51) Eine Nacht


***Celien***

Das Gewitter hatte uns erreicht. Und mir blieb keine Zeit mehr um darüber nachzudenken, warum ich Parrik aus heiterem Himmel einfach so um den Hals gefallen war. Außerdem musste ich mich das nicht fragen. Ich wusste genau warum, vor Freude und Erleichterung und weil ich ihm nahe sein wollte. Seit wir gemeinsam unterwegs waren, hatte sich dieses Bedürfnis noch weiter verstärkt und ich hatte dem Impuls einfach nicht mehr widerstehen können.

Der dunkle Himmel über uns erhellte sich schlagartig, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Ich zuckte erschrocken zusammen, als ein weiterer Blitz erneut die Dunkelheit erleuchtete. Der Donner krachte und der ganze Wald hallte wider. Am liebsten hätte ich mich wieder in seine Arme geflüchtet, aber meine Stute lenkte mich in diesem Augenblick ab.

Mit einem kläglichen Wiehern stieg sie auf ihre Hinterbeine und stieß einen Angstschrei aus, wie ich ihn noch nie zuvor von einem Tier gehört hatte. Genauso erschrocken von Blitz und Donner und ihrer Reaktion wich ich ein paar Schritte zurück, dumm nur, dass ich gerade im Begriff gewesen war, sie loszubinden.

Bevor ich mich aufrappeln und nach den Zügeln greifen konnte, stieg sie wieder auf alle Viere und schoss davon. „Halt!", rief ich meinem Pferd verzweifelt hinterher, aber voller Panik galoppierte sie blind durchs Unterholz, vorbei an Parrik, der gerade dabei war, auf seinen braunen Hengst zu steigen und der vor Schreck ebenfalls zurückwich und ins Stolpern geriet.

Sein Hengst hatte die Ohren angelegt, ein Zeichen, dass er ebenfalls nervös war. Angesteckt von der wilden Panik seiner Partnerin, tat er es ihr gleich und folgte ihr in vollem Galopp, ehe Parrik auch nur reagieren oder irgendetwas unternehmen konnte.

Hilflos schauten wir unseren Pferden hinterher und sahen wie sie im Wald verschwanden. „Verdammt", bemerkte ich und streckte Parrik meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Verflogen waren die gute Laune und die Freude über den Fund des Mäusedorns.

„Ohne die Pferde ist  es hoffnungslos den Heimweg in zwei Tagen zu schaffen. Dieses verfluchte Gewitter!", fluchte ich.

„Wir müssen hinterher. Komm!" Parrik hielt immer noch meine Hand und zog mich hinter sich her, während der Regen unaufhörlich auf uns niederprasselte.

Wie versteinert folgten wir dem Weg, den wir hierher genommen hatten, nur dieses Mal zu Fuß. Von den Pferden war keine Spur mehr zu sehen und nichts zu hören. Ich wusste, wie schnell und wie weit verängstigte Pferde laufen konnten, in dem verzweifelten Versuch dem Gewitter zu entkommen. Und ich wusste, wie gefährlich es war, hier im Wald zu galoppieren, wo man überall an einer Wurzel hängenbleiben und sich ein Bein brechen konnte.

Ich durfte gar nicht daran denken. Ich bemerkte kaum, dass Parrik noch immer meine Hand hielt und mich mit sich zog.

Unsere Kleidung war inzwischen völlig durchweicht und Wasser tropfte mir ins Gesicht. Ich hatte schon seit einer Weile keine Ahnung mehr, in welche Richtung wir liefen und hoffte, dass Parrik es wusste. Ich stolperte ihm einfach hinterher, während um uns herum immer noch das Gewitter tobte und die Blitze einschlugen. Es krachte, zuckte und prasselte um uns nieder, aber ich nahm meine Umwelt kaum wahr.

„Was sollen wir machen?" Parrik war stehen geblieben und schaute sich um. Wassertropfen rannen aus seinen pitschnassen Haaren und liefen ihm über Stirn und Nase. „Hier gibt es nirgends Schutz. Wir könnten uns höchstens unter einen dichten Baum stellen und abwarten, bis das Schlimmste vorüber ist." Er schaute mich unsicher an, ließ meine Hand los und rieb sich über die Augen. Jetzt hatte ich nichts mehr, was mir Halt gab.

„Wir müssen weiter", brachte ich verzweifelt hervor. „Wir müssen die Pferde finden."

„Celien!" Parrik schaute mich eindringlich an. „Wo willst du suchen? Sie können inzwischen überall sein. Sei vernünftig. Es hat keinen Sinn."

„Lass uns einfach weiterlaufen", schlug ich stattdessen vor. „Weiterlaufen und suchen." Etwas tun, fühlte sich immer besser an, als warten und nachdenken. Parrik zögerte kurz, entschloss sich dann aber anders. „Einverstanden", meinte er nur knapp und machte sich wieder auf den Weg.

Ich wünschte mir insgeheim, dass er wieder meine Hand nahm, aber er tat es nicht. Er lief einfach neben mir her und ich traute mich nicht, ihn darum zu bitten oder seine Hand in meine zu nehmen.

Also liefen wir still und triefend nebeneinander her. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen, die nur noch ab und zu von einem grellen Blitz erleuchtet wurde. Die Bäume waren nur noch als schwarzschattierte Schemen wahrzunehmen, aber wir liefen einfach weiter. Schritt für Schritt.

Immer weiter durch den Wald, an Bäumen und Sträuchern vorüber, bis wir irgendwann auf einen Trampelpfad stießen. Wir folgten dem Pfad, weil es einfacher war und er uns schließlich irgendwohin führen würde. Irgendwohin. Wohin genau war mir völlig gleichgültig.

Die Erde war schlammig und aufgeweicht, aber das war mir ebenso einerlei. Ich war nicht in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen und die Blitze leuchteten nur noch in einiger Entfernung auf, auch das Grummeln des Donners war leiser geworden und verhallte schließlich irgendwann in der Ferne.

Vielleicht hatten wir das Schlimmste überstanden. „Vielleicht finden wir hier irgendwo die Pferde", flüsterte ich matt. Ich wusste selbst, dass dies einem Wunder gleichkäme. Aber mein Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen schlängelte sich der Pfad Meile um Meile weiter durch den Wald. Wir folgten ihm einfach immer weiter und weiter. Schritt für Schritt.

Irgendwann blieb Parrik plötzlich stehen und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle vor uns.

„Schau doch, da vorne ist ein Gebäude. Da brennt Licht." Und tatsächlich erkannte ich die Umrisse eines Gebäudes und Licht hinter den Fenstern.

Der kleine Trampelpfad führte uns direkt darauf zu. „Zur Waldschenke" las ich die Schrift auf einem Schild über der Tür, das vom schwachen Lichtschein des Fensters beleuchtet wurde. "Ein Gasthaus mitten im Wald."

„Wir haben doch ein wenig Glück im Unglück, wie es scheint", bemerkte Parrik und trat entschlossen auf die Tür zu. Unter normalen Umständen sah die Schenke wenig einladend aus, aber in unserer Situation war ein Dach über dem Kopf besser als alles andere.

Mein Begleiter musste genauso erschöpft sein wie ich und es war schon spät am Abend.

Parrik hielt mir die Tür auf und ich betrat einen spärlich beleuchteten Gastraum. Im Kamin brannte ein Feuer und zwei Öllampen hingen an einem Haken an der Wand. Mehr Licht gab es in dem großen Raum nicht. Ein Mann mit dunklem Bart und langem Haar stand hinter der Theke,  und an einem der Tische saß eine korpulente Frau mittleren Alters und zählte in paar Münzen. Sie klaubte das Geld zusammen und stand eilig auf, als wir den Raum betraten. Falls es andere Gäste gab, waren diese schon nach Hause gegangen. Jedenfalls standen auf einigen der Tische noch leere Krüge.

Zögernd blieb ich an der Tür stehen, Wasser tropfte aus unserer pitschnassen Kleidung und sammelte sich in einer Pfütze auf dem Boden um uns.

„Guten Abend", sagte Parrik leise und zog seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht. „Können wir hier eine Unterkunft für die Nacht finden?" Er schirmte seine Stirn mit einer Hand ab, auf der wie ein schützender Teppich seine nassen Haare gelegt waren. Er war geschickt darin, seine Narben zu verbergen.

„Ganz schönes Sauwetter", bemerkte der Mann hinter der Theke und musterte uns dabei unverhohlen, während seine Frau sich erhoben hatte und auf uns zu kam. „Legt das ab", verlangte sie und hielt ihre Hände auf, um unsere nassen Mäntel entgegenzunehmen. „Ich nehme euch das ab und hänge es zum Trocknen auf."

„Danke", murmelte ich und reichte ihr meinen Umhang. Auch meine Kleider darunter klebten nass an mir, aber die konnte ich schlecht ausziehen, wenn ich nicht in Unterwäsche bekleidet dastehen wollte und nein, das wollte ich definitiv nicht.

Sie musterte mich prüfend. „Armes Ding", sagte sie mitleidig, „ich bringe dir etwas Trockenes zum Anziehen. Meine Tochter dürfte etwa die gleiche Größe haben wie du."

„Dir bringe ich etwas von meinem Mann", wandte sie sich nun ebenfalls an Parrik. „Ich werde schon etwas finden, das dir passt." Parrik war eindeutig größer und breiter als der drahtige Mann hinter der Theke. Ihr Blick wanderte ebenfalls prüfend an meinem Begleiter rauf und runter und blieb dabei nur kurz an seinem Gesicht hängen, ehe sie weitersprach.

„Stellt euch solange ans Feuer und wärmt euch. Ich bringe euch gleich die trockenen Sachen und zeige euch euer Zimmer." Und schon war sie eine schmale Treppe neben der Theke nach oben geeilt.

„Möchtet ihr in der Zwischenzeit eine Stärkung?", fragte der Wirt. Parrik lehnte den kalten Braten nicht ab, mir hingegen war jedoch nicht nach essen zumute und so begnügte ich mich mit einem heißen Becher Gewürzwein.

Am Feuer war es angenehm warm und ich merkte erst jetzt, wie durchgefroren und erschöpft ich war. Ich freute mich auf ein weiches Bett und ein Dach über dem Kopf.

Umso glücklicher war ich, als die Wirtin endlich wieder erschien. Sie reichte mir ein dünnes, weißes Nachtgewand und für Parrik eine weite Bundhose und ein Hemd, das schon auf den ersten Blick viel zu eng für ihn aussah. Er nahm es dankend entgegen.

„Was habt ihr denn so spät noch im Wald zu suchen?", erkundigte sie sich neugierig.

„Wir wurden von dem Gewitter überrascht", erklärte Parrik, „und vor lauter Schreck sind uns die Pferde durchgegangen. Es war ein Glück, dass wir den Pfad gefunden haben, der uns hierher geführt hat."

Ich nickte. „Wir sind aus Waldhafen. Ich bin Heilerin und wir waren unterwegs, um hier in der Gegend einen seltenen Strauch zu finden, den ich für eine Arznei brauche", fügte ich erklärend hinzu.

„Mein Name ist Parrik, ich bin Schmiedelehrling und das ist Celien", stellte Parrik uns höflich vor.

„Rida und mein Mann Caspar", erklärte die Frau und zeigte auf ihren Mann. „Wir betreiben die Waldschenke. Seid ihr Geschwister?", fragte sie. Ihr Blick wanderte zwischen Parrik und mir hin und her.

„Nein." Ich schüttelte den Kopf, ehe ich über meine Antwort nachdenken konnte. „Wir sind-" Ich stockte und überlegte was ich sagen sollte. Freunde? Wir waren Freunde, aber ich zögerte dennoch mit der Antwort. Ein Mädchen kam nicht einfach mitten in der Nacht mit einem Freund in eine Schenke oder war mit ihm im Wald unterwegs. Ich überlegte, wie ich den Satz am besten beenden konnte.

„-verheiratet", fiel mir Parrik ins Wort und legte einen Arm um meine Schulter. „Vielleicht könnt ihr meiner Frau und mir jetzt unser Zimmer zeigen. Wir waren den ganzen Tag unterwegs und es ist spät. Wir sind beide ziemlich müde."

Ich war in der Tat viel zu erschöpft, um von seiner Antwort überrascht zu sein. Seine Gedanken schienen der gleichen Richtung gefolgt zu sein, wie meine.

„Gut, folgt mir", sagte Rida und wir folgten ihr die Treppe hinauf zu den Gasträumen. Sie führte uns in ein kleines Zimmer. In der Mitte stand ein Bett, gerade groß genug für zwei Personen, daneben zwei Stühle, ein Schrank und ein kleines Tischchen.

„Danke", sagte ich.

„Wenn ihr noch etwas für die Nacht braucht, dann lasst es mich wissen."

Ich verneinte und sie ließ uns alleine.

Parrik schaute mich an. „Tut mir leid, dass ich dich als meine Frau ausgegeben habe. Aber so stellen sie keine weiteren Fragen, warum ich mit einem unverheirateten Mädchen in einem Zimmer übernachten will und dass du alleine in einem Zimmer schläfst, kommt nicht in Frage", erklärte er bestimmt, kaum dass sich die Tür hinter Rida geschlossen hatte.

„Schon in Ordnung", erwiderte ich. Er hatte es gut gemeint und es machte mir keinesweg etwas aus das Zimmer mit ihm zu teilen.

Parrik zog sein eigenes nasses Hemd aus und begutachtete das Hemd, welches ihm Rida gegeben hatte. „Zumindest kann ich mich damit zudecken", bemerkte er und ich drehte mich um und schloss meine Augen, damit er sich seine nasse Hose ebenfalls ausziehen konnte.

„Du kannst dich auch umziehen", sagte er, „ich werde nicht schauen."

So schnell ich konnte, streifte ich mir die nass an mir klebenden Sachen vom Körper. Selbst meine Unterwäsche war feucht und leider hatte ich nichts mehr zum Wechseln dabei, weil die Kleider allesamt in den Satteltaschen waren. Ich stöhnte auf. Genauso wie die Beeren und Wurzeln. Erneut kamen mir die Tränen. „Wir müssen noch einmal zurückgehen und einen neuen Mäusedorn suchen."

„Verdammt", fluchte Parrik hinter mir. „Das kostet uns einen weiteren Tag, mindestens."

Ich seufzte. „Und wie kommen wir ohne die Pferde nach Hause? Und wie sagen wir es Ally?"

„Lass uns morgen darüber nachdenken", antwortete Parrik. „Das wird sie hart treffen. Vielleicht haben wir Glück und finden die Pferde doch irgendwo. Wir suchen bei Tageslicht. Lass uns die Hoffnung noch nicht aufgeben."

„Wir versuchen es. Wer weiß, vielleicht finden wir eine Spur", bestätigte ich. In der Realität erschien es mir doch eher unwahrscheinlich. Wunschdenken, aber ich wagte nicht, es laut auszusprechen. Ich war noch nicht bereit, die Worte zu hören. Wir hatten die Pferde verloren, die Beeren und den Mäusedorn. Wir hatten alles verloren, worauf es ankam.

„Bist du fertig?", fragte ich stattdessen, als ich das dünne Nachthemdchen übergezogen hatte. Wenigstens passte es wie angegossen. Die nasse Unterwäsche hatte ich notgedrungen anbehalten und sie fühlte sich unangenehm kalt auf der Haut an. „Hoffentlich werde ich nicht auch noch krank", flüsterte ich und rieb mir über die Arme. Meine nassen Kleider hatte ich an einen Haken an der Wand gehängt. Mit etwas Glück würden sie am Morgen trocken genug sein und ich konnte sie wieder tragen.

„Ich bin fertig. Du kannst dich umdrehen", entgegnete Parrik und ich setzte mich aufs Bett.

„Das wird eng, aber es wird gehen", stellte ich fest. Vermutlich waren wir beide zu erschöpft, um uns daran zu stören, wenn wir nicht viel Platz hatten.

Aber Parrik kam nicht wie erwartet zu mir ins Bett, er setzte sich auf einen der beiden Stühle und legte sich das viel zu enge Hemd wie eine zu kleine Decke über seine nackte Brust.

„Was hast du vor?", fragte ich verwundert.

„Du kannst das Bett haben. Ich schlafe hier", sagte er und versuchte eine bequeme Position auf dem harten Holzstuhl zu finden.

„Parrik", sagte ich streng und bestimmt, „das kommt nicht in Frage. Wir teilen uns das Bett. Es ist groß genug für uns beide."

„Ist schon in Ordnung", erwiderte er. Es sah weder besonders gemütlich aus, noch hatte er eine ordentliche Decke, um sich zu wärmen.

„Nein", ich schüttelte den Kopf. „Komm ins Bett. Du brauchst deinen Schlaf. Dein Tag war genauso anstrengend wie meiner. Auf dem Stuhl kriegst du doch kein Auge zu und dann kann ich ebenfalls nicht schlafen, wenn ich weiß, dass du nicht schlafen kannst", argumentierte ich.

„Wirklich?", fragte er mich unsicher, „Bist du sicher? Es macht mir nichts aus."

„Ja, ich bin sicher", sagte ich mit Nachdruck, der mich selbst überraschte. „Du schläfst hier", ich ruschte an den Rand des schmalen Bettes und machte ihm genügend Platz, um sich hinzulegen, „und ich hier. Schließlich bin ich deine Frau, schon vergessen?"

Er grinste schwach und stand auf. „Einverstanden, Weib", scherzte er, ein Gähnen unterdrückend. „Aber wenn es dich stört, sagst du Bescheid und ich schlafe auf dem Stuhl."

„Wenn du unbedingt darauf bestehst." Ich verdrehte die Augen. „Und jetzt komm."

Die Bundhose saß ziemlich eng an ihm und die Hosenbeine endeten viel zu weit oben. Seinen nackten, muskulösen Oberkörper ignorierte ich oder versuchte es zumindest eher erfolglos. Trotz aller Erschöpfung und Rückschläge des Tages pochte mein Herz.

Wahrscheinlich würde ich kein Auge zutun, vor lauter Aufregung darüber, ihn so nahe bei mir zu haben. Ich atmete einmal tief durch, um mich zu beruhigen. Ich musste morgen ausgeschlafen sein, schließlich mussten wir die Pferde suchen und erneut in den Wald laufen, um neue Apfelbeeren und einen weiteren Mäusedorn zu finden. Außerdem drängte die Zeit und Mara wartete auf Hilfe. Und Rasten war vermutlich auch schon verzweifelt und besorgt. Und auch Ally und Ollf würden sich Sorgen machen und Quenny. Aber an Ally durfte ich am allerwenigsten denken. Was wenn den Pferden etwas zugestoßen war? Es würde ihr das Herz brechen.

Parrik rutschte soweit an den Rand wie er konnte ohne aus dem schmalen Bett zu fallen. Er zog das dünne, ihm zu kleine Hemd über sich und überließ mir die Felldecke. Ich zog sie über meine Schultern und kuschelte mich ein. „Gute Nacht", murmelte ich in die Dunkelheit. Parrik hatte die Kerzen ausgeblasen, die den Raum ein wenig beleuchtet hatten und im Kamin schwelte nur noch etwas Glut. „Gute Nacht Celien, schlaf gut", flüsterte er leise zurück und kurz darauf vernahm ich seine ruhigen und regelmäßigen Atemzüge, eine wunderschöne Gutenacht-Musik, an die ich mich gewöhnen könnte. Ich seufzte leise und kuschelte mich tiefer in meine Decke.

Die Müdigkeit und die Ereignisse des Tages trugen dazu bei, dass ich auch wegdämmerte. So schön es auch war, Parrik in meiner Nähe zu haben, so sehr frustrierte es mich, ihn nicht berühren zu können. Ihm nicht wirklich nahe zu sein. Aber wie immer fühlte ich mich nicht unwohl in seiner Nähe, sondern merkte, wie ich immer ruhiger und trotz allem entspannter wurde, bis ich schließlich eingeschlafen sein musste.

Es dämmerte bereits als ich aufwachte, weil ich ein Gewicht auf meiner Seite spürte und sich mein Rücken viel zu warm anfühlte. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo ich mich befand und was geschehen war. Parrik hatte sich zu mir gedreht und sein Arm lag auf meinen Rippen. Sein Körper war eng an meinen geschoben. Ich blieb mucksmäuschenstill liegen und lauschte. Er atmete tief und entspannt. Ich konnte spüren, wie sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug hob und senkte. Er schlief noch. Ich blieb still und genoss seine Wärme und seine Berührung. Es war nicht unangenehm, sondern fühlte sich wunderbar geborgen und vertraut an. Wenn ich jeden Tag neben ihm einschlafen und so aufwachen könnte, wäre ich glücklich. Ich schloss die Augen, entschlossen mein Glück wenigstens so lange zu genießen, wie es währte. Wenigstens einmal im Leben den Jungen, den ich heimlich liebte, an meiner Seite zu spüren. So ruhig wie möglich atmete ich weiter, obwohl mir mein Herz bis zum Hals klopfte.

Viel zu bald wachte er zu meinem Bedauern auf und zog den Arm zurück, bevor er vorsichtig zurück auf seine Seite rutschte und sich wegdrehte. Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich wach war, sondern stellte mich schlafend und atmete tief und ruhig weiter. Innerlich fühlte ich mich leer und verlassen. Mir war bewusst, dass er nicht mit Absicht meine Nähe gesucht hatte. Im Gegenteil, es würde ihm so unangenehm und peinlich sein, mich berührt zu haben und ich wollte ihm dieses Gefühl ersparen. Und mir.

Ich hatte es genossen, so mit ihm im Bett zu liegen und wenn ich nicht mehr bekommen konnte, so würde ich diese eine Nacht  für immer im Herzen tragen. Nicht, dass etwas zwischen uns geschehen wäre, außer dass er einen Arm um mich gelegt hatte und ich ihn wenigstens für eine kurze Zeit hatte spüren dürfen. Alles von ihm.

Er hatte mich als seine Frau ausgegeben, um mich zu schützen. Ich war ihm also nicht ganz gleichgültig und das wusste ich zu schätzen. Aber wenn es sich so anfühlte, seine Frau zu sein, dann wollte ich alles dafür geben, dass es so werden würde. Ich dachte an Verennes Ratschläge, alles auf eine Karte zu setzen. Besser eine Freundschaft verlieren, die mir insgeheim wehtat, als nie zu erfahren, was ich wirklich fühlte. Vielleicht hatte sie Recht? Hatte sie nicht immer Recht, wenn es um Beziehungsdinge ging? Wenn ich meine Schüchternheit überwinden und ihn fragen könnte oder vielleicht sollte ich ihn doch einfach küssen. Schließlich fiel ich ihm auch einfach so um den Hals. Es war zum Verrücktwerden. Wenn wir zurück in Waldhafen waren, stand ein Besuch bei Verenne bevor. Ich brauchte ihren Rat. Dringend. Und ihren Zuspruch.

Die Leute in Waldhafen würden auch reden. Es würde nicht geheim bleiben, dass ich tagelang mit Parrik im Wald unterwegs gewesen war. Rasten würde sich noch mehr Sorgen um meine Zukunft und um meine Aussichten auf eine gute Heirat machen. Nicht, dass ich jemanden heiraten wollte, außer den Jungen neben mir. Aber es würde Gerede geben und Gerüchte. So etwas war gefundenes Fressen für die Marktfrauen und Waschweiber. Wenigstens konnte ich zukünftig die Hoffnung hegen, dass sich kein Freiwilliger hervortun würde, nachdem mein Ruf auf allen Märkten von Waldhafen in den Dreck gezogen worden war.

Aber Rasten würde mir und Parrik glauben, und uns vertrauen, dass sich nichts Ungebührliches zwischen uns ereignet hatte. Wahrscheinlich käme er nie auf die Idee, dass sein bester Freund die Situation ausnutzen könnte. Schließlich hatte er uns ohne zögern und ohne den leisesten Einwand losreiten lassen. War es denn wirklich so abwegig mit uns beiden?

Wenn man Parrik kannte, dann war es wirklich unwahrscheinlich, dass etwas zwischen uns passieren würde, außer dass wir in einem Bett schliefen und er im Schlaf versehentlich an mich heranrutschte. Etwas anderes war es nicht gewesen und das wusste ich nur zu gut. Und selbst darum, mit mir das Bett zu teilen, hatte ich ihn mehrmals bitten müssen.

Zeit aufzustehen und sich dem Tag zu stellen, mit allem, was er bringen mochte, beschloss ich. Ich streckte mich und erhob mich langsam.

So gut gelaunt wie möglich und ohne mir etwas anmerken zu lassen, stupste ich ihn in die Seite. „Guten Morgen, na ausgeschlafen?", weckte ich ihn, obwohl ich wusste, dass er ebenfalls bereits wach war.

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