11 Herznarben.


【 LOUIS 】


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„Du musst mich nicht mitnehmen."

Ich schloss die Augen, atmete tief durch und dann drehte ich mich zu ihr um. Mittlerweile hatte ich die Taschen schon ins Auto gewuchtet und Eleanor machte keine Anstalt mir ihren Koffer zu geben. Mit unbewegter Miene musterte ich sie: „Steig ein, ich will nicht noch mehr Scheiß am Arsch haben."

Verwirrt sah sie mich an und ich begriff, dass Eleanor scheinbar keine Ahnung davon hatte, was Harry für miese Spielchen trieb. Ich hatte gerade noch so viel Geld, dass es für mehrere Tanken reichen würde und eventuell vier weitere Tage.

Noch war mein Konto nicht entsperrt, aber Niall meinte, dass würde sich geben sobald ich in diesem versifften Städtchen Namens Carlton's Mills war. Da Eleanor sich nicht regte, nahm ich ihr den Koffer aus der Hand, wuchtete ihn grob in den Kofferraum und knallte ihn dann zu. Sie zögerte beim Einsteigen und ich konnte das durchaus nachvollziehen. Doch auf ihr Befinden konnte und wollte ich keine Rücksicht nehmen.

Mein Navigationsgerät sprang an und ließ mich wissen, dass wir fast sieben Stunden bis Carlton's Mills brauchen würden. Mit eventuellem Stau und Pausen wären es acht. Innerlich stöhnte ich. Hoffentlich konnte Niall für gutes Essen und ein bequemes Bett sorgen. Ich würde ihn während der Fahrt anrufen.

Routiniert lenkte ich meinen Geländewagen durch den Londoner Verkehr und steuerte die Autobahn an. Nebenbei schloss ich meinen Stick an und programmierte meine Anlage so, dass ich die neuen Demos durchhören konnte. Es war kein Geheimnis, dass ich es mochte, von unbekannten Künstlern, die versuchten Fuß zu fassen, die Songs zu kennen, bevor der eine oder andere Name groß rauskam.

Vielleicht mochte es eingebildet klingen, aber ich hatte einen guten Geschmack und ein Gespür für Talente. Bislang hatte ich es Simon auch schon zweimal bewiesen und Sony eine Band und einem Solo-Sänger empfohlen, die nun unter Vertrag standen.

Meistens arbeitete ich mit Calum Hood zusammen. Wir schmissen unsere Entdeckungen in einen Topf, oder baten Sony darum, uns einfach ein paar Demos zu geben. Die Mitarbeiter des Musikkonzerns hatten damit keinerlei Probleme, da sie sowieso nicht damit hinterherkamen, alle Songs durchzuhören.

Dark Rock dröhnte aus meinen Boxen und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Eleanor das Gesicht verzog. Zugegeben, das war auch nicht ganz meine Musikrichtung, aber ich vertrat die Regel, dass ich mir jeden Song bis zum bitteren Ende anhörte. Als er zu Ende war, seufzte Eleanor und murmelte zu sich selbst: „Gott, noch eine Minute länger und ich hätte einen depressiven Anfall bekommen."

Normalerweise hätte ich nun geschmunzelt, aber der Zug war abgefahren. Nun wurde mein Gesicht nur angespannter. Ich hasste es, mit Eleanor einer Meinung zu sein. Sowieso hasste ich vieles an ihr.

Es reichte mir schon ihre Anwesenheit und das ich dieses widerliche Parfüm riechen konnte, dass ich einst unverkennbar ihr Zugeordnet hatte. La vie est belle von Lancome, ich hatte es schließlich oft genug dümmlich für sie gekauft.

Wir schwiegen und mir war das nur recht so. Irgendwann schaffte ich es sogar, sie komplett auszublenden und vergaß, dass sie auf dem Nebensitz saß. Erst als wir fast drei Stunden gefahren war, sprach Eleanor bei einem J-Pop-Song: „Können wir an der nächsten Tanke halten?"

Es dauerte, bis ich begriff, dass sie mit mir redete, denn zu stark lief ich auf Autopilot. „Was?"

„Können wir eine Pause machen?", wiederholte sie sich und ich presste meine Kiefer aufeinander. Eleanor nahm nun ihren Blick vom Handy und wandte sich mir zu: „Komm schon, du musst eh bald tanken, ich muss zum Klo und gegessen haben wir auch noch nichts."

„Nicht mein Problem", meinte ich gleichgültig und als ich nichts weiter dazu sagte, schien sie ungehalten zu werden: „Du willst also wirklich, dass ich hier, in deinem Auto Wasser lasse?"

Die Provokation zog bei mir nicht und ich wechselte die Spur auf der Autobahn. „Du wirst nicht in mein Auto pissen, denn das wäre dir viel zu peinlich und ich würde in Versuchung kommen, dich noch ziemlich lange in deinen eingepissten Klamotten hier sitzen zulassen."

„Und der Geruch würde dich nicht stören, ja?", höhnte sie spitz. Natürlich würde er mich anekeln, aber ich würde eins meiner Autos darauf verwetten, dass sie sich niemals in meinem Beisein einpinkeln würde.

„Gibt Schlimmeres", war mein einziger knapper Kommentar. Eleanor nickte schließlich, dann sprach sie sarkastisch: „Ach ja, ich vergaß. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in Puffs nicht immer duftet, wie auf einer Frühlingswiese."

Sofort umklammerte ich das Lenkrad mit der linken Hand fester. Eleanor wusste, wie sie mich reizen konnte. Ich wollte mich ausschweigen, kein Kreuzfeuer mit ihr führen, aber ich konnte mich einfach nicht zurückhalten: „Man nennt es Bordell oder Etablissement. Gerade du solltest deine soziale Nische doch kennen."

Es war ein ziemlicher Schlag unter die Gürtellinie, das wusste ich. Aber ich bereute ihn keine einzige Minute. Trotzdem hatte Eleanor mit einem Recht, ich müsste wirklich bald tanken.

Sie schwieg, richtete ihren Blick starr nach draußen und schlug heftig die Autotür zu, als wir an der Tanke ankamen und sie nach draußen schlüpfte. Sie hatte sich ihre Tasche geschnappt und missmutig sah ich ihr nach. Ihr Haar wehte im kühlen Wind und obwohl ich nicht wollte, bemerkte ich, dass sich an ihrem Gang etwas verändert hatte. Er wirkte aufrechter, stolzer und so verdammt arrogant. Ich hasste es.

Man könnte meinen, nach über zwei Jahren Beziehungsaus würde man irgendwann nachsichtiger, aber mein Groll war so groß, wie nie zuvor. Außerdem war es fraglich, ob das, was wir gehabt hatten, tatsächlich eine Beziehung gewesen war.

Ich tankte und gerade als ich fertig war, kam sie aus dem Shop wieder heraus. Sie hatte eine Cola dabei und eine Brötchentüte. Ohne mich anzusehen, setzte sie sich wieder ins Auto und ich beschloss den Tank zu bezahlen. Während ich an der Kasse anstand, schickte ich Harry eine Nachricht via WhatsApp. Mir war es egal, ob und wann er sie lesen würde.

›Diese scheiß Erpressung werde ich dir nie verzeihen! - L‹

Den Kragen meiner Jacke hochgeschlagen, schnappte ich mir noch ein Päckchen Zigaretten, zahlte und bemerkte auf einem Monitor Nachrichten. Wie gerne würde ich die von meiner Couch aus verfolgen. Ich sah, dass man ankündigte, dass Cara, Taylor und Kendall sich alle drei in London aufhielten und ich war mir sicher, dass sie einen drauf machen würden.

Ich normalerweise auch, aber ich hatte meinen Schwestern versprochen mich zu bessern und ihnen guten Klatsch zum Wetten zugeben. Was hieß, nichts mit nächtlichen Ausflügen, die jemand mitbekommen könnte.

Einfach nur scheiße.

Eleanor saß im Auto und tippte auf ihrem Handy herum. Ich wollte gerade die Tür zur Fahrerseite öffnen, als ich merkte, dass ich genau das nicht konnte. Sie würde doch wohl nicht-

Doch, sie würde.

Mehrmals rüttelte ich und dann stand fest: Sie hatte sich eingeschlossen. Wütend trat ich gegen den Vorderreifen. „Ist das dein verfluchter ernst?", rief ich und sie nahm nicht einmal den Blick von ihrem dummen Handy.

„Eleanor, jetzt mach auf! Das ist wirklich kindisch."

Sie zeigte mir nur den Mittelfinger. Was wollte sie eigentlich? Konnte sie nicht nur auf ihren Arsch sitzen, schweigen und aufhören mir Schwierigkeiten zu machen. Wütend lehnte ich mit verschränkten Armen gegen das Auto und sah auf die Autobahn. Meine Laune war so schlecht, wie sie nur sein konnte.

„Zahl dafür."

Irritiert drehte ich mich um, und wahrhaftig, Eleanor redete mit mir, denn kurz darauf sah sie mich mit unbewegter Miene an.

„Was?", das konnte sie doch nicht ernst meinen. Leicht neigte sie den Kopf und ich erkannte pure Berechnung in ihren Augen: „Für Fünfhundert Pfund halte ich meine Klappe bis nach Carlton's Mills, mische mich nicht ein, gar nichts. Ach ja, und ich lass dich in dein eigenes Auto." Nun zog ein eiskaltes Lächeln über ihre Lippen. „Das ist zumindest eine Ebene, auf der wir uns verstehen."

Sie war eine Schlampe, eindeutig, und hatte sich nicht die Spur verändert.

„Schön. Sobald-"

„Nein", unterbrach mich Eleanor unwirsch. „Jetzt, ich weiß, dass du nicht nur Kekse bei dir hast."

Ich hatte vergessen, wie durchtrieben sie war und welches Wissen sie besaß. Angepisst, öffnete ich mein Portemonnaie und zog an Geld heraus, was sie haben wollte. Als ich es hochhielt, ließ sie das Fenster ein bisschen herunterfahren und ich schob das Geld durch.

In aller Ruhe zählte sie es, dann steckte sie es sich in die Bluse und bevor sie die Tür öffnete, zwinkerte sie. Diese scheiß Provokation würde ich ihr heimzahlen. Genauso wie alles andere. Als ich den Motor endlich wieder startete, schwor ich mir, dass der Moment schneller kommen würde, als ihr lieb war.

„Früher gab's noch einen Blowjob dazu", konterte ich und sie brummte: „Früher gab's auch Schuhe zum Geld.





【 NIALL 】


━━━━




Ich hatte Nella geküsst. Verdammt! Wieso hatte ich das getan? Wieso hatte ich das auch noch genossen?

Die Antwort lag auf der Hand, denn... es war richtig.

Auf meine Gefühle gab ich nicht viel, aber was diesen Kuss anging, da wirbelte sie meinen nüchternen Verstand durcheinander. Und zwar gehörig. Beim Frühstück konnte ich sie nicht ansehen. Teils, weil ich immer, wenn sie ihre Tasse hob, den Geschmack von grünem Tee auf meinen Lippen schmeckte. Unwillkürlich ließ ich meine Schüssel mit Maple Loops stehen.

Seit wann brachte mich ein so dämlicher Kuss aus dem Konzept? Ich konnte jedoch nicht leugnen, das Nella mit diesem Kuss eine gewisse Macht ausgeübt hatte. Meine Panikattacke war verpufft, wie eine Seifenblase. So als wäre sie nie dagewesen und das erschreckte mich.

„Hey Niall, die Handwerker sind da", riss Sophia mich aus meiner Starre und ich bemerkte, dass ich der letzte mit Sebastian am Tisch war. Der Kleine musterte mich fragend. Meine viel zu große Kappe saß auf seinem Kopf. Falsch herum aufgesetzt, sah er mit dem Ding fast schon niedlich aus und erinnerte mich stark an Theo. Hastig trank ich meinen Kaffee, schob Sebastian meine Maple Loops zu, die erstrahlend im Empfang nahm und beeilte mich, um nach draußen zukommen.

Morty wartete mit seinen Jungs schon und als wir durch das Haus gingen, erklärte er mir zu meiner Überraschung, dass ich unrecht hatte. Man würde bei einem Haus von unten nach oben. Demnach war der Keller dran.

„Dat geht schnell. Is nich so viel, wie's aussieht", gab er mir zu verstehen. Morty erzählte, zu was all die Räume zu Nutzen sein könnten. Vorratskammer, Abstellraum für Sommermöbel, Dekorationskram und was wusste ich nicht alles.

Es ging nur darum, die Wände sicher zu verputzen und sicher zu stellen, dass die Kellerräume bei starkem Regen nicht vollliefen. Richie, der Jüngste von den Arbeitern, zeigte mir, wie man mit Mörtel die Wände richtig verputzte und seltsamer Weise hatte ich wirklich aufrichtig Spaß an handwerklicher Arbeit. Ich scherte mich nicht darum, mich dreckig zu machen.

Morty riss ab und an Witze darüber, dass ich aussah, als hätte ich mich regelrecht in Mörtel gewälzt. Widersprechen konnte ich ihm da nicht. Ich lenkte mich ab. Körperliche Betätigung tat mir gut und ich wusste, dass ich heute Nacht wirklich gut schlafen konnte. Wobei, das hatte ich am Vorabend auch geglaubt und trotzdem nicht getan. Dumm klammerte ich mich an diese Hoffnung und ignorierte Nella weiterhin.

Sie brachte uns in einer Pause Sandwiches und etwas zu Trinken. Obwohl ich gleichgültig bleiben wollte, hörte ich doch aufmerksam zu, wie sie sich mit Morty unterhielt.

„Moin könn' schon ein paar im Erdgeschoss arbeit'n", erklärte er ihr grunzend und obwohl ich nicht dran glaubte, schafften wir es, dass zum frühen Abend der Keller tatsächlich fertig war. Demnach musste der Mörtel nur noch trocknen und wir einmal mit einer klaren Schicht drüber.

Erschöpft belagerte ich das Bad und zum ersten Mal seit ich in Kenwood Park war, vermisste ich eine Badewanne mit heißem Wasser. Denn das Wasser aus der Dusche war immer noch eiskalt. Man hatte uns gesagt, dass es noch ein paar Tage so bleiben würde, dann endlich konnten wir auch den Luxus vom warmen Wasser wieder genießen.

Dieses Mal war es aufwendiger, sich vom Dreck zu befreien und ich genoss das Gefühl von sauberer Haut. Mit feuchten Haaren und in lässigen Sportklamotten verließ ich das Bad wieder und hörte Sebastian über den Flur rennen, vor mir blieb er strahlend stehen: „Sophia holt Pizza!"

Das war doch mal die Nachricht des Tages. Mit den Stiften in der Hand, die ich ihm einst gekauft hatte, huschte er mit Loki die Treppen runter in die Küche. Sie waren ein merkwürdiges Gespann. Ständig zusammen und nie allein anzutreffen. Leider hatte ich nicht mehr viel Zeit mit Sebastian verbringen können, aber eins ließ sich nicht leugnen. Er war ein absolut lieber Junge. Überhaupt nicht anstrengend, oder aufmüpfig. Eher schüchtern und für sich.

Einmal hatte ich ihn dabei beobachtet, wie er mit Loki zusammen seine eigenen Bilder interpretierte und erzählte, was er sich dabei dachte. Oft war dann von Power Rangers und Spiderman die Rede. Seine Vorliebe für Superhelden sah man auch an seinen Schlafanzügen.

Nella kniete am anderen Ende des Flures über mehrere Bilderrahmen und tauschte sie aus. Mit den Fingerspitzen überprüfte sie, ob es sich um Kunstdrucke oder echte Bilder handelte. Mehrere Papierfetzen lagen links von ihr.

Ich blieb stehen und sah ein, dass es dumm war ihr aus dem Weg zu gehen. Denn wir würden noch länger an einem Ort verweilen. Unsicher trat ich auf sie zu und ging neben ihr in die Hocke. „Nella, ich glaube wir sollten reden."

„Worüber?", fragte sie ruhig und öffnete den nächsten Bilderrahmen, den sie auf dem Dachboden gefunden hatte. Ich musterte sie: „Das gestern."

Kurz hielt Nella inne, sie seufzte tief und hob den Kopf. Ihre eisigen Augen sahen mich an. „Tut mir leid, Niall. Ich hätte das nicht tun sollen." Sie strich sich eine losgelöste Haarsträhne hinter das Ohr und führte aus: „Es ist nicht meine Art so etwas auszunutzen und du solltest keinesfalls verwirrt werden, oder dich gar bedrängt fühlen. Ich entschuldige mich dafür."

Ich –was?

Vollkommen verwirrt starrte ich Nella an und begriff nicht so recht, was sie damit sagen wollte.

„Jedenfalls wäre ich dir dankbar, wenn wir das einfach vergessen könnten, ich werde das nie wieder tun."

Langsam ratterte es in meinem Kopf. „Machst du aus mir gerade etwa das Opfer?"

„Aber das bist du doch auch!", behauptete sie mit einer Bestimmtheit, dass ich augenblicklich wütend wurde und fauchte: „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Nella, glaubst du nicht, dass ich in der Lage wäre mich erstklassig gegen dich zu wehren, wenn ich mich zu etwas gezwungen fühle?"

Sie öffnete den Mund und an ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich sofort, was sie sagen wollte.

„Ich bin kein Häschen, dass du einfach an den Ohren packen kannst und schon bin ich dir ausgeliefert", klärte ich sie ruppig auf und als sie die Augenbrauen hob und mich arrogant ansah, sprach sie: „Nicht? Tut mir leid, aber du hast auf mich keinen widerstandsfähigen Eindruck gemacht."

In diesem Augenblick dachte ich nicht nach, ich reagierte einfach und innerhalb von ein paar Herzschlägen lag Nella unter mir. Ich hatte ihre Handgelenke umfasst und drückte sie rechts und links von ihrem Kopf auf den Boden. Erschrocken zog sie die Luft ein. Mein Verhalten mochte ruppig sein, doch sie beschwerte sich nicht. Im Gegenteil, sie bewegte sich überhaupt nicht.

Geschockt sah sie mich an, als ich mich über sie gebeugt hatte. Eigentlich wollte ich sie loslassen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Zu sehr hielten mich diese eisigen Augen fest. Mein Griff um ihre Handgelenke lockerte sich, stattdessen strichen meine Finger über ihre Handflächen und ich bemerkte, dass sich mein Herzschlag brutal beschleunigte.

Es war das zweite Mal, dass ich so etwas spürte, seit ich das Krankenhaus vor fast zwei Jahren verlassen hatte. Ein angenehmes, schönes Gefühl, zwischen all der Panik, Angst und Unsicherheit. Meine Nase berührte fast ihre und ich bemerkte, dass Nella unweigerlich die Luft angehalten hatte. Ihr Blick bohrte tiefer in meinen und dann begriff ich, dass obwohl ich sie überrumpelt hatte, ihr Körper nicht eine Sekunde angespannt unter mir gelegen hatte. Es war, als würde sie mir vertrauen, obwohl sie dafür keinerlei Grund hatte.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, ich wollte etwas sagen, irgendetwas tun und-

„Du, Niall?"

Panisch rissen sowohl Nella und ich die Augen auf und ich ging von ihr runter, wir fuhren herum und sahen Sebastian mit Loki an der Treppe stehen. Mit einem kindlich naiven Gesichtsausdruck sah er uns an und ich fuhr mir durch das noch feuchte Haar. „S-Sebastian, hey, was gibt es?"

„Was habt ihr da gemacht?", fragte er neugierig und in meinem Kopf ratterte es. Was sollte man einem Kind darauf antworten?

„G-Gespielt", presste Nella heraus und er fing an zu strahlen: „Kann ich mitspielen?" Ich rappelte mich auf und klopfte mir nicht vorhandenen Staub von der Hose. „Eigentlich sind wir gerade fertig."

Enttäuscht schob er die Unterlippe vor. „Schade." Dann schien ihm etwas einzufallen. „Da sind fremde Leute draußen", informierte er uns.

Nella und ich warfen uns einen hastigen Blick zu und wir zogen gemeinsam mit Sebastian und Loki in das Erdgeschoss. Dort schob sich Sebastian hinter Nella herum, als ich Richtung Tür ging.

„Warte!", hauchte Nella plötzlich und drückte mir einen Pfannenwender in die Hand. Verdattert starrte ich das Ding an. Sie leckte sich leicht über die Lippen: „Für den Fall, dass du dich verteidigen musst."

„Mit einem Pfannenwender?", erwiderte ich sarkastisch. „Wäre ein Beil nicht angemessener?" Nella sah mich ungehalten an und ihr Kopf nickte leicht zu Sebastian, dann verstand ich. Der Junge hielt sich an ihrem Hosenbein fest. Meine Miene wurde gespielt ernst und dann hockten wir uns beide zu ihm herunter.

„Okay, hört zu", begann ich, ganz der große Anführer. „Ich gehe vor und wenn es Bigfoot ist, dann stürzen wir uns auf ihn mit Gebrüll!"

„Was, wenn er uns frisst?", warf Sebastian ängstlich ein, doch Nella erkläre: „Dann frisst er erst Niall und wird damit ein bisschen zu tun haben. In der Zeit können wir zum Auto laufen."

Sie nickten abgeklärt. Wie nett von ihnen. Sebastian und Nella ergriffen je zwei Kissen und dann folgten sie mir, wie treue Soldaten. Ich vermied es, im Flur Licht zu machen, auch in der großen Eingangshalle ließ ich es aus.

Vorsichtig drückte ich die Türklinke herunter und dann rief ich: „Jetzt!"

Mit heldenhaftem Gebrüll stürzten wir nach draußen und jemand taumelte von den Eingangstreppen, auf die er gerade noch gesessen hatte. Rechts von mir sprang eine weitere Gestalt von einem Schaukelstuhl auf.

„Nicht schießen!", bat eine Stimme, die ich schon bei der zweiten Silbe erkannte, geschockt. Sebastian verkündete: „Wir sind tödlich bewaffnet, ihr Einbrecher!"

Ich tastete zum Lichtschalter und augenblicklich wurde die Veranda erhellt.

Louis hatte sich ans Herz gegriffen, er atmete schließlich tief durch und bückte sich dann, um seine Zigarette wieder aufzuheben. „Meine Fresse, Nialler, ich hab' mir fast in die Hose gepisst."

Hinter mir zog Sebastian scharf die Luft ein: „Er hat geflucht."

„Genau", stimmte ich grinsend zu. „Wirf nen' Pfund in die Fluch-Dose. Das ist hier so üblich." Louis sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun. Ein bisschen konnte ich das sogar nachvollziehen. Er verzog das Gesicht: „Was hast du denn geraucht?"

Statt darauf einzugehen begrüßte ich ihn mit einer herzlichen Umarmung und sah, wie Nella auf Eleanor zu ging, doch diese hob nur den Arm: „Vergiss es. Mit dir spreche ich nicht mehr! Du hast mich hinterhältig in die Pfanne gehauen."

„Ach komm, wir sind quitt. Du hast mich auch erst durch die Hölle geschickt und kein Wort gesagt, dass du seine Exfreundin bist", wehrte Nella sich.

Eleanor wirkte verkniffen: „Das hätte dir auch keinen Vorteil gebracht. Und-" Eleanor hielt inne und dann beugte sie sich zu Sebastian runter: „Hey, ich bin Eleanor, und du?" Äußerlich stellte ich fest, hatte sie sich kaum verändert. So als wäre die Zeit einfach spurlos an ihr vorbei gegangen.

„S-Sebastian", stotterte er ihr schüchtern entgegen und drückte sich fester an Nellas Beinen. Ich erklärte ihm, dass es sich bei den Einbrechern um Freunde handelte. Zusammen räumten wir das Auto aus und schließlich sah sich Louis sichtlich interessiert um.

Da es draußen dunkel war, hatte er wohl noch nicht die Kostprobe vom Park bekommen. Stattdessen musterte er einen Raum nach dem nächsten und ich erklärte, dass es noch mehrere Cottages gab, die ebenfalls überholt werden mussten. Innerlich war ich mehr als froh, endlich einen der Jungs hier zu haben. Besonders weil es Louis war. Mit ihm war ich eigentlich am besten nach dem Unfall zurechtgekommen.

„Meine Fresse, hier musst du aber noch ordentlich Arbeit reinstecken", brummte er und ich korrigierte hinter ihm: „Wir, nicht ich. Und hör auf zu fluchen."

„Ich soll aufhören zu fluchen und das von dir?", höhnte er. Ich hob die Arme zum Himmel und als wir es fast unter das Dach geschafft hatten, setzte Louis sich auf eine verstaubte Kommode und zog eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche.

Ich öffnete automatisch ein klemmendes Fenster und dann, als der Nikotin-Geruch über unseren Köpfen schwebte, sprach er: „So, bring mich auf den Laufenden, Nialler. Wie kriege ich mein Konto wieder freigeschaltet?"

Schmunzelnd setzte ich mich auf die Fensterbank, dann begann ich zu erzählen. Davon, dass Harry alles durch Nella leiten ließ, von den Briefen und davon, wie großartig Kenwood Park doch war. Aber auch, wie viel Arbeit darin steckte. Vor allem, was ich mit dem Park vorhatte.

Kurz sah ich, das Louis lächelte und das war alles, was ich an seine Zustimmung brauchte. Ihm musste ich nicht erklären, wie ich auf die Idee gekommen war, denn er wusste es einfach.

„Camp Chaos würde ich ja fast sagen", warf er ein und dann redete ich weiter. Davon, dass ich leider Mittäter war, was sein gesperrtes Konto anging und Harry es sicher sehr bald entsperren lassen würde.

„Er ist also nicht im Entzug?", versicherte Louis sich, doch ich konnte das nicht hundert prozentig abstreiten: „Das weiß ich nicht, aber ich vermute, dass es ihm einigermaßen gut geht. Ab und an meldet er sich nämlich bei Nella."

Louis ballte die Hand zur Faust, er schien nicht besonders glücklich darüber. Ich war der Letzte, der ihm seine Wut verübeln würde. „Sonst noch etwas?", fragte Louis und ich verschränkte die Arme von der Brust: „Na ja, dass Sophia bei Liam ausgezogen ist, habe ich dir schon gesagt und der Kurze da unten, ist quasi das Extra."

Ich sah sofort, dass Louis nichts verstand und setzte hinzu: „Laut Jugendfürsorge, darf ich dir somit Liams Sohn verstellen. Sebastian."

Er sah mich an, als hätte ich laut verkündet, dass ich noch an den Weihnachtsmann glauben würde. Zuerst regte sich Louis nicht, aber dann prustete er dermaßen heftig los, dass er Mühe hatte, noch zu atmen. Sein Lachen hallte durch die Räume, er schien sich überhaupt nicht mehr einzukriegen.

Ich dagegen seufzte leichthin: „Genauso habe ich auch reagiert. Aber Sophia ist da anderer Meinung."

„Ja klar, gerade Liam. Ich habe nicht einmal mitbekommen, ob er je in seinem Leben einen One-Night-Stand hatte", echauffierte sich Louis und innerlich konnte ich da nur zustimmen. Liam war absolut nicht der Typ dafür. Ich wechselte das Thema. „Du hast Eleanor nicht umgebracht", stellte ich nüchtern fest und Louis schnaubte, dann rutschte er von der Kommode und warf die Zigarette aus dem Fenster: „Nein, ich habe sie nur bezahlt, wie immer."

„Was?"

„Du kennst die Schlampe, wo sie Geld rauschlagen kann, tut sie es auch", seine Stimme klang hart und emotionslos. Es war tragisch, wie weit seine Achtung gegenüber Eleanor gesunken war, aber ich fragte mich, ob ich an seiner Stelle nicht auch so drauf wäre.

Er schloss das Fenster und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, was ihn trösten könnte. Ich hätte gerne irgendetwas getan, um das von Louis zunehmen, was ihn so gemacht hatte, wie er jetzt war. Aber das konnte ich nicht.

Während ich hinter Louis die Treppe wieder runter ging, fragte ich mich, ob nicht Harry das konnte und es seine Absicht war, uns an etwas zu erinnern. Vielleicht sollte ich Nella danach fragen. Doch als Louis und ich die Küche betraten, lagen zwei Umschläge auf dem Küchentisch. Meiner war blau, doch Louis' dagegen rot. Sophia war zurückgekommen und öffnete die Pizzaschachteln. Sebastian stürzte sofort an den Tisch und Nella reichte Eleanor eine Flasche Wein, welche diese öffnete.

Erst dann sah Nella uns an und sprach: „Ihr habt Post."




⸙ ● ⸙ ● ⸙

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