25 Liebeswehmut.


【 ELEANOR 】


━━━━



Jeden Morgen, wenn ich wach wurde und mein Blick zum Fenster ging, betrachtete ich regungslos das sanfte Lichtspiel. Die Gardinen bewegten sich im zarten Wind, so als würden sie tanzen und ich verharrte einfach, ohne auch nur irgendetwas zu tun.

Zuerst hatte ich nicht gewusst, wieso ich diesen simplen Moment so genoss.

Ganz routiniert stand ich auf, zog mich nachlässig und bequem an, nur um durch das stille Haus zu schleichen. Ab und an hörte ich Harry schnarchen, irgendwo klopfte ein Specht und unten wartete Loki auf mich.

Seit meinem ersten Morgen war es für uns ein Ritual, dass wir zusammen eine kleine Runde draußen drehten. Loki erhob sich und ich schlüpfte in meine Turnschuhe, dann traten wir nach draußen. Mittlerweile waren wir bald einen ganzen Monat hier und es war merklich wärmer geworden.

Wir spazierten am See entlang, ich hörte die Vogel, spürte die ersten Sonnenstrahlen auf meiner Haut und als Loki und ich nach einer viertel Stunde an einer maroden Bank stehen blieben, da begriff ich, was so anders war.

Ich war glücklich.

Innerlich war mein Herz frei, es fühlte sich nicht mehr erdrückt, oder so als würde etwas fehlen. Ich wusste nicht, ob Kenwood Park das mit mir machte oder weil ich von Menschen umgeben war, die mir nicht das Gefühl gaben, sich nur mit mir abzugeben, weil sie es mussten.

Nella hatte sich als eine andere Freundin entpuppt als ich immer geglaubt hatte. Sie hatte genauso einen Dickschädel, wie ich und scheute sich nicht, mit mir ordentlich zu streiten oder zu diskutieren.

Dazu war sie mit einer Hinterhältigkeit geschlagen, die ich von mir selbst kannte. Nur das Nella sie nicht einsetzte, um ihren Willen zu kriegen, sondern um zu Wohle jemand anderes zu horchen.

Bei Sophia hatte ich fast vergessen, wie schön es war Zeit mit ihr zu verbringen. Mit ihr zu lachen, Albernheiten zu treiben und stumm mit ihr einen Blick zu tauschen und prompt zu wissen, dass wir im Endeffekt dasselbe dachten.

Sie hatte mir am Abend erzählt, dass sie Liam heiraten würde. Aus Vernunftgründen Sebastian gegenüber. Obwohl sie es ausgesprochen hatte, als würde ihr das nichts ausmachen, hatte ich sie in den Arm genommen. Sie war ein romantisches Mädchen, ein Mädchen, dass eigentlich immer nach ihrem Herz handelte.

Das tat sie zwar nun auch, aber es ging nicht um Liam, sondern um Sebastian.

Die Art und Weise, wie sie dem Jungen helfen wollte war falsch. Man heiratete aus Liebe, nicht aus juristisch vorteilhaften Gründen. Ich sah ihr an, dass sie das auch wusste, aber handeln tat sie nicht.

Ich würde es tun, doch vielleicht meinte ich das auch nur, weil ich wusste, wie es war, wenn man glaubte aus Vernunft technischen Gründen das Richtige für das Herz zu tun.

Tief atmete ich durch, dann nahm ich die Hände aus den Jackentaschen und breitete die Arme aus, als würde ich mich streckend. Genießend schloss ich die Augen, spürte den Wind in meinen Haaren und ließ die Arme nur langsam sinken. Wenn ich aus Kenwood Park wieder fort musste, dann würde ich es todsicher vermissen.

Ich pfiff Loki schließlich zurück und er kam aus Gestrüpp gehechelt. Nach dem Spaziergang gingen wir zum sogenannten Alltag über. Frühstück mit der Truppe, etwas, was ich sehr genoss und schließlich der übliche kleine Plausch mit den Handwerkern.

Sie kamen so zügig voran, dass ich mitbekam, wie Tom murrte, dass er es vermissen würde, nicht mehr nach Kendwood Park raus zu fahren, wenn alles fertig war. Hank beruhigte ihn jedoch, da er ihn darauf hinwies, dass es noch die Cottages gab und die Wege ebenfalls ausgebessert werden mussten. Bis zum Ende des Sommers blieben sie auf jeden Fall beschäftigt.

Sophia verteilte unsere Aufgaben. Ich wurde gebeten die Dachkammer fertig zu machen, denn unzählige Pakete waren angekommen und sollten den Flur nicht verstopfen. Harry erwartete mich auf dem renovierten Dachboden. Er lächelte sanft und ich erwiderte es prompt. Von den Jungs war Harry der Einzige, der mich nie offen heraus verurteilt hatte.

Die Bretter knarrten unter meinen Füßen und dann setzte ich mich zu Harry auf den Boden. Er hatte die langen Beine zum Schneidersitz verbogen und klopfte auf den Platz neben sich. „Hey El, sieht so aus als müsste ich mit dir streiten."

Ich lachte. „Ach, wer geht denn immer gleich vom Schlimmsten aus."

Harry schmunzelte und zog aus der Brusttasche seines Arbeiterhemdes einen Zettel. Seine langen Locken waren in einem Zopf gebändigt und ich faltete das Papier auseinander.

„Dies ist in etwa der Plan, wie es hier oben aussehen soll", begann er mir zu erklären. „Liam meinte, wir sollten hier einen Plan B auf die Beine stellen. Im Sommer werden draußen Tipis stehen, in denen man übernachten kann. Dazu ein Lagerfeuer und eine kleine Unterrichtsstunde über Sternenbilder."

Nun blickte ich an das Dach und erkannte Farbe. Wenn es hier abends richtig dunkel war, dann würde man die aufgemalten Sterne erkennen.

„Liam warf ein, dass es passieren könnte, dass die Kids mit einem verregneten Sommer bestraft werden und da wäre es von Vorteil hier oben eine Auswahlmöglichkeit zu haben", sprach er weiter. Ich sah auf das Blatt und musste gestehen, dass Liams Idee wirklich süß war.

„Sind die Sachen unten?", fragte ich und Harry nickte: „Meinst du, du kriegst das hin?"

Hier eine kleine Oase raus zu zaubern? Der Dachboden war unglaublich groß, aber nichts war unmöglich. Ich nickte knapp und blickte mich um. Harry stand neben mir auf und er schloss: „Gut, wenn du Hilfe brauchst, weil dir die Sachen zu schwer sind, dann sag Bescheid."

Die Dielen knarrten und noch bevor Harry die Tür erreichte, sprach ich: „Bist du eigentlich ganz allein auf die Idee gekommen?"

Leicht drehte ich mich um und bemerkte, dass auch Harry über seine Schulter sah. Schlecht geschauspielert mimte er den Ahnungslosen: „Was meinst du?"

„Ach komm Harry, dein ganzer genialer Plan hier - willst du mir wirklich erzählen, der ist dir so ganz nebenbei vom Himmel gefallen?", lachte ich und als seine Mundwinkel zuckten, war mir klar, dass ich ihn ertappt hatte.

„Es war nicht von Anfang an ein Plan", gab er zögernd zu. Ich neigte den Kopf: „Und wann wurde es einer?"

„Als ich mutterseelenallein allein in meinem Tonstudio stand und mich fragte, wozu ich verdammt noch mal so viel Geld für das Ding ausgegeben habe, wenn wir uns nie alle an diesem Ort befanden."

Ich konnte mir das tragischer Weise direkt vorstellen. Wie Harry den Blick schweifen ließ, wie er an die Zeit dachte, welche die Jungs zusammen verbracht hatten und all die lebendigen Momente, die plötzlich zerbrochen waren wie fallendes Glas.

„Läuft es denn so, wie du es dir vorgestellt hast?", fragte ich und er verzog ein wenig das Gesicht: „Nein. Aber es könnte auch wesentlich schlechter laufen."

Damit ließ er mich zurück und ich begann mit meiner Arbeit. Zuerst putze ich den Boden, dann schleppte ich Kiste um Kiste ins obere Stockwerk. Ich rollte etliche flauschige Teppiche aus und fing an kleine Tipis aufzubauen. Sie waren bunt und farbenfroh.

Schließlich kroch ich hinein und stopfte sie großzügig mit den Kissen aus, die Sophia genäht hatte. Das Ganze wirkte wie ein kleines Indianer-Dorf.

Irgendwann fing ich an Musik zu hören und stopfte mir die Ohrenstöpsel in die Ohren. Laut brüllte mich zuerst Justin Bieber an und ich stellte die Musik direkt leiser. Damals, als Louis und ich auseinander gegangen waren, hatte ich mich nur so von the Wanted und Justin beschallen lassen.

Mit Musik war es leichter zu arbeiten. Ich hüpfte voller Energie die Treppen wieder runter, um nach der Kiste mit den Lichterketten zu suchen. In der Küche sah ich, wie Sophia und Sebastian das Mittagessen zusammen vorbereiteten.

Er saß bei ihr auf der Arbeitsplatte und kaute auf einer Karotte herum. Dabei erzählte er ihr etwas, was sie immer wieder zum Lächeln brachte. Kurz hielt ich inne, denn Sophia und Sebastian wirkten als Bild sehr vertraut, obwohl sie erst vor über einem Monat aufeinandergetroffen waren. Würde man ein paar Details nicht wissen, könnte man sie für Mutter und Sohn halten und das war erschreckend. Dass sie Liam trotz der unausgesprochenen Probleme heiraten wollte, machte mir immer noch Magenschmerzen.

Ich trug die Kisten nach oben, beobachtete im ersten Stock, wie die Arbeiter und die Jungs Schränke aufbauten und Hochbetten. Bohrer waren zu hören und hitzige Diskussionen.

„Nein, stopp, der Schrank wird schief!"

„Harry, halt mal."

„Ich halte schon die ganze Zeit, meine Arme schlafen gleich ein!"

„Aua! Scheiße, das war mein Zeh!"

Schmunzelnd schleppte ich mich höher und setzte die Kisten ab, um im zweiten Stock eine kurze Pause zu machen. Dabei fiel mein Blick zu einer angelehnten Zimmertür. Ein Schatten machte mich stutzig, Sekunden später riss ich den Mund auf, denn ich sah, wie Niall Nella zu sich zog und küsste.

Donnerlittchen ging das zwischen den beiden ab. Ich ertappte mich beim Starren, als wäre ich in einem romantischen Film gefangen. Die Art, wie Niall Nella berührte, an ihrer Wange entlang strich und wie er sie musterte, machte mich neidisch. Wusste sie, wie er sie ansah? Ich konnte es nicht einschätzen.

Erst die raue Stimme David Bowie erinnerte mich daran, dass ich hier nicht im Kinosaal war. Unter dem Dach angekommen stellte ich mich auf einen Hocker und fing an die Lichterkette an dem schrägen Dach zu befestigen.

Doch leider war ich nicht halb so talentiert darin Nägel ins Holz zu schlagen, wie ich es gerne hätte. Mir brach ein Fingernagel ab und als ich mir den Hammer direkt auf den Daumen schlug, fluchte ich. Der Hammer rutschte mir aus der Hand und der Nagel blieb schief im Holz.

„So ein Dreck!", fluchte ich und hörte dann jemanden lachen. Erschrocken stolperte ich fast vom Hocker, doch feste Hände griffen nach mir und bewahrten mich vor einem Sturz.

Ich brauchte keine drei Herzschläge, um zu wissen, wer mir geholfen hatte. Louis roch noch immer so betörend, wie zu der Zeit, als wir zusammen waren. Kurz schloss ich die Augen und innerhalb eines Bruchteils öffnete ich sie wieder. „Danke."

„Was hast du da versucht?", fragte er und sah auf den krummen Nagel. Verunsichert antwortete ich: „Die Lichterketten sollten einmal um die Tipis herum, ich dachte, wenn man sie anmacht, dass es gemütlich wirkt. Die anderen zwei sollten um die Stützpfeiler. Die wollte ich eigentlich noch mit Masken schmücken und... ja..."

Ohne zu zögern hob Louis den Hammer auf. „Gib mir einen neuen Nagel."

Ich nahm einen aus der Dose und reichte ihm Louis. Die nächsten Minuten waren wir damit beschäftigt die Lichterkette mit den Sternen-Lämpchen aufzuhängen. Als wir fast fertig waren fragte Louis: „Was hörst du da?"

„Ach, alles durcheinander. Von Bon Jovi bis hin zu Yiruma, ich habe mich da nicht festgelegt", meinte ich ausweichend, doch als Louis den letzten Nagel in das Holz geschlagen hatte, hielt er seine Hand hin. Zögerlich wechselten wir Positionen und ich reichte ihm mein Handy, damit er die Playliste durchgehen konnte.

„Du hast die Backstreet Boys hier drauf?", zog er mich auf und ich lief rot an, da er direkt auf den Song blickte: „Da hattest du aber einen kitschigen Moment, als du dir die alten Männer drauf geladen hast."

„Sei bloß still. Was findet man bei dir, Dead Brain Cells und OutKast?", ging ich zum Gegenangriff über. „Hörst du dir die frauenfeindlichen Texte an und denkst dir; Ja Mann, alles Bitches?"

Statt sich provozieren zu lassen, antwortete Louis nur: „Nein." Ich sah ihn abwartend an, dann gab er zu: „Okay, ich hatte da eine Phase, aber die hat sich gelegt, als Harry eiskalt meine fragwürdigen Musikdatein gelöscht hat." Und er zu faul gewesen war, sich alle Songs neu zu beschaffen.

Ich war fertig, die Lichterkette hing und ganz automatisch schien Louis mir seine Hand hinzuhalten, damit ich wieder sicher vom Hocker stieg. Plötzlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, es war echt und aufrichtig. Auf meiner Haut prickelte es, denn das Lächeln war einst einer der vielen Gründe, warum ich mich in Louis verliebt hatte. Kurz darauf schaltete er mein Handy auf Freisprecher und ein Song dudelte los.

„Oh mein Gott!", entwich es mir und ich prustete. Fast hatte ich vergessen, dass dieses Lied noch in meiner Playliste existierte. Darlin' von den Beach Boys gab sich die Ehre. „Dazu haben wir auf der Hochzeit deiner Mutter getanzt." Ich wollte das nicht sagen, aber es rutschte mir einfach raus.

Zu meiner Überraschung nickte Louis: „Ja, nachdem du mir am Abend wütend nur noch den Hintern zu gedreht hast, weil ich nicht einmal dazu gekommen bin, mit dir auf der Tanzfläche ein paar Runden zu drehen."

Der Tag war tierisch anstrengend gewesen, Louis ständig unterwegs und ich hatte den gesamten Tag auf den Tanz gehofft, den er mir versprochen hatte. Mit allen möglichen Leuten hatte ich getanzt, nur mit Louis nicht.

Einmal One Direction durch, dann mit jeden alten Mann ohne Krücke und künstlicher Hüfte entlang, nur mein eigener Freund war nicht aufzutreiben gewesen.

Am Abend war ich pissig ins Bad verschwunden, während Louis nur so vor sich hin geschimpft hatte, dass er froh war, alles überstanden zu haben. Erst, als ich mich schweigend in seinem schmalen Bett auf die Seite gedreht hatte, war bei ihm der Groschen gefallen.

„Wir haben das alte Radio deines Gramps in der Garage angemacht", erinnerte ich mich weiter und Louis grinste noch breiter: „Ja, es hat nach Abgase und Benzin gerochen. Trotzdem haben wir zu Darlin' einfach getanzt."

Dann schwiegen wir plötzlich und mir wurde die Situation unangenehm. Ich räusperte mich und die letzten Töne von Darlin' verstummten. Zu meiner Verwirrung startete Louis das Lied noch einmal, dann sah er mich an. „Ein letztes Mal?"

Ich zögerte, doch gleichzeitig sagte ich mir, wieso nicht? Ein letztes Mal wäre ein schöner Abschluss. Meine Hand legte sich in die von Louis und als er mein Handy in seine Hemdtasche steckte, begannen wir lebendig zu tanzen.

Schwungvoll drehte mich Louis und schlug die Tanzschritte eines Swing an. Ich musste lachen und für diese knappen zwei Minuten fühlte es sich wieder so an, als wären wir in der Garage der Tomlinsons. Über uns flackerte die alte Glühbirne, das Radio dudelte im Hintergrund, wir waren barfuß und im Pyjama.

Damals war alles so wundervoll gewesen. So wie jetzt auch.

In Louis' Armen fühlte ich mich sicher, daheim und wohl. Tief atmete ich seinen Geruch ein, der einfach von ihm selbst ausging, berührte ihn und verdrängte einfach, was eigentlich alles zwischen uns vorgefallen war.

Ich spürte Louis' Atem in meinem Nacken, nur kurz, dann wirbelte er mich wieder herum und wie immer stolperte ich und er fing mich auf. Unser Lachen schallte durch den Raum und dann, als die Beach Boys ihr Lied beendeten, war der Zauber auch schon vorbei. Ich hatte ihn sehr genossen und einmal mehr spürte ich, wie sehr mir Louis eigentlich unter die Haut gegangen war.

Wir waren nicht sanft, ruhig und harmonisch gewesen. Sondern wild, chaotisch und laut. Ganz egal was wir gemacht hatten. Jeder Tag glich einem Abenteuer. Bei uns hatte es nur ein Hoch und ein Tief gegeben. Das dazwischen existierte nicht und das hatte schließlich dazu geführt, dass wir einander mehr verletzten als guttaten.

Langsam machte ich einen Schritt von Louis weg und sah ihn an. Direkt und geradeheraus, etwas, was ich zuletzt getan hatte, als wir die Cottages abgewandert waren und ich die Nerven verlor.

Es juckte mir in den Fingern Louis' chaotisches Haar zu berühren, ihn noch einmal an mich zu ziehen, ihn zu küssen und mich noch mal so zu fühlen, wie ich es tat, als es noch ein 'wir' gegeben hatte.

Doch ich konnte diesem Druck nicht nachgeben. Stattdessen streckte ich die Hand aus und wartete, dass er mir mein Handy zurückgab. Er kam dem nach und ich sprach: „Danke, ich muss hier dann weiter machen."

Ich stellte den Lautsprecher aus und als ich wieder hochsah, hatte Louis einen Schritt auf mich zu gemacht.

Plötzlich gab es keinen Abstand mehr, er schien keinen Wert mehr draufzulegen. Seine Hand berührte meine Wange, glitt in mein Haar und dann streifte sein Atem meine Lippen. Nur noch wenige Zentimeter trennte sie voneinander. Ich hielt unweigerlich die Luft an, regte mich nicht mehr und spürte mein Herz fast aus der Brust springen.

Meine Finger gruben sich in die Falten seines Hemdes, ich konnte jede einzelne Wimper seinerseits sehen, das klare Blau seiner Augen und eine Gänsehaut rieselte über meinen Körper, als Louis flüsterte: „Sag etwas."

Aber ich hatte nichts zu sagen, ich wartete einfach nur ab.

Für Louis war das scheinbar genug, denn er überbrückte die letzten Zentimeter. Seine Lippen berührten meine. Nur leicht, wie ein Lufthauch. Trotzdem kam es mir vor, als würden wir uns heftig und hart küssen. Meine Lippen wollten mehr, ich wollte mehr.

Doch noch bevor ich reagieren konnte, zuckten Louis und ich zusammen und wichen so geschockt auseinander, wie zwei Teenies, die beim Fummeln erwischt worden waren.

„Louis, Harry will, dass du ihm bei den Doppelbetten hilfst", informierte uns eine kindliche Stimme. Wir fuhren herum und sahen Sebastian in der Tür stehen. Er sah uns unschuldig an: „Oder kannst du nicht helfen?"

„D-Doch", räusperte sich Louis belegt. „Doch, ich komme sofort, geh schon mal vor."

„Okay", schloss Sebastian nur und polterte die Treppe wieder runter bis in den ersten Stock. Beschäftigt wandte ich mich wieder den Kartons zu, die ich noch auspacken musste. Louis ging zur Tür, um hinter Sebastian her zu sprinten. Ich zog gerade die ersten Indianer-Masken aus der Kiste, als er noch einmal stehen blieb und sich umdrehte.

„Eleanor?"

Die Art, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich inne Halten. Plötzlich fühlte es sich an, als hätte ich einen Frosch im Hals.

„Ich habe nie mit Lani geschlafen." Er sagte das so ruhig, dass mir war, als hätte er mich angeschrien. „Ich wollte es dich nur glauben lassen."

Ich dachte an die Klamotten im Flur. Einen der schlimmsten Tage meines Lebens, und musste mich zwingen zu atmen.

Louis wartete nicht darauf, dass ich antwortete. Er ging einfach.

Der letzte Tanz symbolisierte das Ende. Sauber und ohne einen brutalen Bruch. Das Geständnis änderte daran nun auch nichts mehr.

Ich machte den Dachboden fertig und erst am Abend kam ich zurück in die Küche. Das Mittagessen hatte ich ausfallen lassen und Sophia mir ein Tablett hochgebracht. Sie half mir bei Kleinigkeiten und als ich am Ende des Tages den Dachboden verließ, war ich froh, auf gewisser Art und Weise eine Spur zu hinterlassen.

Nella, Sophia und ich tranken ein Glas Wein auf der Veranda und Nella erklärte mir, dass Mr Lee angerufen hatte. „Wir sollen einige Dinge in London klären. Vorerst werden wir hier nicht mehr gebraucht." Sie fing an mir zu erklären, dass wir uns um neue Verträge kümmern mussten, jene Sponsoren, die sich dem Projekt der Jungs anschließen würden.

„Ich werde euch vermissen", gab Sophia zu und ich bemerkte, dass sie automatisch den Kopf drehte, als sie Sebastian laut lachen hörte. Niall trieb mit ihm irgendwelche Faxen, die wir nicht sehen konnten.

„Ach, wir trinken das nächste Glas Wein einfach in London", meinte ich überschwänglich, dann sah ich Nella an: „Es sei denn hier wird wieder jemand zum Drückeberger, der keinen Spaß haben kann."

„Ich kann sehr wohl Spaß haben!", empörte sie sich und Sophia warf elegant ein: „Ja, vor allem mit einem gewissen blonden Iren."

Prompt prustete ich in mein Weinglas und wir hatten eine herrliche Diskussion. Es fühlte sich an, als wären wir alle drei schon langen Freundinnen, auch wenn es nicht so war. Trotzdem hoffte ich aufrichtig, dass aus dem Glas Wein in London etwas wurde.

Die letzte Nacht in Kendwood Park war für mich ruhelos und kurz. Noch während es dunkel war, schlich ich nach draußen und saß allein auf der Veranda. So lange, bis die Sonne langsam hinter den Bergen hervorkam und den Tag ankündigte. Loki lag neben mir, ich strich durch sein Fell.

Ich würde Kenwood Park vermissen, und zwar sehr. Das es mir nicht allein so ging, dass merkte ich, als Nella ihre Reisetasche in Sophias Auto wuchtete. Sie würde es uns geben, nachdem weder Harry noch Niall oder Louis ihre Autoschlüssel rausgerückt hatten. Liam brauchten wir da nicht einmal ansehen.

Was Nella und Niall beim Abschied miteinander beredeten, hörte ich nicht. Ich lehnte gegen das Auto und wartete. Die Jungs hatte ich schon verabschiedet und eigentlich hatten wir direkt nach dem Frühstück aufbrechen wollen.

„Dafür, dass da was läuft, verabschieden die sich aber sehr steif", merkte Sophia neben mir an. Wir lachten und nach einer halben Ewigkeit bequemte sich Nella endlich dazu, ins Auto zu steigen.

„Ich fahre!", verkündete ich. „Nachdem du dich endlich echt lahm von deinem Liebhaber verabschiedet hast."

„Niall ist nicht mein Liebhaber!", versuchte Nella mir im Auto zu erklären, doch ich lachte nur. Gut gelaunt stellte ich Sophias Musikanlage an und auf dem Weg zurück nach London wurden Nella und ich mit der Musik aus den 80ern verwöhnt.

So fiel der Abschied aus Kenwood Park leichter und ich hoffte, ich fand irgendeinen Vorwand, um diesen Ort irgendwann noch einmal zu besuchen.

„Was will Mr Lee eigentlich genau?", fragte ich nach einer Stunde. Nella, die gut gelaunt den aktuellen Song mit gegrölt hatte, neigte den Kopf: „Er hat sein Lieblingsmädchen vermisst."

„Ach leck mich doch", überging ich das undamenhaft. „Es wundert mich sowieso, dass wir so lange wegbleiben durften."

„Mich auch", stimmte Nella zu. „Jetzt wartet ein Haufen Papierkram auf uns und jede Menge Telefonate." Als hätte Gott sie gehört, klingelte Nellas Handy. Sie stöhnte und ich musste lachen. Sofort stellte ich das Radio leiser und konzentrierte mich auf die Autobahn.

Höflich versuchte ich dem Gespräch nicht zu lauschen, aber im Endeffekt verstand ich sowieso nicht allzu viel. Doch sie klang professionell und sachlich. Sofort war von der heiteren Nella nichts mehr zu sehen.

Das Gespräch war kurz und als Nella auflegte, war ihr Gesicht erschreckend ernst. „Eleanor, können wir in London noch einen Abstecher machen, bevor wir in der Kanzlei auftauchen?"

„Natürlich, wo willst du hin?", fragte ich und sie sprach: „Zum elften Polizeirevier. Ich muss dort etwas abholen."

Überrascht sah ich sie kurz an, aber Nella führte nicht weiter aus. Trotzdem platzte ich vor Neugier. Musste sie jemanden aus dem Knast holen? War das ein neuer Job?

Drei Stunden später standen wir in der Eingangshalle des großen elften Polizeireviers von London. Ich hasste Polizei-Stationen, leider war ich viel zu oft auf einer, um irgendeinem Anwalt zu helfen. Ganz am Anfang musste ich noch mitten in der Nacht raus und Mr Lee persönlich helfen. Zum Glück waren diese Einsätze Geschichte und er hatte einen neuen Sklaven gefunden.

„Grässlich dieser Ort", entwich es mir und Nella brummte etwas Zustimmendes. Sie musste zur Anmeldestelle und seltsamerweise ihren Ausweis vorlegen. Danach hockten wir auf den unbequemen Plastikstühlen und zogen uns einen bitteren Kaffee aus dem Automaten.

„Was machen wir hier, irgendeinem abgefuckten Promi-Arsch raushauen, der wegen Totschlag seiner Geliebten angeklagt wird?", fragte ich sarkastisch und stellte angewidert den Kaffee beiseite.

Nella lächelte: „So etwas Ähnliches hätte ich als erstes vermutet, als ich mitten in der Nacht Harry kennengelernt habe. Zum Glück war es kein erschlagenes Herzblatt im Schlafzimmer."

Komischerweise mussten wir lachen und ich sprach: „Glaub mir, Harry wird nie der Typ mit der toten Tussi sein. Ich tippe auf Liam."

„Hoffen wir, dass nicht Sophia die Dame ist", warf Nella ein und stand ätzend auf, als nach einer Ewigkeit ein Cop nach ihr rief. Sie musste an die improvisierte Rezeption treten, unzählige Papiere unterschreiben und bekam zwei Tüten.

„Das ist alles, zwei Junior Tüten der Justiz?", ich war entsetzt. Für diese lange Wartezeit hätten sie die Tüten auch ins Büro schicken können. Nella fasste die Tüten jedoch nicht an und ich fragte: „Was ist drin?"

Sie atmete tief durch und ich erkannte an der Art, wie sie krampfhaft um Beherrschung bemüht war, dass irgendetwas anders war.

„Es sind die letzten Beweise. Sie wurden heute nach Beendigung der Ermittlungen freigegeben."

Ich blinzelte: „Und du sollst sie wen geben?"

„Sie sind für mich", sprach Nella erschreckend ruhig. Mehr sagte sie nicht, doch als sie endlich nach der ersten Tüte griff, erhaschte ich den, in groben Buchstaben geschriebenen, Namen.

Samuel Charles Giffard.



⸙ ● ⸙ ● ⸙

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top