Der Hormetos (Teil Eins)
Niomfi waren nicht fürs Leben an Land gemacht. Das war zumindest Lorcans Meinung. Nicht umsonst mussten sie darauf achten, genug Flüssigkeit bei und in sich zu haben, wenn sie länger unter den Xina wandelten. So teilten ihre Körper ihnen mit, dass sie ins Meer zurückkehren sollten, wo sie hingehörten.
Trotzdem war er jetzt hier. Auf dem Rücken eines seltsamen Tiers mit einem Rüssel vor zwei großen, schwarzen Glubschaugen und zwei wabbeligen Hügeln auf dem Rücken, zwischen denen er eingezwängt saß. Sioda hatte ihm gepfiffen, dass diese Tiere Elekamilas und die Fellhügel Höcker genannt wurden. Die Xina waren schon ein seltsamer Haufen. An den Tieren war doch nichts, das ans „Hocken" erinnerte, warum nannten sie dann Teile von ihnen so?
Die einzigen zwei guten Dinge an diesem Trip: Diese Elekamilas hatten einen federnden Trott, sodass sich das Schaukeln beinahe wie auf seiner Wellenreiterin anfühlte und noch besser, Sioda war an seiner Seite. Sein süßes Muschelschnittchen war ihm, seitdem er die Blume in der Höhle gefunden hatte und danach von der Vasixaras angegriffen worden war, nicht von der Pelle gerückt. Lorcan hätte sich schon über seine eingeschränkte Freiheit beschwert, wenn er die liebevolle Behandlung nicht so genossen hätte. Denn der Niom konnte nicht abstreiten, dass sich etwas in Siodas Verhalten ihm gegenüber verändert hatte. Er hatte es allerdings noch nicht angesungen, sondern einfach still hingenommen. Hätte er ihrer jetzigen Beziehung eine Bezeichnung geben müssen, wäre es wohl „Liebespaar" gewesen. Sie schliefen miteinander – anfangs nur im selben Bett, weil sie noch zu angeschlagen gewesen waren, mittlerweile in jeglicher Hinsicht- küssten und umarmten sich. Außerdem sprachen Siodas Blicke, die er ihm zuwarf, Bände. Von seinen eigenen Gefühlen ganz zu schweigen. Seine Knie waren ganz weich und in seinem Magen nistete eine Wärme, die sich summend bis in seine Fingerspitzen ausbreitete.
Ja, er war verliebt in den Niom, der sich von hinten an ihn klammerte, als würde sein Leben davon abhängen. Im Gegensatz zu ihm machte Sioda der Ritt mehr als auf festem Boden zu stehen. Doch so schön das zwischen ihnen auch war, es machte ihren jetzigen Auftrag umso schwieriger für Lorcan. Seit Stunden folgten sie einem Paar von verschleierten Amóda durch die Wüste Erimos, um Ejeluro zu dem einzigen Hormetos zu bringen, den der Schatzsucher kannte. Aber sie taten das, obwohl es keinen Grund mehr gab, die Gegenwart zu verändern. Zumindest seiner Meinung nach. Deswegen machte er sich Gedanken. Zu viele Gedanken und Sorgen. Wenn sie nun tatsächlich auf dem Weg zu dem Hormetos waren, obwohl sie den offiziellen Teil ihres Auftrags schon erledigt hatten, hieß das doch, dass Sioda nicht genauso empfand wie er. Nein, er fand es immer noch schlimm genug, dass er in die Vergangenheit zurückwollte. Und das versetzte ihm einen gewaltigen Dämpfer, weshalb er ihre Reise über schon sehr still gewesen war. Nun stiller als er ohne Worte schon sein konnte.
Sioda war das nicht entgangen, das merkte Lorcan an den Blicken, die er ihm zuwarf und den unzähligen Feuerstängchen, die er rauchte. Ernsthaft, es war so heiß und er verwendete noch mehr Feuer ... Sioda zupfte einen kleinen Schwamm aus seinem Ärmel und saugte den Schweiß auf, der ihm von der Stirn floss. Anschließend hielt er ihn sich über den Mund und wrang ihn aus. Das salzige Nass tröpfelte hinein und er befeuchtete seine trockenen Lippen. Wenn es einen Ort gab, an dem die Niomfi noch weniger verloren hatten als generell an Land, war es die Wüste. Leider gab es keinen anderen Weg zu dem Hormetos und auf Lorcans Nachrichten hatte er nicht reagiert. Davon hatte er Sioda nichts gesungen, weil der Niom sicher wieder alles Mögliche in das Ausbleiben der Antwort interpretiert und von der Reise abgeraten hätte. Lorcan richtete sich auf. Korallenkacke, hätte er doch was gepfiffen! Dann wären sie jetzt nicht hier.
„Alles in Ordnung? Tut dir etwas weh? Brauchst du Wasser?", kam es sofort von Sioda und Lorcan sah über die Schulter zu seinem Liebhaber. Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er ihn auf seinem Feuerstängchen kauend aus seinen Augen anblinzelte. Lorcan nickte und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Nase. Daraufhin zuckte der Grünhäutige sie kurz und er nahm einen tiefen Zug von seinem Feuerstängchen. Die Luft um die brennende Spitze flirrte. Schon vom Zusehen trat Lorcan noch mehr Schweiß auf die Stirn oder es kam von dem heißen Wüstenwind, der ihnen gerade eine Sandwolke in die trockenen Gesichter blies. Der Schatzsucher fummelte ihre Wasserflasche aus ihrer mitgebrachten Tasche, entkorkte sie und trank einen Schluck daraus. Anschließend hielt er sie Sioda hin, der sie an sich nahm und ebenfalls trank.
Lorcan wandte sich wieder nach vor und versuchte, auszumachen, wie lange sie noch brauchen würden. Die endlosen Dünen, die sich in sanften Hügeln bis an den Horizont erstreckten, erinnerten ihn an die Brachlande zwischen den zwei großen Unterwassergebirgszügen, wenn diese drückende Hitze nicht wäre. Sie waren die einzigen, die sich durch das scheinbar nie endenwollende Sandmeer kämpften. Komisch, er hatte erwartet, mehr Karawanen zu sehen. Hieß es nicht, dass die Amóda gesellig waren? Und galt es nicht als gefährlich, allein durch Erimos zu wandeln? Das hatte er zumindest auf einem seiner wenigen Landbesuche aufgeschnappt. Das war auch der Tag gewesen, an dem er den Hormetos getroffen hatte. Er wusste nicht mehr, wie viele Monde seitdem vergangen waren, aber er hatte damals noch keinen Bart getragen und seine Tätowierungen waren bloß Zeichnung gewesen, die er sich selbst auf die Haut gemalt hatte. Er war schon ziemlich peinlich gewesen. Lorcan schmunzelte. Außerdem war es vor der Großen Stille gewesen, doch die Wellenreiterin hatte sich bereits in seinem Besitz befunden.
*
Neugierig und abenteuerlustig wie er war, hatte er an dem Riff angelegt und war an Land gegangen, um zu erkunden, was für Schätze er dort finden konnte.
Schätze hatte er keine entdeckt, bloß seine Landkrankheit und eine Taverne mit einem seltsamen Namen, wenn er die Zeichnung über der Tür richtig gedeutet hatte. Majestätsloch – Wer nannte seine Kneipe so und wer besuchte die? Und wurde sie ihrem Namen gerecht? Würden dort Löcher auf majestätische Art gefüllt?
Schwungvoll stieß er die Tür auf und trat unter einem Glöckchenklingeln ein. Dort saß er und rührte gedankenverloren in seinem Krug. Die blonden Haare fielen ihm in Strähnen ins Gesicht und verdeckten seine Augen. Zusätzlich hatte er sich einen Hut ganz tief in die Stirn gezogen und den Kragen seines Mantels aufgestellt. Hinter der Theke stand eine rundliche Frau mit verhärmten Gesichtszügen und beobachtete ihn aus schmalen Augen. Auf einem Hocker saß ein sehniger Mann, der leicht schwankte und aus stumpfen Augen vor sich hin stierte. Neben ihm hing eine Frau mit schmutzigem blondem Haar mehr auf der Theke, als dass sie wirklich saß und trank aus einem Weinglas. Lorcan konnte sich nicht von dem Anblick der beiden losreißen, weil er wissen wollte, was falsch mit ihnen war. Beinahe wäre deswegen in ein Mädchen hineingelaufen, das den beiden Schauergestalten erschreckend ähnlich sah. Nur gesünder und hübscher. Es trug mehrere Krüge und Teller auf den Armen.
„Pass auf", giftete sie ihn an, ohne etwas fallen zu lassen und rauschte an ihm vorbei, um ihre Last hinter der Theke abzustellen.
Der Niom zog einen Flakon Wasser und ein Tüchlein aus seiner Manteltasche. Lorcan träufelte ein paar Tropfen auf den feinen Stoff und betupfte seine Kiemen und Stirn. Währenddessen schlängelte er sich durch die Tische und Stühle in dem kleinen Schankraum. Nicht weit vom Hormetos, den er damals noch nicht als solchen kannten, entfernt glitt er auf einen Sessel und rief mit einem Pfiff nach einer Bedienung. Das Mädchen von vorhin kam hüftschwingend auf ihn zu und er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. Das ließ sie kalt, da sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen fragte: „Was darf es sein?"
Obwohl sie nicht viel jünger als er sein konnte, klang ihre Stimme bereits voll und ausgereift. Wirklich erwachsen, dagegen war sein unregelmäßiges Gequietsche fast schon ein Grund zum Schämen. Er räusperte sich und bestellte mit verstellter Stimme: „Ein niomfischer Kaffee."
Das Mädchen verzog ihre geschwungenen Lippen, sagte aber nichts. Stattdessen kritzelte sie etwas auf dem kleinen Papierblock und verschwand wieder.
„Ich nehme an, du bist ein Niom. Niemand sonst trinkt das Gebräu, viel zu versalzen", wandte sich der blonde Fremde an ihn. Lorcan zupfte an seinem Hemdkragen, schon damals hatte er sie bevorzugt offen getragen, und den Mann neben ihm angezwinkert. „Mein gutes Aussehen hat dir das nicht verraten?"
Auf den schmalen Lippen des Fremden erschien ein kleines Lächeln, von dem Lorcan nicht sagen konnte, ob es echte Erheiterung oder nur gespielte Amüsiertheit ausdrückte.
„Tylar, mein Name. Und du bist? Ich habe noch selten Bekanntschaft mit einem Niom gemacht. Es ist auch schwierig, wenn man unter Wasser nicht atmen kann." Er lüpfte seinen Hut und Lorcan erhielt das erste Mal einen Blick auf den Rest seines Gesichts. Seine blauen Augen stachen aus seinen schmalen, harten Gesichtszügen hervor. Die Linien seines Kinns und Kieferknochens waren so ausgeprägt scharf geschnitten, Lorcan hatte Angst, er könnte sich schneiden, wenn er ihm zu nahekam.
„Lorcan, du bist auch einer der ersten Xina, mit denen ich spreche." Seine Stimme kiekste und er räusperte sich.
„Xina?"
„Menschen vom Festland", erklärte er, als das Thekenmädchen eine Tasse vor ihm abstellte. Er nickte ihr zwinkernd zu. Sie verdrehte bloß die Augen und rauschte wieder davon.
„Und was treibt dich hierher?", fragte Tylar weiter. Den Hut setzte er sich wieder auf den Kopf und strich sich seine Haare sorgfältig ins Gesicht, als würde er nicht wollen, dass ihn jemand erkannte. Seltsamer Koifisch!
Der Niom nahm die Kaffeetasse zur Hand und schwankte leicht, als keine Wellen seine Bewegungen unterstützten. Alles hier war so steif und unbeweglich. Es macht ihn ganz krank. Vorischtig blies er sein Getränk und nahm einen Schluck, in der Hoffnung die Übelkeit damit vertreiben zu können. Hieß es nicht, dass Kaffee gegen Übelsein helfen sollten? Oder war das bei Kopfweh gewesen?
Lorcan nahm einen Schluck und verbrannte sich seine Zunge. Scheppernd stellte er die Tasse zurück und fächelte seiner Zunge Luft zu. Tylar sah ihn an, als würde er auf etwas warten. Oh richtig, eine Antwort!
„Ich wollte mal sehen, was das Festland für Schätze zu bieten hat. Was machst du hier in diesem mysteriösen Aufzug?"
„Du willst also ein Schatzsucher sein?"
„Ich bin ein Schatzsucher", unterstrich Lorcan und funkelte sein Gegenüber an.
Tylar hob abwehrend die Hände und bedachte ihn erneut mit diesem undurchschaubaren Lächeln. Für eine kurze Weile war es still zwischen ihnen. Beide tranken von ihren Getränken – Lorcan zögerlich, weil seine Zunge immer noch wund war. Schließlich hielt Lorcan es nicht mehr aus. „Was machst du jetzt hier? Spuck schon aus." Der Fremde tippte mit seinem Finger gegen seinen Krug, ehe er ihn niederstellte.
„Sagen wir so, ich bin auf dem Weg, mir meinen eigenen Schatz zu holen." Als hätte er Lorcans nächste Frage gespürt, kam er ihm mit seiner nächsten Antwort zuvor. „Es ist kein Schatz zum Anfassen, nicht in dem Sinne. Nein, viel eher ist es ein Gefühl. Genugtuung, Zufriedenheit. Erlösung", flüsterte er. Lorcan hatte den Eindruck, der blonde Mann würde das mehr zu sich selbst sagen als zu ihm. Denn der Niom hatte keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. Und wenn Lorcan ehrlich war, machte Tylar ihm ein wenig Angst.
„Erlösung? Von wem?"
„Von dem Mann, der meine Mutter, mein ganzes Volk auf dem Gewissen hat", knurrte Tylar, setzte den Krug an seine Lippen und trank ihn in einem Zug leer. Er knallte ihn auf die Tischplatte und erhob sich. Tylar ließ ein paar Münzen klimpernd auf die Tischplatte fallen und wandte sich noch einmal zu Lorcan um. „Gold währt vielleicht ewig, aber wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, da braucht es Worte, Macht und einen starken Willen, kein Edelmetall. Merk dir das, Schatzsucher." Mit diesen Worten wandte er sich ab und marschierte aus dem Majestätsloch.
Erst Monate später hatte er durch Zufall herausgefunden, dass der Fremde Tylar von damals in Wahrheit der Hormetoskönig Antylar war, der für die Zweite Große Stille verantwortlich war und seitdem in Aimypotossia im Exil lebte. Wenn Lorcan darüber nachdachte, könnte ihre Reise auch ins Nirgendwo führen. Wer garantierte ihm, dass Tylar oder Antylar, oder wie auch immer er hieß, tatsächlich noch in der südlichen Hälfte des Aimypotossia-Gebirges lebte? Doch er war Optimist oder Masochist, wenn er daran dachte, was das Auffinden des Hormetos' für ihre Beziehung bedeuten konnte. Antylar würde dort sein. Wo sollte er auch sonst hin? Es gab sicher noch genug Pangeaner, die ihm seinen Zauber übelnahmen und ihn zur Rechenschaft ziehen wollten. Da tat er wirklich besser daran, sich zu verstecken.
Sie würde ihn antreffen und dann ... Ja, und dann ...
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