♡ - here i am

Es war früher Nachmittag, ein warmer Julitag, als die Langeweile und Eintönigkeit meines Lebens mal wieder zuschlägt und ich mir wünsche, dass diese Monotonie endlich ein Ende nimmt.

Gelangweilt kritzele ich kleine Figürchen in mein Heft, das schon seit geraumer Zeit aufgeschlagen vor mir liegt und mich mit stummer Aufforderung anstarrt, endlich seine Geheimnisse in Form von Matheaufgaben zu ergründen.

Nur leider kann ich das nicht, werde es nie können und habe auch absolut keine Lust. Wirklich - Mathe ist das einzige Fach, bei dem ich den Verstand aus meinem ohnehin schon rauchendem Kopf purzeln sehen kann.

Schon seit einer Stunde und jetzt exakt 19 Minuten sitze ich auf der nur spärlich gepolsterten Bank in der kleinen, irgendwie schäbigen Caffetteria bei mir um die Ecke und probiere mich an meinen Aufgaben zur analytischen Geometrie.
Probieren ist nett ausgedrückt, denn probiert habe ich bis jetzt nur einen Schokomuffin und einen mit pinker Glasur sowie einen Caffè Mocca. An Mathe hingegen scheitere ich kläglich.

In den 19 Jahren, seit denen die Welt schon meine Präsenz genießt, habe ich noch nie auch nur einen Hauch des Gefühls gehabt, ein Spatprodukt berechnen zu müssen.
Und ich bin mir recht sicher, dass dieser Bullshit auch nicht plötzlich zum Mittelpunkt meines Lebens werden wird.

Es ist so verdammt unnötig.

Völlig in meiner Trance versunken verpasse ich dem kleinen glubschäugigen Monster in der Mitte meines Papieres einen Schnauzer auf seinem Entenschnabel.
Darüber lässt ein Toaster gerade zwei Spiegeleier aus seinen Öffnungen hüpfen.
Das füllige Herz daneben schwingt einen Hula-Hoop-Reifen im Kreis um sein Bäuchlein, was die Blumenkette und die Sonnenbrille zum wackeln bringt.

Gedankenverloren starre ich meine neuen Freunde an, die ich zuhause zerknüllen und in den Müll werfen werde.
Blinzele.
Verwandele Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid.

In diesem Moment völliger Abwesenheit, schwingt mit einem unüberhörbaren Quietschen die Eingangstür der Caffetteria auf und knallt schwungvoll gegen die Wand.
Dieses Geräusch erschreckt mich so sehr, dass ich zusammenzucke und aus Versehen einen Strich durch Ted den Toaster ziehe.

Der arme Ted. Traurig über den viel zu frühen Verlust meines Freundes in der Bitterkeit des Lebens, wende ich meine Aufmerksamkeit zur Tür - so wie der Rest der Cafégäste ebenfalls.

Mit runtergeklapptem Kiefer lasse ich den Kuli auf den Tisch fallen.

Wow, sie... sie ist.. ich habe noch nie so eine Präsenz, mich so von einem Charisma überflutet und den Raum ausfüllen gespürt.
Eine junge Frau stürmt in die Caffetteria, nein, tanzt ihre Schritte zu einer Melodie, die nur sie hören kann, in meinem Kopf aber durch ihre rhythmischen Schritte auch widerklingt.

Die großen bunten Kopfhörer, welche ihre voluminöse Lockenpracht eindellen, funkeln im Schein des grellen Deckenlichts vor glänzendem, anscheinend selbst aufgetragenem buntem Lack mit ihren weißen Zähnen, die sie beim Lächeln ganz offen zeigt, um die Wette.
Ihre feinporige Haut hat beinahe die gleiche Farbe wie mein noch halbvoller Mocca und ihre dunkle Mähne steht in alle Himmelsrichtungen in Korkenzieherlocken ab.

Durch den leichtfüßigen Gang der Frau, wallt die weite, gemusterte Stoffhose um ihre langen Beine, die mit in ausgelatschten, aber überraschend sauberen Converse Chucks im ursprünglichen Dunkelblau steckenden Füßen enden.
Die langen Schnürsenkel der Schuhe schlackern ungebunden durch die Luft.

Das Outfit wird abgerundet durch ein enges, kirschfarbenes Top, von dessen oberem Ausschnitt eine Sonnenbrille hängt und durch ihr Gewicht etwas mehr Dekolleté zeigt, auch wenn es nicht meine eigene Körbchengröße überschreiten würde.
Aber um aufrichtig zu sein, mir wäre es immer irgendwie lieber gewesen, wenn die Brüste meiner Ex-Freundin mir nicht andauernd ins Gesicht gedrückt worden wären.

Nein, stop! Was vergleichst du sie mit deiner Ex - du kennst sie gar nicht!

Im rein äußerlichen Vergleich schneidet die Frau im Caffetteriaeingangsbereich allerdings deutlich besser ab...

An ihrem Bauchnabel blitzt ein kleiner Piercing und über dem Top baumeln ein paar lange Ketten mit großen Anhängern und bunten Holzperlen.
Das blaue Holzfällerhemd mit einem viel zu weiten Schnitt passt genial zu der Farbe ihres Tops, allerdings beißt es sich schrecklich mit den orangen Mustern ihrer Hose.
Das tut der Einzigartigkeit des Erscheinungsbildes und ihrem guten Aussehen allerdings keinerlei Abbruch.

Sie ist wirklich wunderschön.
Etwas hippie, aber wäre ich eine Modelagentur, ich würde darum betteln, dass ich von ihr Fotos machen könnte.

Etwas beschämt blicke ich kurz an mir herunter - meine gelben, vollgekritzelten Chucks mit den Perlen an den Schnürsenkeln wippen unter dem Tisch nervös auf und ab, meine ausgewaschenen Jeans mit den hässlichen Stickereien aus einem längst vergangenen Augenblick der Kreativität hat auch schon mal bessere Tage erlebt, ebenso mein Pulli, den meine Oma eigentlich schon längst ausrangieren wollte, ich mich aber so gut in seinen langen Ärmeln verstecken kann, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihn in die Tonne zu kloppen.

Mein Blick richtet sich wieder nach oben, wird wie durch Magie von der jungen Frau angezogen.
Schwungvoll dreht sie sich ein letztes Mal um ihre eigene Achse und lässt sich dann lachend auf den Sessel mir gegenüber an meinem Tisch fallen.
Ich blicke sie nur sprachlos, wahrscheinlich dämlich glotzend an, aber ihr Lachen verwandelt sich nur in ein verschmitztes Grinsen.

Ich bin mir sicher, dass in diesem grässlich-grellem Licht sämtliche Hautunreinheiten meines Gesicht einem sofort ins Auge springen und bin so zusätzlich verunsichert, denn die Frau mir gegenüber sieht einfach verdammt gut aus.

Einhändig zieht sie sich die Kopfhörer von ihrer dunklen Lockenpracht und legt sie um ihren Hals.
Mit der anderen Hand stibitzt sie sich meine Aufzeichnungen so schnell, dass ich keine Chance habe zu reagieren und die Zeichnungen zu überdecken.
So fällt ihr Blick geradewegs auf den ramponierten Ted.

"Ey", protestiere ich gegen den Diebstahl und erschrecke mich vor meiner eigenen Stimme, die krächzend vor Aufregung und Verunsicherung klingt.
Meine Tonlage, die eigentlich vorwurfsvoll klingen sollte, kratzt gegen Ende des eh nur drei Wort langen, gestotterten Satzes, ab.
"Das.. das ist Diebstahl!"

Nach dieser halbherzigen Beschwerde und dem Anflug von Humor mustert die junge Frau das Blatt vor ihr nur noch intensiver.
"Mag sein", zuckt sie mit den Schultern. "Das hält mich aber nicht davon ab dir zu sagen, dass du eine brillante Zeichentechnik hast."

"D-danke", stottere ich mir etwas überwältigt eine Antwort zusammen.
"Das sind doch aber nur Kritzeleien. Außerdem ist Ted ganz lädiert wegen dir", entgegne ich unüberlegt und klatsche mir im selben Moment innerlich die Hand gegen die Stirn.

"Wer?" Die Augenbrauen in die Höhe gezogen blickt sie mich aus ihren braunen Augen an, zieht einen Mundwinkel leicht nach oben, sodass sich kleine Lachfältchen an ihren Augen kräuseln.

"Wer was?" Ihr kleines, sanftes Lächeln hat mich so träumerisch werden lassen, dass meine Aufmerksamkeit bis zum Erdkern gesunken ist. "Wer ist Ted?", fragt sie noch einmal, ein wenig hibbelig, als könnte sie meine Antwort nicht abwarten.

"Uhm.. der Toaster", antworte ich verlegen, mein Knie wippt nervös auf und ab.
Sie muss denken, ich habe einen an der Klatsche. Shit.

"Hey Ted", sie winkt dem Toaster zu.
Mindestens ab dem Moment beschließe ich, dass sie auch nett zu sein scheint.
Sie hat nicht gelacht oder gefragt, was zur Hölle mit mir los sei. "Und was habe ich mit seiner Lädierung zu tun?"
Das Wort Lädierung setzt sie mit wackelnden Fingern in Anführungzeichen.

"Na ja..", beginne ich zögerlich, darauf bedacht, nicht zu stottern oder in meiner Aufregung irgendetwas total Dämliches von mir zu geben.
Oder gar sie merken zu lassen, wie sehr sie mich durcheinanderbringt.
Aber daran bin ich jetzt wahrscheinlich schon grandios gescheitert, seit ich ihren Blick unverhohlen auf mir ruhen spüre.
"Als du.. als du die Tür fast aus den Angeln gehoben hast, hab ich mich so erschreckt, dass meine Hand sich selbstständig gemacht hat. Du hast mich ein bisschen - das ist sogar noch untertrieben - aus dem Konzept gebracht."

Extrem stolz darauf, diesen Satz einigermaßen gerade und ohne Holper herausgebracht zu haben, traue ich mich endlich von meinen Händen, die den Bleistift kreisen lassen, hochzusehen und blicke ihr ohne Scheu in die braunen Augen, die mich schon die ganze Zeit unverblühmt und unbeirrt mustern.
Tiefe, braune Rehaugen.
Es ist dieses aufgeweckte Funkeln in ihnen und die Übermütigkeit ihres Wesens, die bewirken, dass ich einfach nur von ihr wahrgenommen werden will. Wirklich wahrgenommen.

Sie schlägt ein wenig die Augen nieder und sieht mich durch ihre dunklen Wimpern an.

"Oh. Ähm.. Sorry übrigens, dass ich so merkwürdig gerade bin. Ich wollte dich eigentlich gar nicht so überfallen, aber als ich hier reinkam und dich hier sitzen gesehen hab.. ist in meinem Hirn irgendeine Leitung durchgebrannt und .. ja, ciao, here I am.", lacht sie ein bisschen verlegen in Richtung ihrer Hände, die mit ihren langen Fingern den Rand meiner Kaffeeuntertasse nachfahren.

Krass, wie verdammt schnell sich bei ihr eine Mauer aus Befangenheit und Scheu aufbaut.
Auch dabei ist sie einfach umwerfend, aber nicht mehr so.. einschüchernd ist das falsche Wort, aber irgendwie fühlte ich mich kleiner, nervöser, schüchterner, wenn sie so selbstbewusst und sicher auftritt und das macht, für das ich nie genügend Mut aufbringen würde.

Während ich in meine Bewunderungen und Überlegungen vertieft bin, habe ich ganz vergessen, dass ich vielleicht noch antworten sollte.
Ich würde es hassen, jetzt in ihrer Situation zu sein, aber ich will auf keinen Fall, dass sie sich unwohl fühlt.
Bei mir unwohl fühlt.

"Alles gut. Ich war zwar etwas überrumpelt - bin ich immer noch, to be honest" ich schenke ihr ein ehrliches Lächeln und hoffe, dass es nicht total dämlich aussieht, "aber du bist sympathisch und wirkst cool, also don't worry.
Und bitte ignorier einfach , dass das klang wie aus einem extrem gestellten Dialog, den man im Sprachunterricht auswendig lernen musste."

Sie lacht und stellt ihre strahlend weißen Zähne und die niedlichen Lachfältchen zur Schau.
Nachdem sich ihre Gesichtszüge wieder etwas geglättet haben, zieht sie die Nase kraus, dann fängt sie wieder an zu reden und ich darf ihrer sanften, leicht rauen Stimme lauschen
"Dann fangen wir nochmal weniger weird an: Hi, ich bin Charlie, mag Musik, Farben und Menschen. Und ich bin immer auf der Suche...", beendet sie mysteriös in einer rauchigen Tonlage den Satz und zwinkert mir schelmisch zu.

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