2. Kapitel


Ich atmete noch einmal tief durch und versuchte, dabei unauffällig zu sein. Unauffällig. Heute schüttle ich den Kopf darüber. Du musst es gemerkt haben, damals. 

Anders als ich, die nie etwas gemerkt hat. Oder doch? 

"Das hier ist der Schülerbau."  Ich habe auf einen großen Busch mit dunkelgrünen Blättern gewiesen, die alle recht weich und dick waren und du hast prüfend eine Kralle durch ein Blatt gestochen und schienst zufrieden zu sein. Ich wunderte mich zwar ein wenig über diese Geste, sagte aber nichts. 

Eilig ging ich weiter, doch ich habe schnell gemerkt, dass ihr mir nicht gefolgt seid. 

"Wollen wir nicht einmal hinein gehen?"

"Nein, da schläft jemand", tat ich es ab und ich glaubte, meine Schüchternheit schon aus meiner Stimme herauszuhören. 

"Dann machen wir doch weiter", hast du einfach gesagt und ich habe nur genickt. Schnell weiter. Ich musste die Führung so schnell wie möglich hinter mich bringen, um endlich von euch weg zu kommen! Und hätte ich es geschafft, wäre vielleicht alles gut ausgegangen, damals. Aber das Schicksal hatte anderes mit mir vor. 

Dicht gefolgt von dir und Kratzer ging ich weiter, an den Büschen und Bäumen um das Lager herum vorbei und kam vor dem Heilerbau zum Stehen. Kratzer musterte den Felsspalt, der den Eingang bildete, nur still und schien die Gerüche in sich aufzunehmen. 

"Ist Molch da drin? Ich kann ihn riechen", fragte der braune Kater und ich nickte. 

"Ja, da dürfte er drin sein. Das ist der Heilerbau."

Kratzer neigte leicht den Kopf, um mir zu zeigen, dass er verstanden hatte und machte ein paar Schritte. Und bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, war er schon im Heilerbau verschwunden. 

Du hast mich kurz bittend angesehen, dann bist du deinem Freund hinein gefolgt. Ich glaube, ihr wart schon damals wie Brüder für einander...

Ich seufzte und ging euch hinterher. Nicht, dass ihr noch Kräuter runterwarft oder so, egal, ob absichtlich oder nicht. Drinnen empfing mich die Dunkelheit, doch ich konnte noch alles sehen, da noch ein paar Sonnenstrahlen durch den Eingang in den gemütlichen Spalt hineinfielen. Ob es Molch wohl besser ging?

Schon bevor ich einen Blick auf den kranken Kater warf, wusste ich, dass er sich nicht erholt hatte. Ab und zu erklang ein Stöhnen oder ein Würgegeräusch, das klang, als würde sich jemand gleich übergeben. Ich weiß noch genau, wie schlecht mir dabei war. Dieses Gefühl in meinem Magen, als würde ich gleich seinen Inhalt vor mir ausleeren. 

Als ich näher trat, merkte ich, dass Kratzer zu zittern schien, genau wie du. Molchs Atem schien immer langsamer zu werden, immer unregelmäßiger hob sich seine Brust und senkte sich wieder. Der liegende Kater röchelte. 

"Vergesst nicht... was... für Zeiten das... waren...", presste er hervor und schloss gequält die Augen, bevor er sie noch einmal öffnete. 

"Ich... schaffe das... nicht. Es... ist zu... stark..."

"Nein! Du... du hältst durch!", hast du mit zitternder Stimme geflüstert und bist näher an deinen Freund heran gerückt, als ob es dir etwas bedeutet hätte. Alles in mir zog sich zusammen, als ich sah, wie sehr Molch litt. Und ihr schient mit ihm zu leiden. 
Vielleicht hattet ihr es ja sogar verdient. 

Ganz sachte schüttelte der Kranke den Kopf. Nur ganz leicht, kaum erkennbar. Aber du hattest es trotzdem gesehen. 

"Molch..."

Ich wandte den Blick ab und hörte nur das schwache Röcheln, das den ganzen Heilerbau zu erfüllen und uns zu erdrücken schien. 

"Lasst ihn. Er muss sich ausruhen", erklang auf einmal Minzbarts Stimme und der junge Heiler mit dem schwarzen Fell tunkte ein Stück Moos in die Wasserpfütze in der Vertiefung, die sich in der Ecke befand. "Trink."

Ich sah es nicht, doch ich konnte es auch wahrnehmen, als ich meine Augen schloss. Ein leises Schmatzen, der Geruch von Wasser. Schlucken. 

"Geht jetzt. Ich passe auf ihn auf."  Warum habe ich damals nicht gesehen, wie recht du hattest?

Du sahst Minzbart mit diesem seltsamen Blick an, bevor Kratzer dich mit nach draußen zog und ihr schwer atmend vor dem Heilerbau standet, ich neben euch. Ihr wart beide merklich besorgt. 
Und das zu Recht. 

"Vielleicht sollten wir erstmal unseren Schlafplatz sehen", schlug Kratzer schließlich vor und ich nickte, während du mit mit deinen bernsteinfarbenen Augen durch den Spalt starrtest. Ich glaubte, einen Funken Wut in ihnen aufblitzen zu sehen und Mitleid stieg in mir auf. 

Er muss bestimmt verwirrt sein, dachte ich mir und überlegte kurz. 

"Ihr... Ihr könnt im Ältestenbau schlafen."  Dass dieser gerade leer war, erwähnte ich absichtlich nicht. Ihr brauchtet ja nicht zu wissen, dass man euch nicht wirklich traute. 
Und ich hätte es auch niemals tun dürfen. 

Du schienst nicht begeistert zu sein und auch Kratzer hat mich zweifelnd angeblickt, doch ihr habt schlussendlich zugestimmt. So führte ich euch zum Ältestenbau, der eigentlich nur aus einem undichten, ausgehöhlten Busch bestand, dessen Lücken mit Lehm und Ästen versiegelt worden waren, ähnlich wie die Kinderstube. 

Gemeinsam haben wir den Bau betreten und uns in einer winddichten, trockenen Buschhöhle wieder gefunden. Kratzer sah sich kurz um und kratzte dann die Moosreste auf dem Boden zusammen, während du stehen bliebst. 

"Brauchen wir nicht noch mehr Moos?"

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich deine Stimme vernahm und ich wunderte mich, wie warm du eben geklungen hattest. Deine Stimme war nicht tief und wohlklingend, ein leichtes Kratzen war schon vorhanden. Aber genau das mochte ich aus irgendeinem Grund. 

"Natürlich. Gehen... Gehen wir welches holen?"

Du nicktest und Kratzer hat es sich auf seinem Mooshaufen gemütlich gemacht. 

"Ich bleibe mal hier, wenn es in Ordnung ist", miaute er und wir stimmten zu, bevor wir gemeinsam loszogen. Erst, als wir im Wald angekommen waren und die Stille uns umgab, merkte ich, was ich gerade getan hatte. Gesagt hatte. 

Ich bin allein mit einem fremden Streuner!, schoss es mir durch den Kopf und mein Herz klopfte heftig gegen meine Brust. Er könnte alles mit mir machen! 

Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich mir das nur einredete. Warum war ich so... aufgeregt? Warum schlug mein Herz dann so schnell und laut?

"Da ist doch gutes Moos", hast du locker gesagt und schon damit begonnen, das weiche Nestpolster vom Baum abzukratzen. Systematisch, ordentlich. Das Gewächs würde am Ende keinen Kratzer haben, dessen war ich mir sicher. 

Ein komisches Gefühl überkam mich, doch ich fing auch an, das Moos von der Rinde zu schälen. Es würde ein gutes Nest abgeben. 

Schweigend machten wir beide weiter, nur das Scharren unserer Krallen durchbrach die Stille. Während wir unserer Arbeit nachgingen, spürte ich, wie mein Herz immer ruhiger wurde und sich mein Herzschlag schließlich wieder normalisierte. Ob du das gehört hattest? Ich glaube nicht, oder du ließest es dir damals einfach nicht anmerken. 

Nach einer Weile hatten wir beide den Eindruck, genug Moos gesammelt zu haben und wir kehrten ins Lager zurück. Du bist nur im Ältestenbau verschwunden, der jetzt offenbar euch gehörte, und ich bin stehen geblieben, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte. 

"Wie.. wie war es?", hat jemand hinter mir gefragt und ich habe mich zu Kleepfote umgedreht. Sie hat mich besorgt angesehen und ich kuschelte mich an meine Schwester. "Es war... ich weiß nicht..."

Ich wusste nicht, wie ich das beschreiben sollte. Also ließ ich es, und Kleepfote strich mir nur liebevoll mit dem Schweif über die Schulter. 

"Ich verstehe dich", meinte sie mitfühlend. "Komm."

Aber sie hat mich nicht verstanden. Das wusste ich damals, als sie sich mit mir ein Beutestück teilte und wir schlafen gingen, und das weiß ich heute. Ich habe es immer gewusst, das bin ich mir sicher. 

Aber warum habe ich es dann nie gesagt? 

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