29 Liebe mich.
【 SOPHIA 】
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Als Sebastian, Liam und ich Kenwood Park verließen, Harry, Louis und Zayn zurückblieben, da konnte ich im Rückspiegel sehen, wie traurig Sebastian darüber war. Schweigend klebte der Junge am Fenster und hatte sich versprechen lassen, dass wir so bald wie möglich zurückkehrten.
Liam setzte uns in London zuerst in meiner Wohnung ab und ich versuchte Sebastian zu erklären, dass wir umziehen würden. Es war nicht leicht, einzuschätzen, wie viel er wirklich verstand.
Doch schlussendlich rannte er staunend durch die großen Räume, als wir Liam am nächsten Morgen besuchten und die ersten Möbel zurückgebracht wurden.
Mit Loki an den Fersen besah er sich das riesige Haus und Grundstück. Ich traute mich nicht, ihn draußen aus den Augen zu lassen: „Vergiss nicht, halte dich vom Pool fern und bleib im Umkreis!"
„Jaha!", hörte ich ihn nur und dann verschwand er auf Entdeckungstour. Es klingelte und kurz darauf waren Handwerker im Haus, ebenso eine Frau, die das Haus auf Kindersicherheit überprüfte und von einem Raum zum nächsten ging.
Nach fast zwei Stunden verschwand sie und Liam saß auf den Treppenstufen mit einer drei Seiten langen Liste. Er seufzte.
„Was ist los?", fragte ich und war dabei ein paar Tassen zurück in den Küchenschrank zu räumen. Er hob den Kopf und sah mich an: „Viel zu tun. Ich sollte Bauarbeiter damit beauftragen den Pool zu zuschaufeln. Sicher ist sicher."
Liam reichte mir die Liste und ich staunte nicht schlecht. Es war tatsächlich aller Hand zu tun. „Wo willst du sein Zimmer errichten?", fragte ich und er strich sich über das Gesicht: „Ich bin unsicher. Eigentlich wollte ich, dass er es sich selbst aussucht, aber er ist eben auch noch klein."
„Nimm den Raum neben dem Schlafzimmer, dann hat er es nicht weit, wenn er sich fürchtet", gab ich Rat. Liam musterte mich, dann fragte er: „Tut er das oft?"
Knapp nickte ich: „Ja und er neigt hin und wieder zum Bettnässen. Dreimal ist es in Kenwood Park passiert und es ist ihm furchtbar peinlich. Schimpfe also nicht mit ihm."
„Als wenn ich dies tun würde", brummte er. „Er braucht mehr Anziehklamotten. Das, was in seinem Koffer ist, ist viel zu wenig. Wie wäre es, wenn du ihn dir schnappst und losziehst?"
Ich runzelte die Stirn: „Er ist ein Kind, meinst du wirklich, du kriegst ihn mit shoppen herum?"
Liam zog seine Kreditkarte aus seiner Geldbörse und reichte sie mir: „Natürlich, vor allem, wenn er sich an Spielzeug aussuchen darf, was er haben will."
„Großartige Bestechung", meinte ich und nahm die Karte entgegen. Wollte er, dass ich aus dem Jungen einen verwöhnten Prinzen machte, oder was? „Aber okay, ich werde es versuchen. In der Zeit kannst du das Zimmer freiräumen lassen und meine Sachen ins Gästezimmer liefern."
Er nickte ernsthaft und ich musterte seine Gesichtszüge, die so angespannt waren, als ginge er vorab zu einer wirklich wichtigen Preisverleihung.
„Hey Liam, wir schaffen das schon. Zerbrich dir nicht den Kopf."
„Das tue ich nicht. Ich versuche bloß nichts zu vergessen", wehrte er ab. Ganz kaufte ich ihm das nicht ab und wenig später rief ich auf der Terrasse nach Sebastian. Mit knallroten Wangen kam er angerannt. Blätter hatten sich in sein Haar verirrt und er wirkte unglaublich aus der Puste.
„Der Garten ist riesengroß! Man kann Fußball spielen und da sind Bäume, wie in Sherwood Forest!", erzählte er mir und ich musste lächeln. Loki hechelte ins Innere und ließ sich platt auf seinen Platz im Wohnzimmer nieder. Auch dem wildesten Begleiter durfte die Puste ausgehen.
„Magst du mir mehr im Auto erzählen?", fragte ich und sofort veränderte sich seine Miene: „Wo fahren wir denn hin?"
„Einkaufen", erklärte ich und griff nach meinem Mantel. Unsicher sah Sebastian durch den Raum und ich ging seufzend in die Hocke: „Hör mal, ich werde dich nicht anlügen, denn das habe ich schließlich noch nie getan, oder?"
Er schüttelte den Kopf und ich schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln: „Na also, außerdem sind all deine Sachen hier. Wenn ich dich jemand anderen geben würde, dann hätte ich sie doch ins Auto gepackt. Wir beide fahren nur weg, damit du noch mehr Sachen bekommst."
Verwirrt sah er mich an und ich zog meine Stiefel an, dann setzte ich hinzu: „Damit meine ich auch Spielzeug." In diesem Moment zog ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht: „Du meinst Malbücher, ein Fußball und-"
„Was wir finden", ich zwinkerte. „Liam hat gesagt, wir können kaufen, was wir wollen."
Kurz dämmte sich die Freude etwas und ich begriff sofort woran das lag. Es wurde Zeit, dass ich mit Sebastian über Liams Position sprach, wenn ich wollte, dass das Jugendamt bei seiner Prüfung den Jungen hierließ.
Er hüpfte ins Auto und wir fuhren in die Stadt.
Wie ich es bereits geahnt hatte, langweilte Sebastian sich dabei, als ich mit ihm Kleidung kaufte. Hosen, Schuhe, Schlafanzüge, Jacken. Es gab unendlich viel. Sogar eine niedliche Mütze setzte ich ihm auf, sodass er aussah wie ein kleiner Gentleman.
Er selbst fand die Mütze „dumm" und wollte lieber eine Snapback, die genauso aussah, wie die von Niall.
Bepackt mit Tüten schleppte ich mich zum Auto, erst danach ging es ins Spielzeugparadies und schon am Eingang jauzte Sebastian glücklich auf. Er wusste überhaupt nicht, wohin er zuerst rennen sollte, also schlug ich ihm vor, dass wir ganz von vorne beginnen könnten und dann entschieden, was wir wirklich kauften.
Barbie, Puppen und alles was rosa war, interessierte Sebastian wenig. Ganz klassisch der Junge. Dabei hatte ich mich schon gefreut vielleicht ein paar Barbieköpfe mit ihm zu kämmen.
In der Bücherecke blieben wir lange stehen. Märchenbücher, Stellaluna – die kleine Fledermaus, der geheime Garten, Peter Pan, Narnia, die kleine Hexe und viele weitere Gefährten fanden den Weg zu uns. Malbücher, Stifte, Bastelzeug und natürlich auch ein Fußball. Obwohl Sebastian an Lego vorbei ging, griff ich automatisch danach, genauso wie zu einer Rennbahn mit Autos.
Bei den Kuscheltieren wurde er sehr ernst und lief die zwei Regale mehrmals ab. Ich besah mir zur selben Zeit Bettwäsche und griff da großzügig zu. Superman und Spiderman – Aufdrucke waren ganz sicher keine falsche Wahl.
Immerhin war er ein genauso großer Helden-Fanatiker, wie Liam. Dazu welche mit Sternen, Biene Maja, Power Rangers und Feuerwehrautos. Für den Anfang musste das reichen.
Sebastian kam zu mir, in den Händen hielt er ein flauschiges, großes Etwas. Ich musste den angehefteten Zettel lesen, um zu verstehen, was für ein Tier er angeschleppt hatte.
„Du willst ein Alpaka? Weißt du was das ist?", fragte ich und er schüttelte den Kopf: „Nein, aber sie war ganz alleine bei den Bären." Ich brauchte ein bisschen, bis ich verstand, was er damit eigentlich meinte.
„Sie ist wie ich", schloss er und drückte das Alpaka noch fester gegen seine Brust. Mein Magen zog sich zusammen, als ich begriff, dass er damit meinte, er wäre genauso allein.
„Hat sie denn schon einen Namen?"
„Molly", schoss es aus Sebastian heraus und ich musste lachen: „Gut, dann setzt Molly mal in den Wagen und wir suchen jetzt ein paar Gefährten, damit sie nicht ganz alleine in deinem neuen Zimmer sein wird."
Wir fanden eine Maus mit übergroßen Ohren, einen Affen und eine Kuh. Danach tobten wir durch die Gartenangebote. Ich stellte fest, dass Sebastian unheimlich gerne schaukelte und einen Narren an das Trampolin gefressen hatte. Übermütig sprang er mir in die Arme und sein wehmütiger Blick, als wir losmussten und das Trampolin nicht mitnehmen würden, sprach Bände.
Ich würde Liam noch einmal losschicken, oder es bestellen lassen. Nur diesen gigantischen Karton bekam ich sicher nicht mehr ins Auto. Allen voran, weil ich auch noch ein paar Gesellschaftsspiele, einen Rekorder mit Kinderhörbüchern und Musik mitnehmen wollte.
Was war nur aus den guten alten Kinderrekordern geworden? Zigtausend Knöpfe und ein Hosenpupser sollte da durchsteigen?
„Das hat ja ein Mikro!", stellte Sebastian ehrfürchtig fest und testete es direkt einmal: „Humpty Dumpty sat on a wall, Humpty Dumpty had a great fall - ooooh - All the King's horses, and all the King's men Couldn't put Humpty together again."
Ich hatte ihn noch nie so ausgelassen erlebt und es tat gut ihn so zusehen. An der Kasse versuchte er mir zu helfen, doch er war eindeutig zu klein dafür. Schlussendlich trug er Molly stolz zum Auto, während ich mit dem Wagen kämpfte und mir zum Glück ein Mitarbeiter zur Hand ging.
Dann fing ich alles ätzend an ins Auto zu räumen. Vielleicht hatten wir es doch ein wenig übertrieben. Aber Sebastian sollte sich bei Liam wohl fühlen. Hoffentlich waren die Möbelpacker noch da, damit ich sie als Packesel missbrauchen konnte. Mein Gefühl sagte nein, aber ich wollte noch hoffen.
„Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt belohnen?", sprach ich, als wir uns im Auto befanden und ich mich anschnallte. Sebastian hielt Molly auf seinem Schoß fest und sah mich verständnislos an.
„Wo willst du hin, McDonalds, Eis essen, oder Frozen Yogurt?" Zugegeben gesunde Ernährung sah anders aus, aber damit würde ich morgen anfangen. Er entschied sich für Frozen Yogurt und nach einer halben Stunde saß Sebastian mit glänzenden Augen vor seinem Becher, der überladen war mit Smarties, Erdbeeren und Knusperflocken.
Dieses Kind schien eine brutale Vorliebe für Yogurt zu haben. Während er genüsslich vor sich hin löffelte, die Beine baumeln ließ, beschloss ich, dass es Zeit für ein ernstes Gespräch war.
„Du darfst nicht vergessen, dich bei Liam zu bedanken, ja? Schließlich hat er dir all dieses Spielzeug gekauft", erklärte ich. Sebastian zögerte: „Wieso tut er das?"
„Damit du etwas zum Spielen hast, wenn du bei ihm lebst", sprach ich, etwas, was nur dazu führte, dass Sebastians Gedankengänge sich verirrten: „Aber du lebst doch auch bei ihm und hast kein Spielzeug."
Ich musste lachen: „Doch, ich habe es nur damals mitgenommen, als ich ausgezogen bin. Jetzt ist es wieder da." Dazu schwieg Sebastian und ich atmete tief durch: „Du weißt noch, dass er dein Dad ist, oder? Alle Kinder haben einen und einen Dad zu haben ist etwas Tolles."
„Wieso?", wollte er wissen und verdeutlichte mir, dass er es gewohnt war 'nur 'eine Mum zu haben und damit immer mehr als glücklich gewesen war. Er hatte wohl nie einen Vater als Bezugsperson vermisst.
Ich ließ den Löffel in der Hand sinken und versuchte in einfachen Worten zu erklären: „Ein Vater kämpft gegen die Monster, die du findest. Er passt auf dich auf und ist für dich da, wenn du ihn brauchst."
„Das ist meine Mum auch", hielt Sebastian dagegen. Es tat weh, es zu sagen, aber ich sprach ehrlich: „Ja, ich bin sicher, dass deine Mum das gut gemacht hat, aber sie ist nicht da und deshalb wird Liam das tun, was sie bislang tat."
Sebastian schwieg und ich knuffte ihn liebevoll in die Wange: „Hey, ich bin sicher, dass er es gut machen wird."
Nachdem er erneut den Jogurt löffelte, schien er darüber nachzudenken, denn er verzog angestrengt sein Gesicht: „Warum weißt du, dass er es gut machen wird?"
„Weil er ein guter Mann ist", sprach ich, ohne nachzudenken. „Gib ihm eine Chance, Sebastian. Vielleicht wird er mal mit dir schimpfen und irgendwann mal wütend sein, aber er wird trotzdem immer auf dich aufpassen und wollen, dass du bei ihm bleibst."
Wenn Liam sogar bereit war, mit mir eine Scheinehe einzugehen, nur um die Chancen beim Jugendamt anzuheben, dann war das eindeutig.
„'kay", antwortete Sebastian langsam und da bemerkte ich zum ersten Mal, dass eine Truppe von Teenagern mit dem Handy ein Bild von uns machte. Es erinnerte mich an das nächste Problem. Nämlich die Presse. Auch da mussten unbedingt Schutzklauseln errichtet werden. Liam hatte recht, es gab schrecklich viel zu tun.
Zu Hause räumten wir aus und die Stille verriet mir, dass die Möbelpacker wirklich schon gegangen waren. Liam schnappte sich den Karton mit der Rennbahn und wies Sebastian an: „Komm mal mit."
Unsicher folgte der Junge ihm und ich gab beiden etwas Abstand, nur um dann mit den Taschen voller Bücher die Treppen in den ersten Stock hoch zu gehen. Vor der Tür blieb ich stehen und lauschte. Loki sah mich vorwurfsvoll an, aber das war mir egal.
„Das hier ist nun dein Zimmer", sprach Liam und ich war froh darüber, dass sein Schlafzimmer nur ein Raum weiter war und das Gästezimmer am anderen Ende des Ganges.
Von Sebastian kam nichts. Kein einziger Ton.
„Morgen möchte ich Farbe kaufen. Welche soll ich aussuchen?"
Es war aus meiner Sicht ein geschickter Schachzug und ich hoffte, dass Sebastian das große Fenster, welches direkt zum Garten raus ging gefiel. Ganz leise und sanft hörte ich ihn sagen: „Grün."
„Willst du sie mit aussuchen?"
„Vielleicht."
Es war ein Anfang und dann stolperte Sebastian in mich rein und zog an meiner Hand: „Sophia, ich habe ein Zimmer!"
„Echt? Dann zeig es mir mal", spielte ich die Ahnungslose und betrat den Raum, der am Mittag noch ein Abstellraum für all die Andenken aus fremden Ländern dargestellt hatte.
Noch war das Zimmer kein Kinderzimmer, doch in den folgenden Tagen tat sich etwas. Liam kaufte die Farbe tatsächlich mit Sebastian zusammen und auch wenn mir der Junge nach der Ankunft erleichtert um den Hals fiel, war ich froh, dass die beiden losgezogen waren. Langsam schien Sebastian zu lernen, dass ich nicht verschwinden würde und Liam ihn tatsächlich immer wieder zurückbrachte.
Kindermöbel wurden geliefert, ein Bett, dass aussah wie ein Rennauto, Regale, ein Kinderschreibtisch und schließlich kam ein Maler, der an einem Morgen alles toppte, als ich mit Sebastian zu Nella musste, wegen Papieren, und malte einen verzauberten Wald an eine grüne Zimmerwand.
Sebastian bekam sich am Nachmittag kaum noch ein. Er kreischte so entzückt auf, sprang auf seinem Bett auf und ab und entdeckte unzählige Kleinigkeiten.
„Ein Vogel! Sieh, ein Hase, da hinter dem Busch und da wohnt Robin Hood mit seinen Männern!", erzählte er mir mit roten Wangen. Ich ließ mir alles zeigen und freute mich, dass er so überschwänglich auf seinem Bett herumturnte, um mit den Fingern die Einzelheiten zu deuten.
Kleine Lichter, die Glühwürmchen darstellten, konnte man an und aus machen. Ich hatte keine Ahnung, wie Liam auf die Idee gekommen war, aber ich fand sie außerordentlich reizend.
Er selbst lehnte am Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete uns. Seine Miene konnte ich nicht deuten. Nachdem auch Molly alle Tiere vorgestellt bekommen hatte, so wie Bekanntschaft mit dem Fuchs Purzel und dem Reh Dagobert gemacht hatte, da drehte sich Sebastian um. Er drückte Molly an sich und sah Liam an.
„Danke", sprach er mit seiner kindlichen Stimme ruhig und ich bemerkte, dass Liams Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Es wirkte erleichtert und so, als würde eine Last von seinen Schultern fallen.
Sebastians erste Nacht im eigenen Kinderzimmer stand bevor. Ich las mit ihm Stellaluna – die kleine Fledermaus. Er lag an mich gekuschelt und lauschte meiner Stimme, während wir uns zusammen die Bilder ansahen. Nach dem dritten Kapitel legte ich das Buch zur Seite.
„So kleiner Mann, es wird Zeit zu schlafen", meinte ich und deckte ihn überschwänglich zu, sodass er fast vollkommen verschwand. Er kicherte vergnügt und zog Molly an sich, noch einmal strich ich ihm über den Kopf: „Schlaf gut und wenn was ist, du weißt, Liam und ich sind da."
Er nickte unsicher und ich machte die kleinen Glühwürmchen-Lampen an, dann verließ ich den Raum, jedoch nicht ohne die Tür einen Spalt weit offen zu lassen.
Es wurde Zeit, dass ich mich wieder an die Arbeit machte. Zu lange hatte ich nicht mehr entworfen und gezeichnet. In der Küche kochte ich mir einen frischen Tee, ließ Loki um meine Beine streichen und beugte mich dann über meinen Block.
Vielleicht konnte ich mich ein bisschen inspirieren lassen. Meistens half mir die leise Musik dabei, denn ich malte einfach drauf los und wenn mir Formen und Farbkombinationen gefielen, dann ergab sich oft etwas von selbst.
Eine Woche wohnte ich nun schon wieder bei Liam und es hatte sich so viel verändert und gleichzeitig auch nichts. Über eine Stunde konnte ich ruhig vor mich hinzeichnen, dann hörte ich, wie Liam die Küche betrat.
Er kam vom Joggen zurück und nahm sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Er ging immer abends laufen, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Schläft Basti?", fragte er und setzte sich zu mir. Ich nickte: „Ja. Ich will noch ein bisschen warten, um sicher zu sein, dass er wirklich die Nacht im Zimmer gut durchschläft."
Mittlerweile war das Haus halbwegs kindersicher. Am Montag würde man damit beginnen, den Pool abzubauen. Es war kein Verlust, schließlich hatte so gut wie niemand von uns ihn überwiegen viel genutzt.
Wir schwiegen. Ich hörte meinen Bleistift über das Papier kratzen und als Liam die Flasche absetzte, da streckte er seine Hand aus. Fast wäre ich zusammengezuckt als seine Finger mir sanft eine Haarsträhne hinter das Ohr strichen.
„Sophia, ich möchte mit dir über die Hochzeit reden", sprach er und ich sah ihn an. Kurz genoss ich seine Berührung und wünschte, er hätte die Hand nicht so schnell weggenommen. Ich wartete und Liam holte tief Luft: „Ich will dich nicht heiraten, nur weil es mir einen Vorteil bringen würde Sebastian zu behalten."
„Wie bitte?", entwich es mir und ein schwerer Stein plumpste mir in den Magen.
„Versteh mich nicht falsch", setzte er hastig hinzu, aber wie sollte ich es sonst verstehen?
„Ich würde dich jeder Zeit heiraten, jetzt gleich, morgen früh, aber nicht so." Liam lehnte sich leicht zurück, mit einer Hand raufte er sich die Haare. „Ich liebe dich, daran hat sich nach wie vor absolut nichts geändert."
Er sagte das so leicht und direkt, dass ich eine Gänsehaut bekam.
„Ich kann verstehen, dass sich die Gefühle bei dir geändert haben, nach alldem was ich getan habe. Aber als ich gegangen bin, da schien mir das die einzige Lösung", er dachte über seine folgenden Worte nach und ich bemerkte, dass er das nicht zum ersten Mal tat, denn Liam neigte leicht den Kopf.
„Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Niall distanzierte sich, Harry kam mit unzähligen Anforderungen, Louis ließ sich nicht mehr bändigen und... ich habe die Musik unglaublich vermisst. Hier ist mir die Decke auf den Kopf gefallen und bevor ich richtig nachgedacht habe, bin ich einfach geflogen."
„Du warst Wochen lang weg!", sagte ich belegt. „Wochen, Liam. Zuerst habe ich gewusst, wo du bist, aber dann kam plötzlich überhaupt nichts mehr von dir."
„Ja", gab er zu, ohne auszuweichen. „Das war, als ich nach Kolumbien zu Zayn flog. Er rief mich nachts in Miami an und ich hatte Angst, dass er sich etwas antut."
Da erzählte mir Liam zum ersten Mal, was er eigentlich in Kolumbien getan hatte. Zayn war dort den Drogen verfallen, hatte sich hoch verzockt und Ärger mit gefährlichen zwielichtigen Gestalten.
Zuerst hatte er ewig gebraucht, um Zayn überhaupt zu finden und als er ihn hatte, beglich er die Schulden seines Freundes. Ich fragte nicht nach dem Betrag, denn das Liam seine Finanzen gut im Griff hatte, wusste ich.
Was folgte war ein Entzug. In dieser Zeit wurde ihm das Gepäck gestohlen, mitsamt dem Pass und sämtliche elektronische Geräte. Sich all die Dinge wieder zu beschaffen, dann der Entzug und Zayn unter dem Radar der Öffentlichkeit zu halten, all das hatte Liam unheimlich viel Zeit in diesem fremden Land gekostet.
„Ich wollte es nicht riskieren mit Zayn zu fliegen, während er auf Droge ist. Denn falls er irgendetwas geschmuggelt hätte – und Süchtige finden immer eine Möglichkeit – dann hätte das am Flughafen unglaublichen Ärger gegeben und das wollte ich vermeiden."
Als er wieder in England angekommen war, war ich bereits weg und alles was ihm geblieben war, waren Nellas Unterlagen, die ich auf dem Tisch zurückgelassen hatte.
„Es tut mir leid, wirklich", schloss er schließlich. „Doch ich würde es nicht rückgängig machen, gegangen zu sein. Nur vielleicht die Art und Weise, wie ich es getan habe."
Ich verstand das ein wenig, denn wäre Liam nicht gegangen, dann wäre Zayn wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Die Tatsache, dass Liam Zayn nicht im Stich gelassen hatte, obwohl Zayn sich als kein guter Freund erwies, rechnete ich ihm hoch an. Ich an Zayn Stelle hätte wahrscheinlich auch nicht einen der anderen angerufen. Es war schließlich kein Geheimnis gewesen, wie schlecht sie auf ihn zu sprechen waren.
„Ich weiß es zu schätzen, was du für mich tust, als du eingewilligt hast mich zu heiraten", schob er den Fokus wieder zum Anfang. „Aber wenn du heiratest, dann solltest du es aus Liebe tun und nicht, weil du dich verpflichtest fühlst, oder juristische Vorteile dadurch entstehen."
Tief atmete ich durch und Liam stand schlussendlich auf, doch bevor er die Küche zum Duschen verlassen könnte drehte ich mich um und sprach: „Soll ich wieder ausziehen?"
Er hielt inne und musterte mich. „Nein. Für dich sind sämtliche Türen offen, aber solltest du das eines Tages wollen, dann werde ich dich nicht daran hindern."
Ich dachte den halben Abend darüber nach. Denn eigentlich wollte ich nicht fort. Natürlich, da war Sebastian, aber Liams Worte hatten mich so ehrlich und unvorbereitet getroffen, dass ich in der Nacht noch lange im Gästezimmer wach lag und an die Decke sah.
Hatten sich meine Gefühle für ihn verändert?
Es war schwierig zu sagen.
Im Haus war es still, ich hatte trotzdem, genauso wie bei Sebastian meine Zimmertür einen Spalt weit aufgelassen. Nur für den Fall der Fälle.
Am liebsten würde ich mit jemanden über all das reden. Meine Schwester fiel weg, da Zoe nicht einmal die Hälfte von dem wusste, was passiert war. Vielleicht hatte ich morgen ein wenig Zeit mit Nella oder Eleanor zu quatschen. Von irgendjemanden brauchte ich eine zweite Meinung.
Das Licht im Flur ging an, dann hörte ich Schritte. Sofort saß ich aufrecht im Bett und schwang die Füße heraus. Eine Tür knarrte und ich huschte zu der meinen.
Jemand schniefte und sofort schrillten bei mir sämtliche Alarmglocken. Sebastian.
Ich hatte die Hand schon auf dem Türgriff, da vernahm ich Liams Stimme. Angestrengt lauschte ich und es kostete mich viel Überwindung, ihm den Raum zu lassen, sich zu kümmern.
„Was ist los?", hörte ich ihn sagen. Das war der Vorteil, wenn man das Zimmer genau nebenan hatte und nicht am Ende des Flures. Vorsichtig linste ich durch den Spalt und sah Loki vor Sebastians Zimmertür liegen. Okay, und man brauchte natürlich einen Verbündeten, der einem aus dem Schlaf zerrte.
Wieder schniefte Sebastian, dann vernahm ich nur Stille und hörte etwas zuklappen.
„Es ist okay, du musst nicht weinen. Das kann passieren." Liams Stimme war ruhig und sanft. Atemlos schob ich die Tür ein bisschen weiter auf.
„Komm, du wäschst dich erst einmal, dann ziehst du einen frischen Schlafanzug an und ich beziehe dir das Bett neu, wenn du möchtest."
Sie gingen über den Flur, ich konnte sehen, wie sich Sebastian über das verheulte Gesicht rieb. Liam hielt einen frischen Schlafanzug in der Hand und dann betraten sie das Bad. Loki hob nur kurz den Kopf.
Eine Weile klackte etwas. Dann rauschte Wasser. Sebastian bekam Schluckauf und ich vernahm, wie er zittrig fragte: „D-Du... schimpfst nicht?"
„Nein", erklärte Liam. „Ich bin auch nicht böse, oder so. Hebst du die Arme, dann kann ich-", den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen.
„Sagst du es Sophia?", wollte Sebastian beklemmend wissen. Ich blinzelte und Liam antwortete: „Wenn du das nicht möchtest, nein."
„Bitte! S-Sie... ich will nicht, dass sie denkt... ich bin ein Baby, oder so."
Die Aussage überraschte mich und dann hörte ich Liam leise lachen: „Ist okay, du hast recht. Denn ein Baby bist du ja wirklich nicht mehr."
Kurz darauf sah ich Sebastian in einem frischen Schlafanzug über den Flur zurück ins Zimmer huschen und Liam folgte ihm kurz darauf. Er bezog das Bett neu.
„Siehst du, die Matratze hat nichts abbekommen. Alles ist in Ordnung."
„D-Danke."
Wieder raschelte es. Ich wartete darauf, dass Liam ihn wieder ins Bett steckte, doch Sebastian fragte: „Sophia sagt... dass du auf mich aufpasst?"
Ich konnte förmlich spüren, dass Liam zögerte und schließlich bestätigte: „Ja, ich will es zumindest versuchen."
„Machst du das jetz'?"
Mit klopfenden Herzen wartete ich ab. Was würde Liam jetzt tun?
Erneutes Rascheln.
„Wartest du einen Moment?"
Von Sebastian kam keine Antwort, wahrscheinlich hatte er genickt. Kurz darauf wich ich von der Tür etwas zurück. Ich sah, wie Liam in sein Schlafzimmer ging. Das Licht löschte und wieder durch den Flur schritt. Dort machte er ebenfalls das Licht aus und wenig später hörte ich ihn sagen: „Ich bin etwas groß und brauche viel Platz,
„Das ist 'kay."
Regungslos verharrte ich, bis ich mir nach fast fünfzehn Minuten sicher war, dass ich nichts mehr hören würde. Dann schlich ich barfuß und möglichst lautlos durch den Flur und blickte in Sebastians Zimmer.
Liams Füße ragten aus dem kleinen Bett, er lag denkbar unbequem. Molly lugte unter seinem Arm hervor und man sah Sebastians dunklen Haarschopf. Das Bild berührte etwas in mir und hielt mir vor allem eins vor Augen: Ich liebte Liam ebenso, wie ich es immer getan hatte. Daran konnte auch ein fehlerhaftes Verhalten seinerseits nichts dran ändern.
Er war ein guter Mann. Aufrichtig, ehrlich und fürsorglich. Alles, was ich mir je wünschen konnte. Trotz alldem hatte er Fehler und brauchte Raum dafür. Und wenn ich ihm diesen Raum nicht geben konnte, dann war ich es nicht wert, dass er mich bei sich haben wollte. Meine Finger gruben sich in meine Handflächen.
Ich wünschte, ich könnte Liam all das geben, was er verdiente. Doch die Gewissheit sagte mir, dass ich genau dies nicht konnte.
⸙ ● ⸙ ● ⸙
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