21 389 Tage später.
【 ANTONELLA 】
━━━━
Wohin der Wind uns tragen würde.
Es war so vage formuliert, dass wir überall hätten landen können. Doch als wir im Auto saßen, bekam ich mehr und mehr das Gefühl, dass Niall den Weg vor uns besser sah als ich. Mittlerweile lief das Hörbuch nicht mehr und ich versuchte mich abzulenken. Ich schickte unnötige Nachrichten an meine Freundinnen, Hauptsache meine Hände waren beschäftigt. Von Kate hatte ich sogar schon Gemecker bekommen, ich sollte sofort aufhören sie mit Blödsinn zu spamen.
Langsam wurde es draußen dunkler und ich versuchte nicht darauf zu achten, wo wir hinfuhren, denn eigentlich war es sowieso egal.
„Bist du nervös?", durchbrach schließlich Niall die Stille zwischen uns und ich hob den Kopf. Kurz biss ich mir auf die Unterlippe, dann gab ich zu: „Ein wenig."
Niall blinzelte, dann fragte er: „Wieso?"
Nun ließ ich das Handy sinken und runzelte gespielt nachdenklich die Stirn: „Vielleicht weil ich immer an die verstauten Kondome in deiner Jackentasche denken muss und mich frage: Hm, was kann er nur damit vorhaben?"
Ich hörte Niall lachen: „Und das von einer Frau, die vor drei Wochen noch behauptet hat, dass sie mit mir nicht mal auf ein Date gehen würde, weil ich nicht ihr Typ wäre."
„In drei Wochen kann sich viel ändern", meinte ich nur und dann wurde er ernst, kurz sah er mich an: „Hat sich deine Meinung denn geändert?"
Unsicher rutschte ich tiefer ins Polster und sprach: „Du meinst, ob ich mit dir nun auf ein Date gehen würde, oder ob mich die Kondome immer noch nervös machen?"
„Beides."
Darauf antwortete ich nicht und nach einer Weile meinte er: „Weißt du, mit den Gummis kann man auch etwas anderes machen."
„Oh ja", entwich es mir sarkastisch. „Wir könnten die Dinger mit Wasser füllen und von Hochhäusern werfen."
„Man kann sie auch aufblasen bis sie platzten", half Niall aus. „Allerdings blasen wir dann ziemlich lange und besonders lecker ist das auch nicht."
Ich sah ihn sichtlich irritiert an: „Wer bist du und was hast du mit diesem irischen, mies gelaunten Promiarsch gemacht?"
„Ach komm, so ein Arsch war ich nie", hielt er dagegen, doch er knickte prompt ein, als er meinen Blick begegnete: „Okay, ich war vielleicht nicht besonders nett, das tut mir leid. Aber du hättest sonst wer sein können und ich wollte nicht unbedingt mit irgendeiner Story auf dem Titelblatt der Sun landen."
Nun schnaubte ich. „Als wenn ich ausgesehen hätte, wie eine Tratsch-Tussi."
„Punkt für dich", gab er freimütig zu. „Nun denn, Nella. Ich wollte eigentlich keine Wasserbomben mit dir basteln. Wäre das okay?"
Seine Direktheit kam überraschend und an einer Ampel hielt der Wagen, sodass wir uns einander ansahen. Zuerst wusste ich nicht, was ich sagen sollte, dann entwich mir: „Und das von einem Mann, der sich bis vor drei Wochen sicher war, mit mir niemals über Sex zu reden."
Niall schmunzelte: „Sag es noch mal."
„Was?"
„Das böse S-Wort, es klingt so nüchtern, wie du es aussprichst, irgendwie lustig", zog er mich auf. Mittlerweile hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt. Als Niall schließlich nach einer halben Stunde anhielt, sah ich aus dem Fenster und erblickte ein großes Schild auf dem The May Fair Hotel stand.
Das Gebäude war im klassischen englischen Stil gehalten und als ich mich umdrehte, sah ich in Nialls Gesicht. Er räusperte sich: „Nun denn, wir können immer noch zurück nach Kenwood Park fahren."
Ich begriff, dass es seine Art war, mir zu verstehen zu geben, dass ich entscheiden konnte, ob ich die vierundzwanzig Stunden wirklich mit ihm verbringen wollte. Statt direkt zu antworten, schnappte ich mir meine Tasche und stieß die Tür auf. Kurz darauf eilte ein Page auf uns zu und bot an den Wagen zu parken.
Zusammen betraten Niall und ich das The May Fair Hotel und automatisch passte ich mich der Umgebung an. Ich war eindrucksvolle Hotels und Häuser seit der Kindheit gewohnt. Für mich war es ein leichtes mich in der oberen High Society zu bewegen.
Scheinbar war Niall das ebenfalls gewohnt, denn er bewegte sich mit solch einer Gelassenheit durch das Foyer, dass es ihm egal zu sein schien, ob er Kleidungstechnisch einen Code brach, oder nicht.
Seine Hand hatte nach meiner gegriffen und wie von selbst verschränkte ich meine Finger mit den seinen. An der Rezeption fragte Niall nach freien Zimmern. Die Empfangsdame musterte ihn kritisch und reichte ihm schließlich eine Broschüre mit einer Übersicht an Räumlichkeiten.
„Ich kann Ihnen einige Empfehlungen aussprechen", begann die Dame, doch Niall wehrte ab: „Nicht nötig, ist ein Executive Room frei?"
Sie sah nach und kurz darauf waren wir auf dem Weg zum Fahrstuhl. Er hatte seine Wünsche so exakt und gelassen formuliert, dass ich im Fahrstuhl fragte: „Warst du schon einmal hier?"
„Nein", gab er zu. „Aber in London gibt es dieses Hotel ebenfalls und sie unterscheiden sich nicht großartig in ihren Leistungen und Räumlichkeiten."
Noch immer hielt seine Hand, meine fest und schließlich bemerkte ich, dass er konzentriert ein und ausatmete. Als würden ihm kleine Räume nicht behagen. Mein Griff um seine Hand verstärkte sich. Nachdem der Fahrstuhl hielt, hörte ich Niall erleichtert ausatmen, dann zog er die Magnetkarte durch den passenden Schlitz neben einer Tür und stieß diese auf. Schweigend standen wir nebeneinander um Türrahmen.
Eine Reihe an Bodenhohe Fenster erstreckte sich, umrahmt von dicken dunkelblauen Vorhängen. Sitznischen, mehrere Kommoden und andere Sitzmöglichkeiten erstreckten sich vor meinen Augen.
Ich ließ Nialls Hand los und machte die ersten Schritte in das Hotelzimmer, das nicht nur einen Raum für sich beanspruchte, sondern gleich drei. Im offenen Durchgang zum nächsten Zimmer blieb ich stehen und besah mir den Schlafraum.
„Nun denn", sprach ich belegt und drehte mich um. Niall hatte mittlerweile die Tür hinter sich geschlossen. Wir sahen einander an und scheinbar schien er sich genauso unsicher zu fühlen, wie ich.
„Nun denn", wiederholte er meine Worte, „wir sind alleine, uns wird hier definitiv niemand stören und dieses Mal kommt uns kein Detail dazwischen."
Ich stieß mich vom Türbogen ab und merkte, dass meine Nerven flatterten. Denn Niall hatte recht. Ohne groß darüber nachzudenken überwand ich den Abstand zwischen uns und griff zum Kragen seiner Jacke, dann stellte ich mich auf Zehenspitzen.
Als meine Lippen seine berührten, war jegliche Befangenheit verschwunden. In diesem Moment passierte alles von allein. Sein Geruch benebelte meine Sinne, seine Hände, die sich um meine Hüfte schlangen, gehörten genau dorthin und genießend schloss ich die Augen. Ich mochte die Art, wie Niall küsste.
Jedes Mal war es anders.
Obwohl ich ihn erst knapp 3 ½ Wochen kannte war er mir unglaublich vertraut.
Seine Lippen lösten sich leicht von meinen und ich öffnete die Augen. Niall wirkte plötzlich unsicher und ich bemerkte, dass er etwas nervös zum Bett sah.
„Was ist los?", fragte ich.
Er presste kurz die Kiefer aufeinander, dann sprach er: „I-Ich... habe das schon länger nicht mehr gemacht, okay?"
Ich verstand nicht sofort, worauf er hinauswollte, doch als er weiter redete musste ich schmunzeln.
„Wenn es also nicht bombig wird, dann tut es mir leid. Es ist nur so, dass ich... nicht so gut mit Druck umgehen kann. Also... hab bitte nicht allzu große Erwartungen."
„Das ist in Ordnung", meinte ich schließlich, dann räusperte ich mich belegt: „Ich meine... wir machen einfach nichts, was uns nicht gefällt und außerdem haben wir ja drei Versuche."
Niall sah mich an und wieder konnte ich in seinem Gesicht nicht lesen was er dachte. Ich hob kurzerhand die Arme und zog nach und nach eine Haarnadel nach der nächsten aus meinem Haarknoten. Schließlich fielen sie über meine Schultern und ich legte die Klammern auf einer Anrichte ab.
Dann knipste jemand mein Denken aus. Ich spürte nur noch Nialls Lippen auf meinen und registrierte, dass meine Hände an seinem Gürtel zerrten. Klamotten gingen zu Boden, mein Rock, die Bluse, sein Shirt. Schließlich stolperte Niall aus seiner Jeans. Irgendwo davor wurden wir den lästigen Kram, wie Schuhe und Socken los.
Wir stolperten. Niall mit den Rücken voran und ich hinterher.
Das Bett fing unseren Sturz auf und da hatte ich zum ersten Mal Zeit ihn in aller Ruhe zu betrachten. Zwei lange Narben zog sich an seinem linken Arm entlang. Ich hatte sie schon einmal gesehen, doch jetzt drangen sie bis in mein Bewusstsein vor.
Doch brutal gekennzeichnet war sein Brustkorb. Die erste Narbe ging direkt in der Mitte hindurch, die zweite an seiner linken Rippenseite entlang und die Dritte schließlich zwanzig Zentimeter dahinter an seiner Seite. Ich saß auf Nialls Hüfte und mit den Fingerspitzen ertastete ich die Markierungen. Unregelmäßig atmete er ein und aus.
In meinem Kopf rauschte es, denn ich hatte zwar gewusst, dass er einst einen heftigen Unfall gehabt hatte, aber langsam begriff ich erst die Tragweite. Mein Blick hob sich wieder und erneut sahen wir einander an. Nialls Hände glitten an meine Oberschenkel entlang und ich musste schlucken.
Es war fast drei Jahre her, als ich zum letzten Mal mit einem Mann geschlafen hatte und jetzt sollte es so völlig ohne Planung geschehen. Ich war gerne auf alles, was passierte vorbereitet.
Jetzt saß ich jedoch in meiner bequemen Unterwäsche mit dem hellblauen Karomuster auf der Hüfte eines Mannes, der sicher schon mit ein paar der schönsten Frauen der Welt auf Tieffühlung gegangen war. Da würde ich kaum mithalten können.
Ich war nicht schön in diesem Sinne. Meine Haut war zu weiß, meine Knie knubbelig und mein Hintern definitiv zu groß.
Nialls Hände glitten höher, bis zu meinen Seiten, dann setzte er sich aufrecht hin und zog mich näher zu sich. Er drehte uns schließlich herum und kurz darauf erkundeten seine Fingerkuppen meine Haut, wie ich es vorher bei ihm getan hatte.
Es kam der Moment, in dem fühlte ich nichts anderes als Wärme, Zuneigung und Zärtlichkeit. Er ging mit mir so behutsam um, als wäre ich aus Glas. Fast, als hätte er Angst, ich könnte mich jeden Moment, wie Nebel verflüchtigen.
Mein Herz raste, die Laken unter mir waren so wunderbar weich, Niall so nahe und egal was er tat, er gab mir das wunderbare Gefühl genauso zu sein, wie ich zu sein hatte.
Ich dachte nicht mehr an all die kleinen Komplexe, die sonst zu einer großen Hemmung verschmolzen waren. Stattdessen fühlte ich sein weiches Haar zwischen meinen Fingern und seine Lippen, die mich immer wieder keuchen ließen. Ich wusste nach einiger Zeit nicht mehr, wo er anfing oder ich aufhörte. Ich wusste nur, dass ich mich noch nie so gefühlt hatte, wie in diesem Moment.
Schließlich schob Niall meine Beine auseinander und beugte sich über mich, ich sah das Kondomtütchen auf dem Nachttisch und drehte den Kopf. Seine blauen Augen musterten mich, so als versuche er genauso angestrengt in meinem Gesicht zu lesen, wie ich in seinem.
Langsam, so als hätte er alle Zeit der Welt, schob Niall sich in mich. Ich bog automatisch den Rücken durch und zog leicht die Luft ein. Sanft strich er durch mein Haar, küsste mein Gesicht schließlich begann er sich zu bewegen. Zuerst nur leicht, schließlich stärker und gleichmäßig.
Mit Niall zu schlafen war anders.
Es war als würde man umfangen, gehalten und würde irgendwo ankommen, wo man längst hätte sein sollen. Ich bewegte mich ihm entgegen, hörte ihn leise Stöhnen. Mein Atem prallte an seiner Schulter ab und schließlich verschmolzen wir. Hielten uns so fest umschlungen, dass kaum ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte.
Ich flog hoch, stürzte wieder herunter und zwischen all den Berg- und Talfahrten war da Niall, der mich nie losließ. Ich hörte ihn meinen Namen murmeln und dann war mir, als hätte ich ganz weit entfernt etwas gehört.
Etwas, was nur für mich allein da war.
Es war schöner als all das, was ich bislang erlebt hatte.
Als ich schließlich wieder auf der Erde ankam, spürte ich weiche Lippen, die sich einen Weg auf meiner Wirbelsäule entlang küssten. Sein zerzaustes Haar kitzelte mich.
„Ich will dich nicht hetzten, Nella, aber ich habe Essen bestellt", vernahm ich Nialls Stimme. Träge drehte ich mich und zog das Laken mit mir. Niall kletterte von mir runter und ich sah, dass er bereits wieder seine Boxershorts und sein Shirt trug. Er spazierte ins Nebenzimmer und ich setzte mich aufrecht hin.
Erst da stieg mir der Geruch von warmen Teigwaren in die Nase und ich sah, dass auf einem kleinen Wagen mehrere Gerichte standen. Niall schien sich jedoch mehr für die Süßigkeiten auf der unteren Ebene zu interessieren.
Er hielt eine Hand voller Schokokugeln fest und warf sie gelassen hoch, um sie mit den Mund aufzufangen. Sichtlich zufrieden drehte er sich um und lehnte sich gegen den hohen Türbogen. Schweigend musterten wir einander und als ich ihn so vor mir sah, mit diesem anziehenden Funkeln in den Augen, den zerzausten Haaren und den zufriedenen Lächeln auf den Lippen, da wurde mir klar, dass ich mich an seinen Anblick niemals satt sehen würde.
„Deine Kondition ist mies", meinte Niall schließlich und ich stütze das Kinn auf die Handfläche: „Ach echt? Vorhin hast du dich nicht gerade beschwert."
„Nun ja, ich dachte, du willst dein Pulver nicht gleich verschießen, aber jetzt habe ich Schiss, dass du eine zweite Runde nicht packst", frotzelte er sichtlich amüsiert. Ich streckte mich: „Pass du mal auf, dass du das von eben noch mal toppen kannst."
„Kinderspiel."
Ich wühlte mich aus den Laken und bückte mich nach meiner Bluse, die ich mir schließlich überzog, genauso wie meinen Slip. Als ich den Kopf wieder hob, bemerkte ich, dass Niall mich immer noch ansah. „Was ist?", fragte ich und kämmte mir das chaotische Haar mit den Fingern durch.
„Nichts", antwortete er ruhig und ich trat zu ihm. Die vierundzwanzig Stunden mit Niall verflogen viel zu schnell. Wir aßen hier und da, lümmelten zusammen auf der Couch herum und zappten durch das Abendprogramm.
Später bewies er mir tatsächlich, dass meine Kondition mehr als mies war und irgendwann lagen wir im Bett nebeneinander, je eine Hand miteinander verschränkt und obwohl niemand von uns etwas sagte, fühlte ich mich unglaublich wohl.
„Nella?"
„Hm?", ich hob den Kopf und sah ihn an, doch Niall blickte noch immer an die Decke. Lediglich eine Lampe auf den Nachttisch brannte und warf Schatten auf sein Gesicht.
„Du hast mal gesagt, dass du es bereut hast, mit Samuel gestritten zu haben, kurz bevor er starb", begann Niall langsam und ich regte mich nicht. „Und dass du dich selbst damit bestrafst daran zu denken, wie sehr du ihn mit deinen Worten verletzt haben musst."
Mein Hals wurde trocken als ich daran dachte, wann ich Niall davon erzählt hatte. Ich hatte nicht geglaubt, dass er mir da überhaupt zu hörte. Doch genau das hatte er scheinbar doch getan.
„Wenn Samuel wirklich dein bester Freund gewesen ist, dann wird er nicht wollen, dass du dich auf diese Art und Weise bestraft. Ich denke, dass dir das, was du gesagt hast, verziehen hätte."
Ich wusste nicht, warum, aber Nialls Worte klangen, als wäre genau das passiert. Ich schloss die Augen und versuchte mich an meinen besten Freund zu erinnern. So, wie er mich mein halbes Leben lang begleitet hatte.
„Ich hoffe es", sprach ich langsam. „Aber Tatsache ist, ich werde es wohl nie erfahren." Niall drehte den Kopf: „Wahrscheinlich nicht, aber glaubst du, dass er dir nicht verziehen hätte?"
„Nein", entwich es mir prompt. „Du hast recht."
Und wie recht er hatte. Samuel war nie nachtragend gewesen, nicht so wie ich. Er war sowieso all das gewesen, was ich nicht war. Herzlich, warm, unkompliziert. Die Leute mochten ihn sofort.
Seine Aufrichtigkeit und Natürlichkeit hatten ihn einen großen Freundeskreis beschert. Trotzdem war er immer wieder bei mir gelandet, obwohl er so viel bessere Gesellschaft gehabt hatte.
Niall rollte sich auf die Seite, stütze den Kopf ab und musterte mich, dann sprach er: „Wusstest du, dass ich geglaubt habe, deine Augen wären kalt, so wie Eis?"
Frustriert zog ich die Decke über den Kopf. „Ich weiß, sie sind furchtbar! Aber ich kann nichts dafür, vielleicht sollte ich eine Brille tragen." Schon als Kind hatte man gesagt, meine Augen hätten nichts mit dem Himmel oder dem Meer gemeinsam, sondern würden eher an Gletscher erinnern. Meine Brüder hatten mich immer fürchterlich aufgezogen und mich „Geisterauge" genannt.
Er zog an meiner Decke und lachte, dann sprach er. „Ich habe mich geirrt, Nella."
„Was?", ich sah unter der Decke hervor und Niall wiederholte sich: „Ich habe mich geirrt. Sie sind nicht kalt wie Eis."
Ich blinzelte ihn an und dann sagte er etwas, was alles veränderte.
„Sie sind wie Wind. Genauso wenig zu lesen, wie vorauszusagen in welche Richtung der Wind weht."
Es war ein seltsamer Vergleich und doch war es für mich dieser eine Augenblick, dieser Lichtblitz, der einfach alles veränderte.
In diesem Moment verliebte ich mich in Niall.
Schweigend sah ich ihn an, dann richtete ich mich auf und drehte ihn auf den Rücken, sodass ich mich auf ihn drauf setzten konnte. Als ich mich herabbeugte, um ihn zu küssen, da spürte ich, wie Niall in mein Haar griff und Sekunden später schmeckte ich seine Lippen auf meinen.
Am Morgen verließen wir sichtlich gerädert das Hotel. Obwohl wir nur wenig geschlafen hatten fühlte ich mich so gut wie schon lange nicht mehr. Trotzdem war ich unheimlich glücklich und spürte jedes Mal, wenn Niall meine Hand in seine nahm, dass mein Herz einen längst vergessenen Hüpfer machte. Ich war schon lange nicht mehr richtig verliebt gewesen.
Das letzte Mal mit sechzehn.
Jetzt war es jedoch ganz anders. Es machte mir Angst und gleichzeitig beflügelte es mich. Im Auto konnte ich mich nicht zurückhalten, sondern beugte mich vor und strich ihm durch das Haar. Nialls Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
„Was erzählen wir den anderen, wenn wir zurück sind?", fragte ich und Niall sah kurz zu mir: „Das wir uns Möbel angesehen haben."
Ich lachte: „Ja klar, als wenn sie uns das glauben würden."
„Sie werden", prophezeite mir Niall und dann bemerkte ich das er noch immer grinste. In meinem Kopf ging ein Licht auf: „Wir fahren gar nicht nach Kenwood Park!"
„Nicht sofort", gab er zu. „Wir sollten zuerst schauen, ob wir bei Dominic & Co. ein paar Betten und Schränke finden, die einigermaßen ins Haupthaus passen."
Ich unterdrückte ein Lachen. „Kann es sein, dass dein Rücken dich heute Nacht daran erinnert hat, wie großartig es ist in einem richtigen Bett zu schlafen?"
Ertappt sprach Niall nur: „Vielleicht."
Dominic & Co. war ein Riesen großes Möbelhaus. Zusammen schlenderten wir durch die verschiedenen Abteilungen, ließen uns beraten und Niall tobte sich überschwänglich in der Kinderecke aus. Hochbetten, welche für Prinzessinnen, aber auch für kleine Ritter fanden den Weg auf eine ziemlich lange Liste.
Nie würde es ein Bett im Haupthaus zweimal geben und obwohl er schon eine Menge aussuchte, würde es immer noch eine ganze Etage geben, die am Ende noch leer stand. Aber vielleicht war das auch gut so.
Louis und Liam sollten sich schließlich auch beteiligen können. Vor Ort kaufte Niall auch direkt Spielzeug. Wahrscheinlich, damit Sebastian endlich mehr zu tun bekam, nur für den Fall, dass er länger blieb.
Auch die großen Schlafzimmer bekamen endlich richtig Betten und wir lagen sofort Probe. Leider fiel es uns schwer, uns auch da wieder raus zu bequemen.
„Hier könnte ich bleiben. Das ist als würde man auf einer Wolke liegen", brummte Niall. Ich hob leicht den Oberkörper: „Ja, auf einer Wolke, wo einem alle zusehen."
„Okay, Voyeurismus ist nicht besonders cool, das stimmt wohl", meinte er schließlich und schwang enttäuscht die Beine aus dem Bett.
In der Gartenabteilung tauchten wir noch einmal ein. Ich wusste nicht, wonach Niall wirklich suchte und tappte so gelassen hinter ihm her. Am Ende hatten wir drei Kisten voller Kinderspielzeug und eine zweiseitige Liste in Auftrag gegeben. Die Möbel sollten in zwei Tagen geliefert werden und innerlich feierte mein Rücken eine kleine Party.
Während ich Niall beim Einpacken half, fragte ich mich, was genau das nun zwischen uns war. Wir waren kein Paar im eigentlichen Sinne, aber wir waren auch nicht das andere.
Etwas hatte sich verändert und das lag nicht nur an meinen Empfindungen.
Ich wagte es nicht zu fragen, denn es fühlte sich zu früh an. Stattdessen sollte ich einfach froh über die gute Zeit sein. Zum ersten Mal war ich jedoch nicht früh zum Kenwood Park zurückzukehren. Das kleine Fleckchen Himmel war mir sonst immer wie das Paradies vorgekommen, aber jetzt wäre ich einfach viel lieber mit Niall allein gewesen.
Nach fast einer Stunde erreichten wir das Tor zu Kenwood Park und ich versuchte die Aussicht auf den See zu genießen. Trotzdem gelang es mir dieses Mal nicht so gut, wie sonst. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich und als Niall schließlich hielt, noch bevor er das eigentliche Haupthaus erreicht hatte, wusste ich, dass mich dieses Gefühl nicht im Stich ließ.
Im oberen Bereich vor dem Haupthaus waren die Parkplätze belegt. Ich entdeckte nicht ein Auto von den Handwerkern aus Carlton's Mills. Dafür fiel mir ein schwarzer Oldtimer Mustang Cabrio auf.
Erst musste ich blinzeln, bis ich einen hochgewachsenen Mann mit dunklen Locken erkannte. Harry Styles lehnte gegen sein Auto, die Arme vor der Brust verschränkt und schien sich zu weigern das Haupthaus zu betreten.
Niall regte sich neben mir: „So wie es aussieht ist Harry endlich da."
„Sollte man sich Sorgen machen?", fragte ich, denn als ich die Beifahrertür öffnete, sah ich Louis auf den Treppenstufen sitzen. Er zog an einer Zigarette, während Liam vier Meter weit weg von ihm auf einen der Schaukelstühle Platz genommen hatte.
„Hm, nein", sprach Niall, dann verließ er das Auto und schlug die Tür zu. In diesem Moment hoben sie alle die Köpfe und sahen zu ihm rüber. Ich blieb beim Range Rover stehen und bemerkte Zayn, der sich gegen den Türrahmen lehnte.
Nialls Schritte knirschten im Kies und mir wurde bewusst, dass ich One Direction zum ersten Mal komplett vollständig vor mir hatte. Und obwohl es das erste Mal war, fiel mir direkt etwas merkwürdiges auf.
Sie bewegten sich in einer Synchronizität zueinander, ohne dass sich scheinbar auch nur einer von ihnen darüber bewusst war. Als Niall zu ihnen getreten war, hatten sich ausnahmslos alle bewegt, ihren Standpunkt verändert und jetzt bildeten sie, ohne sich abgesprochen zu haben, einen Kreis zueinander.
Harrys Blick traf meinen und ich begriff, dass er nicht hier war, um für etwas zu kämpfen, sondern um seine Freunde vor eine letzte Entscheidung zu stellen.
⸙ ● ⸙ ● ⸙
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top