17. Kapitel
Ich glaube, ich weiß heute, warum ich damals an der Rebellion teilgenommen habe. Warum ich geholfen habe, dich zu fangen, warum ich Fels unterstützt habe.
Warum ich dich verraten habe.
Im Grunde ging es damit los, dass du ohne jemanden loszogst, um Flutpfote zurückzuholen. Natürlich war unser erster Gedanke, dass du uns das nicht zutraust und dementsprechend sah niemand wirklich begeistert aus, als du alleine losgingst.
Und damit begann Fels' Plan. Er hielt eine Rede, um die Katzen auf seine Seite zu ziehen und brachte dabei Sand, Pischi, Schaufel, Apfel, Brenn, Dachs und Erdbeere gegen sich auf. Aber irgendwie schaffte er es auch, den Rest zu überzeugen, die Störenfriede aus dem Weg zu räumen. Sie sollten leiden.
Ich wünschte, du hättest dich nicht wie ein strenger Vater verhalten, als Pischi, Schaufel und Apfel Jungen waren. Sie stellten dein Verhalten gar nicht richtig in Frage. Kein Wunder, dass sie Fels widersprachen.
Es tat mir leid, dass die drei aus dem Weg geräumt wurden. Dass sie in der Felshöhle, die für Flutpfote bestimmt gewesen war, verdursten würden, weil niemand sie versorgte.
Dass sie nie ein besseres Leben gehabt hatten.
Doch ich hatte gelernt, dass man Opfer bringen musste. Vielleicht war das das, was ich geben musste, um endlich hier weg zu kommen.
Wir verteilten uns wie geplant im Territorium, um dich schnellstmöglich zu erwischen. Es sollte schnell gehen. Wir würden Flutpfote freilassen. Und ich wusste damals noch nicht, was passieren würde, wenn wir dich erstmal hatten. Aber ich hätte es mir eigentlich denken können.
Irgendwann kam Distel zu mir gestürzt, erklärte mir, dass Kreisel und Kratzer dich gefangen hatten und dass wir euch überwachen und sicherstellen sollten, dass du nicht flohst. Und während ich das Gesagte noch verarbeitete, war sie schon weiter gerannt.
Als ich dir folgte, wurde mir erst richtig klar, was wir hier taten. Das war Verrat. Meuterei. Eine Rebellion mit allem, was dazu gehörte.
Ich spürte die Schatten um mich herum, die auch auf dich aufpassten. Die Anderen, die dich so sehr hassten. Fühlte, dass sie bereit waren, alles zu tun. Hörte ihre klopfenden Herzen.
Und ich war ein Teil von ihnen.
Als wir schließlich im Lager angekommen waren, machten wir uns auf Fels' Zeichen sichtbar. Wir traten hinter den Büschen hervor und umringten dich.
Auf einmal fühlte ich einen Funken Mitleid. Du wurdest von Kratzer und Kreisel zu Boden gedrückt, überall in deinem Pelz war Blut, ganze Stücke Haut lagen offen und du warst mit Wunden übersäht.
Fels sagte etwas, ich hörte nur das Wort ,Flutpfote'. Doch das interessierte mich nicht. Alles, was ich sah, warst du. All die Wut, die noch in deinen Augen lag, obwohl du längst besiegt warst. Als könntest du noch etwas ausrichten.
Wieder sagte der graue Kater etwas und nahm dann Kings Platz ein, der vortrat und dir mit ausgefahrenen Krallen einen Schlag ins Gesicht verpasste. Als hättest du nicht schon genug Schmerz erfahren.
Der Reihe nach taten es ihm alle nach. Verletzten dich oder warfen dir hasserfüllte Blicke zu. Waren wir besser als du? Taten wir dir nicht gerade das an, was du auch uns angetan hattest?
Irgendwann war ich dran. Mit wackeligen Knien machte ich einen Schritt nach vorne, stand nun direkt vor dir.
Ich sah so viel in deinen Augen. Wut, Enttäuschung, Trauer. So viel. Und Verletztheit, die mich so unendlich traurig machte.
Ich spürte die Streifen auf meiner Stirn pochen. Ich sah in deine bernsteinfarbenen Augen, konnte mein Spiegelbild klar und deutlich darin erkennen. Mein Fell war wieder braun. Die weißen Streifen fast waren schon lange verblasst, jetzt kamen sie langsam wieder. Sie waren schon leicht zu sehen.
Und die orangene Federkrone auf meiner Stirn war wieder da.
Erinnerungen kamen in mir hoch.
Wir, wie wir in der klaren Sternennacht saßen und die Sterne betrachteten, als wäre es das letzte Mal. Vor der Kriegerzeremonie, vor der Nacht, die alles zerstörte. Die dich zerstörte.
"Vielleicht, vielleicht, Fischteich", murmelte ich gedankenverloren und spähte nochmal zu dir herunter, den Kopf gesenkt, die Pfote zögerlich erhoben, weil die Katzen um uns herum schon ungeduldig tuschelten.
Und als ich nochmal in deine Augen blickte, zog mein Herz sich schmerzhaft zusammen. Da war etwas, das ich noch nie gesehen hatte. Nie bei dir. Und auch nie erwartet hatte, nach so langer Zeit, nach all den Monden, in denen du nicht mich gesehen hattest, sondern Lilie.
Erkennen.
"Vielleicht, vielleicht, Fischteich", krächzest du und starrtest mich an, als hätte ich mich in ein Eichhörnchen verwandelt. Ich wusste, dass du es wusstest. Und du wusstest es auch.
"Royal", flüsterte ich und Tränen sammelten sich in meinen Augen.
"Liliensee", dieses eine Wort war nur ein leiser Hauch aus deinem Mund, das an meinem ganzen Körper Gänsehaut auslöste und dafür sorgte, dass mein Fell sich aufstellte.
Und das war der Moment, als ich dir meine Pfote ins Gesicht schmetterte und dir mit gebrochener Stimme nur ein kleines "Ich liebe dich", zuflüsterte, das doch gleichzeitig auch so groß war.
Ich legte all meinen Schmerz und die Wut in den Schlag, all den Hass, all die Verbitterung.
Und in diese drei magischen Worte all die Liebe in mir, die nie Erwiderung gefunden hatte.
In deinem Gesicht konnte ich genau das sehen, was ich verspürt hatte, als du mich einfach nicht erkannt hattest. Als du mich niedergeschlugst, als du mein Herz mit deinen Krallen zerfetzt hattest, als du mein Vertrauen mit den Pfoten getreten hattest.
Es war immer so gewesen, als hättest du mir ins Gesicht geschlagen. Ich wollte dir das zurückgeben, was ich bekommen hatte.
Du sagtest nichts. Starrtest mich an, rührtest dich nicht. Es war vorbei. Ich hatte meine Rache vollendet, nicht du.
Die Rache, auf die mein Unterbewusstsein die ganze Zeit gewartet hatte, ohne, dass ich es merkte.
Da war so viel in deinen Augen. Keine Wut mehr - es waren Trauer, Enttäuschung und Verletztheit.
Aber da war noch so etwas, das ich nicht verstand. Das ich noch nie gesehen hatte, ich wusste nicht, wie es bei dir aussah. Es war bei jedem doch so anders.
Ich trat zurück, wartete mit gesenktem Kopf, bis alle fertig waren. Fels begann, zu dir zu sprechen, doch ich nahm seine Worte nur dumpf wahr.
"Sag auf Wiedersehen. Du wirst das Licht der Welt nie wieder erblicken. Genauso, wie alle, die dir unschuldig zu Opfer gefallen sind."
Vielleicht war es eine gute Rede. Aber ich hörte nicht zu, war nicht dazu in der Lage, dich anzusehen, während du starbst. Ich wusste, was jetzt passieren würde.
Fels stieß dir seine spitzen Krallen in die Kehle, zog sie durch dein Fleisch. Dein Kreischen hallte ohrenbetäubend über die Lichtung, die Vögel hatten schon lange aufgehört, ihre fröhlichen Lieder zu singen.
Der graue Kater blickte triumphierend drein, während du etwas Unverständliches gurgeltest. Aber mir war egal, was die anderen taten. Wir hielten Blickkontakt, bis das Licht in dir verlosch.
Oder sollte ich besser Dunkelheit sagen?
Ich sah nicht, wie dich alle anstarrten. Ich hörte nicht, wie sie ein Triumphgeheul anstimmten. Roch nicht das Blut, das sich um dich sammelte und dein Fell durchtränkte.
Ich spürte nur die Trauer und den Schmerz, die glühend heiß durch meine Adern schossen und mich in die Knie zwangen. Mich zu erdrücken drohten.
Wieder sagte Fels etwas. Ich reagierte nicht. Achtete nicht auf die Gruppen, die gebildet wurden. Nahm Maulbeere kaum wahr, als sie mich anstupste und durch den Nebel in meinem Kopf versuchte, mich zu erreichen.
Und wie von fremden Mächten gesteuert, fuhr ich herum, sprang auf die Pfoten und rannte davon, als wären die Krieger des Waldes der Finsternis hinter mir her.
Weg. Ich musste weg. Weg von dir, weg von deinem Mörder, weg von allen, die mich ansprechen konnten. Stören konnten.
Mir war nie wirklich klar gewesen, was du alles ausgelöst hattest. In mir. Bei den Clans. Überall, wo du hin kamst.
Aber war es nicht irgendwie klar gewesen? Dass es so ausgehen würde? Irgendwann?
Vielleicht hattest du es verdient. Das Monster in dir, das von Molchs Tod losgelassen worden war. Vielleicht hast du es dir wirklich verdient, mit jeder deiner Taten aufs Neue.
Aber am Ende warst du doch auch nur ein Kater mit Gefühlen. Ist es nicht eine Kunst, damit umgehen zu können?
Ich weiß, dass du mich hörst, Royal. Jetzt weiß ich es. Und ich weiß auch, was das da war, der seltsame Ausdruck in deinen Augen.
Es war Reue.
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Das letzte Kapitel *-*
Jetzt kommt noch ein Epilog und an Weihnachten eine Überraschung, dann ist das Buch leider auch schon vorbei. Aber Fakten bekommt ihr auch noch :)
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