Kapitel 2
Es war schon fast Sonnenhoch, als sie wieder im Lager eintrafen. Sie waren die ganze Grenze entlanggelaufen, vom MondClan bis zum FeuerClan. Nach dem unglücklichen Zusammentreffen mit der MondClan-Patrouille waren sie keiner anderen Katze mehr begegnet. Taublüte sprang gleich in den Schatten, da die Sonne jetzt erbarmungslos auf die Felsen schien. Auch die anderen Katzen suchten sich schnell ein kühles Plätzchen. Die Königinnen lagen unter einem Schlehenbusch, an dem in dieser Jahreszeit blaubereifte Früchte zwischen den grünen Blättern aufblitzten. Aufmerksam beobachtete Goldregen ihre Jungen Hasenjunges, Malvenjunges und Lindenjunges, die mit einer Mooskugel auf dem in der Sonne liegenden leeren Lager spielten. Neben Goldregen entspannte sich Fleckenfell im Schatten, an deren rundem Bauch man schon erkennen konnte, dass ihre Jungen in wenigen Monden zur Welt kommen würden. Salbeistern lag neben seinem Bau im Schatten des Fliederbusches, an seiner Seite Sonnenglut, der sich gerade erhob, vermutlich um die Jagdpatrouille einzuteilen. Vor dem Kriegerbau gaben sich Mondglanz und Rosenschweif die Zungen. Mondglanz war erst seit einem Mond eine Kriegerin. Sie war einen halben Mond nach Taublüte ernannt worden. Rosenschweif war Taublütes Wurfgefährtin. Sonnenglut war ebenfalls ihr Bruder, doch er war mehr als zwei Blattwechsel älter als sie, wie Sternenglanz und Ginsterkralle. Die Eltern von allen waren Eulenschwinge und Efeupelz. Eulenschwinge war fast die Einzige, die zweimal Junge bekommen hatte und immer wieder in den Kriegerbau zurückgekehrt war. Inzwischen zählte sie neben Efeupelz zur ältesten Kriegerin und genoss daher einen besonderen Rang. Allerdings glaubte Taublüte, dass die beiden bald in den Ältestenbau umziehen würden. Vor allem Eulenschwinge hatte in letzter Zeit häufig über Gelenkschmerzen geklagt. Auch Efeupelz war gealtert, auch wenn er sich das nicht eingestand. Die Haare um seine Schnauze wurden schon grau und unter seinem noch glänzenden Fell konnte man schon seine alten Knochen erahnen. Doch alle hofften, dass sie erst nach der Blattleere dort einzögen. In der Zeit der Blattleere war Beute immer besonders knapp und viele Krieger waren nötig, um den ganzen Clan mit Frischbeute zu versorgen.
Eilig schlang Taublüte ihre restliche Maus hinter und gesellte sich zu ihrer Schwester Rosenschweif und Mondglanz. Bald wurde sie jedoch zu einer Jagdpatrouille gerufen und die silberne Kätzin verabschiedete sich mit schnippendem Schwanz. Taublüte genoss die Zeit, die ihr mit ihrer Schwester alleine vergönnt war. Schnurrend gaben sie sich die Zunge im Schatten einer verkrüppelten Kiefer.
Gegen Nachmittag zogen die ersten Wolkenfetzen über den Himmel und verdunkelten die hellen Sonnenstrahlen. Deutlich kühlerer Wind strich über den Berghang und plusterte den Katzen die Pelze auf. Kurz danach traf die Patrouille ein, mit viel Frischbeute. Die Königinnen gerieten langsam in Aufruhr, denn regenschwere Wolken näherten sich dem Berg. Aus Erfahrung wussten sie, dass die Wolken am Gipfel hängen bleiben und abregnen würden, ehe sie weiterzögen. Am Mittag war es so schwül gewesen, dass jetzt vermutlich ein Gewitter drohte. Goldregen und Fleckenfell scheuchten die Jungen in die Kinderstube. Sternenglanz hielt besorgt ihre Nase in den Wind und schnüffelte. Ihre Augen zeigten eindeutig, dass ein Unwetter heraufzog. Die Krieger räumten rasch die Frischbeute unter die Wurzeln der kleinen Kiefer am Anführerbau. Salbeistern und Sonnenglut organisierten die Aktion und unterhielten sich, während sie am Rand standen und alles im Auge hatten. Taublüte eilte zu Sternenglanz, um ihr tragen zu helfen. Bei einem Unwetter dieser Art konnte es passieren, dass sich durch einen Starkregen und die dadurch ausgelösten Fluten Bäume losgerissen wurden und Steine herunter prasselten. Wenn Katzen noch im Lager waren, konnten sie durch einen Steinschlag oder durch einen umfallenden Baum getötet werden. Deshalb suchten die Katzen jedes Mal die Felsspalten in der Felswand auf und warteten dort das Unwetter ab. Allerdings war die Schwierigkeit, dass alle Kräuter von der Heilerkatze in Sicherheit gebracht werden mussten, und das, bevor das Unwetter begann. Eilig schleppten sie die Kräuterbündel in eine Felsspalte. Gerade, als Taublüte das letzte Bündel holte, fielen die ersten Tropfen. Auch der Wind hatte zugenommen. Er pfiff unerbittlich um die Kiefern herum und durch die hohlen Löcher im Berg. Das Prasseln des Regengusses glich einem Donnergrollen, das immer mehr zunahm. Blitze zuckten über den dunklen Himmel, an dem die grauen Turmwolken geradezu strahlten. Die Katzen in den Höhlen fauchten vor Angst und die Jungen, die mit ihrer Mutter in der Kinderstube waren, da sie ganz im Berg lag, miauten kläglich. Ein übernatürlicher Donner ließ die Katzen zusammenfahren. Taublüte legte die Ohren an und presste sich enger an die Felswand. Neben ihr lag Sternenglanz, die äußerlich ganz entspannt aussah, jedoch hatte sie vor Schreck weit aufgerissene Augen und ihr Schwanz zitterte unruhig. Der Regen spritzte Taublüte von dem Vorsprung vor der Höhle ins Gesicht. Angewidert schüttelte sie sich und ging ein paar Pfotenschritte zurück. Dabei stolperte sie über ein Bündel Ringelblumen. „Pass doch auf!", knurrte Sternenglanz, jedoch klang es mehr verängstigt als wütend. Trotzdem schob die weiße Kriegerin die Kräuterbündel mit der Pfote weiter hinter, um sich selbst vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Plötzlich übertönte ein angstvolles Fauchen das Knacken von Holz. „Der Blitz hat die Kiefer über dem Anführerbau getroffen!" Ein Raunen ging durch die Menge der Katzen und sie reckten die Köpfe, um einen Blick auf das Lager erhaschen zu können. Auch Taublüte wagte einen Blick über den Rand und sie erkannte es kaum wieder. Der Blitz hatte die Kiefer in der Mitte des Lagers gespalten und während die eine Hälfte wie eine kahle, verkohlte, tote Hand in den Himmel ragte, wurde die andere Hälfte bereits von den Sturzfluten weggeschwemmt, die durch das Lager brausten. Ein Teil des Stammes hatte sich im Eingang des Heilerbaus verkantet, der auch von Wasser ausgespült wurde, weil er niedriger lag als die anderen Baue. Die Kinderstube lag höher und blieb bis jetzt von den Fluten verschont. Das stetige, ängstliche Maunzen der Jungen ging im Tosen der Fluten und dem Donnern des Gewitters unter. Nach einiger Zeit zogen die großen Turmwolken weiter und mit ihnen die Blitze und der Donner. Doch der Regen wollte nicht aufhören. Er hatte schon wesentlich nachgelassen, jedoch tröpfelte es noch immer. Sternenglanz neben Taublüte klappte ihre Vorderpfoten unter ihren Körper und legte ihren Kopf auf den Boden. „Schlaf doch auch ein bisschen", murmelte sie. „Der Regen wird vor morgen früh nicht aufhören." Mit diesen Worten schloss sie ihre Augen. „Aber wir haben hier doch gar kein Moos", protestierte die weiße Kriegerin. „Na und? Willst du jetzt welches holen?" Ein wenig zärtlicher fügte sie hinzu: „Es ist doch nur für eine Nacht." Murrend legte sich Taublüte auf den kalten Boden und schloss ihre Augen. Und obwohl sie heute nichts gemacht hatte, sank sie schon bald in einen traumlosen Schlaf.
Taublüte erwachte, weil ihr der Magen knurrte. Sie streckte ächzend ihre steifen Glieder, die sie der Nacht auf dem kalten Boden zu verdanken hatte. Noch etwas tapsig kletterte sie die Felswand von der Höhle hinunter, in der sie die Nacht verbracht hatte. Unten sah sie, dass das Lager gar nicht so leer war, wie sie angenommen hatte. Katzen mit von der Nässe zerzaustem Fell saßen in den Ecken und musterten sie neugierig. Sie kuschelten sich aneinander, um sich zu wärmen, denn der Regen hatte es deutlich abkühlen lassen. Als sie näher kam, erkannte sie Ginsterkralle, Kieselstreif und Mondglanz. Weiter hinten hockten Efeupelz und Eulenschwinge. Rosenschweif kam vom Bau des Anführers zu Mondglanz. Die beiden waren beste Freundinnen, vor allem, seit Mondglanz' Mutter bei einem Buschfeuer ums Leben gekommen war. Ihr Vater Wüstenrot war in den Bau der Ältesten eingezogen, weil seine gebrochene Pfote nicht richtig geheilt war. Ab und zu humpelte er zu seiner Tochter an den Kriegerbau. Taublüte holte sich einen Wühler vom Frischbeutehaufen, der trotz des Schutzes der Wurzel durchnässt war und gesellte sich mit zu Rosenschweif. Ihre Wurfgefährtin leckte ihr zur Begrüßung schnurrend über ihr Ohr. „Was für eine Nacht, oder?", fing Mondglanz zögerlich an. Sie und Taublüte standen sich nicht sonderlich nahe. Taublüte blickte nach oben und miaute ein abwesendes „Oh ja", als auf einmal kleine Steine herunter kullerten. Oben, am Eingang einer Höhle erkannte sie den typischen erdfarbenen Pelz von Kleeschweif. Herzhaft gähnte sie, bevor sie den Hang hinunter sprang. Sie verschwand unter der Wurzel und tauchte kurz darauf mit einer Maus wieder auf. Mit ihr im Maul trottete sie zu Taublüte. „Morgen", schnurrte Taublüte. „Guten Morgen", nuschelte Kleeschweif durch ein Maul voll Fell. „Na, das Unwetter war ganz schön heftig, was?", miaute Taublüte. "Und wie", murmelte Kleeschweif zustimmend. Nachdenklich betrachtete Taublüte die Kiefer über dem Anführerbau, die der Blitz gespalten hatte. „Da werden wir ja heute Einiges zu tun haben. Ich bin ja gespannt, wie Sonnenglut und Salbeistern das geplant haben", meinte Taublüte. Rosenschweif nickte. „Sie müssten eine Jagdpatrouille losschicken, wir brauchen auch neues Moos für unsere Nester, die alten sind ja weggespült worden. Naja, sie wären ohnehin durchnässt gewesen." Sie schüttelte ihren Kopf. „Dann wäre da ja noch die Einzelteile des Kiefernstammes..." „Ich glaube, Ginsterkralle und Kieselstreif erledigen das gerade." Taublüte schnippte mit ihrem Schwanz Richtung Heilerbau. „Und das Moos-holen machen die Schüler", bemerkte Mondglanz. Sie deutete mit ihrem Ohr auf Efeupelz, der gerade Meisenpfote, Frostpfote, Lavendelpfote, Nachtpfote und Kiefernpfote etwas zu erklären schien. Die Schüler zogen lange Gesichter. „Tja, anscheinend wird diese Aufgabe bei den Schülern nicht beliebter", schnurrte Kleeschweif amüsiert. „Dann jagen wir!", rief Rosenschweif begeistert. „Nicht so schnell", miaute Sonnenglut. „Es gibt noch andere Aufgaben für euch. Taublüte und Kleeschweif, ihr sucht das Lager nach Holzsplittern und spitzen Steinen ab und räumt sie aus den Weg, wir wollen ja nicht, dass sich unsere Jungen verletzen. Rosenschweif und Mondglanz, ihr geht jagen." Rosenschweif blickte etwas traurig drein. „Ich hatte gehofft, mal wieder mit dir zu jagen, Schwester. Aber wie's aussieht, wird das wohl nichts..." Sie senkte ihren Kopf. Aber Taublüte drückte ihn wieder hoch. „Das holen wir nach! Viel Spaß beim Jagen!" Taublütes fast kindliche Vorfreude übertrug sich auf Rosenschweif. „Danke!" Und schon waren sie losgesaust. „Reicht eine Jagdpatrouille mit nur zwei Kriegerinnen?", fragte Kleeschweif besorgt und trat zu Taublüte und Sonnenglut. „Je weniger sie sind, desto größer ist die Chance, dass sie erfolgreich sind. Und ich gehe nachher sowieso noch mit Efeupelz und Kieselstreif los, wenn sie fertig sind." „Weißt du eigentlich, wo Eulenschwinge ist?", erkundigte sich Taublüte. Sie hatte ihre Mutter seit dem Unwetter nicht mehr gesehen. Sonnenglut war etwas überrascht von der Frage. „Ja, sie bessert die Brombeerwand in der Kinderstube aus. Ginsterkralle wird ihr helfen, sobald er wieder hier ist." „Achso." Taublüte wandte sich ab und ging mit Kleeschweif los. Wenigstens konnte sie währenddessen mit ihrer Freundin reden. „Autsch, nach dieser harten Nacht tun mir die Muskeln weh", fing Taublüte an. „Dir auch?" „Total!" Die braune Kätzin und kickte einen Stein weg. „Ich war mit Ginsterkralle, Mondglanz und Rosenschweif in einer Höhle." „Mir hat nur Sternenglanz Gesellschaft geleistet. Und wie du weißt, Heilerkatzen sind keine guten Gesellschafter." Die Kätzinnen schnurrten. „Das... hab' ich ge... gehört!", keuchte Sternenglanz angestrengt. Taublüte sprang erschrocken beiseite. „Man, hast du mich erschreckt!" Sternenglanz kam hinter einem Felsen hervorgekrochen. Nasses, dürres Gras hing ihr vom Rücken. „Wenn ihr mir helft, den Lagerraum für meine Kräuter von herangespültem Holz und Steinen zu befreien, vergesse ich es." Taublütes Schwester konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Also schön", seufzte Taublüte und kroch in den Gang hinter dem Felsen. Kleeschweif folgte ihr mit zuckender Schwanzspitze. „Ist das auch wirklich sicher?", miaute sie ängstlich an Sternenglanz gewandt. „Seit Blattwechseln benutzen die Heiler des SonnenClans diese Gänge als Lagerraum für ihre Kräuter. Daraus schließend nehme ich an, das es sicher ist." Amüsiert schnurrend beobachtete die Heilerin, wie die braune Kriegerin verängstigt die Ohren anlegte, bevor sie ihrer Freundin in die Dunkelheit folgte.
Die Sonne hatte den Zenit schon überschritten, als Taublüte und Kleeschweif mit dem Säubern des Lagerraums für die Kräuter der Heilerkatze fertig waren. „Uff", stöhnte Kleeschweif und streckte ihre Beine. „Da unten ist es ja unglaublich eng." Taublüte schnurrte zustimmend und schnippte mit ihrer Pfote ein schleimiges Büschel vom Kopf. „Deshalb ist Sternenglanz so klein und wendig." „Ja." Kleeschweif schaute besorgt Richtung des provisorischen Lagers des Clans. „Aber lass uns schnell unsere Arbeit beenden, sonst nehmen sie uns heute nicht zur Großen Versammlung mit." Sie sprang davon. Taublüte blickte ihr nachdenklich hinterher. Dann rannte sie los. „He, warte auf mich!"
Wie schlanke, silberne Schatten huschten die Katzen durch das Unterholz zu dem Treffpunkt. Salbeistern kauerte vorn im Schatten und lauschte auf Geräusche. Hinter ihm hockte Sonnenglut, der sich noch einmal das Schulterfell mit der Zunge glatt leckte. Eng an ihn gepresst stand Mondglanz im Schatten des Wacholderstrauches. Taublüte glaubte manchmal, dass er mehr für sie war als nur ein Freund. Doch der rote Kater ließ sich davon wenig beeindrucken. Hinter ihnen zappelten ihre Schüler, Meisenpfote und Lavendelpfote herum. Auch Frostpfote war bei ihnen. Efeupelz bildete mit Taublüte das Schlusslicht und Sternenglanz lief mit Kleeschweif vor ihnen. Eulenschwinge wollte ursprünglich auch mitkommen, doch ihre Gelenke haben ihr wieder so wehgetan, dass Sternenglanz sie in ihr Nest verdonnert hatte. Rosenschweif war auch dageblieben, zusammen mit ihrem Bruder Ginsterkralle.
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