23 Verknüpfte Wege.
【 NIALL 】
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Im ersten Moment konnte ich nicht reagieren.
Dann sprach ich stotternd: „W-Was?"
Harry sah mich ernst an, atmete tief durch und sein Schlamm verschmiertes Gesicht verzog sich zu einem traurigen Lächeln: „Ich weiß, Niall." Er wiederholte sich mit ruhiger Stimme. Hinter ihm sah ich, dass sich die anderen Jungs langsam aus dem Schlammloch zogen.
„Auch wenn du es vielleicht nicht bemerkt hast, aber ich habe dir zugehört, wenn du versucht hast uns zu sagen, was los ist", sprach Harry weiter. „Von Anfang an."
In meinem Kopf rauschte es.
Ich dachte an all die Abende, die Harry vorbeigekommen war oder die Momente, in denen ich versucht hatte, ihnen zu erklären, wieso ich eine Pause wollte oder weshalb ich immer abwehrte, wenn es darum ging wieder ins Studio zu gehen.
Irgendwann, als die Pause anfing, da dehnte sie sich aus und mittlerweile ging sie bald ein ganzes Jahr lang.
„Es war schlimm dich nicht zu verstehen", gab Harry zu, „nicht nachvollziehen zu können, was du eigentlich meinst."
„Das war es!", stimmte Louis heftig zu und begann ebenfalls sich auszuziehen und sich vor Ekel wegen dem Schlamm zu schütteln. „Aber weißt du was das aller Schlimmste war?"
Ich sah ihn an und Louis hielt schließlich inne: „Du hast einfach aufgehört mit uns zu reden."
Als Louis mich ebenso direkt anblickte, wurde mir eiskalt und dann sprach er laut: „Es hat uns fertig gemacht Niall! Weißt du wie das ist für jemanden da zu sein, der einem das Gefühl gibt, dass er das überhaupt nicht will?"
„Das habe ich nie getan!", hielt ich empört dagegen, doch Louis warf wütend sein verdrecktes Shirt zu Boden: „Natürlich hast du das getan!"
Knallhart schob er sich an Harry vorbei: „Wir haben es Wochenlang, wenn nicht sogar Monate versucht. Jeder auf seiner Weise, aber du wolltest nicht!"
„Hör auf so einen Scheiß zu erzählen!", fuhr ich ihn an und in diesem Moment schien er rot zu sehen: „Scheiß zu erzählen? Jetzt hör mal gut zu!"
Er stieß mich ein paar Schritte zurück und ich taumelte prompt.
„Mit Liam hast du überhaupt nicht mehr geredet, mit Harry nur über Oberflächlichkeiten gesprochen und als du angefangen hast, um eine Pause zu bitten, was glaubst du wer seinen Kopf da hingehalten hat, damit unser Management jemanden die Schuld dafür geben konnte, dass wir nicht ins Studio tanzen?"
Ich blinzelte Louis an und er fauchte: „Es war immer okay für mich, meinen Arsch hin zu halten, weil ich dachte, dass du einfach nur Zeit brauchst. Aber aus einer Woche wurde ein Monat und aus einem Monat ein halbes Jahr!"
Ich hatte Louis noch nie so laut werden gehört. Er raufte sich die schlammgetränkten Haare. „Und dann hast du angefangen dich komplett abzukapseln. Keiner von uns hatte irgendeine Chance, denn es war egal was wir taten. Ob wir dir die Tür mit Essen einrannten-"
Sofort hatte ich Liam vor Augen und die Armee an Tupperware, die er angeschleppt hatte. Selbst gekochtes Essen für ganz Hogwarts und ich hatte über die Hälfte davon noch nicht einmal angerührt."
„- ob wir mit Bier anrauschten, Chips und diesen widerlichen Bacon-Flips-"
Harrys breit grinsende Miene erschien und ich sah automatisch zu ihm.
„- oder ob wir hinter dir herrannten, obwohl du ein Tempo drauf hattest, als wärst du auf der Flucht!"
Prompt erinnerte ich mich an Louis, wie er morgens vor meiner Haustür stand zum Joggen, wahrscheinlich, ohne nach der rauschenden Party ins Bett zu gehen und hinter mir hergekeucht war.
„Ich wäre fast regelmäßig an meiner beschissenen Raucherlunge verreckt! Aber das war egal, alles war egal, weil wir alle nur wollten, dass wir für dich genau solche Freunde sein konnten, wie du es immer für uns warst!" Louis' wütende Stimme jagte über unsere Köpfe hinweg. „Aber das konnten wir nicht! Harry musste uns erst diesen Bullshit hier aufladen, bis dir endlich einmal die Hutschnur hochgeht und Niall ganz ehrlich, ich hätte drauf verzichten können!", er rieb sich genauso überflüssig über das vollkommen verdreckte Gesicht, wie ich zuvor.
Dann spuckte er und fluchte: „Keiner von uns weiß, warum er das überhaupt getan hat-", Louis warf seinen besten Freund einen wütenden Seitenblick zu. „- weil wir bereits alle schon aufgegeben haben zu hoffen, dass wir dich je zurückbekommen!"
Meine Hände ballten sich zu Fäusten, Louis schnaubte und dann sprach er: „Wir sollten wirklich aufgeben, Niall, denn du willst nicht. Das sollte schließlich alles sein, was wir wissen mü-"
Weiter ließ ich ihn nicht reden, sondern umarmte ihn fest.
Warum wusste ich nicht, ich tat es einfach. Nie hatte ich einen Gedanken an all das verschwendet. Ich hatte nur verschwinden wollen und meine Freunde waren für mich die Störenfriede gewesen, die das immer verhindert hatten.
Überrumpelt ließ Louis das zu und ich spürte, dass er angestrengt aus- und einatmete. Er erwiderte die Umarmung und ich ignorierte, dass wir beide stanken, als kämen wir aus einem Rattenloch.
„Es tut mir leid", entwich es mir mit zugeschnürter Kehle. „Das...ich... das wollte ich nicht", fing ich an zu sammeln als Louis mich losließ und plötzlich spürte ich eine imaginäre Hand an meiner Kehle.
„Ich...", mir fehlten die Worte. Ich hatte nie gewollt, dass sie sich schlecht fühlten, dass sie sich Sorgen machten, oder gar diese Hilflosigkeit verspürten, die Monate lang ein ständiger Begleiter Meinerseits gewesen war.
„Verdammt!", störte Harry die angespannte Stimmung zwischen uns. Er schlüpfte aus seinen Schuhen: „Ich glaube, ich habe ein Vieh zwischen meinen Pobacken!"
Gus ließ sich von Big M aus der Brühe ziehen und brummte: „Es wäre gesundheitlich gesehen besser, wenn... ein Bad nicht mehr allzu weit entfernt wäre."
Niemand von uns hörte auf sie, wir blieben alle an Ort und Stelle während diese Marine-Typen an uns vorbeizogen. Wir hörten nur noch den Wald und schließlich kippte Liam seine Treter aus und ließ die Suppe auf den Waldboden plätschern.
Schlussendlich warf er die Turnschuhe frustriert in das Gewässer. Er war es auch, der etwas sagte, nachdem wir zum ersten Mal seit Jahren zu fünft am selben Ort weilten.
„Wir warten auf dich, Niall."
Zuerst verstand ich nicht, was Liam mir damit sagen wollte. Stur sah er auf das Gewässer. Das feuchte Gras unter meinen Füßen ließ mich frösteln. „Wie meinst du das?"
Harry antwortete jedoch: „Was Liam damit meint ist, dass wir nicht zurück auf die Bühne wollen, wenn du nicht dabei bist. Eigentlich warten wir seit über einem halben Jahr, dass du zu dir selbst zurückfindest."
Damit zog man mir den Boden unter den Füßen weg.
Zu mir selbst zurückfinden.
Es war ein lapidarer Satz, doch in ihm steckte so viel Unmöglichkeit, als würde man von mir verlangen, dass ich eine Pyramide mit bloßen Händen versetzte. Heftig biss ich mir auf die Unterlippe und dann drehte ich mich einfach um und humpelte den Pfad zurück zum Weg.
„Niall", hörte ich Louis noch sagen, aber ich hob nur abwehren die Hand: „Lass es stecken." Erst da merkte ich, dass ich heftig atmete. Ich hatte Seitenstechen und eine brutale Müdigkeit erschlug mich.
Der Weg zurück zum Haupthaus war weiter, als ich geglaubt hatte. Zwischenzeitlich fluchte ich laut, weil ich in Steinchen und Stöcke getreten war. Ob mir einer der Jungs folgte, wusste ich nicht, denn ich drehte mich nicht um, sondern stampfte stur voran. In meinem Kopf rauschte es. Immer wieder hallten Liams Worte in meinem Kopf wieder.
„Wir warten auf dich."
Nein, nein, nein!
Sie sollten nicht warten, nicht auf mich und schon gar nicht mit dieser ekelhaften Geduld. Ich wusste, wie gerne sie alle auf der Bühne standen, dass es für sie nichts anderes gab, was sie je machen wollten.
Harry war perfekt dafür, die Menschen auf der Bühne zu begeistern, Louis bewies den richtigen Riecher für große Hits und Liam unterstrich mit seiner Stimme in jedem Song das gewisse Etwas. Ich wollte nicht der Grund dafür sein, dass sie all das nicht mehr taten.
Eleanor entdeckte mich als erstes. Sie sprang fast vom Schaukelstuhl und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ohne ein Wort zu sagen schritt ich an ihr vorbei. Hinter mir stolperte Nella aus der Küche, aber da war ich schon an der Treppe, auf dem Weg ins obere Bad.
„Niall, hey, alles in Ordnung mit dir?", hörte ich ihre Stimme, doch ich antwortete nicht. Oben schnappte ich mir Klamotten aus der Reisetasche und schleppte mich ins Bad, dabei bemerkte ich, dass ich barfuß eine ziemliche Dreckspur hinterlassen hatte. Doch es war mir egal.
Im Bad schloss ich die Tür und stellte die Dusche an, damit das Wasser warm war, sobald ich drunter sprang. Mir schmerzte jeder Muskel, als ich schließlich in die Wanne kletterte und das Wasser auf mich niederprasseln ließ, sah ich wie es sich zu meinen Füßen braun verfärbte.
Den Dreck aus meinen Haaren zu waschen dauerte lange. Ich musste sie waschen und es war aufwendig die Nägel wieder sauber zu bekommen. Am Ende brannte nicht nur meine Haut, sondern auch mein Kopf. Schwerfällig kletterte ich wieder aus der Wanne und begann mich anzuziehen. Dabei fiel mein Blick auf mein Spiegelbild.
Prompt musste ich mich auf den Rand der Wanne setzten.
Ich konnte da nicht hinsehen, doch als ich den Blick von meinem Spiegelbild nahm, da streifte ich die lange Narbe auf meinem Unterarm. Egal wohin ich schauen würde, ich würde immer an diesen Unfall erinnert werden, der mir alles genommen hatte. Es hatte nur Sekunden gedauert und alles hatte sich verändert.
Schon länger hatte ich keine Alpträume mehr gehabt, der letzte war fast drei Wochen her. Trotzdem erinnerte ich mich an jedes einzelne Detail, als wäre es erst gestern gewesen.
Die Stille, nachdem der LKW mich umgemäht hatte.
Der beißende Geruch von Staub und Abgase.
Der andere Fahrer, dessen blauen Augen sich so fest in mein Gedächtnis brannten, dass ich sie nie vergessen würde.
Sein Flüstern hallte in meinen Ohren wider, wie er davon sprach, dass wir fliegen würden. Ich hatte das nie verstanden. Manchmal wünschte ich, dass ich wüsste, wer er war und das, obwohl ich nie mit ihm gesprochen hatte.
Einmal, als ich in einem ganz besonders tiefen Loch, voller Überforderung, Hilflosigkeit und Ruhelosigkeit gesessen hatte, war mir, als wäre ich dem Fahrer irgendwo schon einmal begegnet, aber ich hatte mich nie daran erinnern können, ob ich mir das nur einbildete.
In dieser Zeit hatte ich mir vieles eingebildet. Unsagbare Schmerzen, Dinge, die mir folgten wie Schatten und eine unerklärliche Wut darauf noch zu existieren.
„Niall?"
Warme Hände berührten meine und ich sah erschrocken auf. Nella beugte sich zu mir runter, sie blickte mich besorgt an und ich griff mit zitternden Fingern nach einem Handtuch, um mir die Haare trocken zu rubbeln.
„Ich habe mehrmals geklopft und keine Antwort bekommen", erklärte sie sich. „Was ist los?"
Meine Kehle schnürte sich noch immer zusammen, ich atmete langsam aus und ließ das Handtuch sinken. „Das weiß ich selbst nicht."
Ohne sich zu bewegen, blieb sie vor mir hocken, stütze sich auf meinen Knien ab und scannte mein Gesicht. „Doch, ich glaube schon. Du willst es nur nicht laut aussprechen."
Schweigend musterten wir einander. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Mal wieder nicht. Manchmal machte mich das wütend, aber in Momenten wie diesen war ich irgendwie froh drüber.
„Weißt du, nur weil man etwas laut ausspricht, werden die Dinge nicht schlimmer", meinte sie und meine Mundwinkel zuckten automatisch. Ich legte das feuchte Handtuch beiseite, dann sprach ich: „Meine Freunde warten darauf, dass ich wieder so werde, wie früher."
Es war raus und Nella hatte recht, es wurde nicht schlimmer. Sie runzelte leicht die Stirn: „Und das ist so furchtbar, weil?"
„Ich nicht weiß, ob ich je wieder so werde. Ich meine, dass bin ich nicht mehr. Viele Dinge, die ich früher gerne getan habe, sind nun die Pest. Es ist, als habe sich der Fokus einfach verändert und ich will ihn nicht wieder zurückschieben", sprach ich mit rauer Stimme.
Ich war nicht sicher, ob Nella verstand, was ich damit eigentlich meinte. „Sie wollen wieder zurück auf die Bühne, aber Nella, dass ist das Letzte, was ich will."
„Wie sehr willst du das nicht?", fragte sie sanft und mir rutschte prompt raus. „Unter gar keinen Umständen!"
Nun stand ich auf, meine nackten Füße gingen über den kalten Boden und hinter mir setzte sich Nella nun auf den Badewannenrand. Mit beiden Händen rieb ich mir über das Gesicht und musterte meine armselige Erscheinung im Spiegel.
„Vielleicht ist nicht die Bühne selbst das, wovor du Angst hast, sondern der Weg dahin", hörte ich Nella sagen und sah sie im Spiegel an.
„Was?", entwich es mir und sie stand auf: „Na ja, du hast gesagt, dass dieses unglaubliche Gefühl, dass du immer auf der Bühne hattest, weg ist. Deshalb denke ich, dass nicht die Bühne dein Problem ist, sondern der Weg, der dich dahin zurückführen könnte."
Nun drehte ich mich um und sah, dass sie sich gegen die geschlossene Tür lehnte. „Vielleicht hast du viel eher Angst, dass, wenn du diesen Weg gehst, am Ende feststellen musst, dass dieses Gefühl dir immer noch fehlt."
Schweigend musterte ich sie und Nella führte ruhig aus: „Das ist in Ordnung, ich meine, ich hätte wahrscheinlich auch Angst. Vor allem würde ich das alles nicht allein machen wollen. Du weißt schon, den Weg zurückfinden. Ich hätte an deiner Stelle wohl jemanden dabei haben wollen."
Jemanden, den man haltlos vertrauen konnte, schoss es mir durch den Kopf.
Der Druck auf meiner Brust ließ nach, die Hand um meine Kehle verschwand. Ich konnte wieder frei atmen und die anfängliche Panik wurde Schritt für Schritt unterdrückt.
Ohne darüber nachzudenken trat ich auf Nella zu und beugte mich zu ihr runter. Ich küsste sie, atmete ihren zarten Duft ein und strich durch ihr weiches Haar.
Sie zu küssen fühlte sich vertraut und warm an. Der Kuss war leicht und sanft, er hatte nichts Aufdringliches an sich. Nella schmunzelte gegen meine Lippen und eine Weile standen wir einfach nur so dicht beieinander. Ihre Arme schlangen sich um mich und zogen mich noch näher zu sich. Es tat gut ihre Körperwärme zu spüren.
„Im Übrigen, ihr habt furchtbar ausgesehen, als ihr zurückgekommen seid", sprach Nella und grinste breit. „Sebastian hat sich totgelacht."
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen", brummte ich.
„Sophia hatte Mühe ihm auszureden, dass sie ebenfalls ein Schlammbad nehmen", erzählte sie weiter. Meine Stirn lehnte gegen ihre und ich hätte ewig mit ihr in diesem kleinen Bad stehen können, ihr dabei zu zuhören, wie sie mir etwas erzählte und ihren warmen Körper an meinen zu spüren.
„So romantisch das hier auch finde", sprach Nella schließlich, „mir knurrt der Magen und Sophia hat versprochen, dass wir heute draußen essen."
Ich ließ sie los und etwa fünfzehn Minuten später betrat ich dick angezogen die Küche. Sebastian saß bei Sophia auf dem Schoss und half ihr beim Kneten eines Teiges.
Sein kindliches Gesicht war mit Mehl verschmiert und er strahlte mich begeistert an: „Niall, wir machen Stockbrot! Man kann es genauso essen wie Marshmallows. Wir können doch wieder Marshmallows machen?"
Draußen essen bedeutete, dass Louis und Harry vor dem Haus eine Feuerstelle aufbauten. Geschlagenes Holz wurde gesammelt und noch bevor die Flammen Wärme spenden konnten, verabschiedeten sich die drei Marines von Harry.
Klappstühle, eine Bank und andere Sitzgelegenheiten wurden um die Feuerstelle herum aufgestellt. Mittlerweile waren alle frisch geduscht und das Abendessen war wirklich lecker. Würstchen, Salate, Stockbrot. Es war seltsam so friedlich zusammen zu sitzen, auch wenn sie die Anspannung nicht verleugnen ließ.
Sebastian lag schließlich sichtlich müde und mit verschmiertem Mund in Louis Armen, der sich nicht daran zu stören schien und gelassen an seinem Bier nippte. Eleanor beugte sich nach einer halben Stunde über den Jungen und bot an ihn ins Bett zu bringen.
Die behutsame Art, wie Louis ihr Sebastian in die Arme legte, hatte etwas seltsames an sich. Es wirkte vertraut, so als hätten sie so etwas schon öfters gemacht. Erst als Eleanor mit dem Jungen zum Haupthaus ging, wurde mir klar, dass sie sich so auch einst um Louis' Geschwister gekümmert hatte.
Sophia fing an die Teller und Schüsseln zusammen zu räumen und als Nella, die neben mir im Klappstuhl saß, sich ebenfalls erhob, wurde mir klar, dass die Frauen sich indirekt abgesprochen hatten. Nella half Sophia, nahm ihr Geschirr ab und möglichst unauffällig verschwanden sie.
Ich öffnete mir ein neues Bier und ließ den Blick schweifen. Mittlerweile erhellte nur noch das Lagerfeuer die Umgebung und das Licht, das im Haupthaus brannte.
Mich erinnerte die Situation an die Zeit, bevor wir mit One Direction zu einer festen Gruppe wurden. Damals hatten wir im Bungalow von Harrys Stiefvater geschlafen, im Pool Faxen gemacht und herum geblödelt, statt für einen Auftritt zu üben. Wir hatten ein Lagerfeuer machen dürfen und uns drum herum versammelt.
Sowie jetzt auch.
Jeder trug seine Jacke, Zayn hatte sogar eine Mütze über die Ohren gezogen. Zu hören war nur noch das Knistern des Feuers. Liam legte immer wieder Holz nach und Louis schob mit einer Eisenstange die Scheitel zurecht. Ich schob meine Snapback aus der Stirn und sah in den Himmel.
Es war ein sternenklarer Abend, selten hatte ich sie so intensiv gesehen, wie in Kenwood Park. Die Bäume um uns herum strahlten etwas Bedrohliches aus, doch trotzdem machte mich das nicht nervös. Früher wäre das anders gewesen.
„Es tut mir leid."
Überrascht blinzelte ich und sah dann nach rechts zu der Bank, auf der Zayn saß.
„Wie bitte?", sprach ich und Zayn schluckte: „Es tut mir leid, dass ich eure Freundschaft nicht zu schätzen gewusst habe und euch so schlecht behandelte."
Louis schnaubte: „Alter, du hast live verkündet, dass ich Steuern hinterzogen habe, weißt du, wie lange ich die Polizei am Hals hatte? Ich musste Monate lang sämtliche Ausgaben, Überweisungen und jeden anderen finanziellen Pups offenlegen!"
„Das war ganz und gar nicht cool", stimmte ich zu und blickte kurz zu Harry. Zayn hatte damals in die Welt posaunt, dass er Taylor während der kurzen Beziehung betrogen hatte. Für Harry war das bitter gewesen, denn es hatte zu einem heftigen Angriff von Swifties geführt.
Die Journalisten hatte ihn als Fremdgänger in der Presse zerrissen. Zwar entsprach Zayns Aussage der Wahrheit, aber da Harry Taylor damals schwor, dass es nicht der Fall gewesen war, wurde seine Behauptung eiskalt widerlegt.
Er war mehrmals nach New York geflogen und ich wusste bis heute nicht, ob Harry das mit Taylor bereinigt hatte. Insgeheim vermutete ich, dass sie nie ganz den Kontakt zueinander verloren hatten und an dieser 'wir sind oberflächliche Freunde' – Sache mehr dran war, als ich vermutete.
Schließlich hatte Harry danach lange die Öffentlichkeit vermeidet und eine Laune gehabt, für die Louis ihn so manches Mal an die Wand geklatscht hätte.
„Ich habe Mist gebaut", gab Zayn zu. „Das weiß ich und... ich habe Verständnis dafür, wenn ihr meine Entschuldigung nicht annehmen wollt."
Er sah von Harry, der seinen Blick ignorierte, zu Louis und dann zu mir. „Aber das ist alles, was ich euch anbieten kann. Ich werde nicht auf Knien betteln, das kann ich nicht. Das Einzige, was ich tun kann ist euch wissen zu lassen, dass es mir leidtut und... das ich hoffe, ihr seid mir ein besserer Freund, als ich es für euch gewesen bin."
„Wieso sollten wir das in Erwähnung ziehen?", fragte Louis gleichgültig und Zayn erhob sich ätzend. Es wirkte, als hätte er Muskelschmerzen und mir war, als hätte ich diese Art aufzustehen, schon einmal bei jemanden beobachtet. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, wie so viele Dinge.
Die Hände in seiner abgenutzten Jacke vergraben, blickte er Louis müde an: „Weil... ich eure Hilfe brauche. Jemand anderen habe ich nicht."
Das war alles was er sagte und obwohl seine Entschuldigung aufrichtig klang, hatte Zayn immer noch eine aufrechte Haltung an Stolz und Selbstgefälligkeit. Dass er nicht betteln würde, konnte ich nachvollziehen, aber ich an seiner Stelle würde es wohl dennoch tun, über meinen Schatten springen und alles dafür geben, dass sich die anderen wieder mir zuwenden würden.
Gleichzeitig fragte ich mich, als ich Zayn nachsah, wie er zurück ins Haupthaus ging, ob ich mich nicht in genau derselben Position befand. Immerhin hatte ich meine Freunde von mir gestoßen, wenn auch nicht verraten. Abgesehen von Louis.
Ich räusperte mich und beugte mich vor: „Lou, wegen Lottie, ich glaube-" Bevor ich weiter beichten konnte, winkte Louis zu meiner Überraschung ab: „Ach das. Du lieber Himmel. Ich hätte nie gedacht, dass sie dich immer noch nicht aufgeklärt hat."
Harry, der neben Louis auf einer umgedrehten Kiste saß, grinste breit: „Louis weiß das doch schon längst, Nialler. Lottie hat ihm direkt am nächsten Morgen gesagt, dass er nichts Falsches denken soll."
Nun lachte Louis sichtlich amüsiert: „Das Ganze ist meine Schuld, ich habe dich schließlich in der Bar abgefüllt, dann habe ich dich ins Bett gebracht. Aber weil du dich angekotzt hast, habe ich dich ausgezogen." Harry und Louis stießen je mit ihrer Bierflasche und der Coladose an, dann führte Louis aus: „Weil aber meine reizende Schwester wenig später genauso blau war-"
„- Und er sie nicht bei mir pennen lassen wollte", warf Harry amüsiert ein und Louis rollte mit den Augen: „Genau und ich mir mein Zimmer schon mit einer reizenden Südstaatenschönheit teilen wollte und Liam Sophia bei sich hatte, da dachte ich, ich schiebe sie in dein Bett."
Ich riss den Mund auf und Louis hob die freie Hand: „Tut mir leid, aber bei dir war ich mir ganz sicher, dass du sie im schlimmsten Fall einfach nur ankotzen würdest. Harry hatte damals eine wilde Phase und ich wollte nichts riskieren."
„Und da haltet ihr es nicht für nötig mich aufzuklären?", sprach ich empört. Louis und Harry brachen in Gelächter aus und letzter gestand: „Es war einfach zu lustig, sorry, ich hätte das wirklich nicht tun sollen."
Die Stimmung lockerte sich ein wenig. Ich schüttelte den Kopf und dann fragte Louis: „Was denkt ihr wegen Zayn?"
Zuerst sagte niemand etwas und es überraschte mich nicht, dass Liam meinte: „Jeder hat eine zweite Chance verdient."
„Nachdem, was Zayn abgezogen hat, überdenke ich die Sache mit der zweiten Chance", sprach sich Harry dagegen aus und leerte seine Cola, dann stand er ätzend auf und wirkte so müde wie nie. „Ich werde mich jetzt auf eine der reizenden Matratzen werfen, nachdem ihr es nicht mal geschissen bekommen habt, verdammte Möbel zu bestellen."
Er klang sichtlich entrüstet und ich rief ihm nach: „Diese Woche sollen echte Betten kommen. Du hast nur einfach ein mieses Timing."
Zum Dank bekam ich den Mittelfinger gezeigt. Louis klopfte mir auf die Schulter. „Lasst uns morgen über... das reden, was wir im Sumpf beim Wellness von uns gegeben haben, ja?"
Knapp nickte ich. Eins nach dem anderen. Ich blieb in meinem Klappstuhl sitzen und sah Louis nach der hinter Harry herzog. Dann fiel mein Blick auf Liam. Dieser hatte sein Bier geleert und machte sich ein weiteres auf. Die Mütze rutschte ihm tief ins Gesicht und er sah seltsam angespannt aus. Vor allem älter als er eigentlich war. Ich räusperte mich belegt: „Tut mir leid, dass ich dir eine rein gehauen habe."
„Passt schon", wehrte er lediglich ab und einmal mehr bekam ich zu spürten, dass Liam großzügiger damit umging, etwas zu verzeihen, als ich.
„Nein, so etwas ist nicht okay", sprach ich und musterte meinen einst besten Freund. Mochte sein, dass Andy immer Liams bester Kumpel war, das hatte mich nie gestört. Doch für mich war bis vor dem Unfall immer Liam derjenige gewesen, dem ich am meisten vertraute.
Das Gefühl von Sicherheit hatte sich in seiner Gegenwart verändert, aber ich wusste, dass Liam derjenige war, auf den ich mich immer verlassen konnte. Ich hatte ihm vertraut, und zwar ausnahmslos.
„Doch. Ich schätze, ich habe das gebraucht und auch verdient." Liam sah mich an, er lächelte schwach und nahm dann einen Schluck von seinem Bier. Ich dachte an das, was Nella mir im Bad gesagt hatte.
Kurz fummelte ich am Etikett meiner Bierflasche herum. Louis Worte vom Nachmittag geisterten mir durch den Kopf und ich musste zugeben, dass ich hier und jetzt ein paar Dinge ändern konnte.
„Liam?"
Er sah mich wieder an.
Tief holte ich Luft. „Ich kann nicht einfach wieder so werden, wie ich einmal war. Das ist nicht drin." Leicht richtete Liam sich auf und ich sprach weiter: „Gewisse Dinge haben sich einfach verändert. Ich kann das nicht auf Knopfdruck abstellen und so tun, als wäre ich jemand, der ich nicht bin."
Statt etwas dazu zu sagen, schwieg er und ich blickte kurz zum Haupthaus: „Ich weiß, dass ich die Musik geliebt habe, nichts war mir je wichtiger. Aber jetzt ist es, als wäre das Gefühl einfach ausgelöscht. Weg."
Zuerst hatte ich es darauf geschoben, dass in mir nach dem Unfall noch der Schock, die Anstrengungen und all die kleinen Unannehmlichkeiten herrschte. Doch als ich nach Wochen, den ersten Konzerten und unzähligen Nächten nichts als Frustration, Hass und Abneigungen verspürt hatte, musste ich der Tatsache ins Gesicht sehen.
Das Leben, was ich vor dem Unfall gelebt hatte, existierte nicht mehr.
„Ich hasse es", gestand ich. „Immer, wenn ich euch gesehen habe, egal ob auf der Bühne, bei Interviews, im Studio, oder wenn wir nur zu Hause saßen und irgendeiner eine neue Idee vorspielte-" Mal war es Louis am Klavier gewesen, oder Liam auf der Gitarre, selbst Harry, der nur einen neuen Text hatte, sie alle drängten mich unwissentlich brutal in die Ecke. „- ich hätte euch am liebsten angeschrien, es sein zu lassen."
Liam richtete sich nun vollkommen auf, mit beiden Händen hielt er die Bierflasche fest. Ein Holzscheitel fiel in sich zusammen und dann fragte er: „Willst du das wiederhaben, dass was uns alle zueinander gebracht hat?"
Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, der Kloß in meinem Hals wurde größer und größer. Das fremde Herz fing an zu rasen. „Ja, eigentlich schon, denn... ich weiß, es war früher ein unglaubliches Gefühl neben euch zu stehen und einfach nur ein Teil von all dem zu sein."
Ich hatte immer krampfhaft ignoriert, was ich alles verdrängt hatte. „Ich vermisse es, glücklich zu sein, nur weil ein neuer guter Song läuft. Mich darüber zu freuen das Justin ein Album herausgebracht hat, dass ich super finde, oder mit dir die Nacht durch zu machen, nur weil uns etwas im Kopf herumspukt, was wir noch nicht zu Papier gebracht haben."
Mit Liam hatte ich am liebsten über neue Songs gebrütet. Wir waren auf einer Wellenlänge, was das anging, auch wenn Louis zweifelsohne das geschicktere Händchen von uns hatte. Unseren Spaß tat das jedoch keinen Abbruch.
„Bleib hier sitzen", sprach Liam plötzlich und stand auf. Seine Bierflasche stellte er auf Harrys frei gewordenen Platz. Dann sah ich ihm verwirrt nach und fragte mich, was er vorhaben würde. Es dauerte knapp fünf Minuten, die ich alleine am Lagerfeuer hockte und abwartete. Dann kehrte Liam zurück und ich erkannte, dass er meine Gitarre in seiner rechten Hand hielt.
Er blieb vor seinem Klappstuhl stehen und sah mich an: „Hast du in den letzten Monaten einmal auf ihr gespielt?"
„Nein, ich weiß nicht einmal, warum sie hier ist", gab ich zu. Liam nickte knapp: „Also ist sie dir egal."
„Könnte man so sagen."
Kaum hatte ich das laut ausgesprochen, sah ich geschockt, wie Liam meine alte Gitarre auf die großen Steine schlug, die Louis um das Lagerfeuer herum positioniert hatte. Es knackte gewaltig und bereits beim zweiten Schlag brach der Hals des Korpus. Holz splitterte und achtlos warf er die lädierte und zerstörte Gitarre ins Feuer.
„Was zum-"
„Ich weiß nicht, wie wir das alles ändern können", sprach Liam ruhig. „Aber ich glaube, es ist falsch an alten Dingen festzuhalten, wenn wir etwas Neues suchen."
Sichtlich schockiert blickte ich auf die Reste der Gitarre und dann auf meinem Freund. Im Endeffekt erschreckte es mich selbst, wie egal mir die Gitarre war, die einst so viel Bedeutung für mich gehabt hatte.
„Ich will dich nicht ändern, Niall. Du bist wer du bist. Aber wenn du Hilfe dabei brauchst, die Musik für dich selbst neu zu entdecken, dann... will ich dabei sein." Er rieb sich mit dem Ärmel über das Gesicht und völlig verdattert fragte ich: „Heulst du etwa?"
„Nein", log er mich dreist an und atmete tief durch. „Ich... ich bin nur so froh..."
„Worüber?" Im Moment verstand ich nichts mehr. Liam sah angestrengt ins Feuer und das, was er dann sagte, ließ mich wissen, dass er mir den Schlag in sein Gesicht und all die Monate, die ich ihn weggestoßen hatte, wirklich verzieh.
„Ich bin nur froh, dass du wieder mit mir sprichst. Denn das habe ich wirklich vermisst."
⸙ ● ⸙ ● ⸙
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