46) Apfelbeeren und Mäusedorn

Jemand schrie. Eine Frauenstimme. Eilig betrat ich den Laden und fand ihn verwaist vor. Jetzt hörte ich die Schreie noch deutlicher und die Stimme meines Bruders sowie Arnoldos verzweifelte Worte. Die schrillen Schreie und hilflosen Worte kamen aus dem oberen Stockwerk.

Je zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete ich die Treppen hinauf.

Ohne zu zögern, riss ich die Tür zum Schlafzimmer meines Bruders auf, aus dem die Stimmen und Schreie kamen. Ich fand Mara liegend in ihrem Bett vor, Rasten und Arnoldo besorgt an ihrer Seite. Maras blaue Augen waren weit aufgerissen und sie schrie vor Schmerzen.

Ihre Arme und Beine zuckten unkontrolliert. Das war gar nicht gut, ganz und gar nicht gut. Ich eilte die letzten Meter bis zu ihrem Bett und griff nach ihren wild um sich schlagenden Händen.

„Langsam atmen", forderte ich sie auf so ruhig und bestimmt ich konnte. „Schön ein und wieder ausatmen. Mach es mir nach." Ich atmete ihr vor, versuchte mein rasendes Herz zu entschleunigen. Wichtig war es jetzt, nicht in Panik zu verfallen. Arnoldo und Rasten verbreiteten schon genug davon. So würde es mir nicht gelingen, Mara zur Entspannung zu bringen. „Ein und wieder aus", mahnte ich und sie gab ihr Bestes, es mir nachzutun.

„Schau mich an, atme ruhig weiter, es wird alles gut", wiederholte ich, obwohl ich mir dessen nicht sicher war. Nach einer Weile hatte ich sie soweit, dass sie weder zitterte noch zuckte. „Atme schön langsam weiter", befahl ich ihr. „Versuch dich zu entspannen." Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihr langes, blondes Haar klebte an ihren Schläfen.

"Was ist passiert?" Leise richtete ich die Frage an meinen Bruder. Mara hatte ihre Augen geschlossen. Erschöpfung und Angst standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Ihr ging es immer schlechter, seitdem du gegangen bist. Ich habe ihr deinen Tee eingeflößt, wie du es gesagt hast", erklärte er mir, „und dann hat sie auf einmal angefangen mit den Armen und Beinen zu zucken und geschrien. Ein Glück, dass du gekommen bist. Ich dachte sie stirbt." Seine schweißnassen Locken standen wirr vom Kopf ab. Hatte ich meinen Bruder jemals so besorgt erlebt?

Arnoldo tupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. Er war rot im Gesicht und wirkte nicht minder sorgenvoll. Verständlich, einen krampfenden Patienten hatten sie beide noch nicht gesehen und dass es dann auch noch die geliebte Frau und eigene Tochter war, machte die Sache nur umso erschreckender. Man fühlte sich hilflos, wenn man nicht wusste, wie man richtig zu reagieren hatte.

Ich fühlte Maras Puls und ihre Temperatur. Ersterer war viel zu schnell, zweiteres allerdings normal. Ein Glück, Fieber hatte sie zu allem Überfluss nicht auch noch.

Sie wimmerte und öffnete die Augen. „Mein Kopf tut weh", jammerte sie mit schwacher Stimme. „Und ich kann nur verschwommen sehen." Ihre Hand wanderte zu ihrem Oberbauch. „Und hier tut es schon die ganze Zeit weh. Mein Baby, was ist mit dem Baby, Celien?", fragte sie mich mit weinerlicher Stimme.

„Beruhige dich, ich glaube mit dem Baby ist alles in Ordnung", versicherte ich ihr. „Lässt du mich mal fühlen?" Sie nickte und schob ihre Hände zur Seite, um für meine Platz zu machen. Behutsam tastete ich über ihren Bauch. Alles fühlte sich weich und normal an, bis auf die Stelle am Oberbauch, auf der ihre Hand gelegen hatte. Sie war hart und geschwollen. Sie zuckte bei der Berührung zusammen. „Keine Sorge, dass Baby liegt viel weiter unten", beruhigte ich sie, „die Schwangerschaft macht dir zu schaffen. Das Kind drückt auf deine Organe." Allerdings lag die Ursache für ihren Anfall darin, vermutete ich, dass ihre Organe mit der Schwangerschaft überfordert waren und ihren Aufgaben nicht mehr nachkamen. Es war ernst, viel ernster, als ich gedacht hatte.

Übelkeit, Wassereinlagerungen und Atemnot waren erst der Anfang gewesen. Meine Großmutter hatte Fälle beschrieben von Frauen, denen sie geholfen hatte. Ihnen war es ähnlich ergangen wie Mara, aber dank der Hilfe meiner Großmutter konnten sie und ihre Kinder gerettet werden. Hoffentlich konnte ich dasselbe auch für Mara und ihr Baby tun. Ich musste zurück und im Buch meiner Großmutter nachlesen, was genau sie getan hatte.

„Kannst du ihr helfen?", unterbrach Rasten meine Überlegungen.

„Ich hoffe es", flüsterte ich, sodass Mara mich nicht verstehen konnte. „Ich muss zurück in die Apotheke, du brauchst etwas Stärkeres", fügte ich lauter für sie hinzu.

„Die Zeit drängt", fuhr ich fort. „Mara war schon vorher zierlich und zimperlich. Sie hat kaum Reserven."  Ich wusste nicht, wie lange sie und ihr Körper diese zusätzlichen Strapazen aushalten würden.

„Tu alles, was in deiner Macht steht", flehte Arnoldo. „Geld spielt keine Rolle."

„Ich tu, was ich kann", sagte ich lauter. Geld war nicht das Problem. „Du musst auch etwas dazu beitragen", wandte ich mich an meine Schwägerin. „Versuche ruhig und tief zu atmen", erinnerte ich sie. Sie nickte schwach und atmete flach.

„Ein und aus", gab ich ihr den Takt vor. „Du kannst ihr dabei helfen", wies ich meinen Bruder an. Er brauchte etwas zu tun, um sich nützlich zu fühlen. Arnoldo ebenso. „Arnoldo", ich reichte ihm das Säckchen mit den Teekräutern, „gieße heißes Wasser darüber und lass es sie in langsamen Schlucken trinken. Aus dem Rest bereitest du ihr ein warmes Bad. Warm, aber auf keinen Fall zu heiß." Zu heiß durfte es nicht sein, um ihren geschwächten Kreislauf nicht zu überlasten, aber warm genug, um ihre verkrampften Muskeln zu entspannen. „Wenn sie sich nicht mehr gut in der Wanne fühlt, soll Rasten sie zurück ins Bett bringen. Anschließend reibst du ihre geschwollenen Beine mit dieser Salbe ein. Verstanden?", wollte ich von meinem Bruder wissen. Er nickte und nahm die Salbe an sich.

Mehr konnte ich im Moment nicht für sie tun. Fürs Erste musste das reichen. „Weiter so, du machst das gut", verabschiedete ich mich von Mara und versprach, so schnell wie ich konnte wieder zurück zu sein.

Dieses Mal rannte ich den Weg bis zu meiner Apotheke. Völlig außer Atem kam ich dort an. So schnell hatte ich die Strecke vom oberen Viertel bis hierher noch nie zurückgelegt.

Ich griff nach dem alten, in Leder gebundenen Buch meiner Großmutter und blätterte bis zu dem Eintrag, der mir durch den Kopf ging.

Wenn diese Frauen keine Behandlung finden, besteht große Gefahr für ihr Leben und das der ungeborenen Kinder.

Vorsichtig dosiert und sorgfältig überwacht hilft ein Sud aus den blauen Beeren des Apfelbeerstrauches.

Apfelbeeren, ich kannte die blauen Beeren, die vor allem in den äußeren Bereichen des Waldes, aber auch vereinzelt im Inneren, wuchsen. Das sollte ich hinbekommen. Ich las weiter.

Die Wurzeln von Mäusedorn haben eine stärkere Wirkung. Man muss sie trocknen und zerreiben und dann zu Pillen pressen. Leider braucht es eine Weile, bis sie ihre Wirkung entfalten, weswegen die Behandlung mit Apfelbeerensud gleichzeitig erfolgen sollte.

Ich betrachtete die Zeichnung. Mäusedorn, ein Strauch mit spitzen Blättern und roten Beeren. Mir kam die Pflanze nicht bekannt vor. Ich war mir sicher, dass ich sie noch nie gesehen hatte. Sie wuchs nicht hier in der Nähe. Meine Großmutter hatte ein verschnörkeltes Symbol daneben gekritzelt.

Ich kannte die Bedeutung ihrer Symbole. Seltene Pflanzen und ihre Standorte hatte sie auf einer separaten Karte vermerkt.

Ich zog die große Karte aus dem Einband, in den ich sie geschoben hatte und faltete sie auseinander. Es zeigte Waldhafen und ringsum eine detaillierte Zeichnung des Waldes. Meine Großmutter hatte Jahre damit verbracht ,den Wald zusammen mit meinem Großvater zu durchstreifen. Sie hatten dabei jeden Winkel erkundet und alles niedergeschrieben, was sie entdeckten.

Ich suchte auf der Karte nach dem Symbol, das sie neben die Zeichnung des Mäusedorns gemalt hatte. Es dauerte eine Weile bis ich es endlich ganz am äußersten, nordöstlichen Waldrand fand.

Nur ein einziger Standort war verzeichnet. Es war Jahrzehnte her, seit meine Großmutter diese Karte erstellt hatte. Ich hoffte, dass die Pflanze noch immer dort wuchs. Es hing so viel davon ab, dass ich sie fand.

Hastig las ich noch einmal den Eintrag. Apfelbeerensud und Mäusedornwurzelpillen, wenn ich die Pflanzen fand, konnte ich es schaffen.

Ich wusste, dass ich es zumindest versuchen musste, sonst würden Mara und ihr ungeborenes Kind sterben. Am besten ich machte mich gleich auf.

Auf halbem Weg zum Ausgang blieb ich stehen. Nein, ich durfte nichts überstürzen. Es war bereits spät am Abend. Ein überhasteter Aufbruch würde niemandem etwas nützen und in der Nacht würden wir im Wald ohnehin kaum vorankommen. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, wie ich es Mara gezeigt hatte und zwang mich zum Nachdenken.

Ich musste meiner Schwägerin vorerst etwas gegen die Schmerzen geben, das ihrem Kind nicht schaden würde. Das konnte ich gleich erledigen. Dann würde ich Quenny instruieren, diese Dinge in der Zwischenzeit zuzubereiten, damit Mara so gut wie möglich versorgt war und sich jemand in meiner Abwesenheit um die Apotheke kümmerte. Andere Menschen würden schließlich auch krank werden und meine Hilfe brauchen. Immer wenn ich mich außer Haus befand, und war es für eine noch so wichtige Besorgung, hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran dachte, dass mich andere währenddessen nicht antreffen würden.

Ich hätte Quenny schon viel früher um ihre Hilfe bitten sollen. Es tat ihr gut, ebenso mir und kam auch anderen zu Gute.

Außerdem brauchte ich einige Dinge für den Ausritt in den Wald, die ich vorbereiten und einpacken musste. Der Ritt würde mehrere Tage in Anspruch nehmen. Ich konnte unmöglich alleine losreiten. Rasten musste mich begleiten. Und wir mussten Ally fragen, ob sie uns für diese Zeit ihre Pferde überließ. Andernfalls müsste Rasten welche bei der Stadtwache ausleihen. Allerdings wäre es mir lieber, die mir vertraute Stute zu reiten, falls Ally nichts dagegen hatte.

Mein Plan stand fest. Zuerst die Medizin für Mara, dann Ally und Ollf nach den Pferden fragen, Quenny Bescheid geben. Anschließend galt es Mara die Medizin zu bringen und Rasten zu informieren, damit er sich für den Ausritt vorbereiten und alles Nötige einpacken konnte. Wir sollten am nächsten Morgen in aller Frühe aufbrechen.

Mit einem durchdachten Plan im Kopf wurde ich schnell ruhiger und die Arbeit lenkte mich weiter von meinen Sorgen ab. Es tat gut, etwas tun zu können. Die Schmerzmittel für Mara waren nach einer kurzen Weile fertig. Ich notierte alle wichtigen Schritte für Quenny auf ein altes Stückchen Pergament. Damit sollte sie gut zurechtkommen.

Ich packte die Medizin und die Notiz ein und lief hinüber.

Ally und Quenny traf ich in der Küche an, wo sie gerade mit dem Abwasch beschäftigt waren.  „Gerade wollte ich Quenny zu dir rüberschicken", bemerkte sie und wies mit dem Kopf auf eine abgedeckte Schüssel, die noch auf dem Tisch stand.

„Nicht nötig", wehrte ich ab. „Ich bin nicht wegen des Essens hier, sondern wegen etwas anderem."

„Hast du gegessen?", fragte Ally und musterte mich mit strengem Blick. „Ich hatte bis eben in der Apotheke zu tun", erklärte ich kopfschüttelnd. In der Tat hatte ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen.

„Iss, Mädchen. Wenn du vom Fleisch fällst, hilfst du keinem. Am wenigsten dir selbst." Mit einer energischen Geste bugsierte sie mich zum Tisch und platzierte einen Teller Eintopf und eine Scheibe ihres selbstgebackenen Brotes vor mir. Obwohl ich keinen Apetitt verspürte, duftete es köstlich nach gekochten Rüben und Zwiebeln.

„Na gut", willigte ich zögerlich ein. „Danke." Es nützte nichts, sich gegen Ally und ihre Verköstigung zu wehren, wie ich aus guter Erfahrung wusste und außerdem wollte ich sie nicht verärgern. Das wäre meiner Sache nicht förderlich. Außerdem meinte sie es gut und ich hatte vor lauter Aufregung und Trubel wirklich nichts gegessen. Etwas Warmes im Magen würde mir gut tun und ich brauchte alle meine Kräfte für die kommenden Tage.

Quenny setzte sich zu mir an den Tisch und während ich eilig Eintopf und Brot in mich hineinschaufelte, erklärte ich ihr, was sie zu tun hatte. Sie war sichtlich erfreut darüber, helfen zu können. „Verlass dich auf mich", versicherte sie mir, „das bekomme ich hin."

Als ich gerade mit der Mahlzeit fertig war, gesellte sich Parrik zu uns. „Was verschafft uns die Ehre deiner späten Anwesenheit?", fragte er scherzhaft. „Was ist so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?"

In einer Kurzfassung erzähle ich ihm von Maras Zustand und meinem geplanten Ausritt in den Wald. Er wirkte ebenfalls ziemlich besorgt.

„Ich begleite dich zu Rasten", schlug er vor und nahm seinen Mantel vom Haken an der Wand. Ich nahm sein Angebot gerne an.

„Lass mich erst Ally nach den Pferden fragen", hielt ich ihn auf, bevor er sich Richtung Treppe bewegte. Ally hatte sich zu Ollf in die Wohnstube zurückgezogen und uns Mädchen beim Essen alleine gelassen. Ich streckte den Kopf zur Tür herein und begrüßte Ollf.

„Danke für den Eintopf. Er war köstlich", bedankte ich mich bei Ally. „Keine Ursache", erwiderte sie lachend. „Du kannst gerne öfter zum Essen vorbeikommen. Du solltest besser auf dich Acht geben, Mädchen", schimpfte sie immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Danke Ally. Ich nehme das Angebot gerne an", entgegnete ich. „Allerdings muss ich zuerst auf einen Ausritt in den Wald aufbrechen. Mara geht es gar nicht gut", erklärte ich. „Ich muss eine seltene Pflanze finden, die irgendwo am Waldrand wächst. Kann ich dafür vielleicht die Pferde haben?", erkundigte ich mich vorsichtig.

„Natürlich. Ich weiß sie bei dir in den besten Händen. Richte Rasten meine Grüße aus und seiner liebreizenden Gattin die besten Genesungswünsche. Man bekommt deinen Bruder ja kaum noch zu Gesicht."

„Ich weiß", seufzte ich, „er hat viel zu tun und jetzt wo Mara in anderen Umständen ist und es ihr nicht gut geht, weicht er kaum von ihrer Seite." Ich konnte meinen Bruder gut verstehen.

„Ich begleite sie ins obere Viertel. Sie bringt Mara noch etwas vorbei", informierte Parrik die beiden und schob mich anschließend auf den Flur hinaus.

Ich verabschiedete mich mit ein paar kurzen Worten von Ally, Ollf und Quenny und stieg wie üblich vor Parrik die steilen Stufen hinab.

Er versuchte an diesem Abend erst gar nicht, seine Schritte zu kontrollieren, sondern hetzte humpelnd an meiner Seite in Richtung des Aufgangs zum oberen Viertel und ich konnte spüren, dass es ihm dieses eine Mal wirklich egal war, wie sein Gang aussah.

Intuitiv hatten wir den Zugang über den Hafen eingeschlagen. Hier stieg der Weg allmählich sanft an, wodurch es keine unnötigen Stufen gab, die ihm Probleme bereiteten.

Trotzdem waren wir beide völlig außer Atem, als wir endlich vor Arnoldos großem Haus standen.

Da die Türe zum Laden bereits abgeschlossen war, klopfte ich energisch dagegen. Es dauerte eine Weile bis Arnoldos beleibte Gestalt auf der anderen Seite auftauchte und uns einließ.

„Da bist du ja endlich", begrüßte er mich. Offensichtlich wurde ich bereits sehnsüchtig erwartet. „Wie geht es Mara? Hatte sie wieder einen Krampfanfall?", erkundigte ich mich besorgt.

„Nein, zum Glück nicht", antwortete ihr Vater. „Rasten hat ihr Badewasser erhitzt und ihr ein Bad eingelassen, so wie du es ihm aufgetragen hast. Es hat ihr gut getan und sie möchte jetzt schlafen."

„Das ist gut zu hören. Ich will auch nicht mehr lange stören. Ich habe ihr ein paar weitere Arzneien gegen die Schmerzen zubereitet und ich muss dringend meinen Bruder sprechen", verlangte ich.

„Gut. Ich werde ihn hinunterschicken", antwortete er und stieg mühsam die Stufen wieder nach oben.

Parrik und ich warteten in dem nur spärlich beleuchteten, halbdunklen Laden, bis kurz darauf eilige Schritte zu vernehmen waren. „Da bist du ja wieder", begrüßte mich Rasten, dann fiel sein Blick auf Parrik. „Schön, dass du sie begleitet hast." Er klopfte seinem Freund auf die Schultern.

„Hier, das ist für Mara. Es hilft gegen die Schmerzen." Ich erklärte ihm, wie er ihr meine Medizin geben sollte, damit sie eine möglichst ruhige und erholsame Nacht hatte. „Quenny kommt morgen vorbei und schaut nach Mara. Sie weiß Bescheid, was sie machen muss."

„Wieso kommst du morgen nicht?", erkundigte sich Rasten verwundert.

„Weil wir morgen in aller Frühe in den Wald aufbrechen müssen. Ich habe etwas im Buch unserer Großmutter gefunden. Eine seltene Pflanze, die nur ganz am nordöstlichen Waldrand wächst. Mara braucht diese Medizin dringend, und du musst mich begleiten", erklärte ich ihm. „Schließlich kann ich nicht tagelang alleine durch den Wald reiten."

„Aber ich kann Mara nicht alleine lassen. Sie braucht mich. Kannst du sie nicht begleiten?", fragte er Parrik stattdessen.

Parrik zögerte mit seiner Antwort und schaute mich an. „Wenn es für dich in Ordnung ist, dass ich dich begleite." Rasten ließ mir erst gar nicht die Möglichkeit ihm zu antworten.

„Danke, mein Freund. Dann ist es abgemacht, dass du sie begleitest. Ich kann dir gar nicht genug danken", fiel er ein und klopfte Parrik erneut auf die Schultern.

Also war es beschlossene Sache, dass Parrik mich an Stelle meines Bruders begleiten würde.

Mir war es recht, und wenn ich ehrlich darüber nachdachte, war mir seine Gesellschaft sogar lieber als die meines Bruders. Mit Parrik hatte ich in letzter Zeit wesentlich mehr Zeit verbracht, als mit meinem Bruder.

Zum wiederholten Mal an diesem Abend eilte ich, zur Abwechslung in Begleitung von Parrik, nach Hause, während wir gemeinsam durchgingen, was wir alles für unseren Ausritt mitnehmen mussten. Es war eine ganze Reihe an Dingen. Noch nie hatte ich eine Nacht im Wald verbracht, Parrik ebenfalls nicht, aber die Umstände machten es nun erforderlich.

Bei unseren gemeinsamen Ausflügen war es durchaus einmal spät geworden, aber wir waren dennoch jedes Mal wieder zurück nach Waldhafen geritten. Schlagartig wurde mir klar, dass ich noch lange nicht alle Gebiete des riesigen Waldes kannte.

„Es wird alles gut werden", versicherte mir Parrik, der mal wieder meine Gedanken erraten zu haben schien. „Hoffentlich", seufzte ich. Ich war mir dessen nicht so sicher. „Es muss einfach."

Vor der Schmiede ließ er mich warten, um zuerst Ollf nach seiner Erlaubnis zu fragen.

„Er hat bestimmt nichts dagegen. Schließlich geht es um Leben und Tod. Und außerdem habe ich in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass er deswegen mal wieder ein schlechtes Gewissen hat", erklärte er, bevor er so schnell er konnte die Treppen nach oben stieg.

Ich wartete und ging im Kopf die Dinge durch, die ich an diesem Abend noch erledigen musste. Meine Sachen packen, warme Kleidung und Wechselwäsche, Decken zum Schlafen, etwas Essbares und die Trinkflasche, die Karte, meine Messer und Beutel, sowie einen kleinen Jagdbogen für alle Fälle. Das Buch würde ich nicht mitnehmen. Auf keinen Fall wollte ich riskieren, dass es verloren ging oder beschädigt wurde. Außerdem kannte ich den Inhalt mittlerweile fast auswendig.

Kurze Zeit später kam Parrik wieder heruntergestiegen. „Geht in Ordnung, wie ich es dir gesagt habe. Morgen bei Morgengrauen. Ich bringe die Pferde."

„Gut. Dann gute Nacht. Wir sehen uns morgen früh!" Ich gähnte. „Gute Nacht, und versuche, wenigstens ein bisschen Schlaf zu bekommen", riet er mir. Ich wusste, dass er Recht hatte, auch wenn ich in dieser Nacht vor Aufregung vermutlich wirklich nicht viel schlafen würde.

Er winkte mir zu und stieg erneut die Stufen nach oben.

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