Wie Lorcan zu seiner Augenklappe kam (Teil 1)
Ich weiß, die Geschichte ist als beendet markiert, aber ich wusste nicht, wo ich diese Kurzgeschichte sonst hinpacken soll, da es ja ein Spinoff ist zu dieser. Deswegen hänge ich sie jetzt hinten an. Ich hoffe meine Gedankenspielerei gefällt euch. Nachdem ich "Wandernde Sucher" beendet hatte, hat mich so ein Gefühl geplagt ... Ich vermisste Lorcan, Sioda und Arianwen so sehr, aber ich wusste nicht, wie ich sie in eine neue Geschichte einbauen könnte und habe mich dann anderen Projekten zugewandt, bis mich aus heiterem Himmel die Idee überkam: "Was wenn du einfach darüber schreibst, wie Lorcan seine Augenverletzung erhielt?" Das habe ich dann getan und wieder einmal ist die Geschichte länger geworden als geplant ^^'
Also hier präsentiere ich euch noch nun, wie Lorcan zu seiner Augenklappe kam. Viel Vergnügen damit.
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Lorcan liebte es, wenn das Meer aufgeregt genug war, dass sich die Wellenreiterin anfühlte, als würde sie schweben, weil die Strömungen sie ohne viel künstliche Kraft des Antriebs mit sich zogen. Wenn das so weiterging, würden sie früher als geplant an den Muschelhöhlen ankommen. Je früher sie dort waren, desto größere Chancen hatten sie, den Schatz für sich beanspruchen zu können. Die Steintafeln des Stummen Fynns waren ein meerbekannter Schatz, auf den jeder Wandernde Sucher scharf war und gerade hatte im Schneckchen jemand einen Preis für den Fund der dreizehnten Tafel ausgepfiffen. Einen Beutel von Worten und eine Perlkette mit einem Haifischzahn. Lorcan war sich sicher, Arianwen würde diese gut stehen und die Worte konnten sie gut gebrauchen. Ihre Essensvorräte gingen langsam zur Neige und Sioda brauchte neue Feuerstängchen. Aber eigentlich war sein Hauptgrund der Nervenkitzel der Schatzjagd, obwohl die Vorstellung den Halbniom ohne seine Stängchen erleben zu müssen, ließ ihn schaudern. Deswegen wäre es wirklich besser, wenn sie die Tafel als Erste fanden. Der Niom lehnte sich vor, gab dem Steuerrad einen Kuss und summte: „Schwimme, mein Schätzchen, schwimme. Dein Kapitän braucht seine Nerven beisammen."
Er gab dem Steuerrad noch einen Kuss, bevor er sich wieder aufrichtete, aber nicht ohne seiner Dame beruhigend über das Holz zu streichen.
„Weißt du, ich habe nie verstanden, weshalb du die Wellenreiterin damals gesetzt hast. Du bist doch viel zu vernarrt in sie", erklang Arianwens Stimme und sie schwamm von den Türen zu den Kajüten zu ihm, um sich neben ihn zu stellen. Ihre Haarpracht floss in einem wilden Kranz um ihren Kopf. Es erinnerte ihn an Feuer. Gefährlich, aber faszinierend. Arianwen war zum Glück nur zeitweise gefährlich.
„Deine Schönheit hat mich kurzfristig meinen vernünftigen Niomverstand gekostet", sang Lorcan und zwinkerte ihr zu. Arianwen schnaubte und verdrehte die Augen.
„Meinst du nicht eher, die Schönheit meines Bruders hat dich den Rest Vernunft vergessen lassen, den du da oben hast", hüpfte sie und gab ihm eine Kopfnuss.
Lorcan spürte, wie ihm heiß wurde. Seit dieser ersten Nacht ließ Arianwen sie beide nicht vergessen, dass sie miteinander im Bett gelandet waren. Genauso wenig, wie Sioda ihn näher an sich heranließ. Manchmal wusste Lorcan nicht, was nervenaufreibender war.
„Was soll ich summen, ihr raubt einem einfach den Verstand."
Arianwen warf den Kopf zurück und lachte. Lorcan stimmte mit ein. Er war wirklich witzig und hatte es drauf, Schilfrohr zu raspeln. Nach einem Moment wurde es still und Lorcan warf der jüngeren Niomfe aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Sie stand, Augen geschlossen, da und genoss sichtlich die Fahrtströmung im Gesicht. Lorcan lächelte. Das Vatermal knapp auf ihren Kiemen in Form eines gekrümmten Hakens sah wirklich dem von Sioda zum Verwechseln ähnlich. So unterschiedlich die beiden Geschwister sonst auch waren, das und ihren Geruch hatten sie gemein. Der Kapitän ließ einen Schwall Wasser durch seinen Mund einfließen, um diesen speziellen Duft voll in sich aufzunehmen. Schwertlilien und Holz. Ihm schwirrte der Kopf, doch fing sich schnell wieder. Arianwen roch zusätzlich noch nach Vanille und dieser feine Unterschied zu ihrem Unterschied zu ihrem Bruder macht es leichter, sich zu fokussieren. Das hieß nicht, dass ihn dieser holzige Geruch nicht dennoch ganz sprudelig machte. Lorcan lächelte.
„Wenn du meine Schwester weiter so ansiehst, muss ich dich festbinden", kam Siodas Pfeifen von über ihm.
Der Halbniom schwebte leichtfüßig neben ihn und setzte ebenso sanft seine Füße auf dem Deck ab. Lorcans Lächeln wurde breiter und wilder.
„Oh, wirklich? Du willst mich festbinden? Ich wusste gar nicht, dass du einer von denen bist", sang er.
Arianwen neben ihm lachte, doch Lorcan hatte nur Augen für Sioda. Er senkte den Blick, aber Lorcan sah dennoch, wie seine Wangen dunkler wurden. Der Halbniom fummelte ein Feuerstängchen aus seiner Hosentasche hervor und steckte es sich zwischen die Lippen. Er tänzelte auf der Stelle und Lorcan brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass Sioda nun durch Hüpfen kommunizierte. Der Kapitän konzentrierte sich auf die Füße Siodas.
„So meinte ich das nicht. Halte dich fern von Arianwen."
Lorcan schmunzelte und schüttelte den Kopf. Ahnungsloses Muschelschnittchen.
„Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Schließlich bin nicht ich diejenige, die am ersten Abend unserer Bekanntschaft das Bett mit ihm geteilt hat", pfiff Arianwen. Nun war es an Lorcan und Sioda rot oder dunkelgrün anzulaufen. Der Kapitän räusperte sich. Warum war ihm das peinlich? Sioda war ein stattlicher Niom mit einem Mund, der zum Vernaschen einlud, und den schönsten Holzmeeren als Augen, die er je gesehen hatte. Ganz zu schweigen von den Haaren, die geradezu verführten, die Finger darin zu vergraben. Doch da war noch mehr, viel mehr. Etwas an Siodas Persönlichkeit - seiner Ernsthaftigkeit, seiner Emotionalität- berührten etwas tief in Lorcan und brachte sein Herz zum Singen. Bevor er jedoch genauer darüber nachdenken konnte, was das bedeutete, riss Sioda ihn aus seinen Überlegungen.
„Eigentlich wollte ich nur pfeifen, wir sind da. In vierzig Fuß haben wir die Höhlen erreicht. Wir sollten uns fertig machen."
Arianwen nickte und verschwand. Lorcan linste zu Sioda, der das Feuerstängchen mit der Zunge von einer Seite zur anderen schob.
„Aufgeregt? Das ist doch nicht unsere erste Schatzsuche", neckte Lorcan ihn.
Sioda brummte und stieß Wasser aus seinen Kiemen. „Große Töne dafür, dass wir uns vor einem halben Mond noch nicht einmal kannten."
Lorcan löste eine Hand vom Steuerrad und legte sie auf Siodas Schulter. Er zog ihn näher und genoss die Wärme, die in ihm aufstieg, wenn er dem Halbniom so nah kam. Er summte: „Aber du musst zugeben, wir sind ein tolles Team."
Mit einem Knuff seines Ellenbogens befreite sich Sioda aus der halben Umarmung und schwamm ein paar Schritte weg von Lorcan. Er zupfte an seiner Kleidung und pfiff so leise, dass Lorcan ihn kaum hörte. Doch das Meer verteilte die Töne, sodass sie ihn umgaben und er jeden Pfiff verstand. „Wir sind nicht schlecht."
Triumph surrte in warmen Wellen und mit Paukenschlägen durch Lorcans Körper. Unwillkürlich richtete Lorcan sich auf und reckte das Kinn.
Nicht schlecht war gut.
*
Wenn auf die Muschelhöhlen eines zutraf, dann war das gigantisch. Vor ihnen öffnete sich der Eingang, der aussah wie ein hohes Maul mit spitzen Zähnen, nur darauf wartend, neugierigen oder lebensmüden Wandernden Suchern zu verschlucken und nie wieder freizugeben. Lorcan stellten sich die Schuppen auf. Er konnte es gar nicht erwarten, hinein zu schwimmen! Sein Herz schlug mit doppelter Geschwindigkeit. Ob das von der Vorfreude auf das Abenteuer kam oder, weil Sioda, bevor sie vom Schiff gegangen waren mit besorgtem Blick „Sei vorsichtig" zugepfiffen hatte, konnte er nicht sagen.
Das Innere der Höhle verlor sich bald in vollkommener Dunkelheit. Ein diffuses Leuchten aus dem Augenwinkel lenkte die Aufmerksamkeit des Kapitäns auf Sioda, der gerade eine seltsame Konstruktion aus seiner Tasch hervorholte. Ein Band, das ungefähr den Umfang eines Kopfes hatte. Sioda hielt es mit beiden Händen und schüttelte es, sodass der kleine lederartige Sack, der an einer Art Stange von dem Band baumelte, heftig hin und her schwang. War es das, was er glaubte, dass es war? Woher hatte Sioda das?
„Ist das eine Vasixaraterne?", summte er. Das matte Licht tauchte Siodas Zügen in einen unheimlichen Schein. Es zeichnete Schatten unter Augen und Nase. Lorcan schauderte.
„Ich wollte nicht immer die Laterne mit den Lichtlöckchen tragen. Das ist auf Dauer unpraktisch und so hat jeder die Hände frei", erklärte der Halbniom.
Die Herstellung von Vasixaraternen war zwar nicht direkt verboten, aber da es von den Vasixaras nur noch wenige gab und viele Niomfi starben, wenn sie Jagd auf diese bösartigen Seeschlangen machten, um nur eines ihrer Leuchtsäckchen zu erhalten, hatten sie die Jagd irgendwann eingestellt. Oder so gut wie eingestellt, einzelne Exemplare existierten anscheinend noch und sie besaßen eines davon.
Arianwen schnappte sich die Konstruktion von Sioda und stülpte sie kurzerhand über Lorcans Kopf. Er wollte sie sich wieder herunterreißen, doch sie verhakte zwei Finger in dem Band und die anderen vergrub sie in seinen Haaren. So rangen sie eine Weile, bis Lorcan einen Schritt nach hinten machte und über einen Stein stolperte. Er fiel nach hinten um und Arianwen landete auf ihm. Im ersten Moment sah Lorcan nur orangrotes Haar. Sie waren überall. In seinen Augen, in seiner Nase und, am schlimmsten, in seinem Mund. Er versuchte die Strähnen, die nach salziger Vanille schmeckten, loszuwerden, aber anstatt, die Haare mit der Zunge aus dem Mund zu bringen, holte er nur noch mehr herein. Ein Ellenbogen rammte seine Rippen, ein Knie bohrte sich in seine Lendengegend und er zischte auf. Scherz schoss ihm durch den Körper und machte seine Finger taub. Er krümmte sich zusammen, doch in dem Moment ruckte auch Arianwen nach vor und sie stießen mit der Stirn aneinander. Arianwen jaulte auf, während Lorcan das Wasser einzog. Seine Ohren klingelten und er sah kleine Seesterne vor seinen Augen tanzen.
Endlich wurde sein Blickfeld wieder frei und das Gewicht verschwand von seinem Körper. Sioda tauchte vor ihm auf. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er ihn. „Verletze Arianwen nicht, bevor es überhaupt losgeht", mahnte er.
Arianwen verletzten? Dass er nicht lachte, sie hatte eher ihn verletzt! Lorcan setzte zu einer Erwiderung an, den Mund schon geöffnet, doch er hielt inne. Sein Mund fiel noch weiter auf. Siodas Pfeifen war tadelnd, seine Augen waren es nicht. Nein, im Gegenteil, in ihnen schimmerte Sorge. Sioda war besorgt um ihn!
„Mir geht es gut, danke der Nachfrage", summte Lorcan nach einem kurzen Augenblick. Die Sorge verschwand und für einen winzigen Moment erhellte Erleichterung das Braun von Siodas Augen, doch schon im nächsten verdrehte er die Augen.
„Schwimmen wir!"
Lorcan rappelte sich auf und sah zu Arianwen, die sich eine rote Stelle auf ihrer Stirn rieb. Da mussten sie kollidiert sein. Vermutlich sah er nicht viel besser aus.
„Rot steht dir", säuselte er und Arianwen streckte ihm die Zunge raus.
Gemeinsam wandten sie sich erneut dem Höhleneingang zu. „Setz die Vasixaraterne auf", pfiff Sioda ihm über die Schulter zu und erst da merkte Lorcan, dass er das Ding, das all das ausgelöst hatte, in dem Handgemenge verloren hatte. Er bückte sich und zog sich das Band über den Kopf. Der kleine, lederartige Leuchtsack schaukelte vor seinen Augen hin und her und es störte ihn jetzt schon. Doch er beschwerte sich nicht und drückte nur die Schultern durch. Als Erster schwamm er in die Höhle. Wenn er den Geschichten glaubte, hatten kurz nach der Große Stille der Stumme Fynn und seine Gefährtin unter der Herrschaft Borans, des Beruhigers, die Steintafeln geschaffen, um eine Einheitlichkeit in die Gesten zu bringen. Wie genau sie es geschafft hatten, den Gesten Worte zuzuordnen, wenn doch alle Worte verschwunden waren, war Lorcan ein Rätsel. Er hatte bis jetzt noch keine der Tafeln gesehen, aber in der Geschichte Pangeas hatte es schon viel Streit um sie gegeben. Zumindest hatte Sioda ihm das gepfiffen, als sie sich für diese Schatzsuche vorbereitet hatten.
Zuerst war es sicher ein langwieriger „Kampf" gewesen, die Gesten zu vereinheitlichen und dann im Stein festzuhalten. Kurz nach Fynns Tod wurden die Steintafeln unter mysteriösen Umständen gestohlen. Manche munkelten, es wären die Fanatiker gewesen, andere behaupteten eine Schauspielertruppe hätte ihre Finger im Spiel gehabt. Fakt war, keiner wusste so recht, wie sich die Tafeln in alle Himmelsrichtungen verteilen konnten, aber es war geschehen. Trotzdem hielten sich abstruse Theorien, eine verrückter als die anderen. Die Gottheiten hatten sie verteilt. Faleyatos' Flügelschlag hatte eine so starke Windböe ausgelöst und nur die Tafeln erfasst. Fynns Lebensgefährtin Isabel hatte sie eigenhändig in Pangea verteilt, damit sich jeder an Fynn erinnern würde.
Lorcan hatte genug Erfahrung als Wandernder Sucher, dass er sagen konnte, es war natürlich, dass sich Artefakte nach so vielen Jahren verstreuten. Wie war für ihn da meist irrelevant. Das Einzige, das zählte, dass sie nun hier waren, wo die Tafel vermutet wurde.
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