16 Die Schlucht der Freundschaft.
【 NIALL 】
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„Ist das dein Ernst?", fuhr ich Liam lautstark an. Innerhalb von Sekunden schlug meine Laune um. Eben noch war mir danach gewesen, mich gänzlich in einem nebeligen Handeln zu verlieren und jetzt überwältigte mich blanke Wut.
Ich konnte es verdammt noch mal nicht glauben.
Loki hatte nur kurz sein Herrchen begrüßt, dann verzog er sich wieder ins sichere Warme. Ich dagegen konnte nicht anders als voller Abscheu das Gesicht zu verziehen. „Das ist der Grund, warum du niemanden von uns zurückgerufen hast?"
Innerlich war ich kurz davor zu explodieren, aus Enttäuschung. Ich konnte es nicht fassen. Mit einem Mal wurde mir klar, dass Harry recht hatte. Wir kannten uns untereinander nicht mehr und hatten uns auseinandergelebt.
„Ich kann das erklären", sprach Liam erschöpft und ich nahm den Blick von meinem einst, angeblich besten Freund. Voller Abscheu sah ich auf die Person, die er mitgebracht hatte.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich versuchte krampfhaft nicht auszuflippen.
Es war eine Ewigkeit her, seit ich Zayn zum letzten Mal gesehen hatte.
Abgesehen von den kurzen Momenten, wenn ich durch das Fernsehprogramm gezappt war. Mit ihm war ich fertig nachdem er in einem gewissen Interview Dinge verraten hatte, die niemals ans Licht hätten kommen dürfen. Die Art, wie er lässig bei David Letterman auf der Couch gesessen hatte und ungehemmt ein Geheimnis nach dem Nächsten rausgehauen hatte, war nichts, was ich mir noch einmal antun wollte.
Diese unglaubliche Rücksichtslosigkeit war bei uns allen angekommen und hatte eine tiefe Schlucht gerissen. Natürlich war es für Letterman das Interview des Jahres gewesen. Für uns hatte das hysterische Fans, enorme Imagearbeit und Stress bedeutet. Inklusive des Verlustes von ein paar Freundschaften. Besonders Harry hatte unter den Enthüllungen gelitten.
„Das du es überhaupt wagst hier her zu kommen!", raunzte ich Zayn an. Es war mir egal, dass er erbärmlich aussah, dunkle Schatten unter seinen Augen lagen, er erschreckend dünn und sein Kopf kahlgeschoren war. Geschockt wich dieser einen halben Schritt zurück.
„Niall", begann Liam, „hör zu, es ist-"
„Nein, jetzt hörst du mir mal zu!", unterbrach ich ihn lautstark. „Ich will kein verficktes Wort hören über eine angeblich logische Erklärung für diesen Scheiß!"
„Gib mir zwei Minuten!", bat Liam mich, doch ich wandte mich um. Auf die zwei Minuten schiss ich.
„Niall, bitte, es ist wichtig und-" Er langte nach meinem Arm. Mein Kopf schaltete sich aus, ich griff in seine Jacke und stieß ihn die paar Stufen von der Veranda runter. Mir fiel nicht einmal auf, wie leicht er sich von mir überrumpeln lief und wie schwach sein Reaktionsvermögen war. Er stürzte auf die Steinplatten, doch sein schmerzverzerrtes Gesicht minderte meine Enttäuschung nicht.
„Wir hatten keine Ahnung, wo Harry ist, was er treibt und ob es ihm wirklich gut geht!", fuhr ich ihn an. „Und du kümmerst dich um den da? Du rufst Sophia nicht zurück und lässt sie völlig im Unwissenden und jetzt kriechst du hier an, mit einer Ausrede, die alles erklärt?"
Meine Stimme war immer lauter geworden. „Du kannst mich mal, Liam! Im wahrsten Sinne des Wortes. Verpiss dich einfach, Louis und ich packen das hier auch allein!"
„Louis ist hier?", hörte ich Zayn zaghaft fragen und bemerkte dabei, dass seine Stimme anders klang. Rau, seltsam, überhaupt nicht mehr kraftvoll. Aber das konnte mir ja nun wursch sein. Statt Zayn zu antworten, wandte ich mich ab und war überrascht, dass Nella in der Haustür stand. Frisch geduscht und umgezogen. Regungslos sah ich sie an und registrierte, dass meine Reaktion analysierte.
Langsam verschränkte Nella die Arme vor der Brust und sprach: „Wie gut, dass du das nicht entscheidest, Niall. Wenn Mr Payne hier sein will, dann hat er jedes Recht dazu. Denn es ist auch sein Problem, wenn sein Konto weiter gesperrt bleibt."
Ich erinnerte mich an Harrys fiesen Clou, der schon Louis hierhergebracht hatte. Wie nervös die Leute immer wurden, wenn es um ihr heiliges Geld ging. Als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben. Sichtlich verstimmt schob ich mich an Nella vorbei. Vergessen schien, dass wir uns vor wenigen Minuten geküsst hatten und unwichtig, wohin das alles vielleicht hätte führen können.
Noch bevor ich den ersten Stock erreichte hörte ich, wie sie Liam und Zayn herein bat und sich vorstellte. Sophia hatte ein erschreckendes Timing, was ihren Ausflug anging. Zum Glück war sie mit Sebastian außer Haus. Es reichte mir, wenn Eleanor und Louis die Messer wetzten, da musste Sophia nicht auch noch die Knarre laden.
Endlich kam ich zu der ersehnten Dusche und wusch mir das Gras aus den Haaren. Konsequent mied ich danach den Blick in den Spiegel, wie immer und zog mir frische Kleidung an. Mein Haar war noch feucht und ich verzichtete darauf, es zu kämmen. Ich wollte nur noch mein Bier trinken und dann ins Bett verschwinden.
In der Küche traf ich jedoch Nella, Liam und Zayn an. Erste erklärte meinen ehemals besten Freund was sie auch schon Louis und mir erzählt hatte. Nämlich welche Bedingungen Harry an uns gestellt hatte. Liam bekam einen giftgrünen Brief und las ihn sich durch. Vor ihnen stand eine heiße Tasse Tee und ein Teller voller Sandwiches.
„Wo ist Sophia, ich dachte sie wäre hier?", hörte ich Liam fragen und blieb direkt stehen. Ach, jetzt war sie plötzlich wichtig?
„Sie ist mit Sebastian außerhalb der Stadt und müsste morgen wiederkommen. Durch das Unwetter wurde eine Überfahrt gesperrt", erklärte Nella und Liam wollte wissen: „Wer ist Sebastian?" Er klang gepresst, leicht angespannt und ich kannte diese Tonlage nur zu gut. Zeit ihn ein bisschen zu quälen.
„Ihr Neuer", klinkte ich mich ungefragt in das Gespräch mit ein und schlenderte barfuß zum Kühlschrank, aus den ich mir das verdiente Bier nahm. „Echt cooler Kerl. Zuverlässig, fleißig und äußerst charmant."
Nellas und mein Blick trafen sich, sie presste kurz die Lippen aufeinander, sagte jedoch nichts zu meiner Lüge. Liam dagegen spannte sich an, aber statt nachzuhaken, schwieg er. Das war auch eine Lösung, schließlich konnte er das am besten.
Ich nahm einen Schluck von dem kalten Bier und sah Zayn an. Dieser hatte den Blick zum Fenster gerichtet, so als würde er das Unwetter beobachten, dass sich nun mehr und mehr zusammenbaute. Ich hörte den Wind heulen und hoffte, dass das Dach dem heftigen Regen standhielt.
Früher einmal hatte ich Zayn cool gefunden, heute fragte ich mich, wie ich ihn je hatte bewundern können. Er war charakterlich ein Schwein und äußerlich war von dem hübschen jungen Mann kaum noch etwas vorhanden.
Sein Egoismus hatte mich die Freundschaft zu Justin, Cody und Demi gekostet. Alle drei redeten kein Wort mehr mit mir und dass nur, weil Zayn beschlossen hatte, einen Tag der Abrechnung ins Leben zu rufen. Dabei hatte es keinen einzigen Grund gegeben uns dermaßen in die Pfanne zu hauen.
Ich hatte kein Mitleid mit ihm, egal, wie jämmerlich er gerade aussah. Die Klamotten waren ihm zu groß und mit einem Blick auf die Hände erkannte ich, dass sie knochig wirkten. Die Haut war gefährlich gespannt, wahrscheinlich hatte er über einen längeren Zeitraum nicht richtig gegessen.
Liam faltete den Brief von Harry zusammen, dann sprach er: „Ist es okay, wenn ich hierbleibe und die erste Aufgabe erfülle?"
„In Carlton's Mills gibt es sicher ein Zimmer", sagte ich und nun verzog Nella das Gesicht: „Unsinn, wir haben hier mehrere Räume frei, es wäre Quatsch, wenn Mr Payne und Mr Malik jeden Tag hin und her fahren müssten."
„Die Handwerker tun das auch", warf ich ein und prompt hielt sie wieder dagegen: „Den Handwerkern hat Harry aber nicht das Konto sperren lassen."
„Nun, Zayns dürfte noch großartig laufen", ich zeigte mit dem Flaschenhals auf ihn. Überraschenderweise war es Liam, der nun abwehrte: „Nein! Zayn und ich haben jedes Recht darauf ebenfalls hier zu sein. Ich werde mich nicht verdrücken, nur weil du schlechte Laune hast."
Nun brach ich in lautes Gelächter aus und schüttelte den Kopf: „Du glaubst, dass mein Verhalten eine Laune ist? Oh Liam, lass mich dir versprechen, wenn du morgen wach wirst, dann werde ich kein Problem damit haben, dir wieder den Ausgang zu zeigen. Nur werde ich dir dann definitiv erneut eine reinhauen, wenn du dich mir in den Weg stellst."
Ich trank das Bier leer, stellte die Flasche weg und verließ die Küche wieder. Mehr Zeit als nötig musste ich nun nicht mit ihnen verbringen. Ohne zu zögern warf ich meine Zimmertür zu. Es war mir egal, was Nella nun mit ihnen machte, mit ihnen beredete, oder wie sie Harry erklären wollte, dass Zayn hier war. Denn wenn ich eines sicher wusste, dann das Harry keine andere Meinung von Zayn hatte.
Der Verrat war an jeden von uns hoch, aber Harry hatte es am meisten getroffen. Besonders weil es eine schwierige Zeit mit ihm gewesen war. Ich warf mich auf meine Matratze und starrte an die Decke. Das tat ich solange, bis ich schließlich nach meinen Kopfhörern angelte.
Stephen King wollte mir die Geschichte des 'Doctor Sleep' schmackhaft machen und einmal mehr fand ich das schrecklich ironisch. Früher hatte ich diese Sorte Hörbuch nicht einmal angefasst, jetzt konnte ich von all diesen Horrorszenarien nicht genug bekommen. Ich wäre allerdings auch nicht auf die Idee gekommen, etwas anderes als Musik zu hören.
Kurz streifte mein Blick die Gitarre, die an der Wand lehnte. Sie war immer noch da, was hatte ich auch erwartet? Dass sie sich in ein paar Stunden in Luft auflöste? Ich drehte mich auf die Seite und versuchte mich auf die Stimme in meinen Kopfhörern zu konzentrieren, doch es fiel mir schwer. Regungslos sah ich auf das Fenster und beobachtete, wie die Regentropfen an der Scheibe herunterliefen.
Hoffentlich ging es Eleanor und Louis auf ihren privaten Todesmarsch gut. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sie einfach losziehen zu lassen. Was, wenn einer von ihnen verletzt war oder sie beschlossen hatten den Weg getrennt abzuwandern?
So etwas Blödes würde nicht einmal Louis einfallen. Hoffte ich.
Gerade, als ich dabei war, ein wenig wegzudriften, bemerkte ich, dass sich die Zimmertür öffnete. Ich regte mich nicht, als sich jemand auf die Matratze setzte, doch an dem zarten Duft erkannte ich, dass es sich um Nella handelte. Sie machte keine Anstalt so bald wieder weg zu gehen und deshalb zog ich mir irgendwann die Kopfhörer von den Ohren und setzte mich aufrecht hin.
„Was?", fauchte ich, aber damit schüchterte ich sie nicht ein. Stattdessen hob sie nur die Hände: „Wow, und ich hatte mich schon gefragt, wo deine arschige Seite hin ist. Du bist wieder so nett wie ganz am Anfang."
„Hast du sie weggeschickt?"
„Natürlich sind Mr Payne und Mr Malik noch hier", erklärte sie mir, dann provozierte sie mich mit einem dreisten Lächeln. „Sie haben mir sogar das 'du' angeboten und ich darf sie Liam und Zayn nennen."
„Großartig", entwich es mir sarkastisch.
Sie musterte mich und dann lehnte sie sich zurück, sodass sie komplett auf meiner Matratze lag: „Liam weiß überhaupt nichts von Sebastian, nicht wahr?"
„Nein", bestätigte ich, denn auch ich hatte bemerkt, dass er vollkommen anders auf den Namen reagiert hatte, als ich erwartete. Wahrscheinlich kannte er nicht einmal einen Sebastian. Wer wusste schon, was für Informationen Sophia ihm hatte zukommen gelassen hatte. Doch das sollte nicht mein Problem sein.
„Zayn sieht nicht gut aus. Ist er krank?" Ihre Frage machte mich bitter, denn ich wollte mich nicht damit beschäftigen. Er sollte mir weiterhin egal sein.
„Keine Ahnung", ich presste die Lippen aufeinander und wünschte, Liam und Zayn wäre nicht hier, sondern weit weg. Ich ließ mich ebenfalls nach hinten sinken, sah an die Decke und lauschte einer Weile Nellas ruhigen Atem.
„Niall?"
Ich mochte den Klang und die Art und Weise wie sie meinen Namen aussprach, doch trotzdem neigte ich nicht den Kopf.
„Was ist zwischen Zayn, Liam und dir vorgefallen. Wieso begegnest du ihnen mit solch einer Abneigung?"
Es war nicht leicht zu erklären und eigentlich wollte ich das auch nicht. So viele Dinge spielten eine Rolle dabei und immer, wenn ich mich daran erinnerte, was sich zwischen Liam und mir verändert hatte, dann war es bitter. Denn ich sah, was ich Harry angetan hatte und dass er mich trotzdem nicht aufgab.
Ich war nicht so närrisch und gab allein Liam die Schuld für die Veränderung zwischen uns. Denn ich trug genauso viel Schuld, schließlich war ich es gewesen, der nicht in dieselbe Richtung blickte, wie Liam und Harry.
Harry konnte damit umgehen und akzeptierte es, aber Liam verschloss die Augen davor. Seine Art, zu tun, als würde noch immer alles so sein, wie vor den Unfall, als gäbe es keine Zeit dazwischen, sie machte mich rasend. Irgendwann würde ich sicher explodieren.
„Weißt du, mancher Streit ist es nicht wert", begann Nella die Stille zwischen uns aufzuheben. „Nur stellt man es manchmal viel zu spät fest."
Nun wandte ich mich ihr zu und sie sprach: „Weißt du, was das Letzte war, was ich zu Samuel gesagt habe bevor er starb?"
Ich blinzelte, denn Nella sprach nie freiwillig über ihn und die Tatsache, dass sie das jetzt änderte, machte mich nervös. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen: „Ich habe ihm vorgeworfen egoistisch zu sein und dass er sich zum Teufel scheren sollte, nur weil er mir Dinge erzählt hat, die unsere Freundschaft belasteten."
„Nella", sprach ich belegt und streckte die Hand nach ihr aus.
„Ich bereue das mit jedem Tag, denn statt mich mit ihm zu streiten, ihm zu sagen, ich wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben, hätte ich Verständnis für ihn zeigen sollen und seine Fehler verzeihen sollen." Sie drehte den Kopf in meine Richtung. „Aber das habe ich nicht getan. Stattdessen bestrafe ich mich damit, daran zu denken, wie sehr ich ihn damit verletzt haben musste."
Ich musste schlucken und wollte etwas sagen, aber sie funkte mir dazwischen: „Spare es dir einfach, ich brauche keine tröstenden Worte, denn sie ändern trotzdem nichts daran, wie sehr ich diesen Streit bereue."
Nellas eiskalten Augen sahen in meine. „Sei schlauer als ich, Niall. Was auch immer zwischen Zayn, Liam und dir vorgefallen ist, sprich mit ihnen und kläre das. Du wirst nie wissen, wie viel Zeit dir noch bleibt, genau das zu tun."
Der Ratschlag war gut gemeint, aber ich wollte das nicht. „Nicht jedem passiert so etwas."
„Ich weiß. Aber jedem sollte klar sein, dass sich die Lage jederzeit ändern kann. Gerade du solltest das wissen."
In einem Ruck setzte ich mich wieder aufrecht hin, denn ich wusste genau, dass sie von dem Unfall sprach. Damit hatte sie bei mir eine innere Grenze überschritten. „Du solltest jetzt besser gehen." Statt weiter mit mir zu diskutieren, kam sie dem nach. Erst als ich wieder allein war, nahm ich den Blick von der gegenüberliegenden Wand. Das waren Momente, in denen ich mich selbst hasste. Ich wünschte, ich wäre wieder der Mensch der ich einmal war.
Jemand, der über solche Themen sprechen konnte. Der ausdrücken konnte, was er empfand und sei es durch Musik. Wieder sah ich auf die Gitarre und spürte, wie sich das fremde Herz verkrampfte. Musik war alles für mich gewesen.
Sie hatte mir dabei geholfen, mich in guten, als auch in schlechten Tagen bis in die Fingerspitzen lebendig zu fühlen. Jetzt, wo man mir diese Liebe genommen hatte, hätte ich genauso gut auch abkratzen können. Die einzigen Momente, in denen diese innere Leere verschwand, war, wenn ich mich über Nella aufregte, oder irgendeinen anderen Mist mit ihr machte. Dann war es in Ordnung, richtig und das Gefühl in meiner Brust warm.
Ich konnte mir das nicht erklären, was genau sie mit mir machte. Sie zog mich an, so wie es noch nie jemand zuvorgetan hatte. Es war gruselig, denn ich wusste, wie es sich anfühlte, wenn ich verliebt war oder eine Frau attraktiv fand. Bei Nella war es zu viel auf einmal. Sie widersprach sich in sich selbst.
Ich hatte meine eigene Richtung, aber Nella veränderte sie, wie Wind. Als hätte sie einen Plan mit mir, den ich noch nicht einmal erahnen konnte.
Wind.
Genau dies war das Wort, mit dem ich sie beschreiben würde. Es gefiel mir nicht und vielleicht wäre es besser, wenn ich Abstand zu ihr nahm. Wind hatte zu viel Macht darüber, wie meine Richtung aussah. Ich wollte nicht, dass sich jemand einmischte, ganz egal, wie gut ich mich in ihrer Nähe auch fühlte.
Rastlos versuchte ich zu schlafen und natürlich gelang es mir nicht. Ich driftete immer nur für ein paar Minuten weg, dann riss ich wieder erschrocken die Augen auf. Vielleicht lag das auch an dem Unwetter, das draußen tobte, oder mal wieder nur an mir selbst.
Um fünf Uhr gab ich es schließlich auf. Ich war durchgeschwitzt, obwohl es kühl war und schrecklich angespannt. Leise stand ich auf und duschte. Mal wieder. Dann zog ich mich lautlos an und versuchte die Treppe herunter zu gehen, ohne Krach zu machen.
Doch ich scheiterte allein daran, dass die Stufen knarrten. Im Haus herrschte Ruhe und in der Küche machte ich Licht. Gerade, als ich die Kaffeemaschine anmachte und meine Tabletten für den Tag nahm, tapste Loki in den Raum. Er gähnte und ließ sich in seiner gewohnten Ecke nieder.
„Sonderlich begeistert bist du scheinbar nicht darüber, dass dein Herrchen da ist, hm?", sprach ich mit ihm. Überschwängliche Willkommensfreude hätte auch anders ausgesehen. Die alte Kaffeemaschine fing an zu rattern und ich sah nach draußen. Immerhin hatte es nun aufgehört zu regnen. Ich zog mir einen grauen Hoodie über und sah Loki an: „Na komm, gehen wir eine Runde." Sofort erhob er sich und zusammen verließen wir das Haupthaus.
Der Tag roch frisch und unverbraucht und obwohl es erst halb sechs war, sah ich, wie der Himmel sich langsam färbte. Das Unwetter wich und am Himmel waren die ersten hellen Flecken zu erkennen.
Wir liefen am See entlang, ich vergrub die Hände in den Taschen des Hoodies und atmete tief durch. Das Gewicht auf meiner Brust wurde prompt Stück für Stück weniger und ich verlor das Zeitgefühl. Noch nicht einmal die morgendliche Kälte nahm ich wahr. Stattdessen war es einfach, als würde ich für eine unbestimmte Zeit einfach nur existieren.
Nichts zu fühlen, taub zu sein, das waren die Stunden, die mir am liebsten waren. Denn dann empfand ich kein Glück, dass mir wieder genommen werden konnte, oder noch schlimmer, dessen Auslöser mir gänzlich fremd war.
Irgendwann erreichten Loki und ich einen Steg, dort verharrten wir zusammen und ich sah auf das stille, klare Wasser hinaus. Der See lag vor mir, wie ein Spiegel. Farben vermischten sich und schließlich stieß Loki mich mit der Schnauze an. Ich sah auf ihn herunter und begriff, dass er genug für den Morgen hatte. Zögerlich folgte ich ihm schließlich den Kieselsteinweg zurück. Jedoch um einiges langsamer als am Anfang.
Das Haupthaus schob sich wieder zurück in mein Blickfeld. Man sah leichte Veränderungen, aber noch immer nicht so viele, wie ich es gerne hätte. Dieser Ort sollte etwas Besonders werden, etwas, wo man den Alltag und all die Probleme vergaß, die außerhalb von Kenwood Park auf einen warteten.
Ganz langsam wurde Harrys Projekt für mich etwas, was ich brauchte. Eine Aufgabe, an der ich mich festhalten konnte und ich würde nicht zulassen, dass Liam und Zayn mir das kaputt machten, nur weil sie plötzlich auftauchten und meinten wegen einem schlechten Gewissen mit zu mischen.
Loki lief voran und als er bellte, bemerkte ich, dass jemand durch die Tür auf die Terrasse trat. Liam rieb sich über das Gesicht, sein Haar stand zerzaust ab und er war unrasiert. In zögerlichen Schritten ging er die wenigen Stufen runter und kam Loki und mir entgegen. Sein Hund strich um seine Beine, bellte, ließ sich streicheln und Liam sagte etwas zu ihm. Dann ließ Loki ihn stehen und legte sich auf die Veranda. Sein Gesichtsausdruck war gequält und es tat mir nicht einmal leid drum. „Niall, wir sollten reden."
„Ich wüsste nicht, worüber", antwortete ich gleichgültig und wollte an ihm vorbei gehen, doch Liam stellte sich mir in den Weg. Er seufzte tief: „Doch, ich glaube schon."
Er hielt einen giftgrünen Umschlag in den Händen. Harrys Aufgabe. Verächtlich verzogen sich meine Lippen zu einem spöttischen Grinsen. „Du brauchst einen scheiß Brief, um mit mir reden zu wollen? Lass mich dir einen Tipp geben: Verpiss dich!"
Ich stieß Liam beiseite und mit jeder weiteren Sekunde fühlte ich mich mehr von ihm verraten. Ruckartig griff er nach meinem Arm und hielt mich fest.
„Meine Güte, Niall! Lass es mich doch erklären, verdammt noch mal!", herrschte er mich an und zerrte an mir, bis ich gezwungen war ihn anzusehen. Der Griff um meinen Arm verstärkte sich dabei nur noch mehr.
„Zayn hat mich angerufen und mich um Hilfe gebeten. Ich musste bis nach Kolumbien und dort habe ich ihn nicht so schnell gefunden. Es war reines Glück, dass ich in Bogota jemanden auftreiben konnte, der mir helfen konnte! Als ich Zayn schließlich hatte, hat man mir meine Tasche geklaut, in der sämtliche Papiere waren und unter anderem auch mein iPhone!"
„Du Ärmster!", sprach ich übertrieben sarkastisch. „Soll ich jetzt etwa Mitleid mit dir haben?"
Ganz langsam veränderte sich Liams Gesichtsausdruck, ich konnte erkennen, dass er wütend über mein mangelndes Mitgefühl wurde. „Verstehst du es nicht? Es war nicht gerade ungefährlich dort unten! Wir hatten ein riesiges Glück, dass wir überhaupt dort weggekommen sind! Hast du dir Zayn einmal angesehen? Es ist nicht so, dass wir dort Urlaub gemacht hätten!"
„Interessant, dass Zayn dir so wichtig ist, während alle anderen eher die Nebenrollen kriegen", sprach ich kühl und damit verwirrte ich Liam. „Deine Freundin zieht bei dir aus, Harry geht in einen öffentlichen Entzug, Louis feiert sich krankhaft den Arsch ab und das einzige, woran du denken kannst, ist diese Kanalratte! Hast du vergessen, was er getan hat?"
„N-Nein!", stotterte Liam und bohrte seine Finger schmerzhaft in meinen Arm. „Nein, ich habe das Interview nicht vergessen, aber es gibt Momente, da muss man darüber hinwegsehen und-"
Ich sollte darüber hinwegsehen, dass Zayn mir Freundschaften zerstört hat, dass Harry nicht mehr mit uns darüber gesprochen hatte, mit wem er sich wirklich traf, da sein Vertrauen in dieser Hinsicht vollkommen weg gewesen war und Louis ernsthafte Schwierigkeiten mit Simon bekommen hatte?
Doch der wirkliche Dolchstoß war einfach das hohe Maß an Verrat gewesen, den Zayn an jeden einzelnen von uns begannen hatte.
„- anderen Dingen oberste Priorität geben", schloss Liam.
Regungslos verharrte ich und sah auf den angrenzenden Wald. Mir war diese Erklärung so egal. Zayn war mir egal, seine Sorgen ebenfalls. Er gehörte für mich nicht mehr zu den Menschen, die auf meine Unterstützung hoffen konnten.
„Lass mich los", sprach ich ruhig.
Doch Liam kam dem nicht nach: „Nein, erst wenn du begreifst, dass ich keine andere Wahl hatte! Das ich es tun musste und du anfängst dich weniger kindisch zu -"
Das war die Sache mit dem Leben. Man hatte immer eine Wahl. Ich atmete aus und wiederholte: „Ich sagte, lass mich los."
Wer war er, dass er mir unterstellen konnte, kindisch zu sein? Liam hatte vergessen und vergessen bedeutete, dass eigentlich aus den Augen verloren zu haben.
Er ließ mich nicht los. Mein Arm wurde taub.
„- er braucht uns, wir müssen-"
Wir mussten gar nichts. Liams Finger gruben sich schmerzhaft in meinen Arm
„Hör auf dich so quer zu stellen! Du bist ihm das schuldig!"
In diesem Augenblick sah ich rot.
Ich schlug zu. Meine Faust landete mitten im Gesicht meines ehemals besten Freundes. Kein Funken Bedauern war in meinem Körper zu finden, als Liam überrumpelt und völlig überrascht zu Boden stürzte.
Ich erschrak nicht einmal über mich selbst. Mir schoss nur eins durch den Kopf: Verdammte Scheiße tat das gut!
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