Kapitel 11
Wehmütig betrachtete Flammenstern Blaumond und Gelbfang, die ein paar Pfotenschritte von ihr entfernt lagen. Die beiden Schwestern unterhielten sich leise über Junge und Gelbfang bekräftigte immer wieder, dass die Mohnsamen, die Blaumond geschluckt hatte, noch lange nicht bedeuten mussten, dass die Jungen krank seien würden.
Während die flammenfarbene Anführerin die Schwestern beobachtete, begann sie ihre eigenen Schwestern Eichhornschweif und Blattsee herbeizusehnen. Es war schon drei Blattwechsel her, seit sie sie verlassen hatte und auch wenn sie Blattsee im Traum besucht hatte, vermisste sie die beiden schrecklich. Seit Gelbfang kurz nach Rottupfs Eröffnung aufgetaucht war, fühlte sie sich unangenehm daran erinnert, dass ihre eigenen Schwestern ihr nun nicht zur Seite stehen konnten.
Niedergeschlagen hatte sie ihren Kopf auf ihren Pfoten gebettet. Ihr Rücken und ihre Schultern pochten, doch der Schmerz war in diesem Moment erträglich, da Rottupf, bevor sie zum Frischbeutehaufen gegangen war, um ihnen etwas zu fressen zu bringen, eine angenehm duftende Kräutermischung auf ihren Rücken gerieben hatte.
Als sie daran dachte, dass Rottupf bald mit Frischbeute zurückkehren musste, begann ihr Magen zu knurren. Das unangenehme Ziehen, das sie anfangs auf die Jungen in ihrem Bauch geschoben hatte, war die ganze Zeit über Hunger gewesen, hatte zumindest Rottupf gemeint, als sie ihr davon erzählt hatte. Die junge Heilerin hatte sich darüber gefreut, da Hunger ihrer Meinung nach ein gutes Zeichen war.
Flammenstern war da anderer Meinung. Hunger war etwas, das die Clankatzen alle nur zu gut kannten. Keine von ihnen konnte behaupten, noch nie Hunger gelitten zu haben. Und bald würde es wieder so weit sein. Denn die Blattleere mit ihren leeren Mägen und den hervorstehenden Rippen rückte mit jedem Sonnenaufgang unaufhaltsam näher. Schon bald würde sie den Wald in ihren Krallen halten. Schnee würde die Landschaft bedecken und das Futter der Beutetiere bedecken. Kaum ein Tierchen würde sich noch aus seinem wohlig warmen Bau herauswagen. Die Vögel zogen zu großen Teilen schon jetzt gen Süden. Leere Mägen würden schon bald an der Tagesordnung stehen.
Als Flammenstern einige Farnwedel rascheln hörte, spitzte sie die Ohren und hob ihren Kopf. Ihre Schultern stachen. Mit den Augen suchte sie den goldenen Farn ab und schnüffelte angespannt. War eine Katze in Schwierigkeiten? Ihre wehte der vertraut süßliche Geruch von Rottupf entgegen, doch erst als der gescheckt-getupfte Kopf der jungen Heilerin zwischen den Farnen auftauchte, war sie sich sicher, dass sie es war, da ihr Geruch genauso gut auch von ihrem Bau herüberwehen könnte.
Auch Gelbzahn war in der Zwischenzeit aufgesprungen und seufzte erleichtert, als sie erkannte, dass es sich bei der auf sie zukommenden Katze um ihre Schwestern handelte. Die flammenfarbene Kätzin wollte ihren Kopf ebenfalls schon wieder auf ihre Pfoten legen, als sie Rottupfs Gesichtsausdruck wahrnahm. Überrascht hielt sie in ihrer Bewegung inne. Panik lag in den bernsteinfarbenen Augen der jungen Heilerin, sie zitterte am ganzen Körper.
Im ersten Augenblick schweiften Flammensterns Augen besorgt zu ihrem Bauch. Hatte Rottupf ihr noch etwas anderes als Mohnsamen gegeben, was ihren Jungen schaden könnte und war sie deshalb so panisch? Die flammenfarbene Anführerin verwarf den Gedanken schnell wieder. Das hätte ihnen Rottupf schon vorher gesagt.
Gelbfang schien nun ebenfalls zu bemerken, dass mit der gescheckt-getüpfelten Kätzin etwas nicht stimmte. Mit gerunzelter Stirn trat die Königin neben ihre panische Schwester. Blaumond schien zu schlafen, vielleicht blickte sie aber auch nur ins Leere.
„Rottupf? Alles in Ordnung bei dir?“, miaute die grau-weiße Königin. Rottupf antwortete nicht, ihre Augen waren auf den langsam immer düster werdenden Horizont gerichtet. Sie zitterte, atmete schwer. Gelbfang warf Flammenstern einen verwirrten Blick zu. Mit der Schnauze berührte die junge Kätzin ihre Schwester an der Wange. Rottupf zeigte keine Regung.
Flammenstern hätte viel gegeben, wenn sie nun hätte aufstehen können. Irgendetwas stimmte nicht mit Rottupf. Und da diese die Heilerin war, gab es auch niemanden, der ihr helfen konnte. Sorge packte die flammenrote Anführerin wie eine eisige Kralle. Was konnte im Lager nur geschehen sein, dass Rottupf sich so merkwürdig verhielt?
„Flammenstern... ich muss mit dir… reden. Allein“, krächzte die gescheckt-getüpfelte Heilerin mit bebender Stimme. Etwas erleichtert nickte die Anführerin und bedeutete Gelbfang, die etwas beleidigt wirkte, mit einem Schwanzschnippen zu gehen.
„Aber was ist mit Blaumond?“, protestierte die junge Königin. Rottupf schüttelte nur den Kopf.
„Ist schon in Ordnung, Gelbfang. Du kannst sie nachher nochmal besuchen. Geh zu Bussardjunges, er wird dich schon vermissen“, miaute Flammenstern bemüht ruhig, auch wenn ihre Stimme etwas zitterte. Was auch immer Rottupf zu sagen hatte, sie wusste, es würde ihr nicht gefallen.
Gelbfang wandte sich ab und trottete durch die knisternden Farnwedel hindurch davon. Ihre Schritte verklangen, als sie die Heilerlichtung verließ. Flammenstern und Rottupf waren nun alleine, wenn man von der abwesend wirkenden Blaumond und Fliederpfote und Bienenfell, die etwas weiter hinten zwischen den Farnen schliefen, absah. Auffordernd nickte die Flammenfarbene der Getüpfelten zu.
Rottupf tat einen Schritt auf das Nest ihrer Patientin zu, blieb dann aber stehen. Ihre Pfoten zitterten, sie hatte die Krallen haltsuchend in die Erde gebohrt. Schwer atmend begann sie zu sprechen:
„Da war ein Zeichen. Ein Zeichen vom SternenClan. Ein Rabe… acht Schläge. Maden im Herzen. Der Traum, damit muss es zusammenhängen. Ich hatte ihm keine Bedeutung zugemessen, Flammenstern, aber ich lag falsch…“ Die Bernsteinaugen der Heilerin waren noch immer auf den Horizont gerichtet. Flammenstern blickte nur schweigend zu ihrer Freundin auf. Sie verstand nicht, was Rottupf ihr sagen wollte. Verwirrt runzelte sie die Stirn. Rottupf schwieg, zitterte weiterhin. Stille breitete sich aus, was nur durch das stete aufeinanderschlagen von Rottupfs Zähnen unterbrochen wurde.
„Ich verstehe nicht…“, begann Flammenstern, wurde aber sofort von der Getüpfelten unterbrochen.
„Letzte Nacht habe ich geträumt. Ich habe es niemanden erzählt, aber ich habe gesehen… gesehen wie Re… wie einige unserer Clanmitglieder starben. Fünf. Im Kampf gegen die Ratten. Ich dachte, das wäre nur ein Traum gewesen, weil Blaumond und du ja angegriffen wurdet und ich das so verarbeite, oder was weiß ich. Auf jeden Fall bin ich mir da jetzt nicht mehr sicher. Erinnerst du dich an die Prophezeiung, die ich vor fast vier Monden bekommen habe? Ich glaube, der Traum hing damit zusammen und… und ich glaube… gerade habe ich eine weitere Prophezeiung bekommen. Das Zeichen…“, kam es als unbremsbarer Wortschwall aus Rottupfs Maul. Flammensterns Nackenfell stellte sich auf vor Unbehagen. Mit einem Nicken bedeutete sie der Heilerin fortzufahren, auch wenn ihr das, was sie da hörte, überhaupt nicht gefiel.
„Da war dieser Rabe, den ich für Blaumond und dich bringen wollte. Aber wie ich ihn im Maul hatte, schmeckte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war ein ganz frisch gefangener Vogel… aber… ich wusste es irgendwie. Ich habe ihn fallen lassen. Mit acht Pfotenschläge lang habe ich auf sein Brustgefieder eingeschlagen, bis sie erkennbar wurden. Maden, die sich in das Herz des Raben fraßen. Das war ein Zeichen, Flammenstern!“ Rottupf zitterte nun nicht mehr. Stattdessen strahlte sie eine eiserne Ruhe aus. Wie die Ruhe vor einem Sturm.
Plötzlich wurden ihre Augen vollkommen glasig, ihr Maul klappte auf. Vor Unglauben, wie Flammenstern dachte. Die Anführerin beobachtete schockiert, wie Rottupf erst erfreut und kurz darauf ängstlich wirkte. Vollkommen grundlos zuckte die gescheckt-getüpfelte Kätzin zusammen. Sie begann wieder schwerer zu atmen. Überraschend jaulte sie: „Nein, Rehfarn! Das kann nicht dein Ernst sein!“ Und dann war sie still. Blickte auf einen Flecken Farn neben Flammensterns Nest.
Die flammenrote Kätzin fröstelte, ob vor Kälte oder vor Sorge, wusste sie nicht. Hatte Rottupf gerade Besuch von einer SternenClan-Kriegerin gehabt? Es sah wohl so aus. Und was auch immer Rehfarn ihr gesagt hatte, konnte nichts Gutes gewesen sein.
Urplötzlich kehrte Rottupf wieder in die Gegenwart zurück und blinzelte ängstlich. Ihre Ohren waren angelegt, sie hatte ihre Krallen tief in die Erde gebohrt.
„Alles in Ordnung?“, miaute Flammenstern, auch wenn sie sich fast sicher war, dass nichts in Ordnung war. Wie zu erwarten schüttelte Rottupf ihren Kopf, die Bernsteinaugen blitzten.
„Ein Wetter zieht auf – ein Bündel aus neuen Chancen und alten Versprechen. Zorn und Liebe aneinander gebunden. Ein innerer Kampf wird zum Krieg, bringt Rache, Hoffnung und Wunden. Des Feuers Blut schlägt wieder zu! Der Kreis der Acht, er schließt sich im nu!“, flüsterte die junge Heilerin mit bebender Stimme. Sie hatte ihr Zeichen wohl mit Rottupfs Hilfe gedeutet.
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