14 Stürmische Gefühle.
【 NIALL 】
━━━━
Zufrieden sah ich Louis und Eleanor nach, wie sie sich auf, in ihr kleines Abenteuer machten. Endlich, wirklich und wahrhaftig, endlich. Es war kaum auszuhalten gewesen. Jetzt schmeckte auch der Kaffee am Morgen wieder und vielleicht war die Stimmung im Haus nun etwas ruhiger und ausgeglichener.
„Ich sage es dir nur ungern, aber die bist du nicht für immer los", vernahm ich Sophias Stimme neben mir im Schaukelstuhl. Ich hatte erst vor zehn Minuten die Handwerker angerufen, da Hank auf meiner Mailbox eine Nachricht hinterlassen hatte.
In Carlton's Mills war in der Kirche ein Treppengelände in sich zusammengestürzt, weshalb seine Mannschaft zuerst dort anrücken würde. Mir war das egal, auf den einen Tag mehr oder weniger kam es sowieso nicht an. Außerdem könnten wir so den Aufenthaltsraum streichen oder damit anfangen in der Einfahrt die Bete auszuheben. Genug zu tun gab es alle Male.
„Zumindest sind sie jetzt erst einmal drei Tage unterwegs", meinte ich und nippte an meinem Kaffee. „Das war ja schlimmer als jeder Rosenkrieg."
Sophia lächelte: „Was nur zeigt, dass die ganze Sache tiefer sitzt, als wir glauben."
Ich hörte Schritte und dann zischte Sebastian aus dem Türrahmen. Seit er hier war, blühte er regelrecht auf. Wieder sah ich meine Kappe auf seinem viel zu kleinen Kopf, ich würde sie wohl nie zurückbekommen, aber das war schon in Ordnung so. Er strahlte: „Wann fahren wir denn los?"
Verwirrt sah ich zu Sophia und sie erklärte mir: „Wir bleiben sicher noch zwei Wochen oder drei hier, falls das okay ist, und da wollte ich mit ihm in die nächste Stadt. Spielzeug und solchen Kram kaufen."
„Ihr könnt bleiben, so lange, wie ihr wollt", meinte ich und als ich Sophia betrachtete, stellte ich einmal mehr fest, was Liam für ein Idiot war. Sophia war eine wunderbare Frau. Sie packte an, hatte Humor und war unglaublich warmherzig.
Wenn ich beobachtete, wie sie mit Sebastian umging, dann konnte ich mir bildlich vorstellen, welche Art der Familie Liam durch die Lappen gegangen war. Wieso er so dumm war raffte ich nicht. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann verstand ich viele Dinge bei Liam nicht mehr.
„Du könntest auch gleich Fahrräder kaufen", warf ich ein und plötzlich verband ich Sophias Ausflug in die Stadt mit dem Nützlichen. Wir machten eine Liste mit all den Kleinkram, den sie dort vielleicht bekommen könnte. Bälle, einen großen Fernseher, mehr Gartenzubehör, Schwimmsachen, Gesellschaftsspiele. Sie sollte sich austoben. Sebastian bekam ganz große Augen, als er von all dem Spielzeug hörte.
„I-Ist das nicht sehr teuer?", fragte er schüchtern und Sophia antwortete: „Darüber muss sich Niall keine Gedanken machen, er ist reich."
„Na so Bill Gates-reich nun auch wieder nicht", stellte ich klar und dann kam die naive Frage des Jungen: „Wer ist Bill Gates?"
Ich sollte Greg und Theo einladen, einfach, damit Sebastian jemanden zum Spielen hatte, der sich in seinem Alter befand. Sophia versprach, dass sie schauen würde, was sie bekam und gleichzeitig auch einkaufen ging. Da mein Wagen größer war als ihrer, übergab ich ihr die Schlüssel und nach fast einer Stunde sah ich dem Auto nach. Erst als ich es rumpeln hörte, wurde mir klar, dass ich wahrhaftig mit Nella alleine war. Ich schritt durch das Haupthaus und sah sie in der Küche, wo sie durch Unterlagen blickte.
Als sie den Kopf hob und ihre eisigen Augen meine trafen, war es ein komisches Gefühl. Ich unterdrückte es und bevor ich etwas sagen konnte, sprach sie: „Und, was machen wir heute?"
„Wie wäre es mit den Beeten und Rasen draußen?", schlug ich vor.
Sie blickte aus dem Fenster und musterte das hohe Gras. „Hast du den alten Rasenmäher im Schuppen schon in Augenschein genommen?"
Nein und noch dazu hatte ich absolut keine Ahnung davon, wie man so ein altes Ding eventuell zum Laufen brachte. Ich hatte schon Jahre lang keinen Rasen mehr gemäht.
„Dann viel Glück. Ich komme gleich und machte dann dir Pflaster frei von Unkraut", teilte Nella mir mit.
Ich verschwand nach draußen in den alten, schiefen Schuppen, in dem ich allerhand Gartengeräte gesehen hatte, jetzt machte ich Licht und schob mit ziemlich viel Kraftaufwand den Rasenmäher nach draußen. Dann sah ich über die Grünfläche. Irgendwie hatte ich nicht mehr alle Latten am Zaun, wenn ich das halbe Fußballfeld wirklich mähen wollte. Gleichzeitig hatte ich Zeit. Ich konnte weder die anderen Cottages abwandern noch im Haus einfach weiterarbeiten. Nachher machte ich noch etwas falsch und die Arbeit war umsonst.
Obwohl ich mir eher einen Arm abhacken würde, als es freiwillig zu zugeben, war ich doch froh, dass die Handwerker aus Carlton's Mills mir so halfen und bereitwillig ziemlich viele Stunden kloppten. Sie waren etwas aufgetaut und ich musste gestehen, dass ich noch nie so viele praktischen Dinge innerhalb kurzer Zeit gelernt hatte.
Vage erinnerte ich mich daran, wie der Rasenmäher zu Hause funktionierte. Suchte nach Verlängerungskabel und brauchte fast eine Stunde, dann sprang das Ding unter lautem Getöse an. Als ich den Kopf hob, sah ich Nella, die an der Treppe angefangen hatte, das Grünzeug zwischen den Gehwegplatten zu bekämpfen. Ihre Klamotten wirkten gänzlich ungeeignet, aber wahrscheinlich hatte sie keine andere Bluse, die sie opfern konnte.
Loki lag auf der Veranda und döste vor sich hin. Als ich den Rasenmäher schließlich anschmiss, spitze er kurz die Ohren, zu mehr Regung konnte er sich scheinbar heute nicht aufraffen. Die anstrengende körperliche Arbeit, ich mochte sie. Konzentriert schob ich meine Runden, leerte den Kasten hinter dem Haus, schleppte mich zurück und schob den schweren Rasenmäher weiter. Ich bemerkte nicht, dass mein Shirt nach der ersten Hälfte komplett durchgeschwitzt war und der Schweiß mir am Nacken runter lief.
Erst als mein linkes Bein plötzlich weg knickte und ich mich festhalten musste, um nicht zu fallen, begriff ich, wie verbissen ich den Rasenmäher geschoben hatte. Die rechte Wiesenseite war fast komplett fertig, mein Atem ging keuchend und ich lockerte unter großer Anstrengung meine Hände, die den Griff des schweren Gerätes fest umklammert hielten. Sie zitterten und mir wurde klar, dass ich eine Pause brauchte.
Ich hob den Kopf und schleppte mich zum Haupthaus. Nella hatte mir den Rücken zugewandt und beinahe den gesamten Gehweg fertig. Auch sie schwitzte, obwohl es nicht wirklich warm war. In der Küche trank ich eine halbe Flasche Wasser und erinnerte mich an die Medikamente, die Schmerzen jeder Art unterdrücken sollten. Mittlerweile gehörten die vielen bunten Bonbons zu meinem Alltag.
Ich sah an mir herunter. Ein frisches Shirt wäre sicher nicht schlecht, ganz egal, ob ich es auch vollschwitzen würde. Ohne Rücksicht polterte ich die Treppen hoch und als ich mir das frische Shirt über den Kopf gezogen hatte, streifte mein Blick Nellas offene Zimmertür. Ich wusste nicht, warum, aber ich blieb stehen.
Etwas hatte meine Aufmerksamkeit festgenagelt und statt ihre Privatsphäre zu respektieren, schob ich die Tür noch weiter auf, hob mehrere Kleidungsstücke auf und dann sah ich es.
Meine Gitarre.
Im ersten Augenblick blinzelte ich, doch als ich sie in die Hand nahm wurde jeder Zweifel beiseite geräumt. Es war wahrhaftig meine. Ich kannte jede Macke, erkannte an der Seite klein und fein die Worte 'I believe in you' – sie war von meinem Vater. Damals, als wir mit One Direction gerade anfingen und ich voller Selbstzweifel gewesen war.
Als ich nach draußen stürmte, gab es dafür nur eine einzige Erklärung. Nella war in mein Haus gekommen. Mir war egal mit welchen Mitteln. Was mir nicht egal war, war das sie die Frechheit besaß und tatsächlich etwas hatte mitgehen gelassen. Die Wut kochte so schnell in mir hoch, dass es mich selbst erschreckte. Draußen streckte Nella gerade den Rücken durch, als sie mich erkannte und ihr Blick auf die Gitarre in meinen Händen fiel.
„Woher hast du die!", fuhr ich sie an, doch statt ertappt auszusehen, musterte sie mich nur ruhig. „Was fällt dir ein sie hier her bringen zu lassen?" In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit, auf gewisser Weise fühlte ich mich verraten.
Nella wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn, dann atmete sie tief durch: „Ich dachte, du wolltest nicht gänzlich einrosten und würdest hin und wieder spielen wollen."
Langsam ließ ich die Gitarre sinken und presste meine Lippen aufeinander. Ich war wütend, dabei war es lediglich eine Gitarre. Trotzdem konnte ich die innere Abneigung gegen dieses Stück Holz nicht verbergen - es ließ sich kaum unterdrücken. Ich schämte mich dafür, denn wo war die Liebe hin, die ich für dieses Instrument empfunden hatte?
Wo waren all die beflügelnden Gefühle, wenn ich an Musik dachte? An all die Klänge, die Songs und diesen berauschten Zustand auf der Bühne zu stehen?
Mich erdrückte der bloße Gedanke daran. Nichts anderes als Hass und Ekel kroch durch meine Adern und ich wusste nicht einmal, ob es wegen mir oder wahrhaftig wegen der Musik war.
Nella war auf mich zugekommen.
Sie nahm mir die Gitarre aus der Hand und dann sprach sie: „Wenn sie dich so sehr stört, wieso zerstörst du sie dann nicht einfach? Im Schuppen ist eine Axt, oder du schlägst sie an den Felsen kaputt."
Ihre Stimme hatte nichts Verurteilendes, sondern klang so nüchtern und beherrscht, wie eh und je. Was würde ich darum geben, dass sie aus diesem Muster fiel. Stattdessen funkelte ich sie nur wütend an und stieß sie samt Gitarre zur Seite.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren schmiss ich den Rasenmäher an. Ich musste mich abregen, sonst würde ich Nellas Worten tatsächlich noch nachkommen. Doch etwas hielt mich zurück die Gitarre in alle Einzelheiten zu zerlegen. Den verdammten Rasenmäher weiter über die Wiese zu ziehen sorgte zumindest dafür, dass ich nicht mehr nachdachte, meinen Kopf ausstellte und mich auf mein Tun konzentrierte. Hauptsache ich musste nicht herum diskutieren. Mein Vorhaben ließ sich gut umsetzten.
So lange bis plötzlich der Rasenmäher ausging und mich ein Schwall eiskaltes Wasser traf. Geschockt fuhr ich herum und mir blieben fast die Worte im Hals stecken.
„Was tust du-"
Nun landete das arschkalte Wasser direkt in meinem Gesicht. Es dauerte, bis ich die Augen wieder öffnete und sah, wie Nella den Wasserschlauch sinken ließ. Zuerst wirkte ihre Miene angepisst, aber dann schlich sich ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen. Bis sie schließlich laut schallend lachte. Ihr Lachen hatte einen schönen Klang, eine Erkenntnis, die mich selbst überraschte.
Bevor ich richtig nachdachte, stürzte ich auf sie zu und dann begann eine Rangelei um den Wasserschlauch. Sie kreischte hysterisch auf, als ich ihn ihr direkt in den Kragen steckte. Nella rächte sich, indem ich mehrmals Wasser schluckte.
Irgendwann packte ich sie an der Hüfte, sie war leichter, als ich geglaubt hatte und warf sie mir über die Schulter. Der Schlauch rutschte ihr aus der Hand und Sekunden später trommelte sie gegen meinen Rücken.
„Was hast du vor? Niall, sprich mit mir!", dieser gleichgültige Ton in ihrer Stimme war weg, ich bemerkte es nicht sofort. Zu sehr achtete ich darauf, wo ich hinlief, dann hatte ich den Kompost erreicht und mit Schwung warf ich Nella in den Grashaufen. Ihr Schrei und ihre verdutzte Miene sorgten dafür, dass nun ich schallend lachte. So lange, bis ich Gras spuckte. Energisch bewarf sie mich mit dem Grasballen, das ich selbst noch vor einer halben Stunde gemäht hatte.
Unsere kleine Schlacht artete aus und erst als Nella keuchend, arg zerzaust und dreckig unter mir lag und ich auf ihrem Rücken saß, krähte sie: „Pause! Bitte!"
Nachdenklich kratzte ich mir das Kinn, aber dann musste ich spucken. Mittlerweile hatte ich die Grashalme überall. Im Mund, den Ohren, in den Haaren und irgendwie fühlte es sich so an, als hätten es sogar welche zwischen meine Pobacken geschafft. Schließlich vibrierte das Handy in meiner Hosentasche und ich zog es hervor. Sophia hatte mir eine Nachricht geschrieben. Sie saß mit Sebastian in St. Kent fest.
Sturmwarnung war herausgegeben worden und sie bat uns ebenfalls acht zu geben. Eventuell käme sie morgen am späten Nachmittag wieder. Kurz sah ich in den Himmel und da bemerkte ich zum ersten Mal, dass die Sonne weg war. Dicke Wolken fanden sich zusammen und als ich den Kopf neigte, verstand ich, wieso Sophia die Nacht in St. Kent verbrachte.
Prompt dachte ich an Louis und Eleanor. Hoffentlich ging es ihnen gut und sie waren schon bei der ersten Hütte. „Nella, ich glaube wir sollten einige Dinge, rund ums Haupthaus sicher", sprach ich langsam und erhob mich von ihrem Rücken. Sie spuckte ebenfalls Grashalme und folgte dann meinem Blick. Kurz erklärte ich, was Sophia geschrieben hatte, dann spürten wir die erste Bö.
Als sie die Nase rümpfte, bemerkte ich den grünen Halm, der sich einmal um die Stupsnase gelegt hatte. Schmunzelnd hob ich die Hand und beobachtete, dass Nella regungslos stehen blieb und mich machen ließ.
Kurz hielt ich den Grashalm in der Hand, dann ließ ich ihn fallen. Wir sahen uns an, ohne irgendetwas zu sagen.
Die nächste Böe rauschte an.
In diesem Augenblick riss ich mich aus der Regungslosigkeit und setzte mich in Bewegung. Der Rasenmäher musste wieder in den Schuppen. Nella schleppte die paar Gartenmöbel von der Veranda ins Innere und schlussendlich parkte ich Louis' Wagen und Sophias Wagen um, damit sie nicht von irgendwelchen Bäumen hingerichtet wurden. Gerade noch rechtzeitig stolperte ich ins Haus.
Der Himmel war mittlerweile dunkel, die Bäume bogen sich im Wind und es war nicht zu übersehen, dass ein ziemlich dickes Ding auf uns zukommen würde. Loki verkroch sich auf die abgenutzte Couch, die ziemlich einsam in einer Art Wohnzimmer stand und ich rannte von einem Fenster zum nächsten, um es zu schließen.
Erst als ich Nella vom ersten Stock hörte, wie sie rief: „Fenster sind hier oben alle zu" und ich schon halb auf der Treppe stand, registrierte ich, dass ich dreckig, nass und arg lädiert war. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, doch auf dem Flur bemerkte ich, dass auch Nella in das einzige Bad verschwinden wollte, in dem es warmes Wasser gab.
Sofort beschleunigte ich meinen Schritt. Nella leider ebenfalls.
Wir stießen direkt an der Badezimmertür zusammen und keiner von uns sah ein, den jeweils anderen den Vortritt zu lassen. Sie stellte mir ein Bein, ich verhedderte mich und dann standen wir uns gegenseitig im Weg.
Mit einem Bein befand ich mich im Bad, mit dem anderen versuchte ich zu verhindern, dass Nella an mir vorbeikam. Sie zog an meinem Shirt und ich hatte den Arm ausgestreckt, sodass ich mich am Türrahmen festhalten konnte.
„Hast du schon einmal etwas von Ladys First gehört?", fragte sie arrogant und ich bemerkte, dass meine Mundwinkel zuckten: „Hm, ich schätze hier laufen sowieso andere Regeln. Das Recht des Stärkeren."
Sie schnaubte und wich nicht einen Millimeter von mir. Ich hob die Augenbrauen: „Dir ist aber schon klar, dass ich eine körperliche Auseinandersetzung gewinnen würde?" Allein schon, weil ich über einen halben Kopf größer war als sie.
„Ich würde es trotzdem versuchen", antwortete sie und mich überraschte das nicht. Es war seltsam, aber genau das hatte ich von ihr erwartet. Dass sie, auch wenn sie wusste, dass sie verlor, trotzdem nichts unversucht lassen würde eine Chance zu nutzen.
Mir wurde erst viel später bewusst, dass ich genau diese Einstellung wirklich sehr mochte und ihren Kampfgeist schon bei unserer ersten Begegnung gespürt hatte. Eine Kostprobe frei Haus. Ganz leicht lockerte ich meine Haltung und dann schlug ich dreist vor: „Wir könnten beide gleichzeitig rein."
„Und dann zusammen duschen, alles klar, soll ich dir noch den Rücken schrubben?", sprach sie sarkastisch und ich blickte sie ernst an. Da ich nicht drauf einging, empörte sich Nella: „Das ist doch jetzt nicht wirklich dein Ernst, oder?"
„Was spricht dagegen?", wollte ich wissen. Sie sah mich an, presste erst ihre Lippen aufeinander, dann verschwand die Überraschung von ihrem Gesicht und ihre kühle beherrschte Miene fand wieder Platz.
„Warum tust du das!", sie klang wütend. „Ich werde definitiv nicht mit dir duschen! Normalerweise sollte ich nicht einmal mit dir Frühstücken. Denn das tut man nicht mit Klienten."
Daher wehte der Wind.
Ich dachte nach, dann sprach ich: „Ich bin nicht dein Klient. Harry ist es, denn ich habe nichts unterschrieben. Oder erinnerst du dich an irgendetwas, was ich nicht weiß?"
„Das ist doch dasselbe!"
„Nein, ist es nicht", widersprach ich ihr und beugte mich leicht zu ihr runter. „Aber ich schätze das Problem liegt sowieso wo ganz anders."
„Ja, nämlich darin, dass ich die Dusche nötiger habe, als du", wich sie geschickt aus. Würde ich nicht wissen, dass sie nervös war – was sie zweifelsohne war – dann hätte ich nun einen Schritt zurück gemacht.
Aber Nella wich meinem Blick aus und das verriet mir mehr über ihr Verhalten, als sie vielleicht ahnte. Sie war ein kampflustiges Mädchen, solange es sich auf einem Gebiet abspielte, auf dem sie die Regeln kannte.
Meine unverblümte Art war etwas, womit sie nicht umgehen, geschweige denn abschätzen konnte, was ich vor hatte.
„Du hast Schiss", hielt ich ihr vor und ihre kühlen Augen funkelten. Doch bevor sie mir das Gegenteil vorenthalten konnte, zog ich mir das Shirt über den Kopf. Sollte sie doch denken was sie wollte, aber diese Schlacht würde ich gewinnen. Beinahe hielt ich in meiner Bewegung inne.
Die Narben. Ich hatte sie vergessen. Es war das erste Mal seit langen, dass mir so etwas passierte.
Nella sah mich an.
Mich.
Nicht die Narben.
Nicht die brutalen zwei Narben, die meinen Brustkorb entstellten, auch nicht jene an meiner linken Seite, die fast zwanzig Zentimeter lang war. Auch die zwei an meinem linken Arm schien sie nicht zu interessieren. Stattdessen haftete ihr Blick fest auf meinem Gesicht. Ich wagte es kaum den Blickkontakt zu brechen, bemerkte aber, dass sie der Herausforderung nicht aus dem Weg ging. Ihre schmalen Finger begannen die Bluse, die sie trug, zu öffnen.
Knopf für Knopf.
Ich wollte nicht meh nachdenken. Mein Kopf sollte sich auf Pause stellen, sowie er es immer versuchte, wenn ich in Nellas Nähe war. Sie ließ mich vergessen und das auf eine angenehme Art und Weise.
Mir war es sogar egal, dass ich sie dazu brachte, das Gegenteil von dem zu tun, was sie eigentlich wollte. Ich war egoistisch. Doch war Egoismus schlecht, wenn er zu etwas Gutem führte? Ich beugte mich zu ihr herunter, drückte sie gegen den Türrahmen und küsste sie.
Einfach so.
Ihre Lippen auf meinen, das war richtig und längst überfällig. Es tat so gut einfach zu handeln, nicht zu denken und ein Gefühl zu verspüren, gegen das ich normalerweise ankämpfte. Bei Nella war es okay etwas zu fühlen, denn sie war neu, nicht vorbelastet und befand sich irgendwie außerhalb meines Radius.
Ich konnte das nicht erklären, denn ich wusste ja selbst nicht was mit mir los war. Das, was ich wirklich wusste, war, dass ich mich glücklich fühlte, als ich Nella hochhob und sie ihre Beine um meine Hüfte schlang. Nella roch nach Gras, aber auch nach Sonnenstrahlen – sofern dies möglich war.
Zuerst wollte ich in die Dusche taumeln, aber dann stolperte ich zurück. Bett, ein Ort, wo ich Platz hatte, es bequem war und ich nicht in Gefahr lief auszurutschen und zu stürzen. Nellas Lippen lösten sich von meinen und Sekunden später spürte ich sie an meinem Hals, wie sie sanft zu meinem Ohr hoch strichen. Ich keuchte und rannte fast gegen die schiefe Kommode im Flur.
„Wo willst du eigentlich hin?", hörte ich sie fragen und ich brachte gerade noch raus: „Bett."
Zuerst wollte ich in ihr Zimmer, doch Nella streckte sofort die Arme aus und hielt sich am Türrahmen fest: „So, wie wir aussehen, nur über meine Leiche."
Ich stöhnte frustriert. Denn auch mein Bett, oder eher die Matratze, kam nicht in Frage, ich hatte keine Lust in der Nacht Grashalme aus allen Ritzen zu sammeln. Gleichzeitig drehten Nella und ich den Kopf und sahen auf das Zimmer am Ende des Flurs, dann mussten wir beide laut losprusten.
„Kannst du noch, Milchbubi?", provozierte sie mich, doch meine Arme waren noch nicht müde. Ich fühlte mich, als würde eine Wunderdroge von Energie durch meine Adern fließen. Statt zu antworten änderte ich die Richtung, wenn wir in diesem Tempo weiter machten, würden wir noch dreimal durch das Haus wandern.
Nellas Lippen lenkten mich ab, als sie zu meinem Kinn fuhren. Ich bekam den Türgriff nicht richtig auf und am liebsten hätte ich der alten Tür einen Tritt versetzt. Endlich ging das Ding auf und ich entspannte mich, als ich mit Nella voran auf die Matratze stürzte.
Es war ein tiefer Fall und ihr Lachen erfüllte den kahlen Raum. Wind heulte um das Haus, aber alles was ich wahrnahm, war Nella.
Ihren Geruch, die zarte Haut, die ich unter meinen Händen auf ihrer Hüfte spürte und den warmen Atem, der meine Wange streifte. Ich stütze mich ab und sah auf sie herunter. Das Herz in meiner Brust, es schlug immer schneller und die Gefühle, die sich in mir aufstauten, waren mir unheimlich fremd und doch so vertraut, dass es mir Angst machen sollte.
Doch ich hatte keine Angst.
Ich spürte keinerlei Unbehagen. Leicht strich ich durch das dunkle, zerzauste Haar, es war so weich zwischen meinen Finger. Ich wünschte, ich konnte in Worte fassen, was Nella mit mir machte, wie sehr sie in meinem Innersten aufräumte.
Ihre Finger griffen in mein Haar und ich wollte mich gerade wieder zur ihr runterbeugen und sie erneut küssen, als Loki Alarm schlug. Erst wollten wir es ignorieren, aber dann hörte ich, wie jemand heftig mit der Faust gegen die Haustür hämmerte.
„Na großartig", entwich es mir. „Wehe das sind Louis und Eleanor."
Mühsam rappelte ich mich auf und Nella kämpfte sich ebenfalls von der Matratze: „Das kann nicht sein. Dann müssten sie die Strecke gerast sein. Oder getrennt abgelaufen."
Ich traute den beiden alles zu. Genauso das einer von beiden den anderen bereits umgelegt hatte und jetzt blutüberströmt einen Anwalt brauchte. In diesem Fall eben Nella.
„Wetten einer ist tot", sprach ich und hob im Flur mein schmutziges Shirt auf.
„Ich wette auf Louis", erklärte Nella, sie entlockte mir ein Schmunzeln: „Hm, da müsste El ihn schon von hinten erschlagen haben."
„Wahrscheinlich hat sie das auch. Oder sie hat ihn irgendwelchen Klippen runtergeschubst."
Die Tatsache, dass wir beiden derselben Meinung waren und sowohl Louis als auch Eleanor einen Mord zutrauten, sprach für sich. Ich eilte die Holztreppen runter und bemerkte mit einem Blick aus dem Fenster, dass die Sturmwarnung wahrhaftig mit Vorsicht herausgegeben worden war.
„Ha! Die Dusche gehört jetzt mir", rief Nella mir hinterher und dann hörte ich die Tür knallen. In schnellen Schritten ging ich durch den Flur, wenn es jetzt nicht unbedingt ein Bewohner aus Carlton's Mills war, der mich auf was Dringendes hinweisen wollte, dann würde die Dusche mir ebenfalls gehören.
Schneller als Nella glaubte.
Loki bellte, wie verrückt und ich runzelte die Stirn. Noch konnte ich den Hund nicht lese. Bellte er jetzt, weil da draußen ein Irrer stand, mit Kettensäge und Beil – vielleicht sollte ich doch besser das Schlachtmesser aus der Küche holen, dass ich erst gestern in Louis' Hand beim Kochen gesehen hatte.
Oder weil er sich freute, dass wir Besuch bekamen?
„Ist ja schon gut, ich komme ja schon", sprach ich laut, als es wieder klingelte. Eine feine Grasspur war zu sehen.
Mist, Nella und ich mussten den Dreck dann auch wieder sauber machen. Am besten noch bevor Sophia kam. Sonst bekam sie einen Anfall. Wir waren ihr sowieso alle zu unordentlich.
(„Was soll denn Sebastian nur denken! Er macht euch noch alles nach! Meint ihr, ich will ihn zum Chaos erziehen, oder was?")
Hastig machte ich in der Vorhalle Licht und griff zur Haustür, die ich vor einer halben Stunde selbst abgeschlossen hatte. „Meine Güte, Loki, jetzt beruhige dich doch mal!"
Ich öffnete die Tür und dann begriff ich, warum der Hund so am Rad drehte. Im ersten Moment erstarrte ich, dann wurde mein Hals trocken.
Liam.
Er wirkte durcheinander, unter seinen Augen lag ein leichter Schatten, so als hätte er einen langen Jetlag hinter sich. Die Klamotten waren zerknittert und er schien sich überhaupt nicht auf Loki konzentrieren zu können, der um seine Beine sauste. Stattdessen sah er mich nur ausdruckslos an.
„Hey... Niall."
Ich wollte antworten, aber mein Blick fiel auf den Schatten hinter Liam.
Er hatte jemanden mitgebracht.
⸙ ● ⸙ ● ⸙
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top