Prolog - Zwei Herzschläge.
【 NIALL 】
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„Ich kann immer noch nicht fassen, dass du das wirklich getan hast", vernahm ich Liams Stimme, während er die Arme vor der Brust verschränkt hatte und mein neues Motorrad musterte. Es war eben ein echtes Schätzchen.
Grinsend zog ich mir den Reißverschluss der Motorradjacke hoch und griff zu meinem Helm: „Ja, die Yamaha YZF-R1 hat mich eine ordentliche Stange Geld gekostet, aber das war es mir wert. Sie fährt als würdest du über Wolken zischen."
Ich verriet besser nicht, dass ich von London nach Wolverhampton die durchschnittliche Fahrlänge bei weiten geknackt hatte. Auf einem Motorrad fühlte sich Geschwindigkeit unglaublich an. Den Führerschein zu machen hatte sich komplett gelohnt.
Nun setzte ich mir den Helm auf und schlug Liam gegen die Schulter: „Okay Kumpel, wir sehen uns in einer Woche in London. Simon will mit uns über weitere Pläne sprechen. Neue Aufnahmen und so."
Ihn spontan zu besuchen war ein guter Tagesausflug gewesen. Jetzt wurde es langsam dunkel und ich wollte mich auf den Rückweg machen.
Liam nickte und machte einen Schritt weg von meiner Yamaha. Er klang besorgt, als er sprach: „Fahr vorsichtig und mach keine Faxen unterwegs."
„Was für Faxen bitte?", wollte ich wissen, als ich den Helm schloss und mein bester Freund grinste: „Na du weißt schon, irgendwelche Mädels beeindrucken wollen."
Ich musste grinsen. Seit ich Melissa hatte, brauchte ich niemanden mehr zu beeindrucken. Offiziell war sie zwar noch nicht meine feste Freundin, aber sie und ich hatten geplant das sehr bald öffentlich zu machen. Nur wussten wir noch nicht wann.
Meiner Meinung nach sollten wir einfach ein gemeinsames Bild auf Instagram hochladen. Aber sie weigerte sich. Wahrscheinlich sollte das heißen, dass sie bei der nächsten Verleihung als meine feste Begleitung dabei sein wollte und nicht nur für einen Schnappschuss gut war.
Offen gesagt verstand ich die Frauen jetzt nicht besser als mit dreizehn. Sie waren immer noch ein riesengroßes Rätsel.
Kurz darauf stieg ich auf die Maschine und ließ sie aufheulen. Dann machte ich den Schulterblick und verließ die Einfahrt meines Freundes. Bis zur Autobahn musste ich mich an eine Geschwindigkeitsgrenze halten und reihte mich vorbildlich im Straßenverkehr ein, aber sobald ich richtig Gas geben durfte, tat ich das auch.
Mittlerweile war ich süchtig danach die Geschwindigkeit höher und höher zu treiben. Mein Adrenalin schoss jedes Mal durch die Decke und ich genoss es spürbar an anderen Autos vorbei zu ziehen.
Natürlich wusste ich, dass ich aufpassen sollte. Mein Fahrlehrer hatte es mir immer und immer und immer wieder eingetrichtert. „Horan, geh' sofort vom Gas runter, du lebensmüder Irrer! Du bringst mich ins Grab, bevor du deinen Lappen hast!"
Ich war vorsichtig, ganz sicher.
Trotzdem jagte ich die Geschwindigkeit höher und höher. Die Dämmerung hatte eingesetzt, die Sonne verschwand. Ich sollte vom Gas gehen, aber ich tat es nicht. Erst recht nicht als ich zwei Autos hinter mir einen Gleichgesinnten erkannte.
Er war... schnell.
Und bevor ich richtig drüber nachdenken konnte, zischte er auch schon an mir vorbei. Die Fazer8 ABS lag zwei Preisklassen unter meiner Yamaha und trotzdem schien er mehr Geschwindigkeit zu genießen als ich. Statt also vom Gas zu gehen, erhöhte ich die Geschwindigkeit und Sekunden später war ich wenige Meter hinter ihm.
Es war ein berauschendes Gefühl und dann sah ich, dass der Fahrer vor mir, ein Zeichen gab. Er hob Zeige und Mittelfinger der linken Seite. Ein 'Hallo' unter Fahrern. Ich erwiderte es.
Aber dann wurde der Abstand zwischen uns prompt größer. Plötzlich schoss ich sämtliche Vorsicht in den Wind und dachte nur noch daran, diesen Flitzer einzuholen. Es war berauschend. So berauschend, dass mir die hohe Geschwindigkeit keine Angst machte. Sie beflügelte mich.
Mein Zeitgefühl verschwand.
Vor uns war ein überlanger LKW zu sehen und kurzerhand wechselten wir die Spur. Dröhnende Lautstärke drang an mein Ohr, es sollte beängstigend sein, neben solch ein Gefährt zu fahren, doch ich hörte die schrillenden Alarmglocken nicht, spürte den Schweiß nicht, der meinen Rücken herunterlief und sah nicht, dass meine Knöchel mittlerweile weiß hervortraten, so fest hielt ich das Lenker umklammert.
Dann passierte es.
Innerhalb eines Herzschlages platzte dem LKW ein Reifen. Er schellte aus und mähte mich um. Ich verschwand genauso plötzlich, wie der Fahrer vor mir.
Einfach so, als wäre ich nie dagewesen.
Es war unheimlich laut, alles ging so schnell. Ich spürte nichts. Autoreifen quietschten, jemand hupte, Schreie, es knallte.
Und dann war es plötzlich unheimlich still.
Als hätte jemand die komplette Lautstärke herunter gedreht oder den Film ausgemacht.
Ganz langsam öffnete ich die Augen, zuerst erkannte ich überhaupt nichts. Dann roch ich Staub, Abgase und mein Köpf fühlte sich an, als würde eine Glocke dort drin hin und her schwenken. Etwas Feuchtes lief an meiner Wange entlang und ich wollte die Flüssigkeit berühren.
Wie in Zeitlupe gelang es mir den Arm zu heben. Er zitterte so stark, dass ich ihn kaum unter Kontrolle bringen konnte, bis ich schließlich auf meine Fingerspitzen sah. Etwas Rotes klebte an ihnen.
Blut.
Mit fiel überhaupt nicht auf, dass mir der Helm auf der rechten Kopfseite fehlte. Ich wollte aufstehen, doch es ging nicht. Tief wollte ich Luft holen, aber auch das ging nicht. Es war, als würde jemand fest gegen meine Brust drücken.
Ganz langsam begriff ich, dass nicht weit von mir, sich ein monströser Reifen drehte. Doch ich hörte nichts. Nicht den drehenden Reifen, nicht den dröhnenden Motor des LKWs, gar nichts.
Aber ich begriff, wo ich war.
Irgendwo unter dem LKW. Irgendwo dort, wo ich auf keinem Fall sein sollte.
Mein Blick schärfte sich.
Ganz leicht, Zentimeter für Zentimeter hob ich den Kopf und dann sah ich zwei Meter von mir entfernt, auf eine zuckende Hand.
Meine Augen weiteten sich.
Etwas drang zu mir durch. Ein Schalter drehte sich in meinem Kopf um, denn plötzlich schien mein Gehör wieder an zu sein.
Ein Wimmern.
Ich wollte etwas sagen, aber mir blieben die Laute im Hals stecken. „H-Hallo?", entwich es mir schließlich und dann hustete ich. Die Hand bewegte sich nicht mehr, aber als ich mich etwas reckte, erkannte ich dunkelbraune Haare und ein junges Gesicht, kaum älter als meines.
Der andere Fahrer, jener, der mich überholt hatte - schoss es mir durch den Kopf.
Ihm fehlte der Helm. Regungslos lag er auf der Seite, eingeklemmt zwischen den beängstigenden Reifen des LKWs. Blaue Augen sahen in meine, der Glanz darin war matt, so als würde er jeden Moment vollkommen verschwinden. Unregelmäßig und flach ging der Atem.
„W... ir... fliegen..."
Ich starrte ihn an. Es war wie ein Flüstern, wie eine eindringliche Botschaft.
Wohin flogen wir? Was meinte er?
Ich wollte ihn fragen, aber dann legte sich eine unsichtbare Hand um mein Herz. Das Bild vor meinen Augen wurde unscharf, bis es schließlich komplett in Schwärze getaucht wurde. Wie ein alter Film, bei dem das Videoband einfach riss.
Ich verschwand.
»Großeinsatz auf der M1! Schickt sofort alle Einheiten raus!«
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