5 Abenteuer.

【 ANTONELLA 】


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Es war viertel nach fünf.

Welcher Spinner war um diese Uhrzeit freiwillig an einem Samstagmorgen wach? Und vor allem, welcher lebensmüde Wahnsinnige klingelte um diese Zeit bei mir Sturm!

Ich war erst spät ins Bett gekommen, nachdem der ehrenwerte Mr Horan fast bis sechs Uhr abends in der Kanzlei geblieben war. Entgegen meiner Erwartungen hatte er sich um seine Aufgaben gekümmert und gemeint er würde sich melden sobald er meine Hilfe gebrauchen konnte.

Erneut klingelte es und ich humpelte im Halbdunkel durch meinen Flur. Barfuß stolperte ich über meine eigenen Pumps. Irgendwie war ich unfähig Ordnung zu halten. Bereits jetzt machte sich schon wieder Chaos in der kleinen entrümpelten Bude breit. Was ich wirklich brauchte war ein Heinzelmännchen, das hinter mir aufräumte.

Ich tatschte gegen den Lichtschalter und dann riss ich im großen Schlafshirt, zerzaust und tödlich schlecht gelaunt meine Haustür auf.

„Was!", pampte ich den Schatten an und plötzlich war ich auf Knopfdruck hellwach.

Vor mir stand Niall Horan höchst persönlich mit zwei Bechern in der Hand. Ich roch Kaffee und musste blinzeln. Sichtlich überrumpelt sprach ich: „Moment, ich glaube, ich bin noch nicht ganz wach."

Fata Morgana, ganz sicher. Er konnte gar nicht hier sein.

„Guten Morgen, Miss Baker. Kaffee?"

Ich rieb mir überfordert die Stirn. „Mr Horan, was machen Sie hier, wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?"

Völlig gelassen lehnte er sich gegen den Türrahmen und reichte mir einen Becher, dann sprach er: „Zuerst einmal, der frühe Vogel fängt den Wurm. Zweitens hören Sie mir mit diesen Mr Horan-Gequatsche auf. Niall reicht und ich mag das Du. Hat was Persönlicheres, weniger steif und Formell. Drittens ich will nicht dreist klingen, aber-"

Er zeigte mit dem Finger auf meine Beine und ich sah an mir herunter.

Mir fehlte die Hose, ich stand nur in Slip und Shirt in der Tür.

Bevor ich irgendetwas machte musste ich tief durchatmen und die aufkeimende Röte unterdrücken. Dann drehte ich mich um und stampfte durch den Flur. In meinem Schlafzimmer grapschte ich nach meiner Yogahose und eilte zurück zur Wohnungstür. Dort musste ich feststellen, dass Mr Horan - oder eher Niall, die Tür schon geschlossen hatte und sich in meiner Küche umsah. Ohne falsche Scheu öffnete er meinen Kühlschrank, musterte die Acidophilusmilch skeptisch und goss sich schließlich etwas Milch in den Becher. Dann nahm er einen Schluck und schien verwirrt über den Geschmack zu sein.

„Was wollen Sie- ich meine, was willst du um diese Uhrzeit hier?", schoss ich heraus und verschränkte die Arme vor der Brust. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Wahrscheinlich die Rache, dass ich mich weigerte ihm zu sagen, wo Harry ist. Aber falls er geglaubt hatte, dass ich nun genervt mit allem rausrückte, dann müsste er wirklich noch früher aufstehen.

„Wie heißt du mit Vornamen?", ging er erst gar nicht auf meine Frage ein und langsam fragte ich mich, ob alle Mitglieder von One Direction diese Taktik draufhatten.

Ausweichen und Gegenfragen stellen.

Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee und ich erinnerte mich daran, dass meiner im Flur auf der Kommode stand. Dort konnte er kalt alt und staubig werden. Die Sehnsucht nach meinem Bett wurde nämlich von Sekunde zur Sekunde größer.

„Also?", hakte er nach und ich runzelte die Stirn: „Antonella."

Niall steckte seine Nase gerade in meinen Kühlschrank zurück, nahm sich des fertigen Sandwich vom Abend heraus und biss in die erste Hälfte hinein, dann musterte er mich. „Is'n bisschen lang. Hassu' keinen Spitznam'?"

So viel zum Thema Manieren und mit vollem Mund spricht man nicht.

Außerdem, was sollte das denn heißen? Ein bisschen lang?

Wir Antonellas von Antonella waren sehr stolz auf diesen Namen. Ich miteingeschlossen. Trotzdem rief mich niemand so. Tief einatmen, nicht ausflippen und möglichst normal und höflich bleiben.

„Nella", erklärte ich knapp und nahm ihm den Teller mit der anderen Hälfte ab. „Aber jetzt Butter bei den Fischen. Was willst du hier?", duzte ich ihn ebenfalls dreist.

„Ich spiele nach Harrys Regeln", meinte er nur und ich öffnete den Mund: „Und diese Regeln sagen, dass du mich um viertel nach fünf wecken sollst?"

„Nein, aber in Harrys letzten Brief stand, dass ich dich mitnehmen soll, wenn ich ein Projekt habe, das ich in Angriff nehmen möchte und voilà, hier bin ich."

„Woher weißt du, wo ich wohne?" Eine berechtigte Frage, die ich mir schon stellte, seit ich die Tür aufgerissen hatte. Mit einem Bein stand ich noch im Bett. Ich war noch nicht bereit für den ersten Kampf am Morgen, denn wenn ich eins gelernt hatte, dann das Niall Horan immer ein Kampf war und er für alles vorbereitet. Von der Wegbeschreibung bis zur Haustür. Dieser plötzliche Umschwung behagte mir nicht.

Er sah mich mit einem Blick an, der zu bedeuten schien, dass ich diese Frage doch jetzt bitte nicht ernst gemeint hatte.

„Promi-Bonus", schloss er kurzerhand und ich hob die Hände zum Himmel und knickte erstaunlich schnell ein. Harrys Auftrag, Harrys Regeln, daran kam ich nicht vorbei. „Okay, ich ziehe mich eben an, muss ins Bad und dann können wir los."

„Du solltest vielleicht auch eine Tasche packen", warf er ein und ich hielt in der Tür inne.

Eine Tasche packen? Wo zum Teufel wollte er hin?

„Sind wir für den Rest der Woche weg?"

„Vielleicht auch ein bisschen länger." Niall setzte sich an meinen Küchentisch und schien erst einmal in Ruhe zu Frühstücken. Ich holte also seufzend meinen Koffer aus der Abstellkammer. Dabei fiel mein Blick auf die Kisten, die ich sicher verstaut hatte.

Einiges davon war ein Geschenk von Samuel, aber auch Bilder und Erinnerungen, die ich aus der Wohnung verbannt hatte. Einfach, damit ich nicht jeden Tag damit konfrontiert wurde, wie sehr ich ihn eigentlich vermisste.

Kurz strich ich mit den Fingern über den Deckel der obersten Kiste, dann zwang ich mich, die kleine Kammer wieder zu verlassen. Im Schlafzimmer öffnete ich meinen Schrank und fragte: „Wo soll es denn hingehen?"

„Och, hierhin und dorthin", ertönte es zurück und dann klang es danach als hätte Niall nun meine Küche verlassen und im Wohnzimmer den Fernseher angemacht.

„Das hilft mir nicht gerade dabei, schneller zu packen", erklärte ich und wartete auf die Antwort: „Nimm etwas Bequemes und Praktisches."

So schnell ich konnte packte ich fertig und schlüpfte dann in Jeans und einer schwarzen Bluse. Im Bad versuchte ich zu retten, was es zu retten gab. In was hatte Harry mich hier nur reingeritten?

Das war mehr Abenteuer als Job und mir kam die Befürchtung, dass Harry das auch ganz genau wusste. Als ich mein Bad verließ und im Flur meine Kommode öffnete, in der die Briefe für die Jungs lagen, fragte ich mich, ob es nicht weiser war vorher einen Blick rein zu riskieren. Allerdings würde ich damit das Briefgeheimnis missachten.

Vorsichtig packte ich sie in die Aktentasche, die ich mitnehmen würde und in der sich auch mein Laptop befand. Ich wusste schließlich nicht, wie lange ich weg war oder wohin mich Niall mitnehmen würde.

„Fertig", teilte ich den überbezahlten Popstar mit und er schaltete gelangweilt den Fernseher aus. Dann schlüpfte ich humpelnd in flache Schuhe und nahm den Mantel vom Haken. Noch bevor ich an der Wohnungstür war, hatte Niall von selbst meinen Koffer in das Treppenhaus gezogen und schleppte ihn die Stufen herab.

Ich war wirklich erleichtert darüber, dass er mir das abnahm, schulterte die Aktentasche und nahm eine etwas kleine Handtasche mit. Kurz überprüfte ich noch einmal alles. Noch ein letztes Mal sah ich nach, ob ich sämtliche Lichter ausgemacht hatte, dann schloss ich die Tür ab und humpelte die Treppen herunter. 

Es war neblig und kühl, kaum eine Menschenseele unterwegs. Ich wäre es schließlich auch nicht, wenn nicht ein durchgeknallter Typ gemeint hätte meinen Schönheitsschlaf für beendet zu erklären.

Neben seinem Range Rover sah mein Fred aus wie ein Kinderspielzeug. Ich beobachtete gerade noch, wie Niall meinen Koffer verstaute und schob hastig meine Aktentasche dazu. Dann schwang ich mich auf den Beifahrersitz.

„Okay, wo genau soll es jetzt hingehen?", fragte ich und warf einen Blick auf das Navigationssystem, doch leider verriet es keine Adresse.

„Abwarten", meinte Niall nur und fuhr los. Doch falls ich geglaubt hatte, dass mir die Autobahn einen Hinweis geben würde so hatte ich mich getäuscht, denn er umging die Autobahn.

Stattdessen musste ich mit ansehen, wie wir über eine Stunde später über Landstraßen und durch kleinere Ortschaften tuckerten. Der Nebel hatte sich bis dahin gelichtet und schwach konnte ich die Sonne ausmachen.

„Also", begann ich um acht Uhr, „ich will nicht ungehalten klingen, aber wäre es nicht besser und vor allem schneller, wenn wir die Autobahnen nutzen würden?" Das Ganze kam mir vor, wie eine Hindernisfahrt.

„Ich fahre keine Autobahn", erklärte mir Niall nüchtern und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Statt gehetzt zu wirken strahlte er die Ruhe selbst aus. Er betrachtete die vorbeiziehende Landschaft und nahm sich alle Zeit der Welt. Als wir nicht einmal einen verdammten Trecker überholten, kam mir das doch ziemlich spanisch vor.

„Na schön, aber bald wären wir mit dem Fahrrad schneller."

„Vertragen wir keine Gemütlichkeit?", fragte er gespielt geschockt und ich antwortete: „Nicht, wenn ich weiß, dass es genauso gemütlich, nur schneller gehen würde."

„Wenn du beim Sex dieselbe Philosophie vertrittst, dann bist du leicht zu handhaben", meinte er gelassen.

Ich drehte ihm den Kopf zu. „Wir reden hier vom Autofahren, nicht von Sex." Meine Stimme war so nüchtern, wie sie nur sein konnte.

„Und trotzdem klingst du genauso als würdest du über deine Arbeit sprechen." Niall schien das lustig zu finden. Ich wiederum verstand ihn nicht: „Was meinst du?"

„Deine Art zu sprechen, sie verändert sich nicht. Egal, ob du auf der Arbeit bist oder ich dich um viertel nach fünf aufwecke."

Nun runzelte ich die Stirn: „Daran ist nichts Schlechtes und du täuschst dich. Ich habe dir hinterher gekreischt als du mich in die Irre führen wolltest."

„Das zählt nicht, denn das war der Überraschungsmoment. Wahrscheinlich warst du einfach zu geblendet von meinem-"

„Von deiner Arroganz, ja das könnte möglich sein", stimmte ich ihm trocken zu. Trotzdem fand ich nicht, dass sich meine Art zu reden überhaupt nicht änderte.

„Wie sollte ich sonst deiner Meinung klingen?", wollte ich nun wissen. Überhaupt, mich hatte noch niemand beleidigt, nur weil ihm meine Sprechweise nicht gefiel. Niall neigte leicht den Kopf und er wirkte, als würde er nachdenken: „Reden wir jetzt vom Sex oder so allgemein?"

„Wie wäre es vom beiden", ging ich drauf ein.

„Ich rede mit dir nicht über den Sex den ich hatte", meinte Niall und wir wechselten von der Landstraße auf eine andere ab. Nun verstand ich gar nichts mehr: „Aber du hast doch damit angefangen."

„Um dich wütend zu machen. Hat nicht funktioniert, stattdessen bleibst du weiter trocken."

„Wie bitte?" Er meinte doch wohl jetzt nicht-

„Habe auf deine Konservativität gehofft, aber lassen wir das." Okay, doch nicht.

Ich schüttelte den Kopf. „Es fällt mir schwer deinen Gedankengängen zu folgen. Vielleicht sind sie auch einfach zu simpel für mich", setzte ich die kleine Giftspritze hinterher und machte mich an seiner Anlage zu schaffen.

Kurz darauf erfüllte eine raue Erzählstimme den Raum und ich brauchte etwas bis ich von Stephen King den 'Todesmarsch' erkannte. Das gab es als Hörbuch?

Ich lehnte mich zurück und hörte einem Kerl dabei zu, wie er versuchte psychopathische Stimmung aufzubauen. Wenn man das Buch allerdings schon kannte, dann war es schwierig sich darauf einzulassen. Ich drehte den Kopf zum Fenster, sah auf die trostlose, langweilige Landschaft und versuchte die Erinnerung zu verdrängen, die immer stärker in meinem Kopf fest nagte.

Samuel hatte sämtliche Bücher von Stephen King gehabt. Jeden blöden Film hatte ich mir mitansehen müssen und mir dabei jedes Mal halb ins Hemd gemacht. Thriller und Horror war nichts, was ich gut vertrug. Friedhof der Kuscheltiere war schließlich der Overkill für mich gewesen.

Während Samuel danach so tief schlief wie ein Toter, hatte ich jedem dummen Geräusch im Haus gelauscht und ihn wegen eines Schattens am Fenster brutal aus dem Schlaf gerissen. Trotzdem war ich weder von Carrie noch vom Dreamcatcher verschont geblieben.

Das, was mir wirklich half, waren die Bücher, die ich in einer Rekordgeschwindigkeit vorher gelesen hatte, denn Lesen war nicht so furchteinflößend, wie bewegende Bilder. Als im Hörbuch beim Todesmarsch die ersten langsamen Läufer erschossen wurden, wandte ich mich nach einer Ewigkeit wieder an Niall. Die Stille, beziehungsweise Nicht-Stille zwischen uns, war zwar ganz angenehm, doch trotzdem irritierte mich etwas. Wir waren bald über drei Stunden auf diesem Road-Trip.

„Hörst du nie Musik, wenn du unterwegs bist?"

„Nein", war seine knappe Antwort, doch ich glaubte ihm nicht so recht. Die Antwort kam zu schnell und sollte er als Musiker nicht hören, was die Konkurrenz so machte?

Statt weiter zu fragen nahm ich es hin, aber als wir gegen Mittag endlich einen Zwischenstopp machten und Niall tankte, beschloss ich die Gelegenheit bei Schopf zu packen. Er setzte sich eine Snapback Basecape auf und eine hässliche Nerdbrille, dann verschwand er ins Innere der heruntergekommenen Tanke.

In diesem Augenblick riss ich sämtliche Fächer auf und wühlte drin herum. Ha! Natürlich fand ich ein paar uralte CDs und massenhaft Sticks. Ich verwettete meinen Hintern drauf, dass ich Musik finden würde. Das Zeug wirkte allerdings so als wäre es schon längere Zeit lang nicht genutzt worden.

Die Hörbücher, die mir dagegen in die Hände fielen, waren alle neu und zum Teil noch in der originalen Verpackung. Hastig packte ich sie zurück und stieg aus dem Auto aus. Dann öffnete ich den Kofferraum und schob sowohl seine Reisetasche als auch seinen Rucksack etwas zur Seite. Weit und breit konnte ich keine Gitarre erkennen.

Auf den Videos, Bilder und Interviews, die ich mir über One Direction angesehen hatte, war zu 80 Prozent immer eine Gitarre zu finden gewesen. Ich zog mein Handy aus meiner Handtasche und tippte eine Nachricht an Harry. Er wollte schließlich auf dem Laufenden gehalten werden.

Knapp informierte ich ihn darüber, dass Niall die Aufgabe wohl endlich ernst nahm und er mit mir nach nirgendwo fuhr - sprich- ich keine Ahnung hatte. Dann setzte ich die Frage dazu, ob Niall in der Regel mit Gitarre reiste oder eher nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es nicht tat. Er schien derjenige zu sein, der mit diesem Instrument festgewachsen war.

Gerade noch rechtzeitig konnte ich den Kofferraum wieder schließen und das Handy verschwinden lassen. Zur Sicherheit hatte ich eine Sperre eingeschaltet. Denn ich traute Niall zu, dass er die Gelegenheit bei Schopf packen würde, wenn es sich eine Möglichkeit ergab einfach an mein Handy zu gehen.

Gelassen kam er heraus geschlendert und hatte eine Tüte dabei. „Was ist los, Nella, planst du bereits deine Flucht?"

„Mit meinem Fuß?", stellte ich sarkastisch die Gegenfrage und gab mir Mühe nicht so nüchtern zu klingen, wie er es von mir behauptete.

„Dir bliebe noch trampen", meinte er achselzuckend und dann lachte ich trocken auf: „Natürlich, am besten stolpere ich noch einen Psycho-Wahnsinnigen in die Arme, der mich erst kreischen lässt und mir dann die Kehle durchschneidet. Dann werde ich zerstückelt in einen Graben geworfen und verfaule."

„Bloß nicht so optimistisch", sprach Niall und ich sah seine Mundwinkel zucken. Schade, dass sich seine Lippen nicht zu einem echten Lächeln verzogen. Natürlich wusste ich wie er lächelte, aber ich glaubte, dass es wie mit seinen Augen war.

In Clips und auf Bildern wirkte immer alles etwas abgeschwächt und das sein Lächeln einnehmend war, das war mir bereits klar. In echt, direkt gegenüber war seine Wirkung sicher noch einmal ganz anders. Heute schien er jedoch keinen Anlass zu finden, es mich überprüfen zu lassen. Stattdessen reichte er mir die Tüte und ich sah hinein.

„Das Mittagessen für heute."

Nun lachte ich laut auf und er sah mich irritiert an. „Was, verträgst du keine Cola und abgepackten Rosinenbrötchen?"

Sichtlich erheitert überhörte ich den kleinen Seitenhieb. „Nein. Danke für die Schokoriegel. Kann ich vielleicht auf ein gekochtes Abendessen und ein Glas Wein hoffen?"

„Essen ja, aber der Wein klingt zu sehr nach Rendezvous."

„Und darin bist du natürlich eingerostet. Ich verstehe schon, versuch erst wieder in Übung zu kommen, ich will dich schließlich nicht überfordern."

Niall trat um das Auto herum und schwang sich auf den Fahrersitz, dann blickte er mich musternd an: „Versuchst du gerade, mir ein Rendezvous aus dem Ärmel zu leiern?"

„Nein. So nett bist du nicht und ich gehe nur mit netten Jungs aus", erklärte ich ihm und prompt klingelte Samuels Stimme wieder in meinem Kopf.

»Geh' nur mit langweiligen netten Jungs aus, Nella. Denn die Netten bieten dir eine Überraschung, dass sie vielleicht nicht so öde sind, wie sie sich verkaufen.«

„Ich bin nett!", behauptete Niall empört und lenkte den Wagen wieder auf die Straße. Erneut tuckerten wir über Landstraßen und ich unterdrückte ein Stöhnen.

„Nein. Du bist der Typ, der mich erst verarscht hat und mir dann fast den Knöchel gebrochen hat", informierte ich ihn überflüssigerweise, was Niall dazu brachte, seine Sicht darzulegen: „Du hättest ein durchgeknallter Stalker sein können. Glaub mir, wenn die Tussi aus der Reinigung deine Klamotten gestohlen hätte und sie dann anzieht, um das zu twittern, dann würdest du auch nicht mehr jeden deine Adresse verraten."

Ich starrte ihn an, doch er machte weiter: „Außerdem hast du deinen Fuß selbst zwischen Tür und Angel gesteckt. Somit bist du also selbst schuld."

„Eine Verabredung mit dir wäre trotzdem das Letzte, was ich wollen würde", schloss ich und schaltete das Hörbuch wieder ein. Und weiter ging es mit meinem psychopathischen Trauma. Ganze fünf Minuten lauschten wir der kranken Stimme des Hörbuches, dann fragte Niall: „Wieso würdest du es nicht tun?"

„Was tun?"

„Dich mit mir verabreden."

Ich kramte in der Tüte herum und fischte schließlich den Schokoriegel heraus, den ich genüsslich auspackte.

„Erstens gehörst du irgendwie zum Klienten-Cast", fing ich praktisch an. „Zweitens, nicht beleidigt sein, aber so richtig mein Typ bist du nicht und Drittens wäre mir das viel zu anstrengend mit einem Popstar irgendetwas Privates zu machen."

„Wieso?", er schien verwirrt darüber und ich stellte das Hörbuch etwas leiser: „Keine Ahnung was du schon so für Verabredungen gehabt hast, aber Frau vergleicht sich ungern mit irgendwelchen perfekten Models. Außerdem hat Twitter was von Ellie Goulding gezwitschert und glaub mir, Niall, das reicht für innere Selbstzweifel für die nächsten drei Jahre. Mir ist mein inneres Gleichgewicht zu wichtig, als mich dann mit solch einen Quatsch beschäftigen zu müssen."

„Inneres Gleichgewicht?"

Zum ersten Mal hörte ich ihn lachen. Zuerst prustete er laut los, aber dann wurde das Hörbuch von seiner Lache übertrumpft.

Mich traf dieser Augenblick mit voller Wucht, denn Niall hatte eine wirklich schöne und ansteckende Lache. So warm, hell und vollkommen unbeschwert. Vielleicht auch eine Spur kindisch, aber Tatsache war meine Mundwinkel verschoben sich nach oben.

Statt weiter drauf einzugehen schüttelte er amüsiert den Kopf und schaltete das Hörbuch wieder lauter. Nachdem es irgendwann mittags zu Ende war und ich mir zwischenzeitlich meinen eigenen MP3-Player aus der Tasche gekramt hatte, erkannte ich ein Ortsschild und Niall bog tatsächlich ab. Wir waren in Falmouth, einer kleinen Hafenstadt.

„Du willst jetzt aber nicht Urlaub machen, oder?", fragte ich und er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe einen Termin mit einer Maklerin gemacht. Ah, da drüben ist es schon."

Mitten im Zentrum des Städtchens parkte er den Wagen und wies mich an mit ihm zu kommen. Es roch salzig und kalt. Prompt zog ich den Mantel enger um mich. Möwen kreischten über unsere Köpfe und neugierig betrachtete ich das verbaute Haus vor mir.

„Mr Horan, schön dass Sie es pünktlich geschafft haben", begrüßte ihn eine kleine runde Frau, in einem viel zu engen grünen Kostüm. Sie schüttelte geschäftlich seine Hand und musterte dann mich. Niall hatte immerhin so viel Anstand mich vorzustellen.

„Meine Cousine, sie greift mir ein wenig unter die Arme." Oder auch nicht. „Würden Sie uns das Haus zeigen, Mrs Bones?"

„Natürlich, natürlich", sie wechselte den Arm, indem ein dicker Ordner lag und steckte einen Schlüssel in das riesige Schloss. Erstaunt betraten wir einen altmodischen, aber recht großen Innenhof.

„Viktorianischer Baustil", plapperte die Maklerin vor uns her. Ich folgte einfach stumm und versuchte zu verstehen, worum es ging, wenn sie von Bögen, Decken, Fersen und was wusste ich nicht alles, redete. Die Eingangshalle war dunkel, unsere Schritte halten von den Wänden wieder.

„Fünfzig Zimmer, eine große Halle, fünfzehn Bäder, zwei Küchen und-"

Ich stolperte prompt.

Wie viele Zimmer?

Ich musste blinzeln, verschränkte die Arme vor der Brust und schluckte. Das ganze Haus war eine Villa. Wenn auch eine finstere. Sie erinnerte mich ein wenig an das protzige Anwesen meines Onkel Phil. Jede Woche Ferien waren bei ihm, als würde man in einem Geisterhaus übernachten.

„Hinten geht eine Terrasse raus, hervorragend zum Sitzen, dazu ein orientalischer Pool und natürlich ist die große Bibliothek mit inbegriffen. Ach ja, kommen Sie-"

Mrs Bones führte uns durch das dunkle Haus, es hatte durchaus Charakter und Charme, aber wenn hier jemand wohnen, geschweige denn leben sollte, dann musste nach meinem Geschmack noch einiges gemacht werden.

Aber abwarten, wer wusste was Niall mit diesem Monster vorhatte. Wir wurden durch die unendlichen Räume geführt. Hohe Fenster, alter Marmorboden, ein riesiger Essaal, eine benutzereigene Küche und schließlich endete die Tour nach über einer halben Stunde im Wintergarten, der uns zum besagten Pool und der Terrasse führte. Dieser Ort war perfekt für einen alten Lord, der hier seine letzten Tage verbringen wollte.

„Danke Mrs Jones, würden Sie uns ein wenig Raum geben?", sprach Niall schließlich und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Übereifrig nickte die Maklerin und stöckelte davon. Ich sah ihn an und fragte: „Okay, würdest du mich aufklären?"

Niall lehnte sich gegen den großen, breiten Türrahmen und erklärte: „Harry wollte, dass ich dem Projekt eine persönliche Note gebe und als ich nachgedacht habe, da fiel mir ein was Louis einmal gesagt hatte bevor es mit One Direction richtig los ging."

Er sah über den Pool. „Damals sind wir quer durch England gereist und waren kurz davor ins Ausland zu fliegen. Er meinte, es wäre seine erste große Reise. Das erste Mal, dass er richtig von zu Hause rauskommen würde."

Ich lehnte mich nun gegen die andere Seite des Türrahmens und hörte zu.

„Louis' Familie ist ziemlich groß und damals hatten sie nicht das Geld für eine große Reise. Bei meinen Eltern war es ähnlich. Ferien verbrachten mein Bruder und ich oft bei unseren Großeltern. Deshalb fände ich es nicht schlecht, wenn wir einen Ort erschaffen könnten, wo auch Familien Urlaub machen können denen das nötige Kleingeld dafür fehlt. Ein kleines verstecktes Wunderland."

Niall rieb sich über das Kinn. „Natürlich ist mir klar, dass nur die Ferien dafür sorgen können, dass in diesem, nennen wir es Camp, Leben herrscht. Aber Abseits der Ferien könnten Klassen dort ihre Klassenfahrten hinmachen oder eben Familien mit noch nicht schulpflichtigen Kindern. Gleichzeitig könnten in den Ferien aber auch Geschwister, die in verschiedene Pflegefamilien untergebracht sind, eine gemeinsame Zeit verbringen. Das war zumindest der grobe Plan."

Mir wäre so etwas nie in den Sinn gekommen. Ich hätte eher an Musikstipendien gedacht oder irgendetwas in dieser Richtung. Aber sozial benachteiligte Familien und Kinder anzusprechen hatte etwas wirklich Persönliches. Besonders, wenn Mitglieder der Band wussten, was es hieß zurückzustecken. Ich sah über den leeren Pool, dann ins Innere des Hauses.

„Nimm es mir nicht übel, aber ich glaube nicht, dass dies hier der richtige Ort dafür ist", sprach ich ehrlich und er atmete erleichtert durch: „Gut, denn ich glaube das auch nicht. Es hat mehr von einem Spukhaus, außerdem halte ich überhaupt nichts von einem Pool mitten drin, obwohl das Meer nur ein paar Meter weiter ist."

„Es ist unpersönlich", stimmte ich zu. „Gut, man könnte einiges verändern, aber dann wäre es schade um die viktorianische Architektur."

„Ich will das Ding nicht von Grund auf neu aufbauen lassen", wehrte Niall ab. „Eigentlich dachte ich einfach nur, dass Falmouth ein ganz guter Urlaubsort wäre und das ist das Einzige Grundstück in so einer Größe das es im Umkreis zu haben gibt."

Konnte ich nachvollziehen und dann beobachtete ich, wie Niall sich vom Türrahmen abstieß und nach dieser Mrs Bones rief. Sie kam sofort herbeigehüpft und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Wie ein hungriger Hund, aber wahrscheinlich wollte sie dieses Monster auch einfach nur loswerden.

„Tut mir leid wegen dem Aufwand, aber das ist nicht das nachdem ich suche", sprach Niall freundlich und reichte Mrs Bones die Hand zum Abschied. Sie seufzte geschlagen und fragte, ob sie uns nicht vielleicht doch noch einmal die Unterlagen samt Kaufpreis mitgeben sollte, aber auch das wehrte Niall gelassen ab.

Zusammen verließen wir das Spukhaus und traten zurück auf die Straße. „Hast du noch mehr Grundstücke, die du sehen möchtest?", fragte ich ihn und Niall zog zeitgleich sein Handy aus der Hosentasche.

Knapp nickte er und hielt drei Finger in die Höhe, dann ging er an sein klingelndes Handy. Ich stieg in der Zeit schon einmal ins Auto, machte aber die Tür nicht richtig zu. Es war unhöflich zu lauschen, aber es dauerte mir einfach zu lange bis Niall jedes Mal beschloss, mich einzuweihen.

„Hey Lou", hörte ich ihn reden. „Ja, alles gut und nein, ich weiß immer noch nicht wo Harry ist und ob ihm etwas passiert ist."

Lou? Louis Tomlinson, Eleanors Ex-Freund?

Ich hatte bislang, genauso wie mit Liam, überhaupt noch nicht mit ihm gesprochen, aber er schien sich zumindest ab und an bei seinen Freunden zu melden. Immer noch war es für mich schwer vorstellbar, dass Eleanor wirklich drei Jahre mit ihm zusammen gewesen war. Ich fragte mich, wie das bei einer so selbstbewussten und flatterhaften Frau wie Eleanor überhaupt hatte halten können. Sie kam mir vor, wie die Verkörperung der Emanzipation.

Auf den Bildern, die es von ihnen gab, sahen sie zwar danach aus als hätten sie eine Menge Spaß gehabt, aber wenn ich das mit den Klatschfotos verglich die Tomlinson jetzt lieferte, dann ging die Vorstellung, dass er es drei Jahre treu an ihrer Seite ausgehalten hatte, nicht in meinem Kopf. Aber vielleicht war eben das, die Treue, das Problem gewesen.

Eins war sicher, irgendwann würde ich Eleanor mit einer Flasche Wein abfüllen und ihr alle Geheimnisse entlocken.

„Nein, jetzt hörst du mal zu! Was steht in dem Brief, den Harry dir hat zukommen lassen. Ich meine, du hast doch einen bekommen, oder?"

Natürlich hatte er einen. Der Bote hatte mir den Zettel für den Empfang gegeben.

„Gut. Mach einfach, was drinsteht. Komm, so schwer kann das nicht sein."

Nein, so unmöglich fand ich Harrys Anforderungen bislang auch nicht. Es war eben das, was man raus machte. Niall machte einen Road-Trip aus seiner Aufgabe und so übel war das nüchtern betrachtet ganz sicher nicht.

„Ach komm, Lou. Du rufst deine Schwestern einfach an ob sie ein paar Tage zu dir kommen wollen und damit wärst du dann auch fertig mit deiner Aufgabe. Ich bin sicher, dass Harry sich dann melden sobald er auf Instagram ein paar Fotos von euch sieht. Gib dir ein bisschen Mühe, versetzt eins dieser Bunnys mit denen du dich gerade triffst und Ende. Ist nicht so als würde er von dir erwarten, dass du einen auf David Copperfield machst. Du sollst ja schließlich keinen weißen Tiger hervorzaubern."

Ganz meiner Meinung. Ich grinste und zog kurzerhand selbst mein Handy hervor. Keine Antwort von Harry. Wer ahnte schon womit er sich gerade beschäftigte. Er könnte unter die Imker oder Kunstfälscher gegangen sein, wusste der Geier was. Mit Geld kam man in der Regel weit und da Harry sehr viel davon hatte lagen die Grenzen sicher jenseits meiner Vorstellungskraft.

„Mein Gott, es bricht dir kein Zacken aus der Krone, wenn du einmal tust, was andere von dir verlangen. Melde dich einfach, wenn deine Schwestern dabei sind dich zu fressen damit ich Zeit für eine Runde Mitleid habe", nach diesen kühlen Worten legte Niall auf und schwang sich ins Auto. Er warf seine Kappe nach hinten auf den Sitz und dann hörte ich seinen Magen knurren.

„Vielleicht sollten wir etwas Essen gehen bevor wir weiter, wo auch immer hinfahren", warf ich ein. Er zögerte kurz, dann sprach er: „Später, ich will den Ort erst verlassen und wenn eine Raststätte aufkreuzt, können wir ja wirklich halten."

„Wir fahren wieder nur über Landstraßen?" Ich hoffte nicht, denn dann würden wir ja ewig brauchen um von A nach B zu kommen. Niall neigte den Kopf: „Natürlich, ich will keine Verfolger und wir haben Zeit. Harry bezahlt dich, nicht ich, also kann's mir egal sein ob wir zwei Tage oder zwei Wochen brauchen."

„Sag mir zumindest, wo es hingeht!"

Niall startete den Motor, dann sprach er: „Wo wäre denn dann der Spaß, Nella?"

Ja, wo wäre der nur? Ich musste weiter im Dunkeln tappen und als ich mich zurücklehnte, fragte ich mich, ob dieser Trip nicht besser war als jeder Urlaub, den ich bislang hatte.




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