12. Kapitel

Ich folgte dir durchs Dickicht und sah mich immer wieder um, sagte jedoch nichts. Es wurmte mich, dass ich in der Rangordnung praktisch ganz unten stand. Und das nur, weil ich als Letzte dazugekommen war! War das nicht unfair? 

Aber mich störte auch der Name der Gruppe. Die Reißer. Mir war klar, dass ich nicht viel zu sagen hatte, aber schon allein dieser Name löste ein ungutes Gefühl in mir aus. Er klang nach Rache, Brutalität und Blut. 

An der Spitze liefst gerade du, Fels hinter dir und vor mir Kratzer. 
Ich betrachtete den muskulösen, braunen Kater mit den schwarzen, kreisförmigen Flecken am ganzen Körper von hinten und musste mir eingestehen, dass er eigentlich noch nie etwas gegen mich gesagt oder getan hatte. Hieß das, dass er netter zu mir war als du? 
Hieß das, dass du mich schlecht behandeltest? 

Du bliebst stehen, Fels und Kratzer ebenso und ich konnte gerade noch verhindern, dass ich in Kratzer reinlief. Ich spürte die Hitze unter meinem Fell, doch niemand schien etwas gemerkt zu haben. 

"Stellt euch jetzt voreinander auf", ertönte deine Stimme von vorne und ehe ich mich versah, hatten sich Kratzer und Fels voreinander hingestellt und du standst vor mir. 

Vermutlich sollten wir gleich anfangen, einen Trainingskampf zu veranstalten. Ich hatte vorhin nur verstanden, dass ich mitkommen sollte, aber ich war noch nicht dahinter gekommen, warum. 

"Greift euch an. Ich will eure Kampftechniken sehen", befahlst du nun und warfst Kratzer einen kurzen Blick zu, bevor du dich wieder an mich wandtest und mich drohend umkreistest. Ich ahmte dich sofort nach und musterte dich prüfend. Doch ich merkte schnell, dass ich mich nicht richtig auf den Kampf konzentrieren konnte, sondern eher dich und deine schönen Augen anstarrte. 

Und so sah ich den Schlag von dir nicht kommen. Stechender Schmerz durchfuhr meine Flanke, als du mich ansprangst und mir deine Krallen in den Körper rammtest, bevor du dich flink wieder außer Reichweite brachtest und mich spöttisch anfunkeltest. 

Meine Augen weiteten sich erschrocken. Wir kämpften mit ausgefahrenen Krallen? Das war ein Trainingskampf, kein echter! Warum unnötig Blut vergießen, wenn es auch anders ging?

Ich war zu unkonzentriert. Schon folgte ein harter Tritt von hinten gegen meine Hinterbeine, sodass ich nach vorne stolperte, das Gleichgewicht verlor und fast gefallen wäre, doch ich konnte mich noch fangen. Und als ich gerade dachte, noch nicht verloren zu haben, packtest du mich mit deinen Zähnen an meinem Hinterbein, verdrehtest es so, dass ich das Gefühl hatte, du würdest mir mein Bein ausreißen und stießt mich zu Boden. 

Ich biss die Zähne zusammen, versuchte, den Schmerz in meinem Bein zu ignorieren und rappelte mich auf, bevor du mich auf der Erde festnageln konntest. Ein wenig unbeholfen humpelte ich zur Seite, ließ dich nicht aus den Augen und spürte eine Spur Triumph in mir aufkommen. Noch hattest du nicht gewonnen, ich war immerhin eine Kriegerin und hatte meine Kampfprüfung bestanden. Ich hatte Chancen. 

Eigentlich war es nicht weiter verwunderlich, dass du so dreckig kämpftest. Du warst immerhin ein Streuner und hattest dir vermutlich deine Techniken auch selber beigebracht; so konnte man auch von dir erwarten, dass du ganz gezielt versuchtest, mich möglichst schmerzhaft zu Fall zu bringen, möglichst effektiv. Doch in einem Trainingskampf?

Du sprangst erneut auf mich zu und ich erinnerte mich an das, was Mondkristall mir beigebracht hatte. 

Im letzten Moment auf die Hinterbeine stellen, Pfoten heben, nach vorne schnellen. Ich achtete darauf, die Krallen eingefahren zu lassen. Ich wollte dich nicht verletzen. 

Du wurdest von mir zurückgeschleudert und flogst hart auf den Boden, während ich elegant mit den Vorderpfoten aufkam und wieder in normaler Kampfstellung dastand, mein Bein pochte immer noch schmerzhaft. Vermutlich hattest du mich mit Absicht behindert, indem du verhindertest, dass ich mein Bein richtig belasten konnte. 

Ich beeilte mich, zu dir zu kommen, um dich zu Boden zu drücken und dich aufzufordern, dich zu ergeben, doch als ich über dir stand und meine Pfoten auf deinen Schultern platzieren wollte, blieb mir beinahe das Herz stehen. 

Dein Kopf lag auf der Erde, du hattest die Augen geschlossen. Als würdest du schlafen. Doch ich wusste, dass du das nicht tatst. 

War das ein Trick? Ich kannte die Methode, dass man sich totstellte und dann angriff, wenn der Gegner es am wenigsten erwartete. Aber mir war gar nicht wohl dabei, dich jetzt noch weiter zu bearbeiten. War ich zu hart gewesen? Unsicher sah ich auf dich herunter. 

Du hast dich damals plötzlich aufgebäumt, mir deine Pfoten auf die Schultern gepresst, uns so gedreht, dass ich unter dir lag und mich zu Boden gedrückt. Ein ganz klassischer Trick. Und ich war darauf hereingefallen. 

Du hast mich angegrinst und mich dann aufstehen lassen, es war klar, wer gewonnen hatte. Kratzer und Fels standen neben uns, der Graue schien Kratzer schon besiegt zu haben, denn dem braunen Kater lief Blut übers Gesicht und er hatte deutlich mehr Wunden als Fels. 

Du nicktest Fels anerkennend zu und besahst Kratzer kurz, bis du zum Schluss kamst, dass seine Wunde wohl nichts Ernstes war. 

"Ich weiß nun, wie es um eure Fähigkeiten beim Kämpfen steht", hast du uns erklärt und jeden von uns kurz angeschaut. 

Fels drückte stolz die Brust raus, während Kratzer neutral dreinblickte. Und ich fühlte mich einfach nur klein und dumm, während ich mit schmerzendem Bein und Wunden an der Flanke dastand und mich dafür schämte, auf so einen einfachen Trick hereingefallen zu sein. 

"Ich habe eine Entscheidung getroffen. Fels, du wirst ab heute mein zweiter Anführer sein", hast du verkündet und Fels' Augen schienen zu strahlen.
"Du stehst nun über allen in der Rangfolge, nur ich stehe über dir", hast du dann noch erläutert und dann voller Elan mit dem Schweif geschnipst, als hätten wir nicht gerade blutig gekämpft. 

"Wir gehen jetzt noch jagen."

Ich stöhnte innerlich, schwieg jedoch und ging euch hinterher. 

Es war wohl doch kein einfacher Trainingskampf gewesen. Und mir hätte klar werden müssen, dass ich zu diesem Zeitpunkt einfach verschwinden und nie mehr hätte wiederkehren sollen. 

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