Kapitel 13

Zusammengerollt lag die flammenfarbene Kätzin in ihrem weichen, mit Moos ausgepolsterten Nest. Die tiefschwarze Nacht umgab sie, das schwache Licht des Vollmonds ließ die Nebelschwaden heller wirken, wodurch sie noch weniger erkennen konnte. Die weißen Wolken ihres Atems stiegen in die kalte Luft auf, während die glänzenden Farne in der eisigen Brise knisterten. Gar nicht weit von Flammenstern entfernt lagen auch Blaumond, Bienenfell und ihre junge Schülerin Fliederpfote. Letztere hatten sich etwa vor drei Sonnenaufgängen zu ihnen gesellt, da es ihnen schon wieder relativ gut ging und die beiden baldigen Königinnen dadurch etwas abgelenkt waren.

Von den drei Kätzinnen stiegen ebenfalls Atemwölkchen auf. Fliederpfote, die schon wieder mürrisch wie eh und je war, zitterte im Schlaf. Auch Flammenstern kroch die Kälte unter den dichten Pelz. Ihren Schweif hatte sie schützend an ihren leicht gewölbten Bauch gedrückt. Ihr Fell war aufgeplustert, sie drückte die Augen, im Versuch einzuschlafen, zusammen.

Plötzlich knackste ein Zweig auf der Heilerlichtung, die hinter den Farnen lag. Flammenstern spitzte überrascht die Ohren, schlug die Augen wieder auf. Mit größter Anstrengung versuchte sie etwas zu erkennen, doch die Dunkelheit verschlug alles um sie herum und selbst wenn es heller gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich nicht durch die Farne hindurchsehen können. Langsam und ohne einen Mucks von sich zu geben, setzte sie sich auf. Ihr Rücken spannte etwas, doch dank Rottupfs ausgezeichneter Arbeit hatte sie kaum noch Schmerzen.

Suchend warf sie einen Blick über ihre Schulter. Sie zuckte überrascht zusammen, als ein weiterer Zweig unter einer Pfote brach. Schritte erklangen auf der kleinen Heilerlichtung. Hinter der Lichtung, die durch zwei der Birken, Rottupfs Schlafhöhle und einigen Farnen vom Lager getrennt wurde, erschallten aufgeregte Stimmen, die gleich darauf wieder verstummten. Wasser platschte, jemand war in das Rinnsal getreten. Eine Katze fluchte. Flammenstern zuckte belustigt mit den Schnurrhaaren, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Heilerlichtung, da sie sich sicher war, das die Katze, die sie dort gehört hatte, nicht dieselbe war, wie die, die gerade ins Wasser getreten war.

Und tatsächlich. Etwas, oder eher jemand, streifte am Rand der Farne vorbei. Flammenstern schnupperte eingehend, zuerst roch sie nur den starken Geruch nach Kräutern, der den ganzen Heilerbau umhüllte. Deshalb schloss sie die Augen und konzentrierte sich, atmete tief ein und aus, ohne dabei auffällig laut zu atmen. Sie roch nun zuerst Blaumond, Bienenfell und Fliederpfote, dann die Gerüche von Rottupf und Mondjunges, die an den Farnen hingen. Als sie gerade aufgeben wollte und schon dachte, sich getäuscht zu haben, stieg ihr ein sehr vertrauter Geruch in die Nase. Erfreut stand sie auf, möglichst leise um die drei Kätzinnen nicht zu wecken, glitt sie durch die Farne hindurch.

Vorsichtig schob sie ihren Kopf durch die letzten der Farne und blickte sich auf der Heilerlichtung um.  Zuerst konnte sie, abgesehen von der Dunkelheit und den Nebelschwaden, überhaupt nichts erkennend, doch dann bemerkte sie eine Bewegung. Erstarrt blieb sie stehen, schnupperte noch einmal ausgiebig um sicher zu sein, dass sie sich auch nicht getäuscht hatte. Er war es tatsächlich.

Mit flinken Schritten trottete sie zu dem dunklen Kater, der ihr den Rücken zugedreht hatte und verträumt in den kleinen Teich blickte. Dieser blickte sich erfreut zu ihr um, Wärme lag in seinen blau gesprenkelten Augen. Als Flammenstern ihren Gefährten erreichte, begrüßte er sie Nase an Nase, bevor sie sich an seine Brust schmiegte.

In den letzten Tagen hatte Regenpelz kaum Zeit gefunden um sie zu besuchen, da Staubwolke seine Unterstützung brauchte, so lange er den Clan führte. Seit die flammenfarbene Kätzin ihrem Gefährten verkündet hatte, dass sie Junge erwartete, hatte er jeden freien Herzschlag genutzt um bei ihr zu sein. Doch an diesem Tag hatten sie sich trotzdem erst einmal kurz gesehen.

„Du kannst laufen!“, flüsterte er erleichtert und schnurrte aus tiefster Seele. Ihre Atemwolken vermischten sich in der Luft, verschmolzen zu größeren, die sich den Nebelschwaden anschlossen.

„Ja“, hauchte sie zur Antwort, ihre Schultern spannten leicht, ansonsten fühlte sie sich gut. Wäre da nicht der Gedanke an die Prophezeiung gewesen, der sie Inne halten ließ. Seit Rottupf ihr davon berichtet hatte, ließ jeder Gedanke daran ihren Körper erstarren. Tiefe Sorge hatte sich in ihrem Inneren ausgebreitet. Des Feuers Blut schlägt wieder zu… Feuers Blut. Damit konnten nur Nachfahren von Feuerstern gemeint sein, da war sich Flammenstern sicher. In Gedanken listete sie alle in Betracht kommenden Katzen auf: Staubwolke, Glutherz, Ahornblatt, Mondjunges, Morgenjunges, Dämmerjunges, Glanzjunges, Traumjunges, auch Winterschweif und Wasserwirbel. Und natürlich sie selbst.

Plötzlich stockte die flammenfarbene Anführerin, als ihr klar wurde, dass auch die Jungen von Blaumond und ihr gemeint sein könnten. Der Kreis der Acht, er schließt sich im Nu. Acht. Waren es acht Junge? Konnte das stimmen? Und bedeutete das, dass sie alle überleben würden? Unbeschadet?

„Was liegt dir auf dem Herzen, Flammenstern? Du bist so schweigsam“, miaute Regenpelz plötzlich. Die Anführerin hatte seine Anwesenheit schon fast vergessen, überrascht zuckte sie zusammen.

Sie spürte, dass seine besorgten Augen auf ihrem Gesicht ruhten und versuchte, möglichst neutral zu schauen. Es gelang ihr nur mäßig, das war ihr klar.

„Ist es wegen der Jungen? Machst du dir Sorgen, dass sie wie Tüpfeljunges sterben könnten?“, wollte Regenpelz wissen, seine Stimme war heißer vor Mitgefühl und eigener Besorgnis.

Flammenstern nickte. Zum Teil stimmte es schließlich.

Ein kalter Windstoß fegte durch den Heilerbau, die beiden Katzen erschauderten. Im Lager knurrten zwei Stimmen. Es schien Streit zu geben.

„Glaubst du, Staubwolke kommt auf der Großen Versammlung zurecht?“, miaute die Kätzin um sich selbst und auch ihren Gefährten abzulenken. Dieser zuckte, wie sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, amüsiert mit den Schnurrhaaren. „Selbstverständlich. Er ist dein Bruder und Stellvertreter. Was erwartest du?“, erklärte er voller Überzeugung. Eine Eule, die als gespenstischer Schatten über das Lager hinwegflog, stieß einen markerschütternden Schrei aus. Beide zuckten zusammen. Die ständige Bedrohung durch die Ratten hatte sie schreckhaft gemacht.

„Aber was ist mit dem WolkenClan? Er wird uns für schwach halten!“, äußerte Flammenstern, während sie den verschleierten Mond betrachtete, der sich in dem kleinen Teich spiegelte.

Regenpelz räusperte sich. „Du vergisst, dass wir nicht mehr am See sind. Es gibt hier keinen Grund, Angst vor einem Angriff anderer Clans zu halten, solange wir den WolkenClan nicht provozieren. Und selbst dann sind wir ihnen wahrscheinlich überlegen.“ Die Anführerin blinzelte überrascht. Sie hatte tatsächlich schon wieder vergessen, dass es hier anders war als an dem Ort, an dem sie aufgewachsen war und auch dem See, wo sie einen Blattwechsel glücklich gelebt hatte (Wenn sie von Schlammfells Tod absah). Der zu einem bestimmten Teil noch immer ihr Zuhause war.

Plötzlich, als sie gerade in den Erinnerungen schwelgte, erschallte ein Warnruf aus dem Lager. Regenpelz und Flammenstern sprangen sofort auf.

„Eule! Vorsicht!“, jaulte Ahornblatt. Ihre Stimme klang so überrascht, als hätte sie schon beinahe geschlafen, als der Vogel auftauchte.

Regenpelz und Flammenstern tauschten einen kurzen Blick. Einvernehmlich nickten sie. Ohne zu zögern rannten die beiden, Pelz an Pelz zwischen der Birke und dem zu einem Bächlein angeschwollenen Rinnsal hindurch. Wasser spritzte, ihre Pfoten wurden nass, doch sie ließen sich davon nicht aufhalten.

Das erste was sie sahen, als sie die Senke betraten, waren einige Katzen, die vollkommen überrascht zum Himmel starrten, wo ein riesiger Uhu kreiste. Sein spitzer Schrei ließ alle zusammenzucken. Es war in der Senke nicht ganz so dunkel wie im Heilerbau, weshalb Flammenstern, wenn sie die Augen zusammenkniff, einigermaßen gut sehen konnte. Laubsprenkel und sein Schüler Kieselpfote, die zusammen mit Ahornblatt das Lager bewachen sollten, blickten bestürzt in Richtung der Kinderstube. Als Flammenstern ihrem Blick folgte, erstarrte ihr das Blut in den Adern.

Etwa eine Fuchslänge vom Eingang des Baus entfernt kullerten drei Junge unbeeindruckt von der Aufregung der Krieger hin und her.

Im selben Augenblick, in dem die Katzen die Jungen entdeckt hatten, musste auch die Eule seine Beute ausgemacht haben. Denn noch bevor eine von ihnen auch nur eine Pfote heben konnte, stürzte sie herab.

Es blieb keine Zeit zu reagieren, da hatte der Vogel bereits eines der Jungen mit seinen Klauen gepackt. Regenpelz und seine Gefährtin, die ihre Geschwindigkeit noch nicht verringert hatten, auch wenn in Flammensterns Rücken ein stechender Schmerz ausbrach, beschleunigten ihre Schritte noch, doch es half nichts. Der Uhu breitete seine gigantischen Schwingen aus und stieg in den Himmel auf, als die beiden noch auf der anderen Seite der Lichtung waren, das Geschehen war halb von der Eiche verdeckt.

Plötzlich, stieß der Vogel einen weiteren Schrei aus. Doch dieses Mal war es kein Schrei eines Angriffes. Es war ein Angstschrei.

Nachdem die beiden Katzen um die Wurzeln der Eiche herumgesprungen waren und nur noch drei Fuchslängen vom Eingang der Kinderstube entfernt waren, wussten sie, wieso der Vogel so panisch klang. Das Junge in seinen Klauen wehrte sich – und nicht nur das, denn an einem seiner Flügel hing noch ein weiteres, das versuchte, seine Wurfgefährtin zu retten.

Hilflos mussten die Krieger mitanschauen, wie die beiden Jungen in der Luft gegen den Uhu kämpften. Morgenjunges, der hilflos zu seinen Geschwistern aufblickte, schien kurz davor zu sein zusammenzubrechen. Angst um die Jungen ihres Bruders, schnürte Flammenstern die Kehle zu.

„Wir haben doch nur gespielt“, winselte Morgenjunges, während seine Geschwister – Traumjunges und Dämmerjunges, waren es, wie er sagte – um ihr Leben kämpften. Der Vogel kreischte ein weiteres Mal, er flatterte hilflos weit über ihren Köpfen.

Kieselpfote zitterte, Ahornblatt hatte sich haltsuchend an Laubsprenkel gelehnt. Regenpelz und die Anführerin standen einfach nur da, ihre Köpfe zum Himmel erhoben. Nebelschwaden verbargen den Kampf der Jungen, hätte die Eule nicht immer wieder gekreischt, hätten sie nicht gewusst, ob sie überhaupt noch über dem Lager waren.

Die Geräusche weckten einige der Katzen, die hiergeblieben waren. Düstersturm kam aus dem Ältestenbau auf der anderen Seite des Lagers gestürzt und blieb dort wie angewurzelt stehen. Bienenfell und Fliederpfote waren ebenfalls erwacht und standen fassungslos neben dem Rinnsal, das in den Heilerbau hineinfloss. Fischschweif steckte ihren Kopf verschlafen aus der Kinderstube und brummte unverständliche Worte.

„Fischschweif. Wo ist Herbstblatt?“, miaute Flammenstern und wandte ihren Blick vom Himmel ab. Die Königin murmelte irgendetwas von der Großen Versammlung und blickte dann zu Morgenjunges, der gleich neben dem Eingang der Kinderstube saß.

„Was machst du denn hier draußen?“, nuschelte sie und blinzelte überrascht, als sie den Angstgeruch am Pelz des Jungen roch. „Was ist…?“, wollte sie miauen, als ein weiteres Kreischen erklang.

Ein Jaulen folgte.

Kurze Stille.

Flammenstern senkte ihr Haupt, hilflos schluckte sie. Waren die Jungen nun tot? Als ein weiteres Jaulen erklang, atmete die ganze Lichtung für einen Augenblick erleichtert auf. Es war ein siegreiches Jaulen… das sich innerhalb eines Moments in ängstliches Kreischen verwandelte, das immer näher kam.

Bevor eine Katze reagieren konnte, schlug der Körper einer Jungen Katze etwas hinter Regenpelz auf der harten Erde auf. Die Katzen wirbelten herum, doch es war zu spät. Zu ihren Pfoten lag der tote Körper eines Jungen. Traumjunges Leichnam.

Die Zweige der Eiche raschelten, wahrscheinlich landete dort die verwundete Eule.

Fischschweif stieß einen Schmerzensschrei aus und stürzte zu ihrem Schutzbefohlenen. Doch es war schon tot. Beim Aufprall war ihm das Genick gebrochen worden.

Flammenstern wandte ihren Blick ab. Wo war das zweite Junge? Es war ihre einzige Hoffnung, dass das zweite nicht auch tot war. Es würde für Herbstblatt schlimm genug sein, einen ihrer Söhne zu verlieren. Noch ein weiteres Junge und ihr Herz würde in unzählige winzige Teile zerspringen. Das wusste Flammenstern. Sie kannte ihre Freundin gut genug.

„Hilfe…!“ Plötzlich stöhnte eine schmerzverzerrte Stimme über ihren Köpfen. Im ersten Moment reagierte keine der geschockten Katzen, doch dann wanderte Flammensterns Haupt einer Eingebung folgend nach oben. Und dort zwischen den Zweigen hing Dämmerjunges, ihre grauen Augen glasig vor Angst und wimmerte.

Und lebte.

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