30 Du, ich, zusammen.


【 SOPHIA 】


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Nie hätte ich gedacht, dass es solch ein Kampf war, ein Kind zu adoptieren. Unzählige Papiere, Akten, Prüfungen und ich verlor fast den Überblick. Den Kollegen, den uns Nella schließlich empfahl, sprach ich meinen höchsten Respekt aus. Denn er war ein Blutspürhund. Er fand sämtliche Lücken, Vorteile und Argumente, die er für Liam auslegte.

Zweimal kam eine Mitarbeiterin des Jugendamts vorbei. Mittlerweile wussten wir, dass diese Mrs Park, die mir einst einfach Sebastian vor der Tür abgestellt hatte, gekündigt worden war.

Eine schriftliche Entschuldigung lag vor und Mr Spencer machte uns das Angebot, dass es ihm ein Vergnügen wäre, das Jugendamt zu verklagen.

Doch zuerst wollten wir einen positiven Bericht für das Gericht vom Jugendamt.

Mrs Kowaski, eine wache und freundliche Psychologin des Jugendamtes ließ sich durch das Haus führen, spielte mit Sebastian in seinem Zimmer und auch wenn ich nervös war, so stellte ich fest, dass sie nur zusammen malten und sie ihm einige Fragen stellte. Ob er sich wohl fühle, wie er mit uns zurechtkäme.

Dabei erzählte er von Kenwood Park, wie wunderschön es da sei und dass er da gerne wieder hin wollte. Er sprach von Louis, der mit ihm spielte, Niall, der ihn zum Eisessen verführte („Aber das darfst du nicht weitersagen!") und Harry, der mit ihm heimlich getanzt hätte. Ich war überrascht, denn vieles hatte ich nicht mitbekommen, allen voran die Tanzeinlage nicht. („Die sind alle wirklich lieb!")

Danach wurden Liam und ich zum Gespräch gebeten. Mrs Kowaski horchte uns aus, was wir machen würden, wenn Liam wieder auf Tour ging, wie wir uns das Leben mit einem Kind vorstellten. Ob wir Probleme hätten und wenn ja, welche.

Liam gab offen zu, dass er manchmal nicht wusste, was für Sebastian angemessen war und was nicht. Wie lange er aufbleiben durfte, oder welche Geschichten noch zu schwierig waren und das er sich Sorgen darüber machte, wie er es verhindern konnte, dass Sebastian nässte.

„In jedem Ratgeber steht etwas anderes und das verwirrt mich", gestand er. „Und einen passenden Kindergarten zu finden, das ist ein Kampf. Soll es ein katholischer sein, ein Montessori-Kindergarten – aber muss er dann nicht auch auf die entsprechende Schule? Gibt es da wirklich so einen gravierenden Unterschied zu einem ganz normalen Staatlichen? Und was ist mit einem privaten Kindergarten, ist die Vorbereitung auf die Schule dort besser? Ich meine, ich weiß nicht, ob Sebastian sich gerade richtig entwickelt, oder ob ich lieber einen Gang zurückschalten sollte, damit er nicht überfordert ist. Aber unterfordern möchte ich ihn auch nicht."

Mrs Kowaski, die mit uns im Wohnzimmer saß und sich die Lesebrille wieder auf die Nase schob, lächelte: „All diese Fragen habe ich mir auch gestellt, als meine Kinder so alt waren." Sie schrieb etwas auf ihren Block, dann fragte sie: „Was ist das für eine Baustelle neben der Terrasse?"

„Der Pool", erklärte ich. „Wir lassen ihn zuschütten. Keinem von uns ist es besonders geheuer ein Kind im Haus zu haben und zu wissen, dass es nicht schwimmen kann."

Allen voran, weil niemand von uns Sebastian in jeder Minute kontrollieren konnte. Nach einer Stunde schloss Mrs Kowaski ihre Unterlagen und sprach: „Ich bin wirklich positiv überrascht. Das einzige, was mir Sorgen macht, das sind Ihre Fans, Mr Payne. Medien sind kein guter Umgang für Kinder. Haben Sie darüber schon mit Sebastian gesprochen?"

Wir hatten.

Denn als Liam mit ihm einkaufen gefahren war, da waren Fans auf ihn zu getreten. Zuerst hatte es sich im Rahmen gehalten, aber dann waren es immer mehr geworden. Schlussendlich hatte er im dichten Gedränge mit Sebastian den Supermarkt verlassen müssen, ohne die Einkäufe mitzubringen.

Für Sebastian war das alles nicht sehr tragisch gewesen. („Er ist stark wie der Hulk!") Hatte er mir erzählt und ich begriffen, dass Liam ihn hochgehoben hatte und wie ein Bodyguard die Leute beiseitegeschoben hatte. Liam selbst fand diesen Vorfall bedenklich und direkt danach hatten wir uns mit dem Management und einem weiteren Anwalt zusammengesetzt.

Sebastian sollte nicht in Zeitschriften erscheinen und das Management wollte an einer Erklärung arbeiten, die herauskam, sobald wir bestätigt bekommen hatten, dass Sebastian bei uns bleiben durfte.

„Ich bin beeindruckt", gab Mrs Kowaski zu. „Sie haben sich wirklich viele Gedanken gemacht. Ich hoffe sehr, dass der zuständige Richter Ihnen das Sorgerecht zusprechen wird." Ich begleitete sie schließlich zur Tür, doch bevor sie ging, drehte sie sich noch einmal um: „Haben Sie eigentlich vor, noch einmal zu diesem mysteriösen Kenwood Park zu fahren, von dem Sebastian gesprochen hat?"

„Ja, sobald wir wissen, ob wir Sebastian behalten dürfen", erklärte Liam.

Am nächsten Tag machte er sich auf nach Wolverhampton, um seiner Familie von Sebastian zu erzählen. Ich riet Liam noch, dass er seine Mutter vorab bat, sich hinzusetzten. Fasziniert beobachtete ich, wie Sebastian Liam im Flur fragte, wann er wieder zurückkäme.

„Morgen, vielleicht bin ich zum Mittagessen wieder da."

Mit einem Nicken nahm Sebastian das zur Kenntnis und huschte wieder in sein Zimmer, wo er gerade zusammen mit Molly eine Indianer Zeremonie hielt. Er hatte sich selbst Großer Starker Häuptling genannt. Liam hatte ein Zimmer-Tippi gekauft und seitdem befand sich Sebastian in seiner Fantasie im wilden Westen.

Innerlich schmunzelte ich, denn wenn er erst einmal erfuhr, dass das Trampolin in der Garage stand und nur darauf wartete, aufgebaut zu werden und er bald im Garten schaukeln konnte, dann wäre der Wilde Westen passé.

Ein wenig hoffte ich jedoch, dass die Phase noch anhielt, denn ich wurde gerne Kleine Weiße Feder genannt und ich konnte mir auch nur immer schwer ein Lachen verkneifen, wenn Sebastian nach Schweigsamer Adler rief.

Liam fand nämlich, dass er überhaupt nicht schweigsam war, aber wenn er mit Sebastian spielte, konnte er kaum mit dessen Fantasie mithalten. Nur an Loki und dem Mondschein Wolf, daran musste ich mich wirklich noch gewöhnen.

Ich ging mit Sebastian zum Schwimmen, ließ ihn toben und zu meiner eigenen Überraschung spielte er mit zwei anderen Kindern im Kinderbecken. Mit seinen Schwimmflügeln sah er unglaublich niedlich aus, doch umso mehr sah ich, dass er immer noch zu dünn war.

Ihn mit anderen Kindern zu erleben, tat gut und ich hoffte, dass er möglichst bald in den Kindergarten kam. Noch konnte ich zu Hause arbeiten und er spielte lieb auch einige Stunden für sich, aber sozialer Kontakt war etwas, was ich ihm nicht mehr allzu lange vorenthalten wollte. Ich schaffte es mit Eleanor zu telefonieren und ihr zu erzählen, was Liam mir gesagt hatte.

„Ach Soph, eigentlich weißt du ganz genau, was du tun musst", erklärte sie mir als sie schließlich noch am selben Nachmittag für eine Tasse Tee vorbeikam. Sebastian freute sich diebisch und verlangte, dass Kleine Zarte Blume mit ihm in den wilden Westen kam.

Erst nach dem Abendessen verabschiedete sich Eleanor und ich hatte erfahren, dass Niall Nella zwar besucht hatte, aber er auch schon wieder weg war. Irgendetwas war zwischen den beiden vorgefallen. Eleanor nannte es die Fortsetzung eines Nicholas Sparks. „Furchtbar die beiden."

Da konnte ich nur zustimmen. Für Niall hoffte ich, dass er begriff, wie gut Nella ihm tat, denn niemanden war das in Kenwood Park verborgen geblieben.

Beinahe war es schon Routine, dass ich Sebastian ins Bett brachte, wir zusammen ein Buch lasen und Loki sich schließlich auf den hinteren Teil seines Bettes legte. Seit Loki mit im Bett schlafen durfte, schien es ein bisschen besser zu laufen. Zumindest hatte er nicht mehr ins Bett gemacht.

Doch noch wollte ich das nicht feiern, denn es könnte jede Nacht wieder passieren. Mrs Kowaski uns versprochen eine Ansprechperson zu vermitteln, damit auch das letzte bisschen Unsicherheit im Umgang mit Sebastian verschwand.

Als ich ihn zudeckte, wünschte er mir eine gute Nacht und kuschelte sich mit Molly auf die Seite. Es fühlte sich an, als wäre es Alltag und mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich kein einziges dieser Rituale vermissen wollte. Egal ob ich Sebastian ins Bett brachte, wir morgens zusammen die Spülmaschine einräumten oder er bei Einkäufen half.

Ich liebte es seine kleinen Schritte zu hören, seine neugierigen Fragen zu beantworten oder ihm zu lauschen, wenn er mit sich selbst sprach und etwas erzählte, was seiner Fantasie entsprungen war.

Zum Zeichnen zog ich mich wieder in die Küche zurück und begann weiter zu arbeiten. Die ersten Entwürfe hatte ich schon eingeschickt und meine Chefin war bislang ganz angetan, auch wenn sie ein paar kleine Änderungen vorgeschlagen hatte. Ich würde sie machen, wenn ich Muße dazu hatte.

Ich hatte gerade den zweiten Mantel auf Papier gebracht, als ich hörte, dass ein Schlüssel in die Haustür gesteckt wurde. Dann trat jemand ein. Sichtlich verwirrt stand ich auf und rief: „Liam?"

„Ja, ich bin's", ertönte seine Stimme vom Flur und ich verließ die Küche: „Wolltest du nicht erst morgen Mittag wiederkommen?"

Er schlüpfte aus seinen Schuhen und hing die Jacke auf den Harken. „Ich musste heute noch fahren und zurückkommen."

„Wieso, ist es nicht gut gelaufen?", leichte Panik stieg in mir auf und statt mir zu antworten hob Liam nur den Kopf. Langsam machte er mir Angst. Ich konnte mir zwar vorstellen, dass Karen und Geoff schockiert waren, aber nicht, dass sie ausflippten. „Jetzt sag schon, was ist passiert, du wärst doch sonst nicht so früh hier und-"

Der Rest meines Satzes ging verloren, denn Liam trat auf mich zu und nahm mir die Luft zum Atmen, indem er mich gegen die Wand drückte und küsste. Ich war so überrumpelt seine Lippen auf meinen zu spüren, seine Nähe zu fühlen und den vertrauten Geruch seines Aftershaves einzuatmen, dass ich im ersten Moment nicht reagierte.

Seine Hände lagen auf meiner Hüfte und als er sich leicht von mir löste, musterten seine braunen Augen mich. Sein Atem streifte mein Gesicht, dann beugte er sich erneut vor und dieses Mal konnte ich den Kuss viel mehr genießen. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals, ich zog ihn weiter zu mir und genoss diesen unglaublich vertrauten Moment.

Ich hatte all die kleinen Zärtlichkeiten mehr vermisst, als ich geglaubt hatte. All die Wärme, die er mir gab, die Sicherheit und Zärtlichkeit, wie konnte ich es nur vergessen?

„Ich brauche dich, Sophia. Ich brauche dich wirklich", flüsterte er. „Ohne dich werde ich all das hier nicht schaffen."

Wir standen regungslos im dunklen Flur. Mein Herz schlug bis zum Hals und ich fühlte mich schrecklich beklemmend. Sanft lehnte Liams Stirn gegen meine. Tief musste ich durchatmen und Angst unterdrücken.

Ich musste mich an ihm festhalten und sprach belegt und geradeheraus: „Ich kann dir nicht geben, was du brauchst."

„Wieso glaubst du das?", fragte er ruhig und es fiel mir sehr schwer ihn anzusehen. Ich dachte an all die Dinge, die wir geplant hatten, bevor alles aus dem Ruder gelaufen war.

Liam hatte immer gewitzelt, dass wenn wir heiraten würden, er Monate lang vorher den Antrag planen würde, nur um ihn dann doch ganz spontan zu machen. Wir hatten schon mal darüber gefachsimpelt, dass wir niemals eine kleine Hochzeit hinbekommen würden.

(„Wenn wir deine Chefin einladen, dann muss ich Simon auch eine Einladung schicken." - „Aber dann haben wir schon wieder mehr als dreißig Leute!")

Wir hatten so optimistisch, spielerisch in die Zukunft gesehen, dass wir nie auf die Idee gekommen wären, dass es einmal anders laufen konnte.

(„Insgesamt haben wir Platz für vier Kinderzimmer." -„Wow, wieso sagst du nicht gleich fünf, dann hast du deine eigene Boyband, wenn es alles fünf Jungen werden." - „Oder eigene Girl-Band. Die neuen Spice Girls.")

Der Abend, als ich nach Hause gekommen war, ganz alleine und nur Loki vor meinen Füßen gelegen hatte, hatte all die Wunschträume zerstört.

Tief atmete ich durch.

„Ich kann dir nicht die große Familie schenken, die du immer haben wolltest, Liam." Meine Unterlippe zitterte. „Denn ich-"

„Das weiß ich bereits, Sophia", unterbrach er mich. Und mein Herz krampfte zusammen. Atemlos sah ich ihn an.

„Ich habe die Broschüren gesehen, die Adoptionspapiere und auf dem Kalender gesehen, dass du beim Arzt warst", erklärte er mir. „Es war leicht eins und eins zusammen zu zählen, schließlich haben wir davor erst drüber gesprochen, wieso du zum Arzt wolltest. Aber weißt du was? Es ist mir egal, ob wir unsere eigenen Spice Girls bekommen, oder nicht."

„Du wolltest immer einen Stall von Kindern!", entwich es mir und Liam schmunzelte: „Ich wollte immer eine eigene Familie und bei einer Familie ist es egal wie groß sie ist. Es reicht mir völlig, solange es dich und mich gib."

In diesem Augenblick sagte er genau das, was mir eine unendliche Last nahm. Liam umfasste meine Fingerspitzen und drückte sie gegen seine Lippen, doch im Gegensatz zu mir sah er nicht besonders glücklich aus. „Ich will unbedingt, dass es ein dich und mich gibt, Sophia. Auch, wenn ich gesagt habe, dass du jeder Zeit gehen kannst, will ich das nicht."

Schweigend sah ich ihn an, einfach glücklich, dass er so empfand.

Doch er deutete mein Schweigen falsch und schluckte hart: „Außerdem gehen Sebastian und ich vor die Hunde. Ich meine, was mache ich, wenn er in den Kindergarten kommt? Schmiere ich ihm das Frühstück selbst? Oder kriegt er dort etwas? Wenn ich es selbst machen muss, muss ich dann täglich den Belag wechseln und zwei Obststücke dazu packen? Aber Äpfel werden braun, wenn man sie geschnitten hat, also muss er das Obst essen bevor er aus dem Haus geht, oder? Und die Wäsche erst, was mache ich, wenn etwas färbt und-"

Ich zog ihm am Kragen zu mir und küsste ihn dieses Mal. Sofort verstummte Liam und ich hoffte, dass er das als Antwort genug sah. Er unterbrach den Kuss nicht, stattdessen gab er sich ihm hin und ich genoss es. Irgendwann hob er mich hoch. Ich hatte vergessen, wie leicht ihm das fiel.

Blind stolperte Liam mit mir leise die Treppen hoch, schob sich fast lautlos an Sebastians Zimmer vorbei und plötzlich war es so leicht, wie ich es nie für möglich gehalten hatte.

Ich liebte Liam und brauchte ihn genauso sehr, wie ich ihn.

Trotz der Enttäuschung und Kränkung hatte sich daran absolut nichts geändert. Ich wollte niemand anderen, außer ihn. Und wenn das bedeutete, dass ich verzeihen musste, dann würde ich das tun. „Verschwinde nie wieder einfach so, wenn irgendetwas dich erdrückt. Rede mit mir!", verlangte ich flüsternd und er antwortete: „Versprochen! Ich tu's nie wieder."

Wir schliefen in dieser Nacht nicht miteinander, sondern lagen nur dicht beieinander, küssten uns immer wieder und genossen die Wärme des anderen. Es war, als würde all der Stress und die Anspannung langsam von mir weichen.

Irgendwann, als meine Lippen geschwollen waren, vom vielen küssen und Liam in der Dunkelheit mit meinen Fingern spielte, da fragte ich: „Wie haben es deine Eltern aufgenommen?"

„Sie waren geschockt", verriet er mir. „Aber als ich ihnen erzählte, dass Brittany nicht mehr lebt, da wollten sie Sebastian unbedingt kennen lernen. Ich habe ihnen gesagt, dass alles zu seiner Zeit kommt, weil er sehr schüchtern ist und er erst offiziell bei mir bleiben soll. Ich will es schwarz auf weiß haben."

„Ich glaube, er gewöhnt sich gut an dich", machte ich ihm Mut und ich bemerkte, dass Liam sich leicht drehte: „Das wünsche ich mir. Er muss mich nicht Dad, oder so nennen, aber ich möchte, dass er weiß, dass er ein zu Hause hat und nicht allein ist, wie Molly."

„Oh man", entwich es mir. „Ich werde morgen sofort losfahren und eine zweite Molly kaufen. Das kann ich mir nicht mit ansehen." Liam lachte: „Wie ist er überhaupt an ein Alpaka gekommen, sind die guten alten Teddys ausgestorben?"

„Respekt, dass du direkt wusstest, was Molly ist."

„Nein, ich dachte sie wäre ein Lama. Ich habe gegoogelt, als er mich fragte, was Molly eigentlich alles frisst."

„Wir sollten ihn zum Schwimmkurs anmelden, er fühlt sich wohl im Wasser und er muss unbedingt wieder mehr Kontakt mit anderen Kindern bekommen."

In dieser Nacht malten Liam und ich uns eine neue Zukunft aus. Wir gingen hoffend davon aus, dass wir Sebastian behalten durften und planten den Garten neu und diskutierten, wer zu zukünftigen Elternabende musste.

(„Er braucht einen Patenonkel." - „Die Jungs werden sich die Köpfe einschlagen. Nimm sie lieber gleich alle zusammen.")

Zwischendurch tauschten wir kleine Zärtlichkeiten aus, schließlich lag ich auf Liam Brust und lauschte seinem Herzschlag. Er strich durch meine Haare, dann über meinen Rücken. Die Geste hatte etwas sehr Beruhigendes an sich.

„Ich habe Brittanys Familie in New York gefunden", sprach Liam schließlich. Leicht hob ich den Kopf und er erzählte: „Noch habe ich keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen, aber wenn alles vorbei ist, dann wollte ich genau das tun."

Es wäre nur richtig ihnen von Sebastian zu erzählen. Doch gleichzeitig fragte ich mich, ob Brittany nicht auch ihre Gründe gehabt hatte, sich von ihnen zu distanzieren.

Irgendwann schlief ich ein und wurde erst wieder wach, als ich leise hörte, wie jemand meinen Namen rief.

„S-Sophia... Sophia?"

„Hm...", brummte ich und bemerkte, dass Liam und ich uns in der Nacht irgendwie gedreht hatten, denn wir lagen Löffelchen und er hatte die Arme um mich geschlungen. Müde rieb ich mir die Augen, dann pustete mir jemand leicht ins Gesicht und ich zog die Nase kraus. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich Sebastian in seinem Star Wars Schlafanzug erkannte.

„Wieso bist du schon wach?", empörte ich mich und sah auf die Uhr. Halb sechs, sollte mich doch der Teufel holen.

„Darf ich fernsehen?", fragte er und Liam antwortete an meiner Stelle: „Nein."

„Hm... 'kay", sprach er niedergeschlagen. „Was macht ihr da?"

„Schlafen", setzte Liam ihn in Kenntnis, ohne auch nur die Augen zu öffnen. Sebastian kratzte sich an der Nase: „Man sagt nichts, wenn man schläft."

Wollte er jetzt mit uns diskutieren, oder was waren seine Absichten? Sebastian drückte Molly unter sein Kinn und legte leicht den Kopf schief. „'kay, ich geh dann raus, schaukeln", teilte er uns so selbstbewusst mit, dass ich automatisch den Arm ausstreckte. Liam tat dasselbe, doch ich war es, die ihm so gerade noch am Schlafanzug zufassen bekam und zurückzog.

Leicht richtete Liam sich auf und kurz darauf packten wir ihn in die Mitte, damit er nicht am Ende noch auf die Idee kam, im Wohnzimmer zum Kampf gegen die Cowboys aufzurufen. Leicht kitzelte ich ihn und er gluckste. Dann wollte ich wieder wegdämmern, doch Sebastian schien geistig schon auf der Höhe zu sein.

„Und was machen wir jetzt?", fragte er sichtlich interessiert. Niemand antwortete, also plapperte er weiter: „Es ist langweilig nur zu liegen. Molly findet das auch. Viel lustiger ist es, wenn wir Indianer spielen."

Ich war allgemein viel lustiger, wenn ich meinen ersten Kaffee getrunken hatte. Sebastian hatte eiskalte Füße, was mir verriet, dass er wieder ohne Socken durch das Haus gelaufen war.

„Was machen wir denn heute?", wollte er wissen und schlug vor: „Wir können zum Spielplatz, es regnet nicht und da ist eine Rutsche und Sand zum Bauen. Dann kann ich Bäcker werden und ihr ganz viel Kuchen essen. Ihr esst aber Kuchen, oder? Wisst ihr was für Kuchen?"

Liam öffnete die Augen und dann setzte er sich frustriert aufrecht hin. „Ich hole Brötchen, willst du mitkommen?"

Sonntag, halb sechs. War da schon ein Bäcker auf? Eifrig sprang Sebastian hinter Liams aus dem Bett und verkündete laut, dass er sich nur schnell die Zähne putzte und dann bereit wäre, für Mission Brötchen.

„Vergiss nicht, dass er sich auch anziehen muss", murmelte ich und er sprach sarkastisch: „Nein, ich dachte ich lasse ihn im Pyjama ins Auto hüpfen." Er warf seine Socken nach mir und als ich mich tiefer in die Decke kuschelte und kurz darauf die Diskussion aus dem Bad lauschte, da lächelte ich.

(„Ich will auch Klebe in den Haaren." - „Das ist Gel, Sebastian, keine Klebe." - „Egal, ich will das auch.")

In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich wunschlos glücklich war. So konnte es bleiben.

Vier Tage später mussten wir mit Sebastian vor Gericht. Mrs Kowaski war anwesend und Mr Spencer, der Anwalt ebenso. Wir fanden uns im Büro des Richters ein und der alte Mann ließ durchsickern: „Ich habe keine Bedenken dem Antrag zu zustimmen, auch wenn es mir lieber wäre, Sie würden sich an konservative Regeln halten."

Was das bedeutete, wussten Liam und ich beide. Ganz wie Nella es vorausgesagt hatte, wäre eine Heirat von Vorteil gewesen. Sofort sprang Mr Spencer uns zu Hilfe: „Mr Payne und Miss Smith pflegen eine beständige Partnerschaft und-"

„Setzten Sie sich, meine Güte!", unterbrach der kleine greise Richter unwirsch. „Ich habe Enkelkinder, meinen Sie, ich weiß nicht, wen ich hier sitzen habe? Außerdem gucke ich X-Factor. Ich brauche keine Randinformationen."

Er unterschrieb die Unterlagen und murmelte: „Ist wirklich selten, dass sich das Jugendamt und ihr Anwälte euch so einig seid. Macht das zur Gewohnheit." Dann reichte er Mr Spencer die Papiere und sah Liam und mich an. Sebastian saß auf meinem Schoss und schien von alldem noch nicht besonders viel zu verstehen.

„Mr Payne, Miss Smith, ich darf ihnen gratulieren. Sie sind so eben Eltern geworden", erklärte der Richter mit einem freundlichen Lächeln. Mir fiel ein unendlich großer Stein vom Herzen.

Doch richtig durchatmen konnte ich erst, als wir draußen vor dem Büro standen und Liam sich bei Mr Spencer für seine Unterstützung dankte und Mrs Kowaski für ihren guten Bericht. Ich beugte mich zu Sebastian herunter und sprach: „Jetzt darf du auf jeden Fall bei uns bleiben."

„Ganz sicher?", hauchte er und ich nickte. Dann ging ein breites Strahlen über sein Gesicht und er plapperte: „Wenn wir zu Hause sind-"

„Oh, wir fahren nicht nach Hause", erklärte ich. „Immerhin haben wir dir doch versprochen, dass wir zurück zum Kenwood Park fahren, sobald wir können." Außerdem wollten wir das feiern und die Jungs mit der Patenschaft überraschen.

Sebastian kreischte erfreut auf und plapperte sofort drauf los, dass er Molly mitnehmen musste und ganz viele andere Dinge, die er Louis alle zeigen wollte. Ich konnte kaum glauben, dass dieser aufgeweckte Junge derselbe war, wie das stille Kind, welches man mir vor Wochen einfach zwischen Tür und Angel zugeschoben hatte.

Er fasste nach meiner Hand und als wir bei Liam stehen blieben und er Mr Spencer verabschiedeten, da beobachtete ich das Schöne. Ganz von selbst griff Sebastian nach seiner Hand und schien das für selbstverständlich zu halten.

Liam dagegen nicht. Ich sah, dass er auf seine Hand blickte und dann den Kopf hob. Für Sebastian war es wahrscheinlich nur eine kleine Geste, aber für Liam ein riesengroßer Schritt. Munter hopste Sebastian zwischen uns herum und als wir nach draußen traten, da war ich wunschlos glücklich und niemand konnte mir das nehmen.

Ich war Brittany Ward vom Herzen dankbar, auch wenn sie es nie erfahren würde. Denn sie hatte Liam und mir etwas unglaublich Kostbares gegeben.

Glück in Form einer weiteren kleinen Person, die uns zukünftig ordentlich auf Trapp halten würde.



⸙ ● ⸙ ● ⸙

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