Die dritte Erinnerung.


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【 SAMUEL 】


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Mit geschlossenen Augen stand ich mitten im Regen. Die Kamera in den Händen genoss ich die kühlen Tropfen auf der Haut. Um mich herum rannten die Menschen in die Geschäfte, um sich vor ein wenig Wasser zu schützen. Als wenn sie aus Zucker wären.

Kälte kroch an meinen Beinen hoch, doch ich ignorierte sie, dann öffnete ich die Augen und nahm den Blick von dem schweren, dunklen Himmel. Mittlerweile war die Einkaufsmeile fast leer.

An mir schritt eine Frau mit einem bunten, leuchtenden Regenschirm vorbei. Meine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln und ohne zu zögern hob ich die Kamera.

Manchmal entstanden meine Bilder aus Zufall.

Und manchmal entstanden die Bilder nur in meinem Kopf.

Vor sieben Tagen hatte ich beim Management von One Direction angerufen und fragen lassen, ob Louis Tomlinson Interesse an ein Shooting hätte. Es ließ mich nicht los, was ich auf dem Konzert gesehen hatte und zum ersten Mal ging der Kontakt zu einem Prominenten von mir aus.

Leider erhielt ich auch zum ersten Mal ein 'Nein' als Antwort, etwas, was die ganze Sache nur noch viel reizvoller machte. Mit einem ironischen Unterton hatte David mich zurückgerufen und gemeint, Tomlinson würde es sich vielleicht überlegen, wenn ich zwei Karten für meine neue Ausstellung springen lassen würde.

Wenn das alles war, dann kam ich dem natürlich nach.

Auf die Ausstellung an sich freute ich mich nicht. Sie war immer schrecklich lang und jedes Mal, wenn ich sah das eines der Bilder verkauft war, dann fühlte ich mich schlecht. Abends sah ich sie mir gerne noch einmal an, ging von Raum zu Raum und verabschiedete mich.

Vielleicht war dies albern, aber mir fiel der Abschied einfach nicht leicht. Ich dachte dann an den Tag, als ich die Bilder geschossen hatte, an die Augenblicke und Orte.

Bei einem Treffen der gesamten Fotografen der Firma hatte ich im Treppenhaus neben Eric gesessen. Nebenbei erwähnte ich, dass Liam Payne ein Motiv für ihn war und er reichte mir eine kleine Liste mit Städten, die ich vielleicht einmal besuchen sollte.

„Wieso bist du so angepisst, Sam?", fragte Eric, ein etwas zu kurz geratener blonder Sumoringer. Wir waren nicht gerne in diesem Pulk aus Star-Fotografen, die immer erzählten, wie viel Arbeit es doch war mit langbeinigen, hungrigen Modeln in der Sonne am Strand herumzuspringen.

„Ich hatte ein neues Motiv vor Augen, aber der Typ will wahrscheinlich nicht", gab ich zu und Eric lachte: „So wie deine dunkelhaarige Muse?"

Ich wusste sofort, dass er von Nella sprach, schließlich kannte Eric so einige Bilder die ich nie herausgegeben hatte. Zum einen, weil Nella mich dann umbringen würde, zum anderen, weil ich einige heimlich gemacht hatte und ich nicht wollte, dass sie seltsam von mir dachte.

„Gib nicht auf, Sam, vielleicht meldet sich der Typ doch noch", sprach mir Eric Mut zu. „Am Freitag komme ich übrigens zu deiner Vernissage. Wahrscheinlich wird mein Finanzberater mal wieder die Hände über den Kopf zusammenschlagen, so wie letztes Mal. Aber das ist mir egal. Ich finde ganz sicher wieder ein Foto, dass mich in den Ruin treibt."

Nun musste ich grinsen: „Hätte ich gewusst, dass du Act #85 haben willst, dann hätte ich es dir geschenkt."

„Und dir 15.000 Pfund durch die Lappen gehen gelassen?", höhnte Eric und erhob sich schwer fällig. Ich hätte es ihm geschenkt, aber so wie ich ihn kannte, hätte er es so nicht angenommen.

„Sag deiner Schnecke endlich, wo du hinwillst. Nämlich in ihr Schlafzimmer", riet er mir zum Abschluss noch. Ich rollte mit den Augen: „Da war ich schon."

„Aber ohne in ihr Höschen zu kommen, hm? Dann zählt es nicht." Er watschelte davon und ich sah ihm nach. Ich wollte nicht primitiv nur mit Nella schlafen, nein. Ich wollte so viel mehr und leider schien sie das nicht sehen zu wollen.

David, der zuständige Sekretär für meine Termine und Aufträge teilte mir am Donnerstag mit, dass sich Louis Tomlinson immer noch nicht gemeldet hatte und scheinbar würde er das auch nicht tun. Es sei denn, er kam tatsächlich zur Ausstellung.

Wie üblich hatte ich mich am Freitag in einen unauffälligen schwarzen Anzug geworfen und mir meine viel zu große Lesebrille aufgesetzt. Die dumme Krawatte hatte ich Nella frustriert in die Hand gedrückt, als sie mir am Anfang noch hatte helfen wollen. Das Ding machte mich wahnsinnig.

Die gebuchte Galerie war toll, David hatte wieder die Räume vom letzten mal bekommen. Das Licht war schmeichelhaft, die Wände großzügig und Zwischenwände boten zahlreiche Möglichkeiten. Noch am Morgen hatten David und ich darüber diskutiert ein paar Bilder umzuhängen, denn der erste Eindruck zählte schließlich.

Mittlerweile waren auch die gemütlichen Sessel und Hocker verteilt worden, damit es genügend Sitzgelegenheiten gab. Bei Wein und Häppchen sollten sich die Leute wohl fühlen.

„Hast du dich heute eigentlich einmal gekämmt?", fragte Nella mich, als sie mir durch die Haare strich und scheinbar für Ordnung sorgen wollte. Ich fühlte mich prompt wieder, wie dreizehn.

„Jetzt lass gut sein", meinte ich ruppig und schlug ihre Hände weg: „Sieh dich lieber um und sag mir, ob dir etwas besonders gefällt."

„Es ist nur dein üblicher Kram, ich bin nur wegen dem guten Wein gekommen und um dich moralisch zu unterstützen", ärgerte sie mich und verschwand lächelnd zur Bar. Ich blickte ihr nach.

Sie sah in ihrem hellblauen Kleid hinreißend aus und am liebsten würde ich es ihr sagen. Doch ich wagte es nicht. Für heute schien sie jedoch jeder für meine Freundin zu halten, denn ich hatte Nella schon oft dazu genötigt, mich auf andere Ausstellungen und Verleihungen zu begleiten.

Die Galerie füllte sich.

Niemand ließ seine Eintrittskarte fallen und innerhalb von einer Stunde waren für fünfzehn Fotos bereits horrende Kostenvorschläge gemacht worden. Es lief in etwa, wie auf einer Versteigerung. Neben den Fotos war eine kleine Karte angebracht worden und wenn das Gebot höher wurde, dann besserte es ein Angestellter aus.

David hatte alle Hände zu tun, die einzelnen Angebote anzunehmen. Ich sah in seinen Augen bereits das Geld glitzern und im Kopf rechnete er sich hundert prozentig seine Provision aus. Dieser Gauner.

Würde ich nicht wissen, dass er die Provision dafür nutzen würde, einen Familienwagen zu kaufen, weil seine Frau im siebten Monat schwanger war, würde ich ihn für einen geldgierigen Sack halten.

Hier und da mischte ich mich unter die Leute, hörte sie sagen, was sie über meine Fotos redeten und wurde Zeuge eines Streits zwischen zwei älteren Herren, die sich beide für Act #105 interessierten und sich überbieten wollten.

Die fünf Bilder von Kenwood Park waren bereits so gut wie verkauft und als ich dran vorbei ging, da fühlte es sich furchtbar an. Vielleicht würde ich den Park bald noch einmal besuchen und weitere Fotos machen. Der Ort war zu schön, um nicht mehr hinzufahren.

Ich hörte einen französischen Akzent und sah Monsieur Denaux, der mit seiner Tochter diskutierte. Er zwinkerte mir kurz zu, denn beide standen vor einem Foto, dass bei ihnen zu Hause aufgenommen worden war. Ich grinste und zog weiter.

Nella reichte mir zwischenzeitlich ein Glas Wein und deutete meine Miene direkt richtig: „Sei nicht traurig. Ich bin sicher all deine Fotos finden ein würdiges zu Hause, wenn man überlegt zu welchen Unsummen sie gekauft werden."

„Unsummen ist das richtige Wort", murmelte ich, denn es kam mir immer noch vor wie ein Verrat, den ich an den Bildern begann. Schließlich verkaufte ich die Freude, die ich beim Fotografieren verspürte, nun weiter.

„Komm, setzt dich irgendwo hin, genieße den Wein und hör auf auszusehen, als würdest du wie ein Schwein geschlachtet werden", versuchte Nella mich schlecht aufzumuntern. Ich nahm mein Glas Weißwein entgegen und schlurfte durch die Galerie, schob mich an Leuten vorbei und setzte mich auf eine gepolsterte Bank ohne Rückenlehne.

Ich blickte auf einen Dreiteiler, der einen Sternenhimmel zeigte. Klar und wunderschön. Auch da stand schon ein Preis dran und ich versuchte ihn beharrlich zu ignorieren.

„Kerl, Liam sitzt du immer noch hier?"

„Lass mich!"

„Wenn du noch länger drauf starrst, dann fängst du an zu heulen."

„Halt's Maul, Louis."

Leicht neigte ich den Kopf und kurz zog sich mein Magen zusammen. Etwa einen halben Meter neben mir auf der Bank saß Liam Payne in einem grauen Anzug und blickte auf Act #13, oder wie Nella es mal genannt hatte: „Harry Potter kommt nach Hause."

Im Endeffekt war das Bild entstanden, als ich in einem Helikopter über London geflogen war und ein bisschen Sonne und Dunst die Klarheit des Bildes eigentlich gestört hatte. Doch das Farbspiel war gelungen und je länger ich es mir angesehen hatte, umso mehr verstand ich was Nella meinte.

Als hätte Harry Potter auf seinem Besen gesessen und mit einer Muggelkamera einen Schnappschuss gemacht. Nur das dieser Schnappschuss nun über ein Meter lang war und eine beachtliche Größe aufwies.

„Du kannst es nicht kaufen", sprach der Mann, der neben Liam Payne stand, etwas lässiger gekleidet trug er nur ein dunkles Hemd und hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben.

Seine Haare wirkten etwas durcheinander, ähnlich, wie meine. „Sieh mal auf den Preis, Sophia bringt dich um, wenn du 51.000 Pfund für ein Foto ausgibst."

„Es ist mein Geld, ich kann damit machen, was ich will!", merkte Liam Payne genervt an. Unauffällig versuchte ich zu lauschen und sie zu beobachten, allen voran die Gesichtszüge von Louis Tomlinson.

Die beiden Männer tauschten einen Blick aus, dann hörte ich Liam Payne seufzten: „Ja, sie wird mich todsicher umbringen, aber sieh es dir doch mal an, Louis. Es ist..."

„-Als würde man nach Hause kommen, ich weiß", ergänzte Louis Tomlinson.

Ein Angestellter kam dazu und tauschte das Kärtchen mit dem Preis aus. Der Wert des Bildes war auf 55.000 Pfund angestiegen. Nun vergrub Liam Payne frustriert den Kopf in seinen Händen. „Heute ist nicht mein Tag."

„Lass es einfach", versuchte Tomlinson ihn von dem Bild wegzuziehen, doch so leicht machte Liam es ihm nicht: „Es ist so ungerecht! Ich meine, du wurdest sogar angerufen und gefragt, ob du Interesse daran hättest ein Shooting mit Giffard zu machen. Andere, wie Ed muss Monate drauf warten, oder kriegen nur Absagen. Hör dir nur das Geheule von Olly an. Dir wird die Visitenkarte in den Schoss geworfen und du lässt die Möglichkeit im Sande verlaufen."

Er hob die Hände. „Sieh dich um, Louis, die Bilder sind alle Klasse! Ich würde Beziehungsdrama vom Feinsten riskieren, um mir dieses Foto zu kaufen. Du könntest dein eigenes haben und du – Arg!"

Louis verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln und gestand: „Ich bin nicht besonders fotogen und das weißt du auch."

Was für eine lahme Ausrede und ohne richtig nachzudenken mischte ich mich ein: „Man muss nicht fotogen sein, sondern nur echt."

Verdutzt sahen mich die beiden Männer an und ich räusperte mich verlegen: „Es geht nicht ums posieren, aufgesetzte Mienen und etwas vorzugaukeln, was man nicht ist. Wichtig ist die Authentizität und-"

Ich wurde unhöflich unterbrochen, denn David kam mit erhitzen roten Kopf auf mich zu, wahrscheinlich schwirrte schon alles bei ihm, vor lauter Zahlen und Gewinn: „Samuel, tut mir leid dich zu stören, aber ein Kunde fragt mich, ob wir das Limit anheben für Act #33."

Kurz musste ich nachdenken, dann erinnerte ich mich das Act #33 ein Bild aus der Schweiz war. „Zum Teufel nein, ich hebe kein Limit an. Der Letzte, der geboten hat, bekommt es."

Irgendwo konnte ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren und auch wenn Act #33 eine ganze Wand einnahm und wunderbare Farben hatte, war irgendwo doch eine Grenze.

„Bist du sicher?"

„Ja", erwiderte ich mit Nachdruck und enttäuscht hetzte David weiter. Ich drehte mich wieder zu den beiden Männern um und sprach belegt: „Also... ja, Authentizität und -"

„Mr Giffard?" Mit großen Augen reichte Liam Payne mir die Hand. „Es freut mich Sie kennen zu lernen. Wow, ich dachte immer Sie besuchen Ihre eigenen Galerien nicht."

Ich schüttelte seine Hand und antwortete: „Doch, aber ich wäre froh, wenn auch weiterhin alle das von mir glauben." Dann reichte ich Louis Tomlinson die Hand. Dabei musterte ich sein Gesicht erneut und registrierte jede Bewegung.

Vielleicht war es gewagt, aber vielleicht auch meine einzige Chance. Ich war mittlerweile aufgestanden und wandte mich an Liam. „Sie scheinen einen Narren an Act #13 gefressen zu haben."

„Hat er", antwortete Louis für ihn. „Nur der Preis ist etwas astronomisch hoch."

Leicht schmunzelte ich und sah Liam an: „Ich schlage Ihnen einen Tausch vor. Sie kriegen das Bild und im Gegenzug überreden Sie ihren Kollegen, dass er für ein Shooting zusagt."

„Das ist Erpressung!", empörte sich Louis, doch Liam lachte nur und ich grinste: „Nein, es ist ein fairer Tausch."

„Sie verzichten auf 55.000 Pfund, nur damit Louis zustimmt?", hakte Liam fast schon schockiert nach. Ich sagte ihm nicht, dass mich all das Geld nicht interessierte, sondern sprach nur: „Ich kann den Verkauf zu Act #13 sofort stoppen und Sie kriegen es morgen nach Hause geliefert. Einfach so, gegen einen kleinen Gefallen."

Für mich hatte der Gefallen mehr Wert als all das Geld.

Nun sah Liam zu Louis, dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ich zuckte mit den Schultern: „Überlegen Sie es sich." Damit ließ ich sie zurück und hoffte, dass Louis Tomlinson nachgeben würde.

Erst fast fünf Stunden später leerte sich die Galerie. Sämtliche Fotos waren weg und die letzten Gäste standen noch beieinander. David ging fast auf Wolken und quasselte etwas vom Bildungskonto seiner ungeborenen Tochter und den Kinderwagen, den er ganz bald kaufen wollte.

„Wir könnten noch eine Ausstellung machen, Samuel!", schlug er mir begeistert vor und ich schob dem sofort ein Riegel vor: „Nein! Auf gar keinem Fall. Ich brauche erst mal wieder eine Pause davon, dass du mich auf dem Handy belästigt und dich durch meine Mappen schnüffelst."

„Du hast so viele Fotos, die es wert wären, gezeigt zu werden, dass du noch nicht einmal neu losziehen müsstest!", hielt er dagegen, aber ich wollte es nicht. Viele Bilder, die ich bislang zurückgehalten hatte, die konnte ich nicht verkaufen, weil Erinnerungen dranhingen, die ich mir bewahren wollte.

„Übrigens, David ich bräuchte die Liste der Aufgebote einmal."

Er reichte sie mir und ich ging sie durch. Bei Act #13 blieb ich hängen und nahm einen Kugelschreiber vom Stehtisch, an dem wir uns befanden und strich das Aufgebot durch. Mit Entsetzen beobachtete David mein Tun, denn ich setzte einen neuen Namen rein.

„Das kannst du nicht machen!", empörte sich David. „Uns gehen 58.000 Pfund durch die Lappen! Du kannst nicht heute und hier einfach ein Bild verschenken."

„Doch, siehst du ja", antwortete ich ruhig und reichte ihm die Liste zurück. Jetzt fühlte ich mich ein kleines Stück besser. „Du wirst diesen Mr McGilbert sagen müssen, dass er überboten worden ist."

Murrend zog David ab und ich schüttelte den Kopf. Man konnte es auch übertreiben. Wichtig war, dass das Foto in gute Hände gelang.

Hinter mir räusperte sich jemand und ich sah Louis Tomlinson an, der sichtlich verstimmt wirkte. Er reichte mir eine Karte: „Das ist meine Handynummer. Rufen Sie mich an, damit wir den Tag ausmachen können. Nur ein paar Stunden, nicht länger."

Ich nahm die Karte an und schmunzelte: „Danke, dann rufe ich Sie morgen an."

„Es ist-"

„-Eine Scharade?", half ich aus. „Ja, vielleicht, aber manchmal geht es nicht anders."

Louis musterte mich, er zögerte und ich wartete, bis er sich durchgerungen hatte: „Wieso tun Sie das? Ich meine, wenn Sie meinen Kollegen Harry fragen würden, könnte ich das völlig verstehen. Ich habe gesehen, dass Sie nicht auf Menschen spezialisiert sind und Herrgott ich bin niemand, der auffällt."

Leicht runzelte ich die Stirn: „Mr Styles reizt mich nicht, klar, er hat hübsche Gesichtszüge, aber Ihr Ausdruck ist stärker." Er sah mich verwirrt an und ich versuchte es zu beschreiben: „Es ist schwierig es zu erklären, aber mir gefällt es, dass Sie ihre Mimik nicht so stark unter Kontrolle haben, wie Sie glauben."

„Wie bitte?"

„Das ist nichts Schlechtes, sondern etwas wirklich Gutes und Seltenes in Ihrem Business. Vielleicht sehen Sie es, wenn ich es festhalte", meinte ich. Jemand, der nicht selbst fotografierte, der Verstand nicht, dass die wirklich faszinierenden Dinge erst auf Bildern sichtbar wurden. Man entdeckte Details, die man sonst übersah.

Missmutig nickte Louis, verabschiedete sich höflich und wandte sich ab, doch bevor er zum Ausgang zu Liam Payne trat, rief ich: „Übrigens, ich bin sicher, dass ein paar Stunden in Ihrem Fall reichen werden."

Statt etwas zu sagen, hob Louis Tomlinson nur die Hand und nahm von Liam seinen Mantel entgegen. Liam selbst schenkte mir ein breites Lächeln. Ich sah ihnen nach und war sichtlich zufrieden mit mir.

Für Louis würden wahrhaftig ein paar Stunden reichen, denn wie er sich fühlte, wie er war, dass schimmerte in regelmäßigen Ansätzen durch seine aufgesetzte Haltung. Doch es dauerte, bis ich mit ihm einen Termin ausmachen konnte. One Direction waren immer schwer beschäftigt, außerdem wollte ich unbedingt ein Umfeld, wo er sich wohl fühlte. So kam es, dass ich nach der Ausstellung zuerst wieder herumreiste.

Es war, als wäre ich auf der Flucht und indirekt war ich das auch. Denn Nella traf sich mit einem Arbeitskollegen und es wirkte, als würde sie wirklich anfangen ihn zu mögen. Das gefiel mir nicht und da ich mir keinen einzigen Tag länger anhören wollte, wie nett Peter doch war, packte ich meine Sachen und fuhr weg.

Ich ignorierte die vielen Anrufe auf meinem Handy, egal ob sie von Nella, Eric oder meiner Mutter kamen. Ohne es zu wollen, rutschte ich in eine Phase, in der ich mit niemanden reden wollte. Ich fuhr bis nach Stornoway und vermied allgemein die Gesellschaft. Stattdessen schlief ich in Dünen, wanderte durch weite Landschaften oder besuchte die kleinsten Dörfer.

Fast vier Wochen blieb ich weg und erst als ich mich nicht mehr fühlte, als würde mich irgendetwas erdrücken, machte ich mich auf dem Heimweg. Ich wollte die Bilder entwickeln und gleichzeitig den Termin mit Louis Tomlinson in London wahrnehmen.

Vorab machte ich Halt in Liverpool und war überrascht, dass ich bei meiner Familie Nella antraf. Wir hatten ein komisches Timing. Gegenüber meiner Mutter war sie freundlich, wie immer, doch ich spürte, dass sie mächtig sauer auf mich war.

Meine Mutter stopfte uns mit unheimlich viel Kuchen voll, bohrte in unserem Leben herum und konnte ihre Neugier nie hinter dem Berg halten. Ich war nicht oft zu Hause.

Nicht weil ich es dort hasste, sondern einfach, weil ich am besten mit meinen Eltern zurechtkam, wenn ich immer etwas Abstand einhielt. So gingen wir uns nicht auf dem Geist. Allen voran hatte mir mein Vater nie verziehen, dass ich die Universität sein gelassen hatte und mittlerweile mehr Geld verdiente als er. Besonders nach dem Abendessen wurde es immer wieder Thema.

„Du bist ein Arsch, Sam!", sprach Nella, als wir in den Vorgarten meiner Eltern traten und ich das Motorrad fertig machte, um zurück nach London zu kommen. „Ich habe dich mindestens fünfzig Mal angerufen und du hältst es nicht einmal für nötig mir mitzuteilen, ob bei dir alles in Ordnung ist!"

„Ich weiß", antwortete ich nur und schlüpfte in meine Motorradjacke. Nella wurde nur noch wütender.

„Das ist alles; du weißt es?", fuhr sie mich an. „Man Sam, ich habe mir Sorgen gemacht, du hättest im Straßengraben liegen können oder was wäre, wenn dich jemand überfallen hätte oder dir sonst etwas passiert wäre?"

„Davon hättest du schon gehört", meinte ich nur und wusste selbst nicht, wieso ich so unfair war. Denn Nella hatte recht, ein Rückruf wäre nicht falsch gewesen. „Ich bin nicht zum ersten Mal länger weg, das müsstest du doch mittlerweile gewohnt sein."

„Normalerweise rufst du auch an!", erinnerte sie mich. „Zumindest einmal in der Woche und sagst, wo du bist."

Ihr Genörgel reizte mich und ich sprach: „Ich dachte, dass du ein bisschen beschäftigt bist." Meine Stimme triefte vor Sarkasmus und Nella blinzelte. Es war mir egal, dass meine Mutter vielleicht am Fenster hing und lauschte.

„Wieso sollte ich beschäftigt sein?", fragte sie säuerlich.

Ich rollte mit den Augen: „Peter hier, Peter da. Peter hat gesagt, Peter hat gemeint, ach ja und habe ich schon erzählt das Peter letztens gemeint hat, dass Schweine bald fliegen lernen werden?"

Nella sah mich völlig vor den Kopf gestoßen an: „Das ist gar nicht wahr! So etwas habe ich nie gesagt! Überhaupt, ich hatte nie den Eindruck das es dich gestört hat, wenn ich von Peter geredet habe."

„Es stört mich immer, wenn du von einem anderen Kerl redest!", fuhr ich sie heftig und ungewohnt laut an. „Du merkst es nur nie!"

„Ich verstehe nicht", stammelte sie. „Wieso sollte es dich stören, ich meine, es war doch nie so!"

In diesem Augenblick riss bei mir ein Faden, der schon viel zu lange angespannt war und nun endlich erlöst wurde: „Ich bin verliebt in dich, Nella! Raffst du das nicht? Immer wenn ich mir anhören musste, welchen neuen Vollidioten du triffst, dann stand es mir bis hier!"

Ich machte eine entsprechende Geste dazu. Es war ungerecht, denn sie traf sich nun wirklich nicht mit vielen Männern. Die meisten waren schnell wieder Geschichte, da Nella für Beziehungen absolut kein Händchen hatte und sie immer erfolgreich in den Sand setzte.

Nella starrte mich an, als käme ich vom anderen Stern. Dann fing sie sich wieder: „Du veräppelst mich!"

Einen Moment sahen wir uns an, dann griff ich nach meine Kameratasche und packte sie ans Motorrad. Dazu würde ich nichts mehr sagen, doch Nella schien umso mehr loswerden zu wollen. „Sam, das ist doch Unsinn! Du willst mir nur ein schlechtes Gewissen machen."

Hatte sie noch alle Latten am Zaun?

„Du bist nicht in mich verliebt", hielt sie mir vor. Ich nahm meinen Helm in die Hand und sah sie an: „Wie kannst du das so genau wissen?"

„Weil ich dich kenne. Sag so etwas nicht, wenn du ihn nicht ernst meinst!"

Mein Kiefer spannte sich an und dann nahm ich meinen Blick von ihr. Ich fühlte mich, als hätte sie mir in den Magen getreten.

War es so abwegig, dass sie mir glaubte?

Kurzerhand setzte ich mir den Motorradhelm auf und schwang mich auf die Maschine. Das würde ich nicht fortführen, nur damit Nella mir sagte, was ich zu fühlen hatte. Ich wusste, dass ich wirklich in sie verliebt war und ihre Reaktion zeigte mir nur, dass ich nie eine Chance bei ihr haben würde. Nella sah mich nur als besten Freund und daran würde sie nie etwas ändern.

„Sam! Warte! Hey!"

Ihre Stimme ging im Lärm unter, den mein Motorrad machte. Ich fuhr einfach los und ließ sie stehen. Meine Ausreden, warum ich sie so behandelte, wurden immer schlechter. Doch der Hauptgrund blieb, dass ich sie nicht ansehen konnte, während sie mir sagte, dass wir immer nur Freunde bleiben würden. Nella würde die Wahrheit irgendwann erkennen, nämlich, dass ich es nicht so einfach daher gesagt hatte.

Ich liebte sie und ich hatte keine Ahnung, wie ich das je ändern konnte. Mehr als fünf Jahre schleppte ich das nun schon mit mir herum und nun war es raus. Während ich das Motorrad durch die Straßen von Liverpool lenkte und versuchte auf die Autobahn zu lenken, erinnerte ich mich an einen Satz, den ich Nella einst gesagt hatte.

„Und eines Tages sagt die Stimme deines Herzens klar und deutlich "Jetzt!", und nichts und niemand kann dich aufhalten."

Ich wusste nicht einmal, warum ich es ihr gesagt hatte. Es war kitschig, bescheuert und bitter, denn meine eigene dämliche Weisheit passte nun genau auf das, was mir passierte. Denn obwohl ich mit Nella gestritten hatte, war mir, als wäre eine unglaubliche Last von meiner Brust gefallen. Jetzt hatte ich keine Geheimnisse mehr vor ihr und das tat gut.

Auf der Autobahn gab ich Gas und genoss es. Geschwindigkeit gab mir einen Nervenkitzel und ich liebte es, denn ich fühlte mich ein wenig, wie ein Überflieger. Nellas Stimme, dass ich nicht rasen sollte, verstummte in meinem Kopf, als ich anfing Autos zu überholen.

Ich merkte nicht, dass mir der Schweiß über die Stirn lief und erst als ich nach zwei Stunden Pause machte und mein Motorrad volltankte, da bemerkte ich, wie angespannt ich meine Muskeln wirklich waren.

Geschwindigkeit beflügelte, aber sie machte mir gleichzeitig auch Angst, die ich mit Leichtigkeit unterdrückte. Nachdem ich gedankt hatte, sah ich auf mein Handy und bemerkte, dass Nella mich dreimal angerufen hatte und eine Sprachnachricht hinterließ.

Zögernd spielte ich sie ab und lauschte ihrer Stimme.

„Hey Sam... es tut mir leid, ich wollte dich nicht anzicken. Ich war nur so sauer und... verdammt, ich habe mir einfach unglaublich Sorgen um dich gemacht."

Mein Gewissen meldete sich doch. Ich hätte sie wirklich zurückrufen sollen, denn schließlich hatte sie keine Ahnung gehabt, warum ich das Weite mal wieder gesucht hatte. Doch diese leuchtenden Augen, wenn es um diesen bescheuerten Peter ging, das hatte mich einfach fertig gemacht. Auch wenn ich irgendwo wusste, dass Nella auch das wieder nicht packen würde.

„Und wegen das, was du gesagt hast...", ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme und sah auf das Nachbarauto. „... wir sollten darüber reden, wenn du das ernst meinst." Ich bekam einen Frosch im Hals.

„Jedenfalls, bitte ruf mich zurück Sam. Ich will nicht, dass wir uns streiten."

Ihre Nachricht war zu Ende.

Schweigend musterte ich mein Handy und beschloss, dass ich Nella am Abend zurückrufen würde. Ein bisschen sollte sie noch aushalten müssen und außerdem wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Allen voran zu meinem Geständnis. Ich brauchte noch ein bisschen Zeit, um mir zurecht zu legen, wie ich damit umgehen sollte.

Nachdem ich den Tank bezahlt hatte, fuhr ich weiter. Ich musste abends zu Hause sein, denn morgen früh war das Shooting mit Tomlinson und das wollte ich auf keinem Fall sausen lassen. Eine Menge LKWs waren unterwegs und fingen an mich zu nerven. Ich überholte spielend und nach einiger Zeit verlor ich erneut das Angstgefühl.

Höher und höher ging die Geschwindigkeit.

Es fühlte sich an, als würde ich über Wolken zischen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung hatte ich spielend überschritten und es war mir egal. Sollte mich doch einer aufhalten. Vielleicht war ich in einer Stunde schon zu Hause und hatte meinen eigenen Rekord gebrochen.

Irgendwann überholte ich einen anderen Motorradfahrer, der ebenfalls ein ziemlich hohes Tempo drauf hatte. Was für ein Irrer, ich hatte schon geglaubt von diesen Wahnsinnigen gäbe es kaum noch welche. Nichtsdestotrotz überholte ich ihn schließlich.

Der Kerl blieb jedoch dran.

Es sah aus, als würde er mich herausfordern wollen und das Adrenalin rauschte nur so durch meine Adern. Kurz hob ich den Zeige- und Mittelfinger, so dass er sah, dass ich ihn grüßte. Er grüßte zurück und ein breites Grinsen ging über meine Lippen.

Dann wollten wir mal sehen, wie viel Gas der Kerl geben konnte. Ich verlagerte leicht mein Gewicht und wir rasten der Abenddämmerung entgegen. Dann überholten wir einen schweren LKW, die Lautstärke dröhnte in meinen Ohren. Unwillkürlich spannte ich mich erneut an, ich umklammerte den Lenker so fest ich konnte und bemerkte es nicht einmal.

Als ich zu Nella sagte, dass ich an Wahnsinnsmomente glaubte, die wie Lichtblitze unser Leben komplett auf den Kopf stellten und ausmachten, wer wir sind, da sprach ich von dem, was ich bereits erlebt hatte. Meine Wahnsinnsmomente waren für mich immer ein Highlight. Helle und warme Momente.

Doch als der Reifen des LKWs platzte, da erlebte ich meinen letzten Wahnsinnsmoment.

Ich wurde mitgerissen.

Ich verlor komplett die Kontrolle über das Motorrad und mich selbst.

Alles ging so furchtbar schnell und irgendwann, als sich die Welt nicht mehr drehte und alles stehen blieb – die Zeit, meine Umgebung und irgendwie auch ich – da öffnete ich die Augen wieder.

Ich roch Abgase, Öl und hustete und schließlich wimmerte ich, denn ich spürte meinen gesamten Körper nicht mehr. Mein Helm war weg und wie durch einen Nebel sah ich ein paar Meter von mir entfernt etwas, was sich bewegte. Wahrscheinlich der andere Fahrer.

Es wurde heller, ich blickte in Nebel. Keuchend blieb ich regungslos liegen.

Und dann spielte mir mein Verstand einen Streich.

Ich war in Kenwood Park, zusammen mit Nella. Es war Herbst, wir liefen durch ein Feld. Der Wind zerrte heftig an unserer Kleidung. Sie hatte die Arme ausgestreckt und ihr Haar flatterte im Wind. Das Lächeln auf ihren Lippen erreichte mich, denn es galt mir.

Es war so stürmisch, dass sich die Weizen um uns herum bogen, ich hob meine Kamera, doch statt Nella durch die Linse zu betrachten, sah ich sie direkt an. Sie drehte sich um sich selbst, stolperte und dann rief sie: »Es ist als würden wir fliegen!«

Die Kamera ließ ich Kamera sein und streckte meine Arme genauso aus wie sie und Nella hatte recht, es fühlte sich wirklich so an.

Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und dann flüsterte ich leise: „W... ir... fliegen..."

Dann verschwommen die Farben vor meinen Augen. Mein inneres Licht ging aus.

Ich hörte auf zu existieren.



⸙ ● ⸙ ● ⸙



Buhu, bald ist es vorbei :(

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