19 Schmetterlinge aus Eis.
【 ANTONELLA 】
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Etwas kitzelte meine Nase und ich musste leicht niesen. Nur langsam wurde ich wach und öffnete müde die Augen. Mein Nacken schmerzte und meine Füße waren kalt. Doch trotzdem fühlte ich mich unheimlich sicher und geborgen.
Niall hielt mich fest, so als würde er befürchten, man möge mich im Schlaf stehlen. Es war nicht unangenehm, sondern unglaublich schön. Mich hatte noch nie jemand so festgehalten.
Falsch.
Samuel hatte es getan. Aber aus anderen Gründen. Ich dachte an meinen besten Freund. Sein breites Lächeln, seine strahlenden blauen Augen und wenn ich mich ganz fest versuchte zu erinnern, dann hörte ich immer noch seine klare, sanfte Stimme.
Ich vermisste es unglaublich ihn um mich zu haben. Wie er zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir reinschneite, weil sein Kühlschrank leer war und er von einer Reise aus Mittelerde oder sonst wo zurückkam.
Zumindest nannte er es so, wenn er mal wieder Tage, manchmal sogar Wochen einfach verschwand, ohne sich zu melden, damit er zusammen mit seiner Kamera der Suche nach dem perfekten Foto nachgehen konnte.
Ich vermisste es, wenn er mich mit großen Kulleraugen darum bat, irgendwelche gestörten Horrorfilme mit mir zu gucken, oder wie er einfach auf der Arbeit bei LG vorbeikam und meinte, ich hätte doch sicher noch keine Mittagspause gemacht.
Samuel war mit einer Leichtfüßigkeit durch das Leben spaziert, wie ich es nie gekonnt hatte. In meinen ersten Semesterferien hatte er eines Abends einfach meinen Rucksack mit ein paar Klamotten gepackt, meinen Pass aufgestöbert und mich zum Flughafen gezerrt.
Zwölf Stunden später verschwendete ich keinerlei Gedanken mehr an eine Prüfung, die ich im zweiten Versuch schrieb. Stattdessen tanzte ich mit ihm in einer verwunschenen Straße in Rom.
Es waren jedoch nicht die großen Dinge, die mir am meisten fehlten. Eher die unzähligen kleinen. Unsinnige Textnachrichten, Abende vor dem Fernseher, Besuche in unserem Stammlokal, oder telefonische Diskussionen über Gott und die Welt.
Ich vermisste Samuel und alle den Wind, den er in mein Leben gebracht hatte.
Niall bewegte sich. Seine Fingerkuppen strichen federleicht über meine Handflächen und ich beobachtete sie dabei, wie sie undefinierbare Muster zeichneten. Dann drehte ich mich leicht in seiner Umarmung.
Seine Wärme zu spüren war tröstlich und als ich ihn ansah, wurde mir bewusst, dass ich in seinen Augen nicht lesen konnte.
Dies war das Seltsame.
Normalerweise konnte ich Menschen sehr gut einschätzen, allen voran half mir das im Gericht, oder bei außergerichtlichen Treffen. Aber bei Niall konnte ich absolut nicht sagen, was er dachte. Das Einzige, was ich in seinen Augen erkannte, war ein wundervolle Lebendigkeit, von der nichts zu ahnen schien.
Ich wünschte Samuel hätte Niall kennengelernt, denn ich war mir sicher, dass er meine Faszination geteilt hätte, was Nialls Ausdrucksstarke Augen anging.
Vielleicht hätte er in ihnen lesen können, ich wusste es nicht.
„Guten Morgen", sprach Niall mit rauer Stimme. Ich antwortete nicht, sondern sah ihn immer noch an. Er dagegen blickte auf unsere Hände, die nun miteinander verschränkt waren.
Am liebsten hätte ich gefragt, was das zwischen uns war, aber ich konnte nicht. Denn offen gestanden wollte ich es nicht wissen. Es sollte nur so bleiben. Etwas, was sich so gut anfühlte, wollte ich nicht missen.
„Darf ich dich etwas fragen, Niall?", überwand ich mich schließlich selbst und er bewegte sich leicht: „Was?"
„Erinnerst du dich noch an das Gefühl, das du gespürt hast, wenn du auf der Bühne gestanden hast?"
Es war riskant, aber es war etwas, was ich unbedingt wissen wollte. Ich hatte die unzähligen Videos gesehen, die Fans gemacht hatten. Am Anfang war es mir kaum vorstellbar gewesen, dass der Niall, der lange ¼ von One Direction ausgemacht hatte, wirklich derselbe Mann war, den ich auf eine Art Reise begleitete, bei der ich nicht wusste, wo sie mich hinführen würde. Oder ob sie überhaupt ein Ziel hatte.
„Ja, das tue ich", gab Niall schließlich zu und ich drehte mich leicht, sodass ich ihn besser ansehen konnte. Ich wusste, dass sich etwas geändert hatte, dass etwas passiert war, weshalb er keine Musik mehr hörte, oder seine Gitarre nicht mehr anrührte.
„Würdest du mir davon erzählen?"
Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass er 'nein' sagte. Doch zu meiner Überraschung neigte Niall nur leicht den Kopf und atmete tief durch. Er schien nachzudenken. „Ich weiß nicht, wie man das mit irgendetwas anderem vergleichen kann, Nella. Aber... am Anfang war es beängstigend. All diese Menschen, die etwas von dir erwarten, die nur wegen dir dort waren und die du unter keinen Umständen enttäuschen wolltest."
Er lächelte schmal. „Bei den ersten Malen habe ich mich fast eingepisst vor Nervosität. Dann wurden die Stadien größer und größer und schließlich gab es 80.000 Menschen, die zu uns aufsahen."
Ich versuchte mir die gigantischen Stadien in Erinnerung zu rufen und war mir sicher, dass mich keine zehn Pferde auf so eine Bühne gebracht hätten.
„Das Seltsame war, die Angst verschwand irgendwann und dann ging es nur noch um Spaß. Egal wo wir waren, ob in Asien oder in Amerika, die Bühne und die Fans blieben gleich. Deshalb hielt sich mein Heimweh immer ein bisschen in Grenzen, denn die Bühne wurde ein Teil von zu Hause."
Eine merkwürdige Vorstellung.
„Weißt du, es gab auf jedem Konzert diesen einen Moment, wenn es dunkel wurde und dann im ganzen Stadion die kleinen Lichter leuchteten. Das war der Augenblick... an dem ich mir oft gewünscht habe, dass die Zeit einfach anhalten würde.
Adrenalin rauschte durch meinen Körper, es war heiß und von all dem Geschrei bluten meinen Ohren. Trotzdem habe ich mich nie besser gefühlt."
Nialls Miene wurde ernst. „Mit den anderen zu singen, war als würde man Teil eines Ganzen sein. Ein Teil von etwas Großem und es hat mich extrem glücklich gemacht. Jeder von ihnen hat mir mit seiner Stimme etwas gegeben, was ich nicht beschreiben kann. Ich weiß nur, dass es für mich das Unglaublichste war, was ich je erlebt habe."
Er schwieg kurz, nur um dann zu erklären: „Wenn ich nach den Konzerten noch Gitarre gespielt habe, dann war das für mich etwas Greifbares. Eine Bestätigung, dass all das wirklich passierte. Die Gitarre erinnerte mich daran, wann alles angefangen hat. Sie war ein Freund, der mich zu den Jungs gebracht hat und Musik lebendig machte."
Niall strich über meinen Arm, dann blickte er zu mir: „Ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber anders kann ich es nicht erklären."
Ich konnte das Gefühl nicht nachvollziehen, aber ich verstand, worum es ging. Denn Niall klang wie Samuel. Einst hatte mein bester Freund versucht mir nahe zu bringen, welche Bedeutung das Fotografieren für ihn hatte. Seine Worte waren andere, aber der Gedanke dahinter derselbe.
„Wann hast du gemerkt, dass etwas anders ist?", fragte ich und Niall ließ meine Hand los, um aufzustehen. Er ätze und streckte den Rücken durch: „Als ich eigentlich nur noch wollte, dass ich die Bühne wieder verlassen konnte."
Das war eine eindeutige Antwort. Ich stand nicht sofort auf, sondern musterte ihn, wie er sich streckte und versuchte seine Muskeln zu lockern. Dann hielt er mir seine Hand hin, damit er mich auf die Beine ziehen konnte. „Es wird hell, wir sollten langsam zurück."
Wie recht Niall hatte. Wir zogen unsere Mäntel wieder an und verließen das verstaubte Cottage. Dann verschloss Niall die Tür wieder, so gut es ging und ich bemerkte, dass der Wald nicht halb so furchteinflößend war, wenn Licht durch die Blätter der Bäume fiel.
Ich griff automatisch nach Nialls Hand und bemerkte es erst, nachdem wir schon eine Weile dem Weg folgten, der uns zurück zur Straße führen sollte. Kurz blieben wir stehen, nur um einen Wildhasen dabei zu beobachten, wie er unseren Weg kreuzte. Das Tier schien sich nicht an den beiden Idioten zu stören, die zehn Meter von ihm entfernt wie gebannt auf ihn herab starrten. Dann hoppelte er weiter.
„Niall", sprach ich schließlich als wir die Straße erreichten und er mit seinen Daumen über meinen Handrücken strich. „Es geht mich nichts an, aber... meinst du, es wäre fair gegenüber deinen Freunden, wenn du ihnen sagst, was sich bei dir verändert hat?"
„Ich habe es versucht", antwortete er. „Aber sie haben mich nicht verstanden." Es war kalt und ich fröstelte, dann setzte Niall hinzu: „Ich glaube, sie wollen es auch nicht verstehen."
Wir erreichten das Haupthaus und Loki, der auf der Veranda lag, hob nur desinteressiert den Kopf, als er uns sah. Von Innen waren Stimmen zuhören und erleichtert atmete ich auf, als ich Eleanor in der Küche ausmachte.
Verstimmt sah sie mich an und Sophia reichte ihr gerade ein Kühlkissen, das sie auf ihren nackten Knöchel legte. „Na das war aber eine lange Nachtwanderung", sie schmunzelte und ich fragte mich, ob uns überhaupt jemand in diesem Haus vermisst hatte.
Sophia gegenüber saß Louis, der mit unbewegter Miene Liam und Zayn musterte, die sich in der Küche befanden. Er redete nicht ein Wort mit ihnen und irgendetwas sagte mir, dass er das auch in Zukunft nicht tun würde.
„Niall James Horan", sprach Eleanor sichtlich verstimmt. „Hätte ich mir nicht den Knöchel verstaucht, würde ich dich in deinen irischen Hintern treten!"
Ich musste grinsen und ihr Blick fiel auf mich: „Du brauchst gar nicht so zu lachen, denn wenn ich mit Niall fertig bin, dann bist du an der Reihe."
„Gott, seht ihr furchtbar aus", sprach ich geradeheraus und Louis strich sich durch das zerzauste braune Haar: „Danke für das Kompliment. Falls es dich tröstet, du würdest aktuell auch keine Misswahl gewinnen."
„Wie gut, dass ich noch nie den Drang hatte, mich als oberflächliches Objekt bewundern zu lassen", konterte ich. Ein Gutes hatte die Anwesenheit von Eleanor und Louis, Sebastian hing sich sofort an Letzteren und Louis schien kein Problem damit zu haben, erst einmal einen überdrehten Jungen zu zuhören.
Ich machte gedanklich einen Knicks vor ihm, denn er sah wirklich verdammt müde aus.
Nachdem Frühstück half ich Eleanor ins Bad und beim Ausziehen. Vorsichtshalber schloss ich die Tür ab und sie weinte fast vor Freude, als wir feststellten, dass es endlich richtig warmes Wasser gab.
„Wie war dein Ausflug mit Louis?", fragte ich, als ich ihr vorsichtig in die Wanne half. Sie wirkte furchtbar durchgefroren und getrockneter Schlamm war in ihren Haaren. Dunst beschlug das Fenster und den Spiegel. Ich hockte mich schließlich hinter Eleanor und fing an ihr Haar zu waschen.
„Man könnte meinen, du hättest ein schlechtes Gewissen, weil du uns losgeschickt hast", schlussfolgerte meine Freundin und ich krempelte mir die Ärmel wieder hoch. Dann gab ich zu: „Ja... ein bisschen habe ich das wirklich."
Eleanor rieb sich mit den Waschlappen, den ich aus meinem Koffer geholt hatte, über die dreckigen Hände und versuchte ihre Fingernägel sauber zu bekommen. Sie war mehrmals gestürzt und die blauen Flecken an ihren Armen ließen mich wissen, dass sie sich nicht besonders geschickt abgerollt hatte.
Wir schwiegen eine Weile einträchtig und als ich ihr Haar zum zweiten Mal shampoonierte, sprach Eleanor schließlich: „Es war okay mit Louis. Irgendwie." Sie zog vorsichtig die Beine zum Körper und massierte ihren unverletzten Fuß. Als sie weitersprach, hielt ich in meinen Bewegungen inne.
„Weißt du, ich bin nicht das Biest gewesen, wie es alle immer noch glauben." Ihre Offenheit überraschte mich und ich stütze mich am Rand der alten Wanne ab.
„Du meinst, abgesehen davon, dass alle glauben du wärst nur mit ihm zusammen gewesen, wegen seinem Geld?", fragte ich direkt heraus und sie versteifte sich leicht.
„Das stimmt nicht. Auch wenn Louis das sagt. Ich war keinen einzigen Tag mit ihm zusammen, nur weil ich an sein Geld, oder Geschenke wollte."
Eleanor drehte sich leicht in der Wanne, sie wirkte erschreckend schmal. „Möglicherweise habe ich mich ein wenig zu sehr an die Geschenke gewöhnt, dass will ich nicht leugnen. Aber ich war wirklich in Louis verliebt, egal was er glaubt."
Wir sahen einander an, Eleanor lächelte leicht. „Vielleicht hätte ich sofort klarstellen sollen, aber ich hätte nur einfach nie gedacht, dass er so etwas wirklich von mir denkt."
Da war noch etwas, ich sah es ihr an. Etwas, was sie viel mehr verletzt hatte als dass er ihr so etwas Hässliches zutraute.
Leicht neigte ich den Kopf. Eleanor mochte vieles sein, flatterhaft, leichtlebig und manchmal unvernünftig. Aber ich hatte sie nie als einen bösen Menschen empfunden. Sie tröstete die Exfrauen, wenn sie die Scheidungspapiere unterschrieben. Bei Familienurteilen hatte sie ein Gespür dafür, wann sie die Kinder aus den Konferenzräumen lockte oder wie sie diese in einem freien Büro mit Malstiften ablenkte.
Sie war einfühlsam und warmherzig.
Farbe kehrte durch das heiße Bad zurück in ihre Wangen.
„Was ist noch passiert?", hakte ich schließlich nach und begann ihr Haar mit einem Becher auszuspülen. Sie lächelte noch eine Spur breiter, nur wirkte es dieses Mal sehr traurig.
„Ich bin nach Hause gekommen, eigentlich wollte ich Louis damals überraschen. Er hatte mir am Vortag die neue meli melo Taschenkollektion geschenkt und ich wollte irgendwie danke sagen. Also habe ich ewig einem Freund, der im Tenmanya Restaurant arbeitete, angebettelt, bis er mir etwas zum Mitnehmen zubereitete."
Ich kannte das Tenmanya, es war das beliebteste chinesische Restaurant in ganz London. Man konnte dort nichts mitnehmen, es musste vor Ort gegessen werden. Einen Tisch bekam man nur, wenn man entweder ein hohes Tier in der Politik war oder seit Wochen reserviert hatte.
„Er liebte die Baozi von Tenmanya, also kaufte ich so viele, wie ich bezahlen konnte. Ich wusste, dass Louis sie ewig nicht gegessen hatte und nur für drei Tage in der Stadt war, ehe er wieder auf Tour musste."
Eleanor drehte sich nun das Haar aus und ich langte nach einem schlichten Handtuch. Aber statt aus der Wanne zu steigen, bleib sie einfach sitzen. Sie mied meinen Blick und in diesem Moment ahnte ich schlimmes.
„Als ich nach Hause kam, wollte ich den Tisch decken, alles gemütlich machen. Du weißt schon, ich hatte eine gute Flasche Wein dabei, er sollte sich entspannen. Aber dafür war ich ein wenig zu spät dran."
Ich setzte mich auf den Klodeckel. „Was hat er getan?"
Eleanor wirkte so schrecklich ruhig, sie streckte den Arm nach dem Handtuch aus und ich reichte es ihr. Dann, als sie sich eingewickelt hatte, half ich ihr vorsichtig auf der Wanne. Erst als sie auf dem Wannenrand saß, sprach sie: „Wenn du jemals die Jeanshose deiner besten Freundin im Flur liegen siehst, tue mir einen Gefallen, geh einfach nicht weiter."
In meinem Kopf rauschte es, dann begann ich langsam zu begreifen. „Oh El", entwich es mir und sie griff nach dem Sportgel, dass auf dem Waschbeckenrand lag.
„Ich brauche kein Mitleid, aber ich will auch nicht, dass du denkst ich wäre ein schlechter Mensch, nur weil man Dinge erzählt, die so nicht ganz richtig sind", sagte sie langsam. In diesem Moment schämte ich mich dafür, dass ich sie wahrhaft dazu genötigt hatte mit Louis so viel Zeit zu verbringen. Ich wollte mich entschuldigen, aber sie wechselte so ruckhaft das Thema, dass ich mich ablenken ließ.
Eleanor wollte wissen, seit wann Liam und Zayn da waren und während ich ihr half, angezogen wieder in die Küche zu humpeln, hatte ich sie schon auf den Laufenden gebracht.
Ich erzählte ihr, dass Harry bald kommen würde und Sophia, die uns eine Tasse Tee servierte, sprach sarkastisch: „Du solltest dich um das Testament der Jungs kümmern, Nella. Denn wenn Harry hier ist, dann gibt es ganz sicher Tote."
Eleanor, die ihren Knöchel schonend auf einen Stuhl hievte, nickte zustimmend und als ich fragte, weshalb, erfuhr ich nur etwas von einem Interview. Worum es dort gegangen war, sagte man mir nicht, nur, dass man es gesehen haben musste, um zu verstehen.
Je länger ich an Nialls Seite weilte, umso mehr kam es mir vor, dass ich Dinge aus der Vergangenheit erfuhr, die ich vielleicht besser nicht über ihn und seine Freunde wusste. Aber umso mehr verstand ich Harry, dass er um dieses Etwas, was sie alle verband, mit so drastischen Mitteln kämpfte.
An diesem Tag wurde das Dach des Haupthauses fertig und die Handwerker, samt der Jungs kämpften sich vor in den oberen Stock. Türen wurden abgeschliffen, Wände verputzt, Steckdosen erneut und schließlich erneut gestrichen und Laminat neu gelegt. Bis zum Abend waren sämtliche Materialien aufgebraucht.
Ich hatte kaum noch Gelegenheit mit Niall alleine zu sein und mir schien es, als würde jeder jeden aus dem Weg gehen. Nachdem ich beim Lieferanten Dampf gemacht hatte, sah ich vom Esszimmer aus, wie Eleanor zum Treppengelände humpelte. Sie hatte sich bereits ins Bett verabschiedet.
Ich wollte mich gerade erheben und die Unterlagen, Unterlagen sein lassen, als ich sah, wie Louis auf sie zu trat und etwas sagte. Eleanor wehrte ab, aber das schien Louis zu ignorieren.
Er hob sie vorsichtig hoch und trug sie schließlich nach oben. Obwohl ich sie zum ersten Mal so ruhig und vor allem ohne kreuzende Schwerter sah, begriff ich erst jetzt, was für ein Bild sie als Paar abgegeben haben mochten. Vielleicht hatte die Wanderung doch etwas gebracht, auch wenn ich einen doppelten Knoten im Magen verspürte, wenn ich daran dachte, was ich Eleanor eigentlich zugemutet hatte.
Am nächsten Tag bat Louis mich, dass ich mit nach draußen kam. Sichtlich verwirrt folgte ich ihm nach dem Frühstück und sah, wie Sebastian auf der Veranda in einem Schaukelstuhl hockte.
Wusste der Teufel woher Louis den Vaterschaftstest in Form eines DNA-Testes hatte, aber er wollte das ich dabei war und zu meiner Überraschung erklärte er Sebastian ehrlich, was er vor hatte. Ich sollte der Zeuge dabei sein.
Wie es aussah wollte Liam einen wissenschaftlichen und handfesten Beweis, dass er tatsächlich Sebastians Vater war. Ich konnte das irgendwo sogar nachvollziehen.
„Und damit findet man dann wirklich meinen Dad?", fragte Sebastian sichtlich erstaunt. Louis nickte: „Ja, aber es wird so sieben bis zehn Tage dauern. Ist es dann okay, wenn wir es machen? Du musst nur deinen Mund öffnen und ich reibe mit dem Stäbchen einmal an deiner Wange entlang."
„Es tut aber nicht weh?"
Louis schüttelte den Kopf und wenig später war Niall auf dem Weg nach Carlton's Mills, zusammen mit Sebastian. Beide redeten davon, dass sie nur zum Rathaus wollten und trotzdem hörte ich den Hosenpupser sagen: „Und dann essen wir ein Eis, das wir nicht essen dürfen!" Sie schlugen zum high five ein und Sebastian, der ebenso wie Niall eine Snapback trug, wirkte absolut goldig.
Kaum waren Niall und Sebastian eine Stunde weg, tuckerte ein riesiger Lastwagen auf das Haupthaus zu. Louis jubelte laut und so trafen wir alle vor der Tür ein. Scheinbar hatte es etwas gebracht, dass man am Abend noch einmal ein bisschen das Anwalts-Getue raushängen ließ.
Die Handwerker aus Carlton's Mill trafen keine Minute später ein und ließen uns wissen, dass sie den Herren aus der Stadt den Weg beschrieben hatten. Dann ging es ans Ausladen und jede Hand wurde gebraucht. Eleanor, die nicht allzu viel tun konnte, zählte die Materialien, die an ihr vorbei getragen wurden, durch.
So ein Eimer Farbe war wirklich scheiße schwer und irgendwann war mir danach, einfach auf die Treppenstufe zu sinken. Mit Sophia wuchtete ich schließlich Stoffbarren ins Esszimmer. Es waren so viele, dass wir den Esstisch verschieben mussten, weil wir die Barren nicht mehr lagern konnten. In all dem Chaos schien Liam halbwegs den Überblick zu behalten, wo was hinmusste. Ich vermutete, dass er sich am Abend noch einmal die Pläne von Niall angesehen hatte.
Erst am Mittag schaffte ich es schließlich die Unterlagen durchzuschauen, was an den Bestellungen alles angekommen war und was uns der Hersteller nachliefern musste. Zum Glück war es nicht viel und ich hoffte, dass in den nächsten Tagen auch endlich die verfluchten Möbel eintrafen.
Oder zumindest gescheite Betten.
Nachdem dritten Telefonat bemerkte ich Zayn, der sich zu mir an den Tisch setzte. Er wirkte keinen Deut gesünder seit dem Tag seiner Ankunft, aber zumindest hatte ich keine Angst mehr, dass er ein schlechter Umgang für Sebastian war. Denn er hielt sich fern von dem Jungen und Liam hatte recht behalten. Er war harmlos.
Sichtlich irritiert sah ich ihn an.
Zayn räusperte sich unsicher: „Ich weiß, es steht mir nicht zu das zu fragen, aber... Nella, spricht Niall manchmal mit dir?"
„Ähm worüber?", kam ich ihm entgegen und runzelte die Stirn. Zayn rieb sich die Handflächen an seiner mitgenommenen Jeanshose ab. Er wirkte nervös, dann sah er mich direkt an. Seine Augen waren abgestumpft und zum ersten Mal ließ sich erahnen, dass er vielleicht einen weitaus tieferen Fall hinter sich hatte, als ich es vermutete.
„Er... spielt nicht mehr Gitarre, richtig?"
Dafür, dass Zayn erst ein paar Tage hier war, schien er erstaunlich aufmerksam zu sein. Ich schüttelte den Kopf und er murmelte: „Ich verstehe."
Wir schwiegen und schließlich sprach er: „Quält ihn das?"
Ich wusste nicht, ob ich jemand war der sich darüber ein Urteil erlauben durfte und das sagte ich ihm auch so. „Wieso interessiert dich das?"
„Ich will das ändern", Zayn sagte das mit so einer festen Stimme und so überzeugt, dass ich im ersten Moment nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Deshalb blinzelte ich einige Male, bevor ich sprach: „Du weißt aber schon, dass er aktuell nicht dein größter Fan ist?"
„Ja, ich weiß das", antwortete er ruhig und stand schwerfällig auf. Nun hatte er mich verwirrt, doch bevor er sich von mir abwandte, setzte er hinzu: „Aber ich weiß auch, wer Niall wirklich ist."
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