15. Kapitel
Wir hatten den blaugrauen Kater scheinbar überschätzt. Nachdem er aufgewacht war, hattest du ihm gedroht, ihn zu töten, wenn er nicht gehorche, doch er wirkte nicht besonders feindselig und machte nicht einmal Anstalten, dich anzugreifen. Eher neutral. War er vielleicht doch nicht der Anführer der Truppe, sondern eher ein Außenseiter gewesen?
Ich hatte gesehen, wie er euch musterte. Überlegt, nachdenklich. Und er gehorchte dir. Man merkte, dass er sich in Kämpfen zurückhielt, was nach Trainingskämpfen nicht wirklich zu seinem Rang beitrug, doch er war ein guter Kämpfer, das hatte er gezeigt. Ich glaube, er stand auf dem gleichen Rang wie ich.
Die Namen der zwei Kater hatten wir auch schon erfahren. Der Orangene mit der seltsamen, gelben Zeichnung auf der Stirn und den grünen Augen hieß King und der Rot-gelbe mit den schwarzen Augen war tatsächlich sein Bruder, Ara war sein Name.
Die dunkelrote Kätzin, die ja mit ihrem Jungen hier war, das sie Apfel genannt hatte, hieß Maulbeere. Wir wurden schnell Freunde und es stellte sich heraus, dass sie Schaufel und Pischi sogar mochte, es schien in diesem Lager trotz allen Grausamkeiten immer noch eine Form von Liebe zu geben.
Weitere Katzen kamen hinzu, Monde vergingen. Alle mussten bei ihrer Aufnahme einen Schwur leisten, genau wie ich. Ich wette, Fels hatte das nicht gemusst.
Die Zeit zog an uns vorüber wie die Monster auf einem Donnerweg. Bald hatten wir mehr Mitglieder, als ich am Anfang erwartet hatte und du erfandst neue Ränge.
Vielleicht warst du einfach zu fantasielos, um die Ränge anders zu gestalten als bei den Clans. Es waren ja die gleichen mit anderen Namen, bis auf ein paar wenige Ausnahmen.
Die Katzen, die die Auszubildenden trainierten, hießen Lehrer. Königinnen wurden Jungenmütter genannt und du hattest es zwar nie wirklich erwähnt, doch man konnte es aus deinen Aussagen herausfiltern. Katzen, die zu alt waren, um den Reißern noch zu helfen, wurden entsorgt. Wie Müll. Als wären sie verdorbene, alte Beute.
Krähenfraß.
Ein gutes Beispiel dafür war Milan. Der alte Kater war von den Schwestern Distel und Flocke, einer Albinokätzin, aufgegabelt worden und hatte mitjagen müssen, obwohl alle sehen konnten, dass er nicht mehr in Form war. Irgendwann war er zusammengebrochen, er hatte einige Tage bei Gischt in einem Bau gesessen, der anscheinend einigermaßen mit Kräutern umgehen konnte und dann war er plötzlich weg gewesen, als hätte er nie existiert. Niemand hatte es gewagt, über ihn zu sprechen oder gar nachzufragen, was passiert war.
Niemand kannte die Antwort, doch gleichzeitig wussten auch alle, was mit Milan geschehen war. Wo er jetzt war.
Irgendwann kamen Kratzer, King und Sand ins Lager gehuscht und ich hätte sie fast übersehen, als ich so nahe des Lagerwalls saß und den Sternenhimmel betrachtete. Doch der Geruch ließ mein Herz höher schlagen.
LaubClangeruch. Ganz klar der Duft meines alten Clans. Der Duft, der so lange an mir gehaftet hatte...
Ich drehte mich lautlos um und beobachtete misstrauisch, wie die drei Kater mit drei Fellbündeln im Maul in den Bau der Jungenmütter schlich. Ich musste an Apfel, Schaufel und Pischi denken, die schon längst junge Soldaten waren. Schaufel war sogar ein Lehrer für alle Auszubildende und Apfel schien diesen Posten auch zu wollen, sie trainierte hart dafür und gab sich alle Mühe, sich bei dir einzuschleimen und befördert zu werden. Das hatte sie vermutlich von Sand, ihrem besten Freund.
Es lief ein wenig anders als bei den Clans, wo es einen Mentor für jeden Schüler gab.
Ich spürte, wie Trauer mein Herz umhüllte und ich vertrieb die Gedanken. Nein, es würde diesen Jungen gut gehen, die gerade hergebracht worden waren. Wir hatten eine Jungenmutter, deren Jungen gestorben waren, weil sie nicht stark genug gewesen waren, zudem hatten sie alle gehustet. Reis würde sich gut um sie kümmern, auch, wenn sie manchmal etwas grob war.
Ich sah den Katern noch kurz hinterher und registrierte noch, wie sie wieder aus dem Bau der Jungenmütter kamen, bevor ich mich wieder dem Sternegucken widmete. Es war so viel schöner als das, was die ganze Zeit um mich herum passierte.
[...]
Ich muss sagen, ich war entsetzt, damals, als ich hörte, dass Flut verschwunden war. Der graue Kater war eines der drei Jungen, die vor einigen Monden von den Clans gestohlen worden waren und ich hatte Mitleid mit Asche, seinem Bruder.
Blume schien es eher peinlich zu sein, denn die braune Kätzin wirkte nicht so, als würde sie sich großartig darum kümmern und sie wechselte immer das Thema, wenn über ihren Bruder gesprochen wurde.
Ich hatte von Apfel, die mich als eine Art Mutter ansah, erfahren, dass er sich ihrem Befehl widersetzt hatte.
"Er wollte Flut hinterherspringen und ihn retten, obwohl ich es verboten habe!", hatte sie gesagt und wütend geschnaubt. Und ich hatte nicht verstanden, warum er dann gleich im Gefangenenbau saß und dort dahinsiechte, darauf wartend, dass er eine Strafe bekam.
Ich hatte Asche einmal eine kleine Maus vorbeigebracht. Niemand hatte gesagt, dass er nichts bekommen sollte, und es war Essenszeit gewesen, da hatte ich ihm einfach das kleine Beutetier zugesteckt, damit er wenigstens nicht hungerte. Vielleicht war es falsch, sich dir zu widersetzen, doch es kam mir richtig vor.
Ich sah jeden Tag in deinem Gesicht, wie es dich beschäftigte. Wie du darüber nachdachtest, was du tun könntest, um Flut zurückzuholen.
Du schicktest Katzen los, die ihn ausspionierten. Ich hatte das auch einmal getan, und obwohl ich gesehen hatte, wie er Kampftraining hatte und sich eigentlich ganz gut schlug, hatte ich dir nichts davon berichtet. Flut verdiente ein besseres Leben, fand ich.
Ich glaube, er war glücklich dort. Glücklicher, als er es je hier hätte werden können.
Aber ich wusste nicht, was das auslösen würde. Was er auslösen würde. Was passieren würde.
Wer weiß, vielleicht hätte ich dann ja anders reagiert.
Aber vermutlich hätte es nicht einmal etwas geändert.
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