8) Hunger nach Neuigkeiten
+++Parrik+++
Ein köstlicher Duft stieg mir in die Nase, als ich die Küche betrat. Ally war eine hervorragende Köchin. Gemeinsam mit Quenny hatte sie das Rebhuhn gebraten und als Beilage Steckrübenmus zubereitet. Quenny würde sicher einmal eine genauso gute Köchin werden, wenn sie weiterhin so viel Zeit mit ihr in der Küche verbrachte. Die beiden verstanden sich prächtig. Wie es schien hatte Ally in Quenny die Tochter gefunden, die sie nie haben konnte, sich aber immer gewünscht hatte. Es freute mich für Ally und für meine Schwester. Ollf und seine Frau hatten uns gut aufgenommen und wie ihre eigenen Kinder behandelt. Auch wenn ich es nicht zugeben konnte, insgeheim hatte ich die Zwei doch ins Herz geschlossen.
Während die beiden Frauen noch in der Küche beschäftigt waren, beschloss ich mich nützlich zu machen und deckte den Tisch. Ollf war noch unten in der Schmiede und packte die Werkzeuge zusammen, die wir für die Minen hergestellt hatten, damit sie morgen abgeholt werden konnten. Es war ein großer und wichtiger Auftrag, wie er immer wieder betont hatte. Ollf war sehr stolz, diese Bestellung bekommen zu haben und wir hatte wochenlang an der Fertigstellung der Werkzeuge, hauptsächlich Piken, Schaufeln und Äxte, gearbeitet. Mein Meister würde hungrig sein, wenn er hochkam und ich hoffte ebenfalls, dass Ally und Quenny das Essen bald auftragen würden. Allein der Duft nach Gebratenem, der in dem kleinen, aber gemütlichen Esszimmer der Schmiedeleute lag, sorgte dafür, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief. Ich stellte fest, dass ich seit dem Frühstück am Morgen nichts gegessen hatte. Ich hatte ohne Pause gearbeitet, wieder einmal.
„Du bist ja schon da, Parrik!" Ally, beladen mit dem gebratenen Vogel auf einem großen Brett, war, gefolgt von Quenny mit einer dampfenden Schüssel Rübenmus, hereingekommen. Sie stellten das Essen auf dem Tisch ab. „Wo ist Ollf? Kommt er auch bald nach oben?"
„Er verpackt gerade noch die fertigen Werkzeuge. Er kommt sicher gleich."
Im selben Moment hörte man auch schon das Poltern seiner schweren Stiefel auf der schmalen, hölzernen Treppe.
„Du hast schon gedeckt. Wie schön." Ich half gerne und fand es selbstverständlich, das wusste Ally. Trotzdem war sie freundlich genug, sich immer bei mir zu bedanken. Sie hatten uns aufgenommen, ohne weiter darüber nachzudenken und ich war ihnen dankbar dafür und versuchte mich nützlich zu machen, wo und wenn ich konnte. Auch wenn ich sie nicht die Mutterrolle für mich einnehmen ließ, wollte ich ihr nicht zur Last fallen und mich wenigstens dankbar dafür zeigen, dass sie uns aufgenommen hatten.
„Wir können gleich essen. Ich hoffe ihr habt Hunger." Bei Ally ging Liebe durch den Magen.
„Und wie!" Ollf trat gerade durch die Tür und hatte ihren letzten Satz gehört. Keiner von uns hatte heute Zeit für eine Pause gefunden. Ally und Quenny hatten tagsüber Einkäufe im oberen Viertel erledigt. Manchmal brachten sie uns eine Mahlzeit vorbei, wenn keiner von uns zur Mittagszeit auftauchte. Aber heute waren sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.
Die beiden Eheleute ergaben sich in ihr übliches Geplänkel über die Arbeit in der Schmiede, das Gerede und die neuesten Gerüchte im Städtchen, die Ally bei ihren Besorgungen aufgeschnappt hatte oder Lobpreisungen darüber, wie gut sich Quenny in der Küche oder ich mich in der Schmiede angestellt hatten. Letzteres trieb mir regelmäßig vor Verlegenheit eine Röte ins Gesicht und ich tat es mit einem Schulterzucken ab. Ich konnte nicht damit umgehen, wenn jemand gut über mich sprach und das Schmieden lag mir einfach im Blut, wie sich herausgestellt hatte. Sehr zu meiner und zu Ollfs Überraschung.
Quenny hingegen schien diese Schwierigkeiten nicht zu haben. Begeistert plapperte sie darauf los, wie sie diese oder jene Zutaten besorgt und zubereitet hatte und wie lecker sie ihr Rübenmus fand. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, während ich gierig zartes Fleisch und weichgekochtes Gemüse in mich hineinschaufelte. Ich hatte einen Bärenhunger.
Meine Schwester hatte ihre dunkelbraunen Haare zu zwei langen Zöpfen geflochten, die lustig hin und her wippten, wenn sie redete. Sie hatte die gleiche Haarfarbe wie ich, nur dass sie ihre Haare länger trug, obwohl ich feststellte, dass ich meine auch viel zu lange hatte wachsen lassen. Ständig fielen mir Strähnen ins Gesicht und ich musste sie wieder hinter die Ohren streichen, was bei der Arbeit ziemlich lästig war. Aber andererseits konnte ich sie mir so in die Stirn kämmen und meine hässlichen Brandnarben dahinter verbergen. Aber inzwischen waren sie zu lang geworden, das musste ich zugeben. Ich sollte Ally dringend bitten, mir die Haare zu schneiden.
Mein Blick fiel erneut auf Quenny. Meine Schwester mit ihren Zöpfen erinnerte mich unweigerlich an eine jüngere Ausgabe von Celien. Celien war nur ein Jahr jünger gewesen als Quenny jetzt, als sie damals vor drei Jahren zusammen mit ihrer Mutter meine Verletzungen versorgt hatte. Sie war mit vierzehn ähnlich zierlich gewesen, wie Quenny es war und hatte ihre Haare ebenfalls in zwei Zöpfen getragen.
Allerdings waren Quennys Augen blau, viel blauer als meine, die eher grau als blau waren. Celiens Augen dagegen waren rehbraun.
Ich schreckte aus meinen Gedanken, weil alle Blicke auf mir ruhten. Mist, ich war abgeschweift und ich hatte ihrer Unterhaltung nicht zugehört. Ollf schaute mich erwartungsvoll an. Er schien eine Antwort von mir zu erwarten.
„Ähm, wie bitte?", fragte ich etwas verlegen nach.
„Ob du etwas davon gehört hast?", wollte Ollf wissen.
„Wovon habe ich gehört?" Ich hatte keine Ahnung worauf er hinauswollte. Ich hatte während der gesamten Mahlzeit nicht darauf geachtet, was gesprochen wurde. In der Regel bestritten Ollf und Ally die Unterhaltungen bei Tisch alleine, während Quenny still zuhörte oder hier und da eine Bemerkung einwarf, war ich mit essen und mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.
„Von dem Diebstahl im oberen Viertel. Mensch Parrik, hörst du überhaupt zu, wenn wir mit dir reden?" Auf diese Frage ging ich besser nicht ein.
„Es gab einen Diebstahl im oberen Viertel? Wann? Und was wurde gestohlen?" Ganz offensichtlich hatte ich nichts davon gehört. Wann und wer sollte mir auch davon berichtet haben? Ich war schließlich den ganzen Tag mit Ollf in der Schmiede gewesen.
„Gestern Nachmittag wurde bei Arnoldo, dem Gewürzhändler eingebrochen. Quenny und ich haben es gehört, als wir vorhin beim alten Markt waren." Allys ansonsten ruhige Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung.
Auch Quenny meldete sich zu Wort. „Jemand hat einen Beutel voller Münzen aus seiner Truhe gestohlen. Der Nachbar hat eine Gestalt in einem schwarzen Umhang Richtung Mauer laufen sehen, aber die Wachen haben niemanden durchgelassen, auf den diese Beschreibung passt. Es muss also jemand aus dem oberen Viertel gewesen sein!"
„Und der Gewürzhändler?" Ich kannte ihn vom Sehen, ein älterer Herr mit dickem Bauch und schütterem Haar. Auch Celien kaufte hin und wieder Gewürze bei ihm soweit ich wusste.
„Als der Dieb in den Laden kam, war Arnoldo gerade unten im Keller. Nur seine Tochter war im Haus, aber sie sagt, sie hat niemanden gesehen. Sie hat nur gehört, wie die Truhe, in der sie die Einnahmen aufbewahren, zufiel. Als sie nachschaute, war das Geld weg."
„Und niemand hat das Viertel verlassen? Oder ist hinein?" Jetzt verstand ich die Aufregung von gestern Abend. Es musste ein ganz schöner Tumult bei der Wacheinheit nach diesem Vorfall geherrscht haben. Schließlich waren sie für die Sicherheit der Bewohner von Waldhafen verantwortlich. Sie kontrollierten nicht nur am Stadttor, wer hinein und hinauskam, sondern auch am inneren Tor, welches vom Arbeiterviertel ins obere Viertel führte, wo die reichen und wohlsituierten Bürger wohnten. Auch für die Aufklärung von Diebstählen, Einbrüchen und Überfällen war die Stadtwache zuständig, ebenso wie für die kleineren Vorfälle aller Art, wie die gelegentliche Kneipenprügelei oder Streitereien zwischen aufgebrachten Nachbarn. Die Stadtwache hatte sich einen Ruf erarbeitet. Sie galten als wachsam, streng und unbestechlich. Ihnen hatten wir es zu verdanken, dass Waldhafen als sicher galt und Verbrechen stark zurückgegangen waren, seitdem sie im Städtchen patroullierten und bei Vergehen hart durchgriffen.
Gut nur, dass Rasten zu dem Zeitpunkt nicht am Tor gestanden hatte. Wer wusste, wem sie die Schuld für den Diebstahl in die Schuhe schieben würden. So wie ich die reichen Händler kannte, würden sie schnell einen Sündenbock ausgemacht haben und die Angelegenheit zu den Akten legen, ob es jetzt den Richtigen erwischt hatte oder nicht.
„Also gibt es noch keinen Verdächtigen?", fragte ich neugierig.
„Wir haben viel gehört." Ally sprach nun etwas ruhiger. „Die meisten sagen, es muss jemand aus dem oberen Viertel sein. Vielleicht jemand, dem der Gewürzhändler Geld schuldet? Oder seine Tochter hat das Geld genommen und den Diebstahl erfunden."
„Die Leute reden viel, wenn etwas passiert ist. Die Leute reden so schon viel, aber vor allem, wenn etwas Außergewöhnliches passiert." Ollf schien den Vermutungen seiner Frau nicht zu glauben. „Ich kenne Arnoldo. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei irgendwem Schulden hat. Er ist ziemlich wohlhabend." Nachdenklich fügte er hinzu. „Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass er Feinde hat oder Neider, die ihm seinen Wohlstand nicht gönnen und ihm Übles wünschen."
„Kennst du seine Tochter? Sie soll ein hübsches Ding sein. Sein einziges Kind und sein Ein und Alles. Seine Frau ist vor vielen Jahren im Kindbett gestorben." Allys Interesse an der Sache war nicht zu übersehen und auch Quenny saß ganz aufrecht da und hing an Ollfs Lippen.
„Nein, ich kenne sie nicht. Er hütet sie wie seinen Augapfel, sagt man jedenfalls. Aber sie soll wirklich eine Schönheit sein, das habe ich auch gehört. Sie bekommt alles von ihrem Vater was sie verlangt. Arnoldo vergöttert sie regelrecht. Wieso sollte sie also Geld von ihrem Vater stehlen?"
„Da hast du wohl Recht. Und schließlich die Gestalt in Schwarz, die der Nachbar gesehen haben will." Ally klang immer noch aufgeregt, wenn nun auch etwas ruhiger.
Zugegeben, das war alles sehr seltsam. Bestimmt wusste Rasten mehr. Morgen Abend würde ich ihn besuchen, wenn er nach Hause kam.
Erneut schöpfte ich mir einen großen Löffel Gemüsebrei auf den Teller und nahm mir ein weiteres Stück Rebhuhn. Nicht nur mein Hunger nach Neuigkeiten, sondern auch mein Appetit sollte schließlich gestillt werden.
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