18 Überdosis Glück.


【 NIALL 】


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Noch nie hatte ich Liam so gesehen. Er war für mich der Mensch, der eigentlich immer über sein ganzes Leben die Kontrolle behielt. Doch diese starke Fassade brach zusammen, wie ein Kartenhaus.

Es dauerte eine ganze Weile bis er sich wieder halbwegs im Griff hatte. Immer wieder musste ich ihm sagen, dass er mich ansehen sollte und nur auf meine Stimme zu hören hatte, um die Panikwelle zu dämmen. Ich wusste genau, wie er sich fühlte, wenn auch aus einem anderen Grund als ich.

Liam hielt meine Hände fest umklammert und sein Atem beruhigte sich. Regungslos standen wir uns gegenüber. Niemand sagte etwas, ich hörte nur seinen Atem.

„Du solltest mit Sophia reden", sprach ich schließlich und sah, dass Liam sich anspannte. Ohne Rücksicht redete ich weiter: „Sie hat einen wirklich guten Draht zu Sebastian und wird dir einiges dazu sagen können. Immerhin kümmert sie sich schon eine ganze Weile um ihn."

„Wie lange ist sie schon hier?", fragte Liam müde und ich zuckte mit den Schultern: „Bald zwei Wochen, weil sie dachte sie findet dich hier. Man hat ihr Sebastian einfach vor die Tür gesetzt und-"

„Niall, er ist nicht mein Sohn", unterbrach Liam mich mit einer erschreckend ruhigen Stimme, auch wenn er noch immer unglaublich blass war. Das ich einst auch seiner Meinung war, verriet ich besser nicht. Denn nun war ich mir wirklich nicht mehr sicher.

Sebastian war ein unglaublich lieber Junge, er ging vorbildlich mit Loki um, war an allem interessiert, was im Haus passierte und seine kindliche, naive Neugier hatte mich schon oft zum Schmunzeln gebracht. Ebenso die Tatsache, dass er einen Narren an Louis gefressen hatte.

Ganz schleichend fing ich jedoch an Sophias Verdacht zu übernehmen. Wenn Sebastian mit mir am Frühstückstisch saß, genüsslich seinen Apfeltee trank und mit mir über Superhelden philosophierte und seine braunen Knopfaugen mich zufrieden ansahen, dann erinnerte er mich stark an Liam.

„Und wieso dann diese Panikattacke?", konnte ich es mir nicht verkneifen. „Irgendetwas muss dich doch geschockt haben."

Liam schwieg einen Moment, dann gestand er: „Ich kannte seine Mutter. Ich habe sie damals in Vegas getroffen, kurz nachdem ich das mit Danielle beendet hatte."

Vage erinnerte ich mich daran, dass es das erste und einzige Mal war, das Liam Paul an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hatte. Mit guter Laune war Liam in die Suite marschiert und Harrys erster Verdacht war gewesen: „Der hat Sex gehabt."

Ob er wirklich gehabt hatte, das war aus ihm nicht rauszukriegen. Jetzt, Jahre später harkte ich nach: „Dann hast du mit diesem Mädchen damals nicht geschlafen?"

Ich sah ihn an und er wich meinem Blick aus. Also hatte er.

„Es passt von der Zeit."

„Nein", hielt Liam dagegen. „Ich bin nicht sein Vater! Das ist ausgeschlossen."

„Sag nicht mir das. Du wirst das der Jugendfürsorge erklären müssen", meinte ich, doch mir wurde ganz anders bei dem Gedanken, wohin sie Sebastian schicken würden. Sophia hatte etwas davon erzählt, dass er mit blauen Flecken zu ihr gekommen war und dass sie ihm erst einmal etwas zu Essen gegeben hatte.

Mittlerweile hatte er einen gesunden Appetit, aber er war immer noch zu dünn und zu klein für sein Alter. Ich fragte mich jedoch, wie diese Brittany auf die Idee kam, Liam als Vater von Sebastian eintragen zu lassen, wenn es nicht stimmte. Ihr hätte doch klar sein müssen, dass Anwälte das in dem eintretenden Ausnahmefall überprüfen würde.

Falls Liam jedoch geglaubt hatte, dass ich groß darauf brannte, mit ihm über Zayn zu sprechen, so hatte er sich geirrt, denn ich würgte ihn ab, noch bevor er es ausgesprochen hatte.

„Ich will kein Wort drüber hören!", fauchte ich ihn an und vorbei war der Waffenstillstand.

Wir bauten das Dach weiter aus und die Männer als Carlton's Mills waren wirklich Gold wert. Innerhalb von kurzer Zeit hatte ich so viele Dinge von ihnen gelernt. Hank war zwar noch immer ziemlich rau und machte sich über mich lustig, wenn ich handwerklich gesehen mal wieder übel danebengriff, aber er zeigte mir, wie ich es richtig machte.

Holz und Laminat schleifen, allgemein Laminat richtig legen, ein Dach isolieren, Wände verputzen und streichen. Hoffentlich kam morgen endlich die erste große Bestellung, die ich an Materialien getätigt hatte, denn lange konnten wir uns nicht mehr mit dem über Wasser halten, was ich in Carlton's Mills gekauft hatte.

Als Sebastian und Sophia von ihren Einkäufen zurück waren, hörte ich Sebastian fröhlich quasseln. Ein Schmunzeln glitt über meine Lippen und ich wünschte mehrere Kinder wären hier. Leider konnte ich den beiden nicht beim Auspacken helfen und arbeitete deshalb stumm weiter. Liam machte ebenfalls keine Pause und ich ignorierte Zayn weitgehend. Es wurde Zeit das Louis zurückkam. Dann würde ich mich nicht mehr wie eine Ein-Mann-Armee fühlen.

Erst am Abend als ich den Grill draußen aufgebaut hatte, einigermaßen vorzeigbar aussah und die Männer aus Carlton's Mills schon Feierabend gemacht hatten, atmete ich tief durch. Den gesamten Tag über hatte ich mich beschäftigt gehalten und war Liam und Zayn weiterhin aus dem Weg gegangen.

Der Grill war alt, doch ich legte Kohle auf, die Sophia und Sebastian mitgebracht hatten und achtete darauf, dass die Flammen nicht zu hochschlugen. Sebastian hockte auf den Stufen vor dem Haus, mit Loki zu seinen Füßen und beobachtete mich. Als er sicher zu sein schien, dass ihm nichts passieren konnte, trat er näher.

Im Haus rückten Sophia und Nella den Esstisch in einen anderen Raum, da wir nun deutlich mehr Platz brauchen würden. Was Zayn und Liam taten, wusste ich nicht. Ebenso nicht, ob Sophia nun mit Liam gesprochen hatte.

„Niall?", hörte ich Sebastian fragen und erkannte, dass er erneut die Snapback auf hatte die ich ihm vor Tagen schenkte. „Ja?"

„B-Bleiben die anderen hier?", er sah unsicher zum Haus und ich nickte leicht: „Sie heißen Liam und Zayn und ja, ich denke schon."

„Weiß ich."

„Was weißt du?"

Nun stand Sebastian neben mir. Er erinnerte mich ein bisschen an Theo, auch wenn mein Neffe charakterlich um einiges überdrehter war, so hatten wir genauso simple Gespräche geführt. Sebastian steckte die Hände in die Hosentasche: „Ich weiß, wie sie heißen. Zayn hat schwarze Haare und Liam gehört Loki."

„Das ist richtig", stimmte ich zu und musste grinsen. „Allerdings sieht es aktuell eher so aus, als würde Loki dir gehören." In der Tat, der Hund ließ Sebastian kaum aus den Augen. Fast so, als würde er auf ihn aufpassen.

Ein zaghaftes Lächeln zog über die Lippen des kleinen Jungen, dann wurde er wieder ernst. „Ich mag Liam nicht."

Das waren mal Töne, denn die Chancen, dass er der Vater des Hosenpupsers war, waren sehr hoch. Aber das sagte ich ihm besser nicht. Immerhin war das auch nicht meine Aufgabe.

„Kannst du sagen, er soll gehen?" Hoffnungsvoll sah Sebastian zu mir auf und ich legte die ersten Hähnchenschenkel und Steaks auf den Grill. Sophia hatte so viel eingekauft, dass es erst einmal ein paar Tage reichen dürfte.

„Das kann ich nicht", sprach ich. „Denn mir gehört Kenwood Park nicht allein. Liam und Zayn haben genauso Anteil daran, wie Louis und ich. Außer Harry will das ändern."

„Wer ist Harry?"

Ich packte den Müll zusammen und erklärte: „Ein wirklich guter Freund. Ich glaube, er ist sogar Louis' bester Freund. Du wirst ihn mögen, wenn er kommt, denn Harry ist lustig."

„So wie Louis?", hakte Sebastian nach und ich lachte: „Nicht ganz. Aber es war Harrys Idee, dass wir Kenwood Park kaufen und das sagt doch, dass er ein prima Kerl ist, oder? Dankbar sollte man ihm sein." Und das war ich irgendwie auch.

Denn nur dank Harry war ich rausgekommen und mittlerweile musste ich zugeben, dass es das Beste war, was mir je passiert war. Auch wenn es noch immer die Briefe mit den Aufgaben gab. Meine neuste Aufgabe war es, dass ich anfangen sollte, wieder Musik zuhören. Aber dagegen sträubte ich mich noch. Ich besaß keinen MP3-Player mehr und hatte auch nichts mitgenommen. Natürlich, ich hätte das Radio oder den Plattenspieler in Betrieb nehmen können, die Sophia und Nella vom Dachboden geräumt hatten.

„Dann sage ich ihm danke", meinte Sebastian. Er sah auf das Fleisch. Mir fiel etwas ein: „Willst du Sophia fragen, ob sie Marshmallows gekauft hat?"

„Marshmallows?"

„Ja, die sind weiß, wie Speckmäuse und man kann sie grillen."

Begeistert nickte Sebastian und dann flitzte er ins Haus. Wenig später zeigte ich ihm, wie man Marshmallows röstete. Vorsichtig hielten wir ein Stöckchen ins Feuer und ich erklärte Sebastian, dass er das niemals allein machen durfte. Er hörte mir aufmerksam zu und schließlich sah ich in ein glückliches Kindergesicht, dass begeistert einen Marshmallow nach dem nächsten verputzte. Es war eine riesige Sauerei und als das Fleisch fertig war, war sein kleiner Magen natürlich voll.

Die Stimmung am Tisch war seltsam. Ich schwieg. Sophia ebenfalls, es sei denn Nella oder Sebastian redeten mit ihr. Zayn aß ebenso stumm und Liam war sichtlich anzumerken, dass er sich unwohl fühlte. Schlussendlich versuchte Nella die Stimmung zu heben, sie stellte einen Haufen Fragen, an dem ich erkannte, dass sie nicht wirklich zu der Sorte Frau gehörte, die ihre Nase in Klatschzeitschriften steckte.

Nella gestand, dass sie damals so tief im Studium steckte, dass sie kaum für etwas anderes Zeit gehabt hatte. Trotzdem half ihre Fragerei nicht dabei, die Anspannung zu vertreiben, denn auch wenn Liam höflich blieb, so waren seine Antworten seltsam knapp.

Zayn schwieg immer noch dazu.

Am Ende erhob ich mich und während Sebastian zum Spielen verschwand, sah ich wie Liam und Zayn anfingen den Tisch abzuräumen. Keine zehn Pferde würden mich nun in die Küche kriegen, allen voran, weil ich nicht wusste, was jetzt zwischen Sophia und Liam lief. Es sah nicht danach aus, als hätten sie wirklich richtig miteinander gesprochen.

Kenwood Park sollte ein Ort werden, an dem man Luft bekam, aber gerade fühlte es sich nicht so an. Ich wollte nach draußen, als ich sah, dass Nella sich noch einmal ihre Schuhe anzog und ich fragte: „Wo willst du hin?"

„Spazieren", antwortete sie und ich runzelte die Stirn: „Jetzt noch? Es ist fast dunkel."

„Dafür gibt es Taschenlampen, außerdem wollte ich eine kurze Strecke ablaufen, wo normalerweise kleine Lampen brennen sollten. Hank hat mir gezeigt, wie ich die Sicherung bediene", erklärte sie ruhig.

In diesem Moment hörte ich es in der Küche klappern und beschloss kurzerhand mich anzuschließen. Hier würde ich definitiv nicht bleiben. Nachdem ich ebenfalls in meine Schuhe geschlüpft war, mir eine Jacke überzog, folgte ich Nella. Es war kalt und je mehr wir uns vom Haupthaus entfernten, umso finsterere wurde es.

Für die Strecke, welche als Straße für die Autos diente, brauchten wir noch keine Taschenlampe, aber als es zu den nahen gelegenen Cottages ging, da flackerte in der ersten kleinen Straßenlaterne schon die Birne.

„Sieht so aus, als müsste hier auch etwas dran gemacht werden", brummte Nella und schrieb sich eine Notiz ins Handy. Sie blieb völlig überraschend stehen und ich sah sie verwirrt an: „Was ist, wollen wir nicht weiter und die drei Cottages eben ablaufen?"

Unsicher biss Nella sich auf die Unterlippe: „Ähm... dort ist es nicht sonderlich gut beleuchtet."

„Ist schon klar, aber hast du deswegen nicht die Taschenlampe mitgenommen?", diese Frau verwirrte mich.

„Also...", stammelte sie. „I-Ich hatte eigentlich nur vor ein bisschen zu gehen. Wo ich den Weg sehen kann und so."

Belustigt drehte ich mich zu ihr um. „Du hast Angst", stellte ich fest. „Hätte ich mir denken können."

„Ich habe keine Angst!", presste Nella heraus und ich sah, dass ich sie herausgefordert hatte. Gelassen nahm ich ihr die Taschenlampe ab und sprach: „Dann wird es doch sicher kein Problem sein, wenn wir eben schauen, ob die Laternen bei den anderen Cottages auch gehen, oder kaputt sind."

Sie zögerte, doch dann richtete sie sich auf und meinte: „O-Okay, nur zu, so weit ist das von hier aus auch nicht mehr."

Innerlich grinste ich wie ein Honigkuchenpferd, doch äußerlich nickte ich nur knapp. „Na dann los." Ich machte die Taschenlampe an und schlug den Weg ein. Kurz darauf hörte ich, dass Nella dicht hinter mir war.

Unter unseren Füßen knirschte der Kies und als ich zum ersten Mal stolperte, kam mir in den Sinn, dass Nella vielleicht die Klügere war. Denn es war so finster, dass ich ohne die Taschenlampe absolut nichts sehen konnte. Kühler Wind zerrte an unseren Jacken und immer wieder spürte ich, wie Nella kurz meinen Arm berührte und ihre Hand wieder zurückzog.

„Was hat Liam heute Mittag eigentlich gesagt?", fragte Nella nach einer Phase der Stille. Das Heulen des Windes schien sie nervös zu machen.

Ich leuchtete mit der Taschenlampe kurz nach links und nach rechts, dann fasste ich zusammen: „Er meinte, dass Sebastian nicht sein Sohn ist und er das wahrscheinlich mit einem Vaterschaftstest bestätigten lassen will."

„Na dann wünsche ich ihm mal viel Glück", sprach Nella leicht sarkastisch. „Sophia sieht mir nämlich nicht danach aus als würde sie zulassen, dass er sich Sebastian einfach so unter den Arm klemmt und mitnehmen kann."

Allein die Vorstellung ließ mich schon schmunzeln. Sophia würde für den kleinen Hosenpupser kämpfen, wie James Bond im Namen der Queen. Außerdem glaubte ich nicht, dass sich Sebastian so leicht unter den Arm klemmen ließ.

Er würde einen auf Supermann machen und dermaßen brüllen, dass Liam sicher irgendwann wegen potenzieller Kindsentführung angehalten werden würde, bevor er auch nur irgendeinen Vaterschaftstest hatte machen lassen können.

„Hat sich da gerade etwas bewegt?", vernahm ich Nellas zögerliche Stimme und leuchtete zu den Bäumen, die sich nun rechts und links erstreckten und uns einkesselten. Zugegeben, die Bäume hatten schon etwas gruseliges. Trotzdem blieb ich gelassen. „Wo?"

„Jetzt ist es weg."

„War vielleicht nur ein Tier, oder so", warf ich ein und schlenderte einfach weiter.

„E-Ein Tier? Doch wohl kein Wolf?", fing Nella plötzlich an zu flüstern. Sichtlich amüsiert schmunzelte ich: „Ich dachte, du hast mittlerweile nachgeschaut, ob es in Kenwood Park Wölfe gibt."

„Ehrlich gesagt war ich zu beschäftigt die Bombe zwischen Eleanor und Louis zu entschärfen, Sophia Details wegen Sebastian aus der Nase zu ziehen, diesen Zayn Malik aus dem Weg zu gehen, Harrys Aufgaben zu erfüllen und dich bei Laune zu halten", ratterte sie runter.

Nun spürte ich, wie sie sich am Rücksaum meiner Jacke festhielt. Nur leicht, so als hätte sie Angst, sie könnte mich bei einem halben Meter Abstand verlieren.

„Mich bei Laune zu halten?", fragte ich empört. „Ich bin die pflegeleichteste Person unter der Sonne."

Nun schnaubte Nella: „Ja klar, das glaubst auch nur du. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der dermaßen undurchsichtig ist, wie du. Da lässt sich Hannibal Lecter leichter analysieren."

„Wir sind in einer stockfinsteren Gegend, niemand würde dich schreien hören, du bist vollkommen abhängig von der Taschenlampe, die ich in meinen Händen halte und trotzdem wagst du es, mich mit einem Psychopathen zu vergleichen?", entwich es mir und sie grummelte etwas. Dann schwiegen wir. Zweimal kamen wir an einer kleinen Weggablung vorbei, einmal erreichten wir eine Laterne, die flackerndes Licht von sich gab und unsere Situation hätte wahrlich nicht mehr von einem Horrorfilm haben können. Fehlte nur noch ein maskierter Mann, der aus dem Wald gestürzt kam.

Und trotzdem blieb ich erschreckend ruhig. Selbst als ich eine Eule hörte, machte ich mir nicht ins Hemd. Nella hinter mir dafür jedoch umso mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir endlich das erste Cottage und Nella hauchte: „Auf der Karte sah das sehr viel näher aus."

Kurz beleuchtete ich das Cottage und fragte: „Sollen wir die anderen beiden auch noch ablaufen?"

„Nein", antwortete sie eine Spur zu heftig. „Ich glaube, es reicht das wir wissen, dass diese dummen Laternen nicht die Spur funktionieren und wir so einiges tun müssen, für eine bessere Beleuchtung."

Ich zuckte mit den Schultern. Von mir aus. Ich wandte mich wieder um und dann spürte ich, wie Nella dieses Mal richtig nach meinem Arm griff. Es tat gut zu sehen, dass Miss Oberschlau auch ein paar Schwächen hatte. Ohne darüber nachzudenken nahm ich ihre Finger zwischen meine und verschränkte unsere Hände.

Sie war eiskalt und ich begriff, dass sie wirklich Angst hatte und das nicht nur bloß vorspielte. Als ich auf einen Ast trat und dieser knackte, zuckte sie sogar zusammen. Plötzlich blieb ich stehen und sah nach vorne. Unsicher fragte Nella: „Was ist?" Sie folgte meinem Blick und dann blinzelte sie: „Aus welcher Richtung sind wir gekommen?"

„Gute Frage." Es gab keine Schilder und in der Dunkelheit sahen beide Wege gleich aus. Zu allem Übel flackerte auch noch die Taschenlampe. Besonders lange hatten wir kein Licht mehr.

„Rechts, oder?", Nella klang genauso unsicher, wie ich mich fühlte. Ihr Griff um meine Hand verstärkte sich. Schweigend sahen wir auf die Wege, die absolut gleich aussahen. Erst als die Taschenlampe wieder flackerte, begannen wir hektisch zu werden.

„Wir gehen einfach nach rechts!", beschloss Nella und ich warf ein: „Was, wenn wir falsch liegen und dann vollkommen im Dunklen herumirren?"

„Ich habe mein Handy für den Notfall da-", sie hatte es aus ihrer Jackentasche gezogen und verstummte prompt, denn es blieb dunkel. Der Akku war leer und das Display schwarz. „Hast du deines dabei?" Der hoffende Unterton in ihrer Stimme blieb mir nicht verborgen.

„Sorry, aber daran habe ich nicht gedacht", brummte ich nur, denn seit ich in Kenwood Park, nutzte ich erschreckend wenig Technik. Jetzt überlegte ich, ob wir es riskierten in die falsche Richtung zugehen, oder...

„Wir könnten zum Cottage zurück, vielleicht haben wir Glück, dass es dort eine Petroleumlampe gibt."

So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie Nella plötzlich an meiner Hand zerrte, damit wir den Weg zurück gingen. Das kleine dunkle Cottage lag, wie ein Hexenhaus vor uns und ich wunderte mich nicht einmal, dass Nella keinen Einspruch erhob, als ich die alte Tür aufbrach. Zugegeben, das war nicht wirklich schwierig.

Die Tür knarrte, genauso wie der Holzboden unter meinen Füßen. Hoffentlich brach ich nicht ein, denn ich könnte mir Besseres vorstellen als bei diesem nächtlichen Ausflug auch noch Blessuren zu sammeln.

Möglichst ruhig leuchtete ich durch die zwei Räume, die ich erkannte. Eine Art Wohnzimmer und das andere war ein Schlafzimmer mit völlig angestaubten Betten und offenen Kleiderschränken. Eine Treppe für den Dachboden sah ich nicht, eine Küche jedoch auch nicht. Dafür aber einen Kamin.

Kurzerhand drückte ich Nella die immer schwächer werdende Taschenlampe in die Hand und wies an, dass sie hinter mir her leuchten sollte. Hinter dem Haus fanden wir einen großzügigen Stapel mit Holz. Zwar war es ein wenig feucht, aber die Hoffnung nicht ganz verloren.

Zurück im Haus riss ich schließlich sämtliche Schubladen auf. Denn wo ein Kamin war, waren in der Regel auch Streichhölzer.

„Meinst du, wir haben so viel Glück?", flüsterte Nella plötzlich wieder. Ich schnaubte und dann endlich hatte ich tatsächlich eine Schachtel mit drei Streichhölzern drin. Das erste Buch, dass ich auf einer kleinen, wackeligen Anrichte sah, nahm ich, riss die Seiten raus und nutze das Papier, um das Feuer im Kamin anmachen zu können.

Nella fing unruhig an hinter mir auf und ab zu gehen und dann endlich knisterte das Feuer im Kamin. Gerade rechtzeitig, denn die Taschenlampe ging aus, egal wie heftig sie dagegen schlug. Nun tauchte das Feuer den Raum in angenehmes Licht, aber auch mit Wärme. „Glück gehabt", sprach ich und wandte mich um.

Nella graste das Zimmer ab und stellte fest: „Keine Petroleumlampe weit und breit, dafür aber das hier." Nun zog sie einen robusten Korb mit Feuerholz hervor, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Genug Holz für die gesamte Nacht hatten wir auf jeden Fall.

„Wenn ich mir vorstelle, dass du erst alleine gehen wolltest, dann könnte ich mir einen Ast ablachen", gestand ich breit grinsend, besonders als Nella plötzlich anfing die Tür doppelt zu verrammeln, indem sie noch etwas davorschob, das aussah wie eine Truhe. Die Fensterläden waren schon geschlossen, sonst hätte sie sich sicher wieder nach draußen gewagt.

„Das ist nicht lustig", fauchte sie sichtlich verstimmt. „Was, wenn es hier wirklich Wölfe gibt, oder sogar Bären?"

„Die hätten sich hier sicher schon wohnlich eingerichtet", meinte ich nur und zog die Jacke aus. Überall war es staubig und ich wagte es nicht mich auf die Couch zu setzten. Vorsichtig fegte ich den Boden etwas sauber und musste dabei niesen. Dann warf ich die dicke Jacke zu Boden und setzte mich.

Nella tat es mir gleich, doch vorher suchte sie den gesamten Raum ab. Nach was, das verriet sie mir nicht. Schließlich ließ sie sich neben mir nieder und zog ihre Jacke ebenfalls aus. Dann schnürte sie ihre Wanderschuhe auf und streckte die Beine lang. „Toll", sprach sie. „Das habe ich schon immer gewollt, eine Nacht in einer Bruchbude verbringen, in der es weder Strom noch fließend Wasser gibt."

„Hätte noch schlimmer kommen können", meinte ich gelassen und fragte mich, wo zum Teufel ich diese Ruhe hernahm. Vielleicht lag es daran, dass ich Abstand zwischen Liam, Zayn und mich gebracht hatte. Von der Hand zu weisen war jedoch nicht, dass ich endlich wieder richtig durchatmen konnte. Entspannt sah ich ins Feuer und lehnte mich gegen die geflickte und kleine Couch.

Vielleicht war es brutal das zu sagen, aber im Augenblick fühlte ich mich wohler, wenn ich mich nicht bei meinen Freunden aufhielt. Selbst bei Louis hatte ich das Gefühl ich müsste eine bestimmte Rolle erfüllen und Erwartungen entsprechen.

Es war falsch, das wusste ich, aber ich fiel automatisch in mein Muster. Mittlerweile konnte keiner von ihnen mehr leugnen, dass sich etwas verändert hatte, aber es gab noch immer diese Linie, auf der wir uns alle befanden.

Ich spürte, wie Nellas Finger plötzlich durch mein Haar strichen. Sanft und zärtlich. Sie rückte etwas näher und mein gesamter Körper war zutiefst gelockert.

„Niall, darf ich dich mal etwas fragen?", drang ihre Stimme an mein Ohr und ich neigte leicht den Kopf. Nella wirkte im Licht des Feuers nicht so blass, wie ich sie sonst empfand.

„Was ist?"

Mittlerweile strichen ihre Finger an meinen Hinterkopf entlang, es fühlte sich gut an und dann berührten sie meinen Nacken. Eine Gänsehaut jagte über meinen Rücken, obwohl es nur eine federleichte Berührung war.

„Wieso hältst du deine Freunde auf Abstand?"

Es war eine einfache Frage, doch ich konnte nicht direkt antworten. Denn mir war, als hätte Nella meine Gedankengänge gelesen. Sie malte Zeichen in meinem Nacken und schließlich neigte ich den Kopf und sprach: „Weil ich glaube, dass es so besser ist."

Ihre kalten blauen Augen scannten mein Gesicht ab, ich hatte nicht bemerkte, wie nahe sie neben mir saß. Nella hatte eine seltsame Wirkung auf mich. Am Anfang hatte ich sie gehasst dafür, sie hatte mich schlicht wütend gemacht. Aber je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte, umso mehr spürte ich diesen unglaublichen Raum den sie mir gab. Sie erwartete nichts von mir, wie meine Freunde, denn sie kannte mich nicht, wie ich einst gewesen war. Für sie war ich 'echt' wie ich mich gab und das verschaffte mir sehr viel Freiheit.

Freiheit, die ich nicht erklären konnte.

Für Nella war ich Niall. Der, der ihr mit seiner schlechten Laune auf den Geist ging, der, der unhöflich, egoistisch und mürrisch sein durfte. Ich musste keine Witze, kein Charme und keine Leichtigkeit vortäuschen. Alles, was mich ausgemacht hatte, bevor ich den Unfall gehabt hatte - es war Nella fremd.

Und dafür war ich dankbar.

„Glaubst du das wirklich, oder hast du einfach nur Angst?", hakte sie sanft nach und ich neigte leicht den Kopf. Ich strich ihr, ohne darüber nachzudenken, eine Haarsträhne aus dem Gesicht und befeuchtete meine trocknen Lippen: „Ich denke, es ist ein Bisschen von Beidem."

Schließlich beugte ich mich vor. Das Verlangen Nella einfach zu küssen, war wieder da und ich gab mir keinerlei Mühe dagegen anzukämpfen. Sie schmeckte nach Kirschbonbons und ich dachte sofort an die Tüte Süßigkeiten, die sie mir eins überlassen hatte. Statt auf Gegenwehr traf ich auf Zustimmung, denn Nellas Lippen bewegten sich liebevoll gegen meine. Mein Arm schlang sich um ihre Hüfte und ich zog sie prompt näher zu mir.

Nähe - das war alles, woran ich denken konnte. Der leichte Duft ihres Parfüms benebelte mich, umfing mich und hielt mich fest.

Nella rutschte auf meinen Schoss, ihr Körper presste sich gegen meinen und jeder Augenblick, wenn sich unsere Lippen lösten, kam mir vor, wie eine Verschwendung. Ich gab mich völlig dem Kuss hin, hörte sie seufzten, schließlich leise stöhnen und verdrängte vollkommen, dass ich dafür zuständig war.

Meine Hand war unter ihren grauen Rollkragen gekrochen und strich über die weiche Haut ihres Rückens, dann fuhr ich spielerisch an ihrer Wirbelsäule entlang. Ich ertastete den Verschluss ihres BHs und bemerkte kaum, dass sie mit ihren Lippen nun über meine Wange strich, bis sie eine Stelle hinter meinem Ohr berührte und ich spürte, wie eine Welle an Hitze meine Haut überzog.

Ohne es zu wollen, stöhnte ich leise auf und ließ zu, dass sie meinen Hals küsste. Die Welt glitt in weite Ferne. Es war lange her, seit ich das letzte Mal einer Frau so nahe war, abgesehen von Nella selbst.

Wenn ich daran dachte, was alles hätte passieren können, bevor Liam und Zayn und gestört hatten, dann wünschte ich sie dahin, wo der Pfeffer wuchs.

Mit der rechten Hand glitt ich zwischen Nella und mir und wollte den Knopf ihrer Jeanshose durch das Loch zwängen. Denn ich wollte dieses Mal nicht gestört werden und völlig den Verstand ausschalten. Nur dieses eine Mal wollte ich an nichts denken, was sich Vernunft nannte. Ich konnte nur daran denken Nella überall zu berühren, ihre Haut an meiner zu spüren und sie zu haben.

Zu besitzen.

Unter mir zu wissen.

Ihr Stöhnen sollte an meinen Lippen abprallen, ihre Haut salzig schmecken und ich jeden Zentimeter ihres Körpers unter meinen Händen erkunden. Der Knopf schlüpfte durchs Knopfloch.

In diesem Moment löste Nella sich von mir, sie hielt meine Hand fest und wirkte schrecklich atemlos. Ihre Lippen glänzten, ich wollte sie gerade erneut küssen, als sie sprach: „Niall... nicht hier."

„W-Was?", vollkommen vor den Kopf gestoßen sah ich sie an. Mittlerweile war ich hart und das dürfte Nella, so wie sie sich auf meiner Hüfte bewegte, durchaus gespürt haben. Dieses Plötzliche 'Stopp' warf mich konfus aus dem Konzept.

„Wir... ich meine... also... hast du ein Kondom dabei?" Ihre Wangen waren überzogen von einer Röte, die mich dummer Weise noch mehr anmachte als sie es sollte. Jetzt nahm ich sichtlich frustriert die Hände von ihr. Mist, natürlich hatte ich keins dabei. Wieso auch?

„Du hast recht." Meine Stimme klang seltsam rau, aber auch verstimmt. Überraschenderweise sah ich, wie Nella den Kopf hängen ließ und von meinem Schoss klettern wollte, doch ich hielt sie an den Oberschenkeln fest: „Was ist los?"

„N-Nichts", log sie mich an und ich zog sie wieder näher zu mir. Überheblich sprach ich: „Lüge."

Nella sah mich an, dann antwortete sie geradeheraus: „Ich denke nur, dass es vielleicht nicht sein sollte und besser ist, dass wir entweder gestört werden oder anderweitig aufgehalten."

Unangebrachter Weise musste ich lachen, etwas, was Nella nicht halb so lustig fand, wie ich, weshalb sie mich mit dem Zeigefinger in die Seite pikste und ich leicht zusammenzuckte.

„Du gibst schon auf?", fragte ich sie amüsiert. „Ich hätte dich für ein bisschen hartnäckiger gehalten. Ich meine, ich bin schließlich nicht irgendein daher gelaufener Kerl, den du nach ein paar Cocktails zu viel aufgerissen hast und der gerade keinen mehr hochbekommt."

Nella schlug sich dramatisch gegen die Stirn und schüttelte entsetzt über sich den Kopf. „Du hast recht, wie konnte ich nur! Du bist schließlich der Letzte auf meiner Liste und dann kann ich mich wohl damit rühmen, dass ich die einzige Frau auf der Welt bin, die ganz One Direction im Bett hatte."

Meine Gesichtsmuskeln entglitten mir, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. „Okay, das war jetzt definitiv ein eins A-Stimmungskiller, auch wenn es nur so daher gesagt ist", rutschte es mir raus und Nella ging von meinem Schoss runter.

Nun war sie es, die in schallendes Gelächter ausgebrochen war. Sie kugelte sich vor Lachen auf die Seite und hielt sich den Bauch. Ihr Lachflash schien nicht mehr abzubrechen. Ich beugte mich über sie und begann sie zu kitzeln, doch ihr Lachflash riss einfach nicht ab.

„Das war nicht witzig!", sprach ich und als sie atemlos liegen blieb, grinste sie breit: „Oh doch, du hättest dein Gesicht sehen sollen."

Ihr Rücken berührte meine Brust, ich schlang meinen Arm um sie, zog sie zu mir und regungslos blieben wir schließlich hintereinander liegen. Das Feuer knisterte. Wärme über zog uns, sowie Schatten, die sich an die Wände des Cottages warfen.

Nellas Hand umfasste meine und während ich hinter ihr lag, ihren Duft einatmete, spürte, wie sich ihre Brust hob und senkte, schloss ich meine Augen.

Nellas Nähe beruhigte mich und obwohl sich die Stimmung von einem Augenblick zum anderen verändert hatte, störte es mich nicht. Ich blieb einfach liegen. Lauschte ihrem Atem und vergaß, dass ich auf einem harten, staubigen Boden lag und meine Jacke das einzige war, was uns trennte.

In dieser Nacht schlief das erste Mal seit einer langen Zeit wieder ohne Schlafmittel. Die innere Panik und Angst waren mir so fern, wie noch nie.

Eine kostbare Ruhe überkam mich.

Es war der Moment, in dem ich beschloss, dass ich diese innere Ruhe festhalten wollte.



⸙ ● ⸙ ● ⸙

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