Die erste Erinnerung.
【 BRITTANY 】
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23 APRIL 2013
„Willst du springen, oder wieso studierst du die Tiefe seit einer halben Stunde?"
Ich sah ihn zum ersten Mal auf einer riesigen rauschenden Party in Vegas.
Während im Inneren der Suite die Fetzen flogen, die Musik dröhnte und große Ausgelassenheit herrschte, stand er draußen auf dem riesigen Balkon und betrachtete die Skyline. Im Gegensatz zu seinen Freunden, ließ er sich nicht von der beflügelten Stimmung anstecken.
Er reagierte nicht auf meine Worte und ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das Gelände. Gelassen nippte ich an meinem Martini.
Liam Payne war ein seltsamer Promi.
Er wirkte zutiefst deprimiert und zeigte keinerlei Drang einfach nur Spaß zu haben. Und dass, obwohl er den Arsch voller Geld hatte, volljährig in Vegas weilte und ihm sämtliche Türen des Verderbens offenstanden.
„Kannst du nicht sprechen, oder was ist los?", ich musterte ihn und als er den Kopf drehte und mich ansah, wirkte er angespannt, genervt und schien sich zu wünschen, dass ich mich selbst in die Tiefe stürzte.
Die Luft war warm und statt mich von seiner feindseligen Miene einschüchtern zu lassen, sprach ich: „Martini?"
„Nein danke", brummte er. Seine Stimme war tief und jagte mir prompt einen wohligen Schauer über den Rücken. Dann wandte er sich wieder ab und sah auf die leuchtenden Lichter von Vegas. So, als wünschte er sich, ganz wo anders zu sein. Ich nippte an meinem Martini und strich mir das Haar über die Schulter. „Du springst aber nicht wirklich, oder?"
„Wenn du mich weiter so nervst, überlege ich es mir", antwortete er pissig und gerade sein schroffer Ton sorgte dafür, dass ich mich köstlich unterhalten fühlte. All die verwöhnten Diplomatenkinder mit ihren dicken Treuhandfonds, die sich im Penthouse amüsierten und die jungen Musiker und Schauspieler interessierten mich nicht mehr.
Nicholas Markov lud öfters zu einer riesigen Party ein. Der Sohn eines russischen Milliardärs ließ regelmäßig die Puppen tanzen und ich kannte seine Stammgäste wie ein Who is Who. Mit einigen dieser neureichen Kids war ich zur Schule gegangen, anderen begegnete man auf allerhand Veranstaltungen.
Wahlkampfnächte, Ballnächte, in denen es nur darum ging Kontakte zu knüpfen, Opernbesuche, Sommerfeste - sämtliche Einladungen hatten immer nur einen einzigen Grund gehabt. Sehen und gesehen werden. Die oberen Zehntausend protzen und kleckerten gerne. Mit Reichtum, Macht und Ansehen.
„Wenn dich alles so nervt, warum bist du dann hier, Liam?", fragte ich ihn. Seine Augenbrauen zuckten und er musterte mich. Wahrscheinlich versuchte er einzuschätzen aus welchem Loch ich gekrochen kam.
Mein knallblaues und enges Paillettenkleid mit dem herzförmigen Ausschnitt war nichts, was man an der Stange kaufte und das silbrige Armband von Tiffany mit den winzigen Diamantensteinchen war eines der wenigen Dinge, die ich mitgenommen hatte, als ich von zu Hause abgehauen war.
Ich hatte es von meinem Grandpa zum sechzehnten Geburtstag bekommen, der Wert mochte bei 30.000 Dollar liegen.
„Woher weißt du wie ich heiße?", stellte er mir die Gegenfrage und ich lachte: „Jeder weiß, wie du heißt. Zumindest dann, wenn man nicht vollkommen hinter dem Mond lebt." Außerdem hatte es meine beste Freundin Angela seit Wochen auf diesen Lockenkopf der Band abgesehen. Harry Styles oder so.
Wenn sie Pech hatte, machte ihr die Königin der Countryszene einen Strich durch die Rechnung. Mit Taylor Swift war nicht zu spaßen, wenn es um Revierkämpfe ging.
Ich leerte mein Martini und drehte das Glas zwischen meinen rot lackierten Fingernägeln. Zum Schluss leckte ich mir über die Lippen, dann neigte ich den Kopf. „Deine miese Laune, kommt sie wegen einem nicht gewonnenen Preis, Stress oder hat ein Herzblatt damit zu tun?"
Sein Gesicht zuckte und ich lächelte breit: „Also ein Herzblatt. Hat sie dich sitzen gelassen?"
„Das geht dich nichts an", wehrte er ab. Ich stellte das leere Martini-Glas ab und zuckte mit den Schultern: „Ja und? Interessiert mich trotzdem."
Die Musik wurde noch lauter gestellt und ich sah, dass die Party sehr ausschweifend wurde. Wahrscheinlich stand am Morgen nicht einmal mehr die Suite in all ihren Einzelheiten. Es würde, wie üblich, eine ziemlich dicke Rechnung mit sich ziehen, aber das konnte Nicholas bei seinem Treuhandfond egal sein.
„Wieso hat sie dich sitzen gelassen?", hakte ich nach und konnte meine Neugier einfach nicht hinter dem Berg halten. Liam Payne war ein attraktiver Kerl, niemand, der noch halbwegs bei Trost war würde dies leugnen. Dass er darüber hinaus ein fettes Bankkonto hatte, erfolgreich war und ein paar andere Extras besaß, schadete ihm nicht.
Liam presste die Kiefer aufeinander und ich fing nervig an herum zu orakeln: „Wahrscheinlich bist du ihr fremdgegangen. Wäre zumindest das Klischee schlecht hin und würde mich nicht überraschen. So viele Groupies, wie vor eurer Tür campieren."
Ich laberte einfach weiter, egal, ob er es hören wollte, oder nicht. „Falls es dich tröstet, jeder geht irgendwann einem hübschen Mädchen in die Falle. Man ist erschöpft, vermisst die eigene Freundin oder hat sich mit ihr gestritten und schwups, schon findest du dich mit einem Mädchen in deinem Bett wieder, von der du nichts weißt, außer den Namen und dass sie ein hübsches Gesicht hat. Na ja, manchmal noch nicht einmal das."
Nun sah er mich an, Wut blitze in seinen Augen auf: „Ich bin ihr nicht fremdgegangen!", entwich es ihm. „Ich wollte sie heiraten!"
„Oh, dann hat sie also nein gesagt?", preschte ich mich unsensibel ran und Liam schien mit sich mit sich zu ringen, ob er mir mehr sagen wollte, oder nicht.
Als er sich dazu entschied zu schweigen, übernahm ich es wieder die Konversation am Laufen zuhalten: „Ich habe noch nie nein gesagt. Wieso auch, Hochzeiten sind etwas Großartiges. Man macht sich hübsch, lädt die besten Freunde ein, verspricht sich die schönsten Dinge-"
„Du hast geheiratet?", unterbricht Liam mich verstört und ich hob die Hand, um ihn Zeige- und Mittelfinger zu zeigen. „Ja, zweimal."
„Wie alt bist du?", er klang geschockt, womit er mich zum Schmunzeln brachte: „Zweiundzwanzig. Wieso so überrascht, wir sind hier in Vegas. Heiraten gehört hier zum Tagesgeschäft."
Leicht stieß Liam sich vom Gelände ab. „Aber das sollte doch etwas Besonderes sein", warf er ein. Ich zucke mit den Schultern und erkläre: „Ich habe nicht gesagt, dass es das nicht auch war. Sowohl die Hochzeit mit William als auch die mit Ethan. Dass beide nichts für die Ewigkeit sind wusste ich von Anfang an."
Liam wirkte sichtlich geschockt. Wahrscheinlich kam er aus einem kleinen und gut bürgerlichen Elternhaus. Es überraschte mich deshalb auch nicht, als er fragte: „Was haben deine Eltern dazu gesagt?"
„Mein Vater ist zu beschäftigt Gouverneur von New York zu werden und meine Mutter hat mich wohl schon aus den Familienstammbaum radieren lassen. Was soll's." Ich war nicht wie meine reizenden Schwestern. Elisabeth und Gabriella waren Vorzeigetöchter. Unglaublich hübsch, intelligent und wohlerzogen. Sie hätten es niemals gewagt, einfach irgendwann ihre Koffer zu packen und Adios zu sagen.
„Jedenfalls... trauerst du jetzt hier herum, weil deine Angebetete nein gesagt hat?", lenkte ich die Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Liam hob die Augenbrauen, dann gestand er: „Ich habe sie gar nicht gefragt, sondern stattdessen die Beziehung beendet."
Damit hatte ich nun nicht gerechnet und versuchte mich an all die Klatschzeitungen zu erinnern, die ich hin und wieder einmal durchblätterte. Da war eine Frau mit wilden Locken gewesen. „Wieso denn das? Ist ein ziemlicher Umschwung."
Liam vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen, er wirkte nachdenklich: „Mein bester Freund hat etwas zu mir gesagt, was... mich klarsehen gelassen hat."
„Das haben beste Freunde so an sich", stimmte ich zu. Ich drehte mich überschwänglich um mich selbst, dann strich ich mir durch das blonde Haar: „Nun denn Liam. Ich werde dir heute Abend sicher nicht die Antwort auf das Universum und den 'warum und weshalb' liefern, aber wenn du Lust darauf hast nur für heute mal deine miese Laune abzulegen, dann könnte ich dir ein bisschen helfen."
Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte er und es war ein wirklich smartes Lächeln. Ansteckend und warm. „Wieso solltest du das tun?"
„Du bist reich, sexy, gutaussehend und ich habe eine Schwäche für traurige Hundeaugen", gab ich unbekümmert zu. „Außerdem ist mir hier langweilig und ich wäre sichtlich angetan heute Nacht Begleitung zu haben."
Liam zögerte, schließlich entspannte sich seine Haltung und er zuckte mit den Schultern, ganz so, als hätte er eh nichts zu verlieren. „Pro Forma, damit wir das weg haben und ich nicht mit einem unbekannten Groupie unterwegs bin, wie heißt du?"
Er sagte das, als wollte er sich an mehr erinnern, als an mein Gesicht und das gefiel mir. Schwungvoll drehte ich mich um und sprach: „Brittany, mein Lord. Ich bin Brittany Joanie Ward. Aber nur pro Forma von mir, ich weiß noch nicht, ob ich ein Groupie bin, denn Groupies versuchen das Opfer ihre Begierde in die Kiste zu kriegen. Ob ich mir den Aufwand bei dir antue, muss ich noch abschätzen. War schon anstrengend, dich dazu zu kriegen, mich nicht nur finster anzusehen, sondern mir Antworten in ganzen Sätzen zu geben."
Er brach in schallendes Gelächter aus.
An diesem Abend folgte mir Liam in die Fremont Street Experience. Er tauchte so spielend leicht ab, versank in der Masse, dass es ihn selbst überraschte. Zwischen all den bunten Lichten, den Attraktionen und jede Menge Spaß, schien er wahrhaftig innerhalb von einer halben Stunde komplett zu vergessen, was ihn plagte.
Ich fragte nicht, was sein bester Freund zu ihm gesagt hatte. Stattdessen organisierte ich uns alle paar Meter einen farbigen Shot und stieß mit ihm an. Ein hoch auf den Abend, ein hoch auf das Weltall, ein hoch auf die besten Hamburger der Welt, ein hoch auf die Musik der 90er. Es ging endlos.
Liam war überraschenderweise eine pflegeleichte Begleitung. Ein einziges Mal zierte er sich, nämlich als es darum ging seine Bodyguards auszutricksen. Wir schafften es jedoch so spielend leicht, dass es ihm selbst nicht ganz geheuer war. Doch nach dem dritten Shot hatte der Alkohol sämtliche Bedenken seinerseits weggefegt.
Nachdem wir in der Fremont Street zu einem spontanen kleinen Live-Konzert einer unbekannten Texas-Band getanzt hatten, griff ich nach seiner Hand und führte ihn in meinem Lieblingsclub. „Das ist nur für Insider, wenn du also jemals wieder hier hin gehst, dann nur mit Personen, die es verdient haben."
Der Club Casablanca befand sich abseits, gut versteckt in einem Altbau. Er erstreckte sich über ganze fünf Etagen und jede Etage besaß einen anderen Stil. Im Erdgeschoss empfing uns die übliche Technomusik, im ersten Stock stolperten wir in ein Paradies der 80er Jahre. Saturday Night Fever ließ grüßen.
Dementsprechend wurde auch getanzt und das war eines der Dinge, die wir wie in einem Rausch taten. Liam konnte sich bewegen, egal ob er versuchte Faxen zumachen, oder Schritte aus John Travoltas legendären Film zu kopieren. Wir wechselten immer einmal wieder die Etage, je nachdem wie wir lustig waren. Doch am längsten weilten wir in der fünften. Dort war ein regelrechter Zirkus losgebrochen. Frauen und Männer in extravaganten Kostümen gaben sich die Ehre. Federn, Glitzer, soweit das Auge reichte.
Luftballons in sämtlichen Größen und Farben, genauso wie Tänzerinnen, die sich an langen Tüchern von der Decke über die Köpfe der Menge hinweg schlängelten. Akrobatik, wo man auch hinschaute.
Francesco, ein oberflächlicher Bekannter und Transsexueller, in einem aufreißenden Rio-Karneval-Kostüm gab uns eine Runde einer herrlich leckeren Bowle aus und von Minute zu Minute bemerkte ich mehr, wie Liam alles andere vergaß.
Schwarzlicht setzte auf der Tanzfläche ein und schließlich beugte Liam sich zu mir herunter und brüllte mir ins Ohr: „Woher kennst du den Club?"
„Meine beste Freundin Angela hat hier gearbeitet", erklärte ich. „Aber weißt du, was hier wirklich großartig ist?"
Er schüttelte den Kopf.
„Du bist hier nicht deine Arbeit, du bist nicht, wie viel Geld du auf dem Konto hast, du bist nicht das Auto, das du fährst und du bist nicht der Inhalt deiner Geldbörse. Hier, an diesem Ort, bist du einfach nur der singende und tanzende Abschaum der Welt."
Hier waren alle gleich, ganz egal aus welcher Schicht sie kamen. Das Einzige, was wirklich ein jeder gemeinsam hatte, war die Tatsache, dass wir alle wussten, dass es diesen Ort gab.
Liam lachte so als würde er mir kein Wort glauben. Aber das lag vielleicht daran, dass er noch nie ganz unten gewesen war. Ich hatte schon nach der Flucht aus meinem Elternhaus in Treppenhäusern geschlafen, mir mein Essen aus dem Müll gesucht und so gefroren, dass ich geglaubt hatte, ich würde nicht mehr aufwachen.
Damals hätte ich das Armband von Tiffany verkaufen sollen, aber mein Stolz und der persönliche Wert, den es für mich hatte, hielten mich davon ab. Dreistigkeit und Hartnäckigkeit hatten mich wieder nach oben gebracht. Ich tingelte von einem Freund zum nächsten und wusste nie, wo ich am Ende der Woche landen würde. Das Leben genießen, für den kleinen und flüchtigen Augenblick - das war mein Motto. Bislang kam ich damit auch gut herum und wer wusste, wie lange das so bleiben würde.
Irgendwann waren wir aus der Puste und stolperten noch ein letztes Stockwerk hoch. Es war das Dach und da ich die Zahlenkombination von Francesco noch hatte, sprang die Tür auch sofort auf.
Hier oben lagen mehrere Matratzen, standen Plastikstühle und ein Überdach. Nachts war es schön hier, man sah auf die blinkenden Lichter von Vegas und genoss die angenehme Luft. In wenigen Stunden würde die Hitze wieder über uns hereinbrechen.
Ich fing an, den Refrain von ABBA und ihrem Hit Dancing Queen schief zu trällern. Irgendwann ließ Liam sich auf die Matratze fallen und sah in den dunklen Himmel. Ich tat es ihm gleich und als er anfing mit meinen Fingern zu spielen und ich den Kopf drehte, war es der Startschuss zum Unausweichlichen.
Es war kein Aufwand mit Liam zu schlafen, sondern das leichteste der Welt. Er war sanft, küsste liebevoll und als hätte er alle Zeit der Welt. Kein Zwang, Druck oder bitterer Beigeschmack war zu spüren, als er den nächsten Schritt machte, einmal sämtliche Verantwortung fallen zu lassen.
Er betrat meine Welt für genau eine Nacht und am Morgen wirkte er nicht, als würde er es bereuen.
Die Sonne ging auf, tauchte die Dächer der Stadt in eine warme Farbe und kündigte den neuen Tag an. Ich spürte noch immer seine Hände auf meiner Haut und seine Lippen auf meinen, trotzdem zog ich mir das Kleid wieder an und angelte nach meinem Höschen, dann blieb ich regungslos neben Liam sitzen.
Er rieb sich über das Gesicht, so als müsste er einen Kater vertreiben. Vielleicht hatte er ihn auch, ich wusste es nicht. Liam zog sein Handy aus seiner Hosentasche und stöhnte, als er auf das Display schaute. Ich grinste: „Na, schicken sie schon das Sondereinsatzkommando los, oder nur deine Bodyguards?"
„Ich habe 52 Anrufe in Abwesenheit", setzte er mich in Kenntnis, aber statt direkt jemanden zu antworten, ließ er das Handy einfach wieder sinken und sah auf Las Vegas. Eine Weile schwiegen wir dann sprach er: „Ich werde mich nie wieder verlieben. Das Drama lohnt sich nicht."
Nun musste ich lachen und er empörte sich: „Das ist nicht witzig! Im Ernst Brittany, wenn es dich mal richtig erwischt hat und du dann quasi fett auf die Nase fliegst, dann wirst du wissen, was ich meine."
Ertappt zuckte ich mit den Schultern, denn in der Tat, ich war noch nie so verliebt gewesen, dass ich völlig den Boden unter den Füßen verloren hatte. Natürlich hatte ich William und Ethan, meine reizenden Ex-Ehemänner gemocht, aber sie waren nie das Zentrum des Universums für mich gewesen.
„So ganz ohne wird ein Kerl, wie du, sowieso nicht auskommen", hielt ich dagegen, doch Liam schien das anders zu sehen, denn er wedelte unwirsch mit der Hand: „Ab jetzt gibt es nur noch mich. Außer jemand hat das ultimative Rezept für mich."
Sofort riss ich begeistert die Augen auf und er rollte sich auf die andere Seite: „Nein, ich will es nicht hören! Dein Rat ist sicher: Mach dich nackt, pinkle vom Dach und-"
„So ein Bullshit!", wehrte ich mich und stieß ihn in die Seite. „Ich kann auch ernste Dinge von mir geben." Er schnaubte, ganz so, als müsste ich ihm das erst einmal beweisen. Um ein bisschen Dramatik aufzubauen, räusperte ich mich und sprach: „Liebe ist Leidenschaft, Hingabe - jemand, ohne den man nicht leben kann. Such dir jemanden, nach dem du verrückt bist und der dich ebenso liebt, wie du ihn."
Er sah mich über seine Schulter hinweg an und ich neigte leicht den Kopf. Während ich mit meinen Fingern mein Haar kämmte, sagte ich: „Wie man so jemanden findet? Vergiss den Verstand und hör nur auf dein Herz."
„Klingt nach einer Selbstmordmission", stellte er fest, ich schüttelte nur den Kopf: „Joe Black ist ein weiser Mann, seinem Rat darfst du ruhig trauen."
„Wer ist Joe Black?"
„Oh Liam, du solltest eindeutig mehr Filme schauen!" Ich blickte noch einmal über Las Vegas, dann sprach ich: „Wollen wir los?"
Langsam erhoben wir uns. Ich schlüpfte zurück in meine Pumps und dann reichte mir Liam seine Hand. Es war ein schönes Gefühl. So sicher und zuverlässig. Aber zuverlässig und sicher gehörten nicht in meine Welt.
Ich wusste das.
Zusammen huschten wir durch das Treppenhaus und traten auf die Straße. Stück für Stück mischten wir uns wieder unter Menschen und schlenderten durch die Fremont Street Experience. Bei Tageslicht wirkte sie weniger magisch, sondern eher ernüchternd. Ich schaffte es auch nur bei Nacht mir vorzugaukeln, ich wäre im Paradies.
Vor dem luxuriösen Bellagio Hotel blieb ich stehen. Ganz langsam löste ich meine Hand aus Liams. Er sah mich leicht irritiert an, doch als wir uns schlussendlich nur noch gegenüberstanden schien auch er zu begreifen.
Es wunderte mich nicht, dass er im Bellagio abgestiegen war. Ich kannte die Suite und den Service. Er war Luxus und Erholung pur, außerdem nur etwas für den großen Geldbeutel.
„Hier endet dein Ticket", erklärte ich grinsend und metaphorisch. „Falls du also je wieder nach Vegas kommst, dann-"
„Sehen wir uns wieder?", unterbrach er mich und ich schüttelte den Kopf: „Oh nein, rechne damit, dass wir das niemals tun werden." Liam wirkte betroffen und ich führte ohne Reue aus: „Ach komm, wir wissen beide, dass Vegas eine Stadt ist, in der die Menschen verschluckt werden und tanzend im Nirgendwo verschwinden. Sobald du mir den Rücken kehrst und dich noch einmal umdrehst, werde ich weg sein."
„Aber wir sind im selben Kreis unterwegs, da besteht doch hundert pro die Möglichkeit, dass wir eines Tages erneut übereinander stolpern", meinte er.
Allein an der Aussage sah ich, dass er mich völlig anders sah, als ich eigentlich war. Wir lebten in zwei verschiedenen Welten. Er hatte einen Kalender, der bis ins nächste Jahr festhielt, wo er sein würde. Ich wusste nicht einmal, wo ich heute Abend schlief.
So ging ich gar nicht erst auf Liam ein, sondern sprach: „Wenn du in New York, auf so Galas, je auf einen alten Kauz namens Paul Rutherford triffst, dann grüß meinen Grandpa von mir. Du weißt schon, er wird immer irgendwelche dummen Witze in seinen Schnauzer brummen und seinen Stock so schwingen, als wollte er damit in die Schlacht."
Mein Grandpa war der Einzige, den ich wirklich aufrichtig vermisste. Hin und wieder auch die Gewissheit für die Nacht ein Bett zu haben. Aber man gewöhnte sich erschreckend schnell an Umstände.
„Also flatterst du einfach weiter", stellte Liam fest. Ich nickte: „Ja. Im Gegensatz zu dir muss ich für nichts Verantwortung übernehmen. Ich kann tun und lassen was ich will und solange das noch geht, werde ich das auch tun." Irgendwann fände das ein Ende, aber ich wollte mir den Zeitpunkt offenhalten.
„Nun denn", sprach ich, um so deutlich zu machen, dass ich nicht ewig hier stehen würde. Er kam mir zögerlich entgegen und wandte sich nun ebenfalls zum Gehen: „Dann mach's gut, Brittany." Ich nickte und schließlich ging Liam.
Es war ein seltsamer Abschied und an seinem unsicheren Gang konnte ich erkennen, dass er noch immer Alkohol im Blut haben musste. Doch ich war der festen Überzeugung, dass er eine enthemmte Substanz für heute gebraucht hatte.
Einfach, um einmal komplett los zu lassen und zu vergessen. Seine Traurigkeit würde heute zurückkommen. Aber ich war mir sicher, dass Liam sie finden würde. Das Mädchen, das ihn genauso liebte wie er sie. Denn er war ein guter Kerl und gute Kerle bekamen in der Regel genau das, was sie verdienten.
„Hey Liam!", rief ich schließlich und er hielt tatsächlich noch einmal inne und drehte sich um. Ich befeuchtete meine Lippen. „Am Ende wird alles gut!"
Plötzlich grinste er breit und wirkte mit einem Schlag wieder so unbeschwert, wie in der Nacht: „Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende."
Ich brach in Gelächter aus und hob die Hand zum Abschied, dann ging ich und im Gegensatz zu ihm drehte ich mich nicht noch einmal um. Ganz so, wie ich es gesagt hatte, verschwand ich in Las Vegas.
Es war das Einzige, was ich wirklich gut konnte, den Weg von Leuten kreuzen und auch wieder verlassen. So band man sich nie lange genug an jemanden, um einen anderen die Möglichkeit zu geben, wichtig zu werden.
Die nächsten Wochen fiel ich in mein übliches Muster. Ich tanzte auf vielen Partys und manchmal, wenn ich an fremden Pools meine Beine ins Wasser tauchte, das Kleid etwas hochzog und den Blick über die unzähligen Menschen gleiten ließ, dann fragte ich mich, ob es Liam gut ging. Hin und wieder verfolgte ich One Direction durch Twitter und Zeitschriften. Er verschwand jedoch nach und nach aus meinen Gedanken.
Erst als ich mich zwei Monate später im Bad meiner besten Freundin Angela eingeschlossen hatte und auf dem Boden saß, bekam Liams Name eine vollkommen neue Bedeutung für mich. In den Händen hielt ich einen Schwangerschaftstest der positiv reagiert hatte.
Ich war schwanger.
Innerlich wartete ich auf Panik, aber da kam keine. Stattdessen machte sich eine unglaubliche Ruhe in mir breit. Tief atmete ich durch und hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Da war der Moment, an dem ich an einer Kreuzung stand.
Ich hatte nur mit einem einzigen Kerl geschlafen, deshalb ergab sich die Antwort, wer der Vater war von selbst. Neben mir lag ein Haufen Klatschzeitschriften und ich hatte gerade eben noch das Bild von Liam und einer hübschen Brünetten gesehen. Seiner angeblich neuen Freundin.
Sophia Smith war eine alte Schulfreundin von ihm und ich gönnte ihm das Glück. Ich dagegen musste nun etwas tun und je länger ich auf dem kalten Boden saß, umso klarer wurde mir, dass ich nicht abtreiben konnte.
Ich wollte dieses Kind bekommen, denn das hieß, ich hätte keine Ausrede mehr durch das Leben zu flattern, als würde ich morgen nicht mehr aufwachen. In Las Vegas konnte ich nicht bleiben, aber nach New York zu meiner Familie wollte ich auch nicht. Denn wenn ich nach Hause ginge, dann wäre die Schande groß, noch dazu würden meine Eltern darauf pochen, dass ich den Vater des Kindes einweihte.
Das wollte ich unter keinen Umständen.
Würde ich Liam einweihen, würde dies bedeuten die Nachricht ging an die Presse. Ich war in einem Umfeld aufgewachsen, wo alle Welt sich das Maul über Fehltritte und Skandale zerriss. Niemanden würde ich so etwas zumuten.
Außerdem wollte ich die Kontrolle darüber behalten, was ich für richtig hielt und was nicht. Meine Mutter würde sich sonst zu stark einmischen und über Liams Familie wollte ich nicht einmal nachdenken.
Was ich brauchte war ein Neuanfang und deshalb kam es mir gelegen, dass Angela wenig später an einem gebrochenen Herzen litt. Wir verließen Las Vegas und uns verschlug es bis nach Birmingham, England. Dort verliebte sich Angela so unsterblich, dass ich schließlich auch aus ihrem Leben verschwand.
Birmingham war meine Chance.
Zum ersten Mal in meinem Leben arbeitete ich. Zuerst half ich nur in einem Blumenladen aus, dann nahm ich einen zweiten Job an, in einem Supermarkt. Ich konnte mir eine eigene winzige Wohnung leisten und noch bevor ich kugelrund war, hatte ich das Nötigste, was ich brauchte.
Oft, wenn ich auf der abgenutzten Couch schlief, dann dachte ich an das Armband von Tiffany und was es wert war. Aber immer, wenn ich es hervorholte und betrachtete, brachte ich es nicht über mich es zu verkaufen.
Es war hart, inklusive der Schwangerschaftsübelkeit und das ich abends niemanden hatte der auf mich wartete. Ich musste alles allein machen. Zur Voruntersuchung, das kleine Zimmer streichen und über die Flohmärkte ziehen.
Als ich an einem Morgen einer Kollegin im Supermarkt gegenüber fallen ließ, dass ich noch nicht wüsste, wo ich halbwegs gescheite Strampler her bekäme, stand sie mit zwei weiteren Kollegen am nächsten Tag vor meiner Tür und schleppten nicht nur ganze Säcke mit Babykleidung herein, sondern auch ein Bettchen.
In diesem Moment brach ich in Tränen aus und begriff, dass wenn man länger an einem Ort blieb, nicht nur Menschen ins Herz schloss, sondern auch selbst in die Mitte genommen würde.
Olga, eine robuste fünfzig Jährige gab mir nach jeder Schicht im Supermarkt Essen mit und John und Erwin, Kollegen aus dem Lager, trugen mir Wasserkisten und Taschen voller Spielzeug. Trotzdem hatte ich oft das Verlangen zum Telefon zu greifen und irgendjemanden anzurufen.
Als ich wusste, dass ich einen Jungen bekommen würde, grübelte ich ewig mit Olga über einen Namen. „Ach Brittany, du musst einen Namen aussuchen, der dir etwas bedeutet, bei dem du an etwas Gutes denkst." Es war schwierig.
So lange, bis ich eines Abends beim Wäsche falten den Fernseher laufen lief und Arielle, die Meerjungfrau gesendet wurde. Sebastian, die Krabbe tat mir leid, da er in ein unfreiwilliges Abenteuer nach dem nächsten gezerrt wurde. Aber gleichzeitig war er aufrichtig, zuverlässig und verantwortungsbewusst. Eigenschaften, dir mir sehr gut gefielen, genauso wie der Klang des Namens.
Mir platzte am ersten Januar die Fruchtblase, als ich über eine Schnapsleiche in meiner Haustür stieg, um etwas frische Luft zu schnappen. Ich ging täglich spazieren, seit ich eine Kugel vor mir herschob.
Meine Hosen bekam ich nicht mehr zu und da zum Glück Winter war, trug ich lange Pullover drüber. Meine Rückenschmerzen und Sebastians Aktivität immer nachts zu zeigen, dass er munter war, hinderten mich seit über drei Wochen schon daran, ordentlich durchzuschlafen.
Umso erleichterter war ich, als die Fruchtblase schließlich platzte und ich mir selbst den Krankenwagen rief. Neben mir schlummerte der Betrunkene friedlich weiter und ich war versucht ihm vor Schmerzen in die Weichteile zu treten, nur damit jemand Schmerzen mit mir teilte.
Ich stampfte den völlig verdutzten Sanitätern entgegen und fauchte sie an: „Was ist jetzt! Soll ich das Kind auf dem Gehweg gebären, oder was!"
Mein Sohn machte gleich am ersten Tag klar, dass er nichts davon hielt zu trödeln. Er brauchte ganze zwei Stunden, dann beschwerte er sich mit lautem Geschrei darüber, wie nasskalt doch die Welt war.
Olga hatte mir völlig zerzaust die Hand gehalten und beigestanden. In ihren Haaren klebte noch Konfetti von der Silvesterfete am Vorabend. Heulend betrachteten wir den viel zu kleinen verschrumpelten Jungen.
Richtig begreifen, dass Sebastian jetzt mein Junge war und ich die volle Verantwortung für ihn trug, tat ich erst am Abend. Völlig fertig hatte ich ihn neben mir im Bett liegen und betrachtete ich ihn.
Er war so unglaublich perfekt und winzig. Seine kleinen Finger, die süße Stupsnase. Sanft strich ich ihm über das Köpfchen und bemerkte fast nicht, dass Dr. Miller das Krankenzimmer betrat und Unterlagen in den Händen hielt.
„Alles in Ordnung soweit mit Ihnen, Miss Ward?"
Ich nickte und versuchte vorsichtig mich aufzurichten, dann nahm ich Sebastian achtsam in die Arme und Dr Miller blieb vor meinem Bett stehen.
Er legte eine Mappe auf meinen kleinen Beistelltisch und betrachtete meinen ganzen Stolz. „Ich wollte Ihnen noch ein paar Papiere vorbeibringen. Unter anderem fehlt noch der Name des Vaters, falls Sie die Spalte nicht mit 'Unbekannt' füllen wollen."
Nach ein paar weiteren Hinweisen, dass ich in zwei Tagen wieder nach Hause durfte, wenn mit Sebastian weiterhin alles in Ordnung blieb, ging er wieder. Meine nackten Beine baumelten aus dem Bett, draußen schneite es leicht, doch ich hatte nur Augen für Sebastian, der unschuldig in meinen Armen schlief.
Schließlich riss ich mich los und blickte auf die Papiere. Unsicher nahm ich den Kugelschreiber zur Hand, der oben drauf lag und zögerte. Olga hatte mir Tage zuvor erklärt, dass ein 'Unbekannt' nicht gut sei, wenn ein absoluter Notfall eintreffen würde.
Was, wenn eines Tages der Moment kam, an dem ich nicht mehr auf Sebastian Acht geben konnte? Wenn mir irgendetwas passierte und mein Sohn dann ganz allein war?
Ich füllte die Spalte aus und wandte mich dann wieder dem Baby zu. Dieses kleine Würmchen in meinen Armen ließ jegliche Sorge unwichtig erscheinen. Ein gelöstes Lächeln glitt über meine Lippen.
Es war der erste Januar 2014 und ich war unglaublich glücklich. So, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und all das nur, wegen einem kleinen Jungen, der kaum ein paar Stunden alt war und mein gesamtes Leben schon durcheinander gewirbelt hatte, bevor er überhaupt zum ersten Mal in meinen Armen lag.
Aber für Sebastian war es das wert.
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