. Hinter ihnen trappelten kleine Pfoten durch das Unterholz, der Geruch von Beute war unverkennbar. Die beiden Krieger seufzten einstimmig.

„Sieht so aus, als hieße es nun, Streifenfluss und Glutherz gegen eine Armee von Ratten“, murmelte der rote Kater und betrachtete seine mit etwas Schlamm verkrustete Pfote. Streifenfluss nickte nur. „Folgen wir einfach den Spuren der Ratten, egal wo sie uns hinführen oder hast du einen Plan?“, fuhr Glutherz fort, er gähnte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, sie hatten ihre Grenzpatrouille schon fast fertig und nun sowas. Das war es wohl mit seinem Traum davon, sich nachher noch einmal eine runde aufs Ohr zu hauen.

„Ehrlich gesagt, habe ich sogar einen Plan, auch wenn der zum scheitern verurteilt ist, wenn das Hauskätzchen nicht draußen ist“, miaute Streifenfluss als Antwort. Gleich darauf lief er los auf das Zweibeinernest zu. Sofort folgte der feuerrote Krieger ihm. Aus einigen der Löcher in der Mauer des Zweibeinernests drang Licht nach draußen. Die beiden Kater beäugten das Gebäude misstrauisch, während sie im besten Jagdkauern auf es zu krochen. In dem kleinen Garten, der das Nest umgab, wuchs größtenteils sehr kurzes Gras. Mehrere in komische Formen geschnittene Buchsbäume standen in der Nähe des Zauns, auf den die zwei Krieger hinaufsprangen. Neben dem Gestank nach Zweibeinern konnte Glutherz auch den süßen Geruch nach Katzenminze entdecken und stellte zufrieden fest, dass sein Clan durch die Zweibeiner wenigstens gegen Grünen Husten gewappnet war. Still saßen die zwei Kater nebeneinander. Geklapper drang aus einem der geöffneten Löcher zu ihnen herüber, als für einen Moment ein Zweibeiner in dem Loch erschien, duckten sich die Katzen ängstlich. Gleich darauf entdeckten sie die Katze, die sie gesucht hatten. Annabell.

Die weiße Kätzin, deren Gesicht, Ohren, Schweif und Pfoten dunkelbraun waren, stolziete anmutig aus dem Nest heraus. Der lange Pelz war wie immer sauberer, als es der irgendeiner Katze des Waldes jemals in ihrem Leben gewesen war. Annabell sprang von dem Sims, auf dem sie kurz Inne gehalten hatte hinunter in das weiche Gras, das selbst im Blattfall noch saftig grün wirkte. Ihre blauen Augen blickten sich neugierig in dem Garten um, sofort blieben sie an den beiden Kriegern hängen.

„Wie ich sehe, brauchen die Waldkatzen wohl etwas von einem armseligen Hauskätzchen!“, begrüßte die junge Kätzin sie und trottete gemächlich zu ihnen. Als sie näher kam, rümpfte sie die Nase, sagte jedoch nichts weiter, bis sie direkt vor ihnen stand.

„Flammenstern und ein Krieger. Soll ich nun vor Angst erzittern?“ Der Spott in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Glutherz war sich nicht sicher, ob die Kätzin ihn wirklich mit seiner Mutter verwechselte, oder das nur tat, um ihn aufzuziehen. Es mochte sein, dass er Flammenstern recht ähnlich sah, doch er war sich fast sicher, dass Annabell einen Kater von einer Kätzin unterscheiden konnte.

„Wir suchen die Ratten. Hast du sie gesehen?“, miaute Streifenfluss neben ihm kühl. Seine grünen Augen durchbohrten die blauen der Hauskatze. Sofort rümpfte diese wieder die Schnauze.

„Als würde ich solch ekelhafte Ungetüme ansehen“, antwortete sie voll Sarkasmus. Glutherz runzelte die Stirn. Er hatte Annabell als verspielte, freundliche und hilfsbereite Kätzin in Erinnerung. Noch gut konnte er sich daran erinnern, wie er sich vor drei Monden mit ihr über das Clanleben unterhalten hatte. Dies mochte nun wirklich schon eine ganze Weile her sein, trotzdem war es ungewöhnlich, dass sich eine Katze in dieser Zeit so drastisch veränderte.

„Was ist der denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“, flüsterte Glutherz Streifenfluss ins Ohr. Sein getigerter Freund zuckte nur ahnungslos mit den Schultern.

„Forellenpelz. So hieß die Kätzin, die mich so freundlich beschimpft hat, als ich sie danach gefragt habe, ob mich ein paar der Schüler wohl bald wieder besuchen kämen“, erinnerte sich die weiße und dunkelbraune Kätzin, als hätte sie seine Frage gehört.

Streifenfluss seufzte, Glutherz rollte die Augen. Kein Wunder, dass Annabell so eingeschnappt wirkte. Forellenpelz war zwar eine gutmütige Älteste, doch seit irgendeiner Geschichte mit einem Hauskater, der wohl Fischschweifs und Laubsprenkels Vater war, war sie auf Hauskätzchen äußerst schlecht zu sprechen, wie sie selbst einmal erklärt hatte.

„Die hat dir also die Laune verhagelt?“, seufzte Glutherz, bevor er erklärte: „Forellenpelz ist eine Älteste unseres Clans. Ihr Geisteszustand ist nicht mehr der beste und außerdem hegt sie einen schwer zu erklärenden Hass auf Hauskätzchen. Willst du uns wirklich deine Hilfe verweigern, nur weil die alte Kratzbürste dich beschimpft hat? Du könntest damit möglicherweise helfen, Leben zu retten.“ Annabell blinzelte überrascht, bevor sie nachdenklich den Kopf schief legte.

„Versprecht ihr Winterpfote von mir zu grüßen, wenn ich euch helfe?“, miaute die junge Katze und streckte sich.

„Winter... ach so! Du meinst Winterschweif! Natürlich grüßen wir ihn von dir“, entgegnete Streifenfluss, als ihm klar wurde, dass Annabell ihren Freund noch immer bei seinem Schülernamen nannte, obwohl er nun schon über einen Dreiviertelmond lang seinen Kriegernamen hatte.

Annabell zuckte zuerst erfreut mit den Schnurrhaaren, bevor sie miaute: „Die Ratten...“

Mitten in ihrem Satz wurde sie von einem markerschütternden Jaulen unterbrochen. Es dauerte keinen Herzschlag, bis Glutherz und Streifenfluss klar wurde, wem dieses Jaulen gehört hatte. Apfelteich!

„Ich glaube, wir wissen jetzt, wo sie sind“, brummte Streifenfluss seufzend und sprang vom Zaun. Glutherz folgte ihm und während sie schon um das Zweibeinernest herumrannten jaulte er: „Auf Wiedersehen, Annabell!“

Die beiden Kater stürmten weg vom Zweibeinernest, immer der Geruchsspur der Köngin folgend. Es dauerte nicht lange, bis sich ihr Geruch mit dem von Ratten vermischte. Der Wald flog an den Katern vorbei, die kahlen Äste schienen nach ihnen greifen zu wollen, zerrten an ihren Pelzen, als sie ohne Rücksicht durch die Sträucher hindurchrannten. Es würde nachher genügend Zeit geben, um ihren verlorenen Pelzbüscheln nachzutrauern.

Nebeneinander rannten die beiden Krieger durch den Wald, ihre Pelze berührten sich fast. Sie bewegten sich wie eine Einheit, als hätten sie diesen Lauf einstudiert. Sie waren schon häufiger so nebeneinander hergerannt, doch nie hatte das Blut so in ihren Adern pulsiert. Nie hatten sie solche Angst verspürt. Denn eine tragende Clangefährtin musste aus ihrer Dummheit heraus nun alleine gegen eine Armee von Ratten kämpfen. Wie hatten sie nur so mäusehirnig sein können und Apfelteich alleine losziehen lassen?

Die Gerüche wurden immer stärker, umso weiter sie sich vom Zweibeinernest in Richtung der Hochweiden hin entfernten. Noch waren keine Kampfgeräusche zu hören. Der Wind zog an Glutherz Pelz. Seine Pfoten donnerten über den schlammigen Boden, immer wieder rutschte er aus. Dann plötzlich stürmten sie auf eine Richtung.

Gerade als sie durch die Äste hindurchbrachen, sahen sie, wie die hellbraun getigerte Kätzin sich auf eine große Ratte warf, ihr Fell war glatt, sie wirkte vollkommen unverletzt.

„Angriff!“, jaulte Streifenfluss neben Glutherz, um die Aufmerksamkeit der Ratten auf sie zu lenken. Sofort blickten ihnen unzählige schwarze Augenpaare entgegen.

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